- Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
- Kommentare: 1
Ein mulmiges Gefühl
Ein mulmiges Gefühl
Von Oliver Drees
Ich bin ein Sitzpinkler. Ja, denken sie, was Sie wollen, nennen Sie mich ruhig Weichei, Warmduscher, Vorwärts-Einparker, Sauna-unten-Sitzer.
Es war eine Entwicklung, und es hat mit, natürlich, einer Frau, angefangen.
Jeder Mann kennt die dummen Sprüche, von wegen spritzen, daneben pinkeln, Klobrille nicht hoch machen und so weiter. Und jeder Mann lacht darüber, aber wirklich hinsetzen, das macht kaum einer. Wo bleibt denn da der männliche Stolz?
Wir haben nun mal das Privileg, daß wir im Stehen pinkeln können, das haben wir als kleine Jungen von unseren Vätern oder Klassenkameraden gelernt, und es hat uns damals zu richtigen Männern gemacht. Jedenfalls einige.
Und das Privileg, im Stehen pinkeln zu können, ist für uns auch immer von Vorteil gewesen. Wir müssen uns auf kaum einer großen Party in die lange Schlange vor dem Klo einreihen, oder bei langen Autofahrten extra ein Klo suchen, wir sind in vielen Fällen unabhängig von dieser hygienischen Einrichtung. Jahrelang war das so.
Warum sollte sich das ändern? Tja, warum wohl, weil Frauen das ekelig finden.
Der Feminismus schreitet in der heutigen Zeit immer schneller voran, und jeder moderne Mann sollte das auch gut finden (was er jedenfalls nach außen hin behauptet), und je kritischer die Frauen gegenüber unseren Gewohnheiten werden, desto schwieriger wird das Zusammenleben. Nur die wirklichen Machos ziehen ihr Ding ohne Skrupel durch, aber wirkliche Machos sind auch nicht mehr gefragt, glaube ich zumindest.
Was hat mich also dazu bewogen, mich hinzusetzen. Wie bereits gesagt, eine Frau, aber so einfach war das auch wieder nicht. Ich tue ja viel, um eine Frau, die mich interessiert, zu beeindrucken, aber nur um zu pinkeln die ganze Montur runterziehen, wo es doch eigentlich viel einfacher geht, das ging mir immer zu weit.
Aber es war, wie bereits gesagt, eine Entwicklung.
Nachdem eine langjährige Beziehung den Bach runterging, was zum großen Teil meine Schuld war, habe ich mir das vorgenommen, was sich jeder vernunftbegabte Mann vornimmt, wenn er merkt, daß etwas seine Schuld war, und zwar es das nächste Mal besser zu machen. Und so kam es, wie es kommen mußte, ich wollte alles besser machen bei meiner Nächsten, und –Zack- ich habe mich ohne Murren hingesetzt beim pinkeln.
Warum? Vielleicht um sie zu beeindrucken, wie modern ich doch bin, vielleicht aus Angst, sie zu vergraulen, oder einfach, um es mal auszuprobieren.
Und, hey, was soll ich sagen, so schlimm war es gar nicht. Schon nach kurzer Zeit habe ich mich daran gewöhnt, und immerhin gibt es immer noch Kneipen, Discos, Parties, bei denen ich mein Privileg voll ausleben kann – dank der Erfindung des Pissoirs und des Vorzugs der freien Natur (ist doch voll ökologisch abbaubar...).
So wurde aus einem überzeugtem Stehpinkler ein routinierter Sitzpinkler, und eigentlich fühle ich mich ganz gut dabei (auch wenn ich dafür mittlerweile kein Lob mehr von meiner Freundin bekomme).
