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Ein Morgen wie kein anderer
Ein Morgen wie kein anderer
Seit Tagen goss es in Strömen. Wir sassen im Salon unseres Schiffes Early Bird in der tiefen Bucht einer griechischen Insel, wo wir unseren ersten Winter verbrachten, und blickten in die aufgewühlte Wasserlandschaft. Giftig grün bauten sich die Wellen auf und galoppierende weisse Pferde flogen darüber hinweg. Das bedeutete Windstärke sechs bis sieben. Die Böen kachelten vom Berg herunter und brachten uns in Schräglage. Schauten wir trüben Blicks auf die andere Seite über den Quai hinweg, bogen sich die Bäume unter der Windeslast und warfen, von flackernden Strassenlaternen gespenstisch beleuchtet, groteske Schatten auf die dunklen Dorfhäuser. Die Strassen waren leergefegt. Es stand uns eine weitere schlaflose Nacht ins Schiff, in der die Schiffsleinen ächzten, das Rigg pfiff, die Ankerketten ruckten und wir in unseren Kojen hin und her rollten. Das Kondenswasser floss über die Lukenscheiben und tropfte von allen offen liegenden Metallverbindungen. Es war kalt und wir krochen tiefer in unsere Schlafsäcke. Sah so unser Leben als Langzeitsegler aus?
Ich wache sehr früh auf. Einer Eingebung folgend schiebe ich den Vorhang der Luke zur Seite und bin geblendet. “Mein Gott, wie schön”, rufe ich laut aus. “Was soll am Regen so schön sein”, knurrt Kalle.
Gen Osten sind die Hügel der Bucht eingesäumt von einem funkelnden Licht, die tiefen Wasser sind schwarz und spiegelglatt, darüber liegt dichter Nebel. Auf die wärmende Sonne wartend, wische ich die Scheiben trocken. Da zeigt sich endlich ein Stück rote Sonne, langsam wachsend, kleine Lichter über die Bucht verteilend. Gleissendes Licht, aufgefangen und getragen im Nebelbett. Eine fast schmerzliche Stille, ein Moment des totalen Stillstands. Plötzlich ein Gerippel im Wasser quer über die Bucht hinweg, ein Boot schwebt im hellen Nebel, die Konturen verwischt. Im Boot die stehende Figur eines Fischers, ein Netz ausgebend, eine zweite Figur, sitzend, bewegt langsam die Ruder, schwarze, sanfte Rillen in der goldfarbenen Fläche verursachend. Der Kopf des Fischers ist oberhalb des Nebelbettes, ab und zu taucht auch sein Arm auf, das Netz werfend. Während er das tut, verfängt sich die Sonne im nassen Netz, erhellt die hohe Gestalt und zerlegt den umgebenden Nebel in prismenartige Lichtbilder. Ein fast biblischer Moment.
Ich lächle und mein Seglerherz ist froh.