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Ein letztes Treffen über den Dächern der Stadt

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27.08.2024
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Ein letztes Treffen über den Dächern der Stadt

Der winzige Fahrstuhl im Grindelhochhaus summte leise, als Anders ihn betrat, ein enger Raum, der kaum Platz bot für zwei Menschen, die bereit waren, für die Dauer der Fahrt ihre persönliche Distanz aufzugeben. Diese Hochhäuser, Relikte der Nachkriegszeit, ragten wie stumme Zeugen über den Stadtteil Eimsbüttel, umgeben von den Geschichten von Zerstörung und Wiederaufbau, die in ihren Mauