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Ein Moment

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15.04.2009
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Ein Moment

Seine Hände lagen auf meinen Oberarmen. Es waren starke, kalte Hände. Seine Finger umfassten mich fest. Sein Gesicht war ganz nah an meinem. So nah, dass sich unsere Nasen fast berührten. So nah, dass ich seinen warmen Atem spüren konnte. Ich konnte mein Spiegelbild in seinen Augen sehen. Seine Unterlippe bebte kaum merkbar. Unser Atem zeichnete sich als weiße Wolken über unserem Köpfen ab. Ich wollte den Moment für immer festhalten, nie mehr loslassen. Ich wollte nicht wissen, was als Nächstes kommt.
Um uns herum herrschte hektisches Treiben. Die Lichter der Stände leuchteten und blinkten. Aus dem Boxen drang Weihnachtsmusik. Irgendwo drehte sich ein Riesenrad. Die Leute auf dem großen Platz hatten ein Lachen auf dem Lippen, ein Strahlen in den Augen, summten die Lieder mit. Es musste laut sein, aber ich hörte nichts. Ich hörte nur ihn. Und ich sah nur ihn. Nur er und ich. Ich und er.

Die Menschen nahm ich nur als bunte Schatten war. Es war als hätte jemand ihn und mich auf Zeitlupe gestellt, während der Rest der Welt vorgespult wurde. Ich verlor mich in seinen Augen. Sein Herzklopfen schien bis zu mir zu dringen. Sein Atem ging langsam, aber stoßweise. Ich wusste nicht, wie lange wir schon so standen. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, eine Ewigkeit die für immer anhalten sollte. Ich spürte meine Füße nicht mehr. Alles was ich fühlte, waren seine Hände an meinem Armen und sein Atem auf meinem Gesicht.

Er kam näher. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Eine Haarsträhne viel ihm in die Stirn und verdeckte jetzt den kleinen, braunen Pigmentfleck über seiner rechten Augenbraue. Ich kannte sein Gesicht so gut. Ich kannte jedes seiner kleinen Grübchen, die sich erst zeigten, wenn er lachte. Ich konnte jedes Gefühl deuten, dass sich in seinen Augen widerspiegelte. In seinen braunen Augen, die an dunklen Tagen fast schwarz waren. Die so schnell verrieten, wenn er schlecht gelaunt war. Die wie ein Fenster zu einer anderen Welt waren. Die jetzt in diesem Moment nichts ausdrückten. Nur Ratlosigkeit. Sie waren wunderschön.
Seine linke Hand ließ meinen Arm los und legte sich an meine Wange. Ich spürte, wie das Blut in seinen Adern pulsierte. Ich vergaß zu atmen. Sein Daumen strich langsam und vorsichtig meinen Wangenknochen nach. Seine Fingerkuppe war rau vom Klavierspielen. Das Klavierspielen, in dem ich mich so wunderbar verlieren konnte. Das mich alle Sorgen und Probleme vergessen ließ. Die Töne, bei denen ich meine Fassade fallen lassen konnte. Nichts mehr verstecken musste. Einfach weinen konnte. Einfach alles loslassen konnte. Bei dem ich, ich selbst war.
Die Hand strich langsam über mein Kinn, der Daumen berührte meine kleine Narbe. Der Zeigefinger lag auf meiner Unterlippe. Mein Herz pochte, als wollte es durch meinen Brustkorb nach draußen springen. Ich keuchte und schnappte nach Luft. Er sah mich besorgt an. Mein Blicke galten immer noch nur ihm, keinen Moment wollte ich ihn aus den Augen lassen, aus Angst er würde verschwinden.
Ich würde so gerne wissen, was er gerade denkt. Seine Gedanken sind wie eine andere Welt Eine tröstende, schöne Welt in die nie jemand eindringen kann, aber seine Augen sind ein Fenster, die einem ermöglichen an seiner Welt teilzuhaben. Man ahnt nur, was gerade in ihm vorgeht. Seine Augen verraten es. Manchmal kann man in seinen Augen eine richtige kleine Geschichte sehen. An guten Tagen. An schlechten Tagen wirkt sein Blick, als hätte jemand einen Vorhang vor das Fenster seiner Gedanken gezogen. Jetzt waren seine Augen weder wie eine Leinwand noch waren sie trüb und dunkel. Sie waren so gut wie leer. Nur ich war in ihnen zu sehen.

Über uns und dem Rest der Menschen auf diesem Platz kämpfte sich der weiße Vollmond für einen Moment durch die Wolken und spiegelte sich in seinen Augen. Dann schob sich eine Wolke vor den Mond, seine Augen wirkten als hätte jemand das Licht ausgemacht. Ich seufzte und setzte an, etwas zu sagen.
„Louis, ...“ Er schüttelte den Kopf. Ich verstummte. Der Stand neben uns spielte „Last Christmas“.
Das Riesenrad hatte kurz angehalten, jetzt drehte es sich langsam weiter. Immer weiter.
Louis Hand legte sich an meine Wange. Er zog mich zu sich heran. Mein Herz klopfte wie wild. Seine Wange lag an meiner. Ich spürte seinen Atem am Ohr, konnte ihn hören. Seine Lippen berührten mein Ohr, seine Hand strich mir durchs Haar. Ich konnte nicht anders, meine Hände legten sich um seinen Körper. Ich würde ihn nie wieder loslassen.
Für einen Moment löste er sich von mir. Wir sahen uns in die Augen. Seine waren zum ersten Mal seit wir hier standen von Leben erfüllt. Ich schloss meine und ließ mich von ihm in die Welt seiner Gedanken entführen. Durch das Fenster in eine Welt, in der es nur ihn und mich gab.
Ich vergrub mein Gesicht in seinem Schal, mein Gesicht lag direkt an seinem Hals. Er roch nach einer Mischung aus Frühling und frisch gewaschener Wäsche. Seine Haut war warm und weich.
Ich zuckte ein wenig zusammen, als er mir direkt ins Ohr flüsterte.
„Vicky...“
Er küsste mich auf die Wange. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und sah ihm in die Augen. Sie erzählten die Geschichte eines Mädchens, dass mit von Wind zerzausten Haaren und verwirrtem Gesichtsausdruck in eben diese Augen schaute. Sie hatten wieder keinerlei Ausdruck. Ich sah ihn an, und es war, als würde er durch mich hindurch schauen. Er strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn, seine Hand blieb an meiner Wange liegen.
„Ich liebe dich. Ich liebe dich wirklich...“ flüsterte er leise. So leise, dass ich es kaum verstand.

Neben mir schrie ein kleines Kind. Seine Zuckerwatte lag vor ihm auf dem Boden, seine Mutter zerrte den kleinen Jungen genervt weiter. Der Stand neben mir spielte jetzt „All I Want For Christmas“. Die Menschenmasse um uns herum war noch dichter geworden. Es störte mich nicht. Er war da.

Mein Herz schlug wie wild, es tat fast weh. Ich lächelte und reckte mich ein bisschen nach oben. Er machte den Mund auf, wollte etwas sagen. Diesmal schüttelte ich den Kopf und zog ihn ein Stück zu mir herab. Seine Hände umfassten mein Gesicht. Vorsichtig und langsam berührten sich unsere Lippen. Ein wohliger Schauer fuhr mir über den Rücken, ich schloss die Augen. Er schmeckte nach der Zucker-Zimt-Mischung, die auf seinem Crêpe gewesen war. Nach einem langen Abend auf dem Weihnachtsmarkt. Nach einem Sommer am Meer. Und nach unzähligen Umarmungen, Küssen, Streits, Versöhnungen. Nach meinen Tränen, die er mit seiner Hand aus meinem Gesicht gewischt hatte. Nach seinem Lachen, wenn ich ihn mit meiner Tollpatschigkeit dazu gebracht hatte.
Ich fühlte mich leicht, unbeschwert. Wie immer, wenn ich ihm so nah sein konnte. Er löste sich von mir und schob meine Arme von seinen Schultern. Ich öffnete die Augen und sah ihn an. Sein Gesichtsausdruck war gequält und traurig. Er legte seine Stirn an meine.
„Es tut mir so leid...“ flüsterte er. Ich verstand die Welt nicht mehr.

Ich wurde angerempelt und irgendjemand rammte mir einen Ellbogen in die Seite. Eine Gruppe Jugendlicher drängelte sich laut lachend, kreischend und rücksichtslos durch die Menge, an uns vorbei. Ich sah ihnen mit bösem Blick hinterher, dann drehte ich mich zu ihm. Er war weg. Ich starrte auf die Lücke in der Menge, wo er bis eben gestanden hatte. Nach wenigen Sekunden, war es, als hätte dort nie jemand gestanden. Die Masse hatte diesen Platz sofort für sich eingenommen. Alles schien auf einmal viel lauter, schneller, hektischer. Die Musik der verschiedenen Stände vermischte sich zu einem grausamen Ganzen. Die Lichter schmerzten in meinen Augen.

„Es tut mir so leid...“

Der Satz hallte wieder und wieder in meinem Kopf nach. Was hatte er sich dabei gedacht? Was war in ihm vorgegangen? Was tat ihm leid? Ich verstand es einfach nicht.

Die Musik wurde immer lauter. Die Lichter immer greller. Der Geruch unertragbar. Das Riesenrad drehte sich weiter, als sei nichts gewesen.

 

Salve muffelkopf,

erst mal herzlich willkommen hier bei KG.de.

Das Lob vorweg: man merkt, dass Du schreiben kannst, und diese Geschichte verspricht noch viele schöne Nachfolger.

Und nun zur Kritik: Für meinen Geschmack verschenkst Du das Potential der Geschichte zugunsten von Belanglosigkeiten. Du widmest Lärm, Gedränge und Zuckerwatte sehr viel Platz. Das ist interessant zu lesen, wenn man die Athmospäre in überraschende und treffende sprachliche Bilder verpackt. Bei Dir bleibt es sowohl lakonisch als auch banal, leider.

Dafür erzählst Du das wirklich interesante nicht. Die beiden prots hatten offensichtlich keine einfache Beziehung, und das Beziehungsende verläuft genau so verkorkst. Die Emotionen des Mädchens fahren nach einem solchen Schlussstrich sicher Achterbahn. Der Junge wird seinen Grund gehabt haben, warum er die Beziehung beendet, das Mädchen seine Vermutungen.

Hier bieten sich Ansatzpunkte für große Tragödien und leise Dramen. Leider verfolgst Du nichts davon weiter, und das ist schade.

Aber wie gesagt, Deine Schreibe verspricht mehr, und auf dieses Mehr freue ich mich.

LG, Pardus

 

Hallo,

Pardus' Lob kann ich mich nur anschließen, es liest sich wunderbar! Ich finde es auch gut, dass Du den Nebensächlichkeiten viel Raum gibst, sie sind wichtig für den Lesefluss und die Atmosphäre - aber, da hat Pardus recht, im Gegenzug sollten auch die eigentliche Geschichte nicht zu kurz kommen.
Noch eine Sache: meiner Meinung nach sind Finger vom Klavierspielen nicht rau, Klavierspieler haben immer sehr zarte Finger.

Ansonsten wünsch ich Dir noch viel Spaß beim Schreiben,
Zebi

 

Hallo Muffelkopf,

kann mich eigentlich nur anschließen. Du kannst sehr schön schreiben, sehr bildhaft. Es ist dir gut gelungen, einen besonderen Moment einzufangen. Allerdings hätte ich auch wirklich gern noch mehr erfahren. So ist es eben doch nur ein – wenn auch sehr gelungener – Moment. :)

Aber ich denke, das Problem kennen hier viele: man kann gut schreiben, aber damit es eine echte, gute Story wird, muss immer noch eine gewisse Spannung / Handlung hinein. Und das ist oft sehr schwer.

Über die rauen Klavierfinger bin ich ein bisschen gestolpert: meinst Du nicht eher so etwas wie schwielig?

Gern gelesen,
Sammamish

 

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