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Ein Mietshaus voller Frauen
Was sind denn das heute für Brötchen? Die sind so kross gebacken, dass die Tischdecke vollends mit Semmelbrösel eingesaut wird und das Zahnfleisch zu bluten beginnt. Ich muss mir doch bald einen neuen Bäcker suchen. Vierzig Pfennig verlangt der Halsabschneider mittlerweile für eine seiner Teigkugeln, die selten die Größe eines Golfballes überschreiten. Das grenzt ja schon an Betrug! Dafür ist aber der Schinken von dem neuen Metzger in der Goethestrasse wirklich lecker. Den muss man sich merken.
Na, dann schauen wir eben mal in der Zeitung nach, was so alles geschehen ist. Da schau her! Sie haben den Bankräuber geschnappt, der vor zwei Wochen die Sparkasse im Nachbarort überfallen hat. Das ist ja klar, wenn sich einer so doof anstellt. Er hätte dem Filialleiter gleich die Visitenkarte unter die Nase halten können. Dieser Trottel hat doch tatsächlich zehn Minuten bevor er die Bank überfallen hat, Kontoauszüge aus dem Automaten gelöst. Dann hat er sich eine Skimütze über die Nase gezogen und wollte mit einer Schreckschusspistole Geld abheben, dass ihm nicht gehörte. Das dies nicht gut gehen konnte, war ja klar.
Der Verein in dem ich bis vor fünf Jahren noch Fußball gespielt habe, hat schon wieder verloren. Ist ja auch logisch, wenn man eine Mannschaft nur mit Weicheier und verwöhnte Mamabubis besetzt. Zu meiner Zeit war das noch ganz anders. Da wurde einem Tag vor dem Spiel gesoffen, bis die Leber Krämpfe bekam, aber im Match wurde Gras gefressen und gekämpft bis zum umfallen. Wäre ich damals nicht von diesem beschissenen Gerüst gefallen, würde ich mit meinen achtunddreißig Jahren den Halbstarken zeigen wo der Platz am Körper ist unter dem man Feuer machen kann.
Fünf Jahre ist das nun schon her. Aber die Schmerzen werden einfach nicht besser. Der Arzt der Berufsgenossenschaft war schon damals der Meinung, dass ich mein Leben lang mit Rückenproblemen fertig werden müsse. Deshalb wurde ich auch berufsunfähig geschrieben und beziehe mittlerweile eine respektable Invalidenrente. Vor zwei Jahren hab ich dann den Hausmeisterposten in unserem Mietshaus übernommen. Er war zwar nur als Nebenjob ausgeschrieben, er hält mich aber trotzdem ziemlich auf Trab.
Ich hole die Liste mit den für heute eingeplanten Arbeiten von der Pinnwand.
Bei Frau Poborsky läuft das Wasser im Spülbecken nicht ab. Aber zu der gehe ich erst gegen Mittag.
Sie hat bestimmt wieder einen saftigen Schweinebraten in der Röhre.
Bei Frau Buchmann hat sich im Bad ein Kachel von der Wand gelöst. Die wird am Nachmittag besucht, sie hat mir schon gestern versprochen, dass sie eine Sahnetorte backen würde.
Als erstes muss ich aber zu Frau Schmitts. Bei ihr ist die Toilette verstopft. Schon wieder! Ich möchte nicht wissen, was die nette Frau immer in den Lokus wirft. Vielleicht macht sie das auch absichtlich. Denn seit ihr Mann von ihr weggelaufen ist, verbringt sie jeden Tag ganz allein in ihrer Wohnung. Besuch bekommt sie eigentlich selten. Das verstehe wer will! Zu diesem hübschen Weibsbild würde ich jedenfalls nicht Nein sagen. Ich glaube aber kaum, dass sie von solch einen Krüppel etwas will.
Was gibt’s sonst noch auf meiner Liste? Das Laub hab ich schon vor dem Frühstück von der Eingangstür gekehrt. Der Rasen müsste noch einmal geschnitten werden, bevor der erste Frost kommt. Mal sehen, vielleicht komme ich heute Nachmittag noch dazu.
Ich zwänge mich in meinen Arbeitsmantel. Verdammt! Schon wieder ein Loch in der Tasche. Darum hab ich mein Feuerzeug nirgends gefunden. Frau Knoblich wird sich freuen das nähen zu dürfen. Es hat schon sein Gutes, Hausmeister in einem Haus zu sein, von dem fünfzehn Mieter weiblicher Natur sind.
Dann greife ich eben mal an! Meinen Werkzeugkasten und die Spirale werde ich kaum brauchen. Der einfache Gummiklöppel wird für die Kloschüssel wohl reichen. Ich werfe noch schnell einen Blick in den Spiegel. Rasiert habe ich mich heute morgen. Beim Frisör war ich letzte Woche. Ach du Schande! Da sprießen schon wieder Nasenhaare aus meinen Nüstern. Wo hab ich denn meine kleine Schere? Ach was, der Nagelzwicker tut es auch. Für irgendetwas muss es ja gut sein, das ich Nasenlöcher habe, die so groß sind, das sich ein Specht einnisten könnte. Kommt da nicht Schweißgeruch aus meinen Axeln hervorgekrochen? Ich hätte mich doch noch duschen sollen. Macht nichts. Warum hat mir denn Frau Bergbauer das teure Eau de Toilette zu Weihnachten geschenkt? Mit ein paar Spritzer aus der hübschen Flasche ist auch dieses Problem gelöst.
Ich werfe noch schnell einen Blick durch den Spion. Och! Nicht doch! Da steht doch tatsächlich Frau Huber im Flur. Die wird mich jetzt wieder Vollsülzen, mit ihren Problemen mit den Nachbarn und ihren kleinen Wehwehchen. Na ja, ein bisschen habe ich schon Zeit. Allzu lange kann es ja diesmal nicht dauern.
Ich habe die Wohnungstüre noch nicht mal halb geöffnet, da kommt mir auch schon das Gekreische von Frau Hubers Kreissägenstimme entgegen.
"Das ist ja unser Hausmeister! Guten Morgen. Stellen sie sich vor, gestern brannte schon wieder die ganze Nacht das Licht im Keller. Es gibt Leute in dem Haus, die sich anscheinend nichts aus Geld machen und es deshalb mit vollen Händen rauswerfen. Aber ich, mit meiner kleinen Witwenrente kann mir diese Verschwendung nicht leisten. Außerdem wird es Mode, die Türe zum Fahrradkeller nicht mehr abzuschließen. Durch diesen Leichtsinn werde ich irgendwann mausetot mit durchgeschnittener Kehle aufwachen. Und dafür fühle ich mich einfach zu jung!"
Wenn diese Frau weiter so schnell redet ohne Luft zu holen, wird sie kein Einbrecher mehr abmurksen müssen. Geschlagene fünf Minuten stehe ich schon da und höre ihr zu. Meine gute Laune ist schon fast beim Teufel und macht nun Platz für die Wut auf die Mieter. Es muss sich doch mittlerweile rumgesprochen haben, welche Giftspritze diese Frau Huber ist. Aber immer wieder wird dieser alten Kneifzange ein Grund für Beschwerden geliefert. Und wer ist der Leidtragende? Natürlich der doofe Hausmeister.
"......und stellen sie sich vor, schmeißt doch dieses freche Frauenzimmer die brennende Zigarette auf den frischgebohnerten Fußboden und tritt auch noch darauf. Als ich ihr dann die Leviten lesen wollte, streckt sie mir doch tatsächlich den Mittelfinger entgegen und sagt einen Spruch zu mir, den ich gar nicht in den Mund nehmen kann. Hätte ich an dem Tag nicht schon meine Herztropfen genommen, ich wäre glatt tot umgefallen!"
Im Stillen verfluche ich die Pharmaindustrie für die glorreiche Erfindung und stelle mir mein Leben vor, wenn es diesem frechen Frauenzimmer, das eigentlich nur Frau Niedermeier sein kann, gelungen wäre, Frau Huber ins Jenseits zu befördern.
"Wie spät ist es eigentlich, Herr Hausmeister?" Es ist wieder die Kreissägenstimme, die mich aus meinen Gedanken reißt. " Was! Schon Zwanzig nach Zehn! Da komm ich ja zu spät zu meiner Bestrahlung. Also auf Wiedersehen Herr Hausmeister. Und nehmen sie sich zu Herzen, was ich gesagt habe! Diese Mieter bringen mich noch ins Grab."
Ich warte bis die Haustür hinter Frau Huber ins Schloss gefallen ist und atme erleichtert auf. Gott sei Dank war diese Klatschtante in Eile, sonst hätte ich mir noch die neuesten Geschichten über ihre Hämorriden und der schwachen Blase anhören müssen. Aber jetzt muss ich so schnell wie möglich zu Frau Schmitts, bevor noch jemand den Flur betritt und mir uninteressante Storys aufdrückt.
Nach dem dritten Klingeln wird mir endlich die Türe geöffnet. Die etwas fünfunddreißig jährige Frau steht mit einem Bademantel bekleidet und klatschnassen, schulterlangen Haaren vor mir. Sie entschuldigt sich das sie mir so entgegen tritt, aber sie fühlte sich schmutzig und brauchte dringend eine Dusche. Diese werde ich auch gleich brauchen, wenn sie denn Gürtel ihres Bademantels nicht bald fester zieht und somit mir den Blick auf ihren Prachtbusen verwehrt. Als könnte sie Gedanken lesen, befolgte sie meinen Wunsch, was mich aber dann doch ein wenig enttäuscht.
"Wenn sie nichts dagegen haben gehe ich noch kurz ins Bad und ziehe mich an. In der Küche ist frischer Kaffee. Bedienen sie sich bitte selbst. Ich bin gleich wieder bei ihnen!"
Mit diesen Worten huscht sie ins Badezimmer und lässt mich schwitzend in der Diele stehen. Kaffee ist eigentlich nicht das, wonach ich mich jetzt sehen. Aber ein Schluck von der Brühe löst wahrscheinlich den beklemmenden Kloß in meinem Hals.
Die Küche macht einen sehr heimischen Eindruck. Alles blitzt vor Sauberkeit und der Fußboden ist so rein, das man von ihm essen könnte. Wenn nur alle der Mieterinnen so einen Sinn für Reinlichkeit hätten. Manche Wohnungen sind so eingesaut, das mich schon beim betreten der Ekel erschauern lässt.
Was liegt denn da für ein Brief auf dem Tisch? Aha, der ist von ihrem Rechtsanwalt. Ich öffne kurz die Türe und höre ein lautes Summen aus dem Bad. Sie wird wahrscheinlich ihre Haare föhnen, das kann bei der extremen Länge ihres Kopfschmuckes noch eine Zeit dauern. Ich schließe also wieder die Tür und schleiche mich zurück zum Tisch. Ich verstehe zwar nicht viel von dieser mit Paragraphen übersäten Amtssprache, aber trotzdem kann ich einiges aus dem Geschriebenen herausfinden. So haben sich die Anwälte der Scheidungsparteien darauf geeinigt, das Frau Schmitts von ihrem Mann eine einmalige Zahlung von einhunderterfünfzigtausend Mark erhält. Außerdem bekommt sie noch einen monatlichen Unterhalt von dreitausendfünfhundert D-Mark.
Mir verschlägt es die Spucke! Das der Schmitts eine gutbezahlte Stelle hat, habe ich schon immer geahnt, dass er aber so viel verdient, das er ohne Mühe diese Summen zahlen kann, überrascht mich doch sehr.
Einhundertfünfzigtausend Mark! Was könnte man mit dem Geld alles anstellen?
Das Geräusch der schließenden Badezimmertür lässt mich aus meinen Gedanken zurück in die Gegenwart rutschen. Schnell lege ich den Brief wieder auf den Tisch und schnappe meine Kaffeetasse. Verdammt! Das war wohl zu heftig! Denn ein Schwall der Brühe schwappte aus den Behälter und ergoss sich auf die wertvoll aussehende Tischdecke. In diesem Moment betritt Frau Schmitts die Küche und ich laufe rot im Gesicht an. Ich entschuldige mich für die Sauerei die ich angerichtet habe und würde mich freuen, wenn ich die Reinigung des kostbaren Stücks übernehmen dürfe. Aber sämtliche Entschuldigungen helfen nichts. Wie eine Wahnsinnige fängt sie zu schreien an.
"Um Gottes willen! Was haben sie denn da angerichtet? Das ist ein Erbstück meiner Großmutter! Sie ist aus reiner Seide und unbezahlbar. Diese Flecken werden nie mehr rausgehen!"
Wie angewurzelt stehe ich da und verstehe die Welt nicht mehr. Wie kann man nur so ein Theater um ein uraltes Stück Stoff machen? Als die Frau während des Jammerns auch noch zu Weinen beginnt, wird mein Verständnis für das Verschwinden von Herrn Schmitts immer größer.
Langsam verlasse ich die Küche und gehe ins Badezimmer. Dreimal drücke ich den Gummiklöppel mit aller Kraft in den Ablauf. Das dadurch Wasser auf den blitzsauberen Fliesenboden tropft ist mir jetzt auch egal.
Soll doch diese Furie noch einen Nervenkrampf bekommen. Was kümmert es mich? Ein Gurgeln aus der Toilette zeigt mir das der Ablauf wieder frei ist. Ich drücke noch einmal auf die Spülung, packe meine Sachen und verlasse auf Zehenspitzen das Bad. In der Diele bleibe ich kurz stehen und vernehme ein lautes Schluchzen aus der Küche. Kopfschüttelnd und so leise wie nur irgend möglich, stehle ich mich aus der Wohnung.
Im Flur hole ich erst mal tief Luft. Ich war noch nie so froh wie jetzt etwas verschüttet zu haben. Eigentlich habe ich mir vorgenommen einen Annäherungsversuch bei ihr zu starten. Doch mein kleines Missgeschick hat mir bewiesen, dass ein Zusammenleben mit dieser Frau keine einhundertfünfzigtausend Mark wert sind.
Aber jetzt brauche ich einen Schnaps. Soll ich noch schnell in meine Wohnung? Ach was! Frau Poborsky hat bestimmt ihren leckeren Kräuterlikör im Kühlschrank. Außerdem ist der Schweinebraten bestimmt schon gar. Also steig ich hinauf in den vierten Stock. Da riecht doch etwas angebrannt! Frau Poborsky wird doch nicht schon wieder am Küchentisch eingeschlafen sein, während der Braten vor sich hin schmort? Nach dem dritten mal Klingeln bin ich mir sicher, das dem so ist. Mit dem Generalschlüssel öffne ich die Wohnungstüre und stürze in die Küche. Es wäre doch schade, wenn das leckere Stück Fleisch ein verkohlter schwarze Klumpen würde.
Verdammt! Was ist denn das? Ich kann mein Tempo gerade noch abbremsen, sonst wäre ich, der am Boden liegenden Frau Poborsky ins Gesicht gestiegen. Mir wird übel! Die Frau ist ganz blau angelaufen und ich habe das Gefühl, als würde sie nicht mehr atmen. Was haben wir gelernt, was man bei solchen Symptomen machen muss? Mann, ist das lange her, als ich Sanitäter bei der Bundeswehr war. Ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Als erstes Atmung überprüfen. Ich lege eine Hand auf ihren Rippenbogen und die andere auf die Brust. Da rührt sich ja tatsächlich nichts. Da hilft nur eines, Herz- Lungen- Wiederbelebung. Wie ging das denn noch? Ach ja! Als erstes Kopf überstrecken, aber vorsichtig, sonst knacke ich die Wirbel an. Als nächstes Mund öffnen und nachsehen, ob da noch irgendwelche Dinge darin sind, die die Luftröhre versperren könnten. Ah, hat die alte Mundgeruch! Gegen Übelkeit ankämpfend beginne ich nun mit der Reanimation. Ist das anstrengend! Fünf mal pumpen und einmal pusten. Oha! Jetzt ist eine Rippe gebrochen. Hoffentlich steckt sie jetzt nicht in einem Lungenflügel. Denn dann wäre fast alles für die Katz.
Gott sei Dank! Sie atmet wieder. Zwar unregelmäßig, aber immerhin! Der Puls ist schwach aber spürbar. Ich glaub, ich hab’s geschafft. Langsam ziehe ich mich an einem Stuhl hoch. Jetzt spüre ich schon wieder diese stechenden Schmerzen in meinem Rücken.
Wo hat diese Frau ihr Telefon? Ach, da steht es ja! Wie war die Nummer von der Rettungsleitstelle? Ach ja, 19222. Dauert das, bis da mal einer ran geht. So, jetzt endlich hat einer abgehoben. Ich gebe meinen Namen, die Adresse, die Symptome, und den Namen der Daliegenden an und erkläre nochmals, dass es sich um einen Notfall handelt und sich die Sanitäter gefälligst beeilen sollen.
Tief durchatmend lege ich den Hörer auf die Gabel und überlege was noch zu tun ist. Verdammt der Braten. Ich reiße den Backofen auf und hole mit einem Küchentuch bewaffnet den Bräter aus dem Rohr. Stinkt das vielleicht! Ich brauche frische Luft. Warum klemmt denn das Fenster? Da muss ich demnächst mal ein Auge darauf werfen. Mit ein bisschen Schmierfett dürfte das wieder funktionieren.
Wo bleibt denn bloß der Notarzt? Diese Leute haben ja wohl die Ruhe weg. Die werden wahrscheinlich am Mittagstisch sitzen und einen Schweinebraten verzehren, der mir ja heute leider verwehrt bleibt. Die Welt ist doch ungerecht!
Da fällt mir ein, das Frau Poborsky im Krankenhaus doch Kleider und Toilettenartikel braucht. Da kann nur Frau Buchmann helfen. Denn ich sehe nicht ein, dass ich in der Unterwäsche einer Frau herumkrame. Ich bin doch nicht pervers.
Wenige Augenblicke später öffnet mir Frau Buchmann überrascht die Tür.
"Sie Herr Hausmeister? Mit ihnen hab ich erst heute Nachmittag gerechnet. Die Sahnetorte ist ja noch gar nicht fertig!"
Hastig erkläre ich der kleinen, dicklichen Frau, was sich schreckliches zugetragen hat und bitte sie, das Packen zu übernehmen, da ich ja wenig Ahnung habe was so ein weibliches Wesen alles benötigt. Wie ich gehofft habe, erklärt sie sich sofort bereit und eilt mit mir in die Nachbarswohnung. Dort angekommen kontrolliere ich sofort bei Frau Poborsky die Atmung und den Puls. Gott sei Dank ist alles noch regelmäßig.
Frau Buchmann steht an der Türschwelle und sieht kopfschüttelnd auf die Ohnmächtige herab.
"Und das in dem Alter!" stottert sie mit kreidebleichem Gesicht, reißt sich aber gleich wieder zusammen." Dann packe ich mal ein paar Sachen zusammen. Sie kommen ja alleine zurecht!" Ich nicke und sie verschwindet ins Bad!
Allein gelassen denke ich darüber nach, welch unverschämtes Glück Frau Poborsky doch hatte. Denn hätte mir die Schmitts nicht so ein Theater wegen der paar Kaffeeflecken gemacht, würde ich jetzt noch in ihrer Wohnung sein und ihr Gesellschaft leisten, oder wie man das sonst nennen möchte.
Was würde wohl mit den Sachen geschehen, wenn ich nicht rechtzeitig gekommen wäre? Soviel ich weiß, hatte, oder hat sie keine näheren Verwandten. Zumindest habe ich nichts Gegenteiliges gehört. Es gibt da nämlich ein paar Dinge in der Wohnung, die ich sehr gut gebrauchen könnte. Warten wir mal ab, was im Krankenhaus geschieht!
Warum fühle ich mich jetzt so schmutzig? Sind die Gedanken über den Verbleib der Wohnungseinrichtung mit Leichenfledderei zu vergleichen? Ach was! Es sind doch nur Gedanken. Aber trotzdem wasche ich mir jetzt schnell die Hände. Schaden kann das schließlich nie!
Im Bad komme ich gerade hinzu, wie Frau Buchmann intensiv eine Schachtel betrachtet.
"Sehen sie sich das mal an, Herr Hausmeister!" sagt sie und streckt mir den Karton entgegen. "Ist das nicht merkwürdig?"
Ich erwidere, das daran nichts merkwürdig sei, schließlich ist es ganz normal, das Frauen Tampons benutzen.
"Aber Frau Poborsky ist schon dreiundfünfzig Jahre alt und bekommt immer noch ihre Tage. Ich bin mit siebenundvierzig in die Wechseljahre gekommen und damals hat mein Arzt behauptet das dies schon ein relativ später Zeitpunkt sei. Ich kann gar nicht sagen, was ich damals alles aushalten musste, es war schrecklich."
Bumm! Jetzt ist es passiert. Mir wird übel. Es geht mir jedes Mal so, wenn Frauen meinen, vor mir über ihre Menstruations- oder Wechselbeschwerden reden zu müssen. Was geht mich an, welche Flüssigkeiten sie ausscheiden und wie sie sich dabei fühlen. Mit der Bemerkung, das jeden Augenblick der Krankenwagen eintreffen könnte, halte ich Frau Buchmann gerade noch davon ab, mir von ihren Hitzewellen und Krampfadern zu erzählen.
"Um Gottes Willen!" ruft sie erschrocken aus. "Sie haben Recht! Und ich habe die Wäsche noch nicht eingepackt."
Endlich verlässt sie das Bad und eilt ins Schlafzimmer. Ich drehe den Wasserhahn auf und schwappe mir eiskaltes Wasser ins Gesicht. Das hat gut getan. Händewaschen allein hätte nicht mehr gereicht.
Es klingelt, und ich atme erleichtert auf. Das können nur die Sanitäter sein. Endlich! Ich öffne die Tür und die Retter rasen grußlos an mir vorbei in Richtung Küche. Woher sie wissen, das dort die Patientin liegt, verblüfft mich doch etwas. Wahrscheinlich nennt man das berufliche Intuition. Der letzte der die Wohnung betritt ist der Notarzt. Er fragt mich sofort, wann ich die Frau gefunden habe, in welchem Zustand sie war und was für Erste- Hilfe- Maßnahmen ich angewandt habe. Kurz und bündig erzähle ich dem Mediziner alles was sich zugetragen hat, während er sich an die Arbeit macht. Bei der Vorbereitung einer Infusionsflasche sieht er mich mit einem anerkennenden Blick an. "Sie haben ihre Sache wirklich hervorragend gemacht!" sagt er und rammt kurz darauf eine ziemlich lange Nadel in die Handfläche der Bewusstlosen. In diesem Moment betritt Frau Buchmann die Küche. Sie stellt sich vor und streckt dem Notarzt die Hand zum Gruße hin. Der nickt ihr aber nur kurz zu, was bezweckt, das sie errötet und nervös ihre Hand an der Schürze abwischt.
Nach ungefähr drei Minuten legen die Sanitäter den unbeweglichen Körper auf die Trage, die sie mitgebracht haben und befördern Frau Poborsky damit aus der Wohnung. Frau Buchmann bietet an mitzufahren, damit sie sich um die Formalitäten kümmern kann und bekommt auch prompt die Einverständniserklärung des Arztes. Kurz darauf bin ich allein in der Wohnung.
Au Mann! war das heute ein Tag! Als hätten die ungenießbaren Brötchen nicht gereicht, jetzt muss ich nun auf den Schweinebraten verzichten und die Sahnetorte geht mir auch noch durch die Lappen. Ich werde jetzt in meine Stammkneipe gehen und dort ein Wiener Schnitzel zu mir nehmen. Ein kühles Bier und einen Schnaps hab ich mir auch verdient!
Nachdem ich die Wohnungstüre abgeschlossen habe und langsam die Treppe hinabsteige höre ich, wie mir Frau Huber ächzend und stöhnend entgegen kommt.
Ja, bleibt mir denn heute gar nichts mehr erspart?
[ 25.04.2002, 10:59: Beitrag editiert von: Hennaboindl ]