Aber eine Sache fällt mir dabei auf. Wenn Mann im Sitzen Wasser läßt, ist man automatisch dazu gezwungen, zu denken. Na ja, das tut Mann ja eigentlich öfter, aber selten bei dieser Angelegenheit. Ganz ehrlich, wenn Mann im Stehen sein Utensil herausholt, sich erleichtert, alles wieder verstaut, abzieht und weggeht, dann geschieht das alles ziemlich schnell, man schaut in der Zeit, in der es läuft vielleicht gelangweilt die Wand an (in Kneipen oder Discos liest man sich eventuell die Klo-Sprüche an der Wand durch, was manchmal recht unterhaltsam sein kann...), oder man schaut desinteressiert auf den Strahl, aber Mann macht selten etwas anderes, wenn er im Stehen pinkelt (Unterhaltungen am Pissoir sind meistens ziemlich hochnotpeinlich, wenn man nicht gerade einen geladen hat, und es sowieso nicht mehr merkt, dass irgend etwas peinlich ist. Wenn Männer nebeneinander pinkeln entsteht immer ein kurzer gespannter Moment, ob der Strahl nun kommt oder nicht. Beim Männer-Massen-Urinieren gibt es eine Menge ungeschriebener Gesetze, wie zum Beispiel, daß man niemals auf den Schniedel des anderen gucken sollte; wenn Gespräche, dann nicht über Sex oder Frauen, jeder Mann kann sich denken, warum; man sollte sich möglichst niemandem Unbekanntem namentlich vorstellen („Hi, ich bin der Olli, ich pinkel hier zum ersten mal“, das kann zu Verwicklungen führen; und das oberste Gebot ist, sich niemals beim pinkeln outen, das kann beim Gegenüber ernsthafte Psychosen auslösen, wenn es nicht gerade in einer Schwulen-Kneipe ist).
Zu Hause, alleine, passiert eigentlich nicht viel, wenn Mann im Stehen loslegt, aber es ändert sich, wenn man sich dabei setzt.
Das kleine Geschäft im Sitzen zu verrichten beansprucht bedeutend mehr Zeit, außerdem hat man keinen Fixpunkt mehr (wie die Wand oder den Strahl, denn im Sitzen nach unten schauen ist nicht so cool, wie im Stehen) auf den man sich konzentrieren kann. Und zum ersten mal denkt Mann nach, wenn er pinkelt.
Es ist wie das Phänomen Lesen beim großen Geschäft. Wenn Mann sitzt, braucht er irgendwie Beschäftigung, aber um eine Zeitung oder ein Buch (Comics etc.) beim urinieren zu lesen, ist die Zeit dann doch irgendwie zu kurz.
Mann fängt an, sich die Inhaltsstoffe des Haarsprays der Freundin durchzulesen (oder vom Shampoo, egal Hauptsache in Reichweite), irgendwann ist das aber auch langweilig, und man sitzt die kurze Zeit einfach nur da, starrt ins Leere und man bekommt einen gedanklichen Leerlauf. Soll heißen, man denkt über das nach, was einem so einfällt. Was manchmal ziemlicher Mist ist, aber egal, für so kurze Zeit kann man es sich erlauben, einfach nur irgend einen Scheiß zu denken. Wann hat man sonst die Gelegenheit dazu?
Ich denke dabei über eine große Vielfalt von Dingen nach, aber selten bringt man das, was man denkt, mit der äußerst heiklen Situation, in der man ist, in Verbindung.
Wenn man das tut, kommen manchmal seltsame Gedanken bei heraus.
Es gibt wahrscheinlich noch einen Grund, warum man mich Weichei titulieren darf.
Ich ekel mich vor Spinnen. Na ja, nicht direkt ekeln, ich fühle mich in Gegenwart von Spinnen irgendwie mulmig, je größer, desto mulmiger. Zu meiner Verteidigung muß ich jedoch sagen, daß ich keine Angst habe, eine Spinne „wegzumachen“, nur ist meine liebste Methode die Staubsaugermethode (wegen der Entfernung vom Zielobjekt), oder die zwanzig-Lagen-Zewa-Methode (bloß nichts dazwischen fühlen).
Ich habe auch letztens herausgefunden, woher diese tief sitzende Abscheu, dieser ansonst recht harmlosen Kreaturen, herkommt. Mein Opa hat zu seinen Lebzeiten viele Geschichten erzählt. Und da ich meinen Opa sehr geliebt habe, und man als Kind sehr unkritisch gegenüber den wahrheitsgehalt solcher Geschichten ist, habe ich ihm alles geglaubt. Als ich mich letztens mit meiner Mutter unterhalten habe, erzählte sie mir von einer Geschichte, die Opa jedem von uns Kindern erzählt hatte, einschließlich meiner Schwester, die jünger ist als ich.
Es war die Geschichte einer Frau, die in irgendeinem exotischen Land Urlaub machte, als sie wieder kam, hatte sie eine juckende Stelle am Kopf, die ihrer Meinung nach von einem Insektenstich herrührte. Irgendwann wurde diese Stelle am Kopf dicker, das Haar fiel ihr dort büschelweise aus, und als diese, mittlerweile zur Beule mutierte Stelle, aufbrach, kam ein ganzer Schwarm kleiner schwarzer Spinnen heraus.
Eklig, nicht? So was hat mir mein Opa als Kind erzählt. Das ist wahrscheinlich der Grund für meine unterbewußte Angst vor Spinnen. Meine Schwester hat keine Angst vor Spinnen, obwohl er ihr die gleiche Geschichte erzählt hat, ich bin wahrscheinlich doch das schlichtere Gemüt in unserer Familie. Aber es ist ja auch nicht so, daß ich Panik bekomme, wenn ich eine Spinne sehe, es ist einfach nur ein blödes und unheimliches Gefühl.
Ich habe letztens herausgefunden, daß es in Südamerika wirklich Spinnen gibt, die ihre Eier unter die Haut anderer Lebewesen ablegen. Jetzt soll mal einer sagen, dieses kleine Angstgefühl wäre unberechtigt. So weit ist Südamerika gar nicht weg.
Hat einer von Euch den Film „Arachnophobia“ gesehen? Noch Fragen?
Ja, bestimmt, denn was hat nun meine unterschwellige Phobie gegen Spinnen mit meiner Angewohnheit zu tun, im Sitzen zu pinkeln?
Wie bereits gesagt, man denkt über jeden Scheiß nach, wenn man da so sitzt.
Direkt neben unserem Klo ist die Badewanne (welch Luxus!), und über der Badewanne das Dachfenster (doppelter Luxus, sehr relaxend...).
Seltsamerweise ist diese Badewanne das Sammelbecken für Insekten jeglicher Art geworden, da das Dachfenster über der Wanne im Sommer eigentlich immer auf ist.
So kommt es dann auch vor, daß sich hin und wieder dort mehr oder weniger große Spinnen tummeln, die sich überlegen, wohin es gehen soll. Es ist immer wieder eine äußerst fragwürdige Überraschung, wenn man ins Badezimmer geht, mit Blick aufs Klo, und im Augenwinkel eine Bewegung erhascht, die da nicht hingehört.
Schaut man dann auf die Ursache dieser Bewegung, und es ist dann zufällig eine Spinne mittleren Formats, wie es häufig der Fall ist, kommt der kurze Moment, in dem man denkt: Scheiße!
Was nun? Überwinden und wegmachen, oder Freundin holen, ihr Bescheid sagen, daß sie die Spinne entfernt. Wie ich zu meiner Schande gestehen muß, rufe ich in der Situation gerne meine Freundin, da sie mit Spinnen absolut kein Problem hat und von meiner Abscheu weiß. Mit einem mitleidigem Schmunzeln reißt sie drei Blatt (ich betone, 3 BLATT) Toilettenpapier ab (was bedeutend dünner ist als Zewa), packt damit die Spinne, hält mir das zusammengequetschte Bündel einen kurzen Moment zu ihrer Belustigung unter die Nase, und wirft es dann direkt ins Klo, unten ins Wasser.
Ich küsse sie kurz schuldbewußt, und während sie (unverhüllt lächelnd) hinausgeht, öffne ich meinen Gürtel und meine Jeans, ziehe mir die Montur runter, und setze mich Gedankenverloren aufs Klo.
Wie das nun so ist, man hat gedanklichen Leerlauf, und denkt über das nach, was einem gerade so einfällt.
Mir fällt natürlich die Spinne ein. Auf der ich sozusagen sitze. Ist sie tot? Shit, der Strahl will nicht kommen. Quält sich die Spinne gerade aus dem Toilettenpapier heraus? Ich sitze drauf, kann gar nichts sehen! Was macht die Spinne gerade?
Oh, was für ein beschissenes Gefühl. Kriecht sie gerade am Beckenrand hervor?
Mir wird fürchterlich mulmig. Legt sie ihre Eier unter der Haut anderer ab? Verdammt, wir sind nicht in Südamerika. Wann kommt der Strahl endlich? Wahrscheinlich gar nicht mehr, da ich ein extrem verkrampfter Trottel bin.
Ich springe hoch, drücke die Spülung ohne nach unten zu sehen, und schließe erleichtert meine Augen.
Sekunden später überkommt mich ein großes Schamgefühl, und ich fühle mich hundeelend. Das erzählst Du keinem, ermahne ich mich selbst, wie peinlich.
Ich ziehe jetzt immer vorher die Spülung, wenn eine in Toilettenpapier eingewickelte Spinne da unten auf mich wartet.