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Ein Museumsbesuch - Neue Version
Es hatte sich bewegt; plötzlich und unversehens.
Die Besucher, welche sich unmittelbar vor dem gigantischen Glaskäfig befanden, brachen in Panik aus, überfielen beinahe die Reihen der gleichfalls Schaulustigen hinter ihnen.
Vielleicht beendete es jetzt seine lange Transformation?
Seit Monaten hatte sich das furchteinflößende Antlitz der von sehr weit hergekommenen Kreatur stetig gewandelt; war in immer skurrilere Formen des Schrecklichen übergegangen.
Die papageienartigen Schnäbel beruhigten sich bloß langsam, während die mit geradezu gigantischen Saugnäpfen und scharfkantigen Hornkrallen bewehrten Tentakel wild um sich schlugen.
Sie trafen mehrmals gegen die porösen Wände des kleinen Gefängnisses; drohten es außeinander zu reißen.
Der Wächter stellte sich schützend vor die enge Kapsel, krampfhaft darum bemüht, die aufgebrachte Stimmung seiner Gäste zu besänftigen.
Dieses Exemplar war mehr als wertvoll.
Es war einzigartig; denn unter normalen Umständen war es den großen, alten Kraken und ihren verwandten Octopussen unmöglich, sich der Oberfläche - der tödlichen Helligkeit des Lichtes, in dem der äußere Druck nur geringfügig war - zu nähern.
Der einzig mögliche Zeitpunkt kam in Intervallen von neunzig Jahren. Von Altersschwäche machtlos gewordene Riesen trieben dem Meeresspiegel entgegen; so träge, dass manche von ihnen kurzzeitig die direkte Konfrontation mit der Sonne überlebten.
Niemals lange genug, um in Gefangenschaft geraten zu können.
Der Aufseher sah sich einer aggressiven Meute gegenübergestellt, die den bedrohlich wirkenden Fang am liebsten sofort vernichtet hätte.
In diesen Regionen lebten zumeist dürre Einsiedler, die lediglich in ihrer Anzahl eine reele Gefahr darstellten.
Zudem waren sie dumm und unterentwickelt.
Bis zum heutigen Tage hatte sich nur eine handvoll Gebildeter in diesen vergessenen Teil des Ozeans hervorgewagt.
Zu Forschungszwecken und selbstverständlich auch in der Absicht bestrebt, eine morbide Form der Neugier zu stillen.
Reine Sensationslust, für die der jetzt anwesende Pöbel nicht das Geringste übrig hatte, und so zerfetzten die unzähligen Tentakel erst das weiche Gelee des Aufpassers, und dann das seltsam glänzende Material des hinter ihm ruhenden Käfiges, mit den winzigen Rundfenstern.
Zuletzt rissen sie das herausgespülte menschliche Skelett, welches erst vor wenigen Sekunden von der kleinen Sitzbank heruntergerutscht war, in Zentimeter große Brocken.
Einige starben, als die harten Knochen sich durch ihren Rachen direkt in das empfindliche Gehirn bohrten.
Die Überlebenden trugen in ihren Mägen währenddessen ein letztes Überbleibsel menschlicher Zivilisation in sich.
Sie wussten nicht, weshalb der japanische Wissenschaftler gestorben war.
Den letzten Weltkrieg hatte er etwas länger als seine Kameraden überlebt. Zirka zwei Stunden mehr, um genau zu sein.
Solange war kein frischer Sauerstoff durch das schlanke Kabel nachgerückt, um seine Lungen zu füllen.
In zehn Jahren war es wieder soweit, dann kam der nächste Intervall und die Kraken würden überrascht feststellen, welche lebensverlängernde Wirkung die Radioakivität auf ihren Körper auszuüben vermochte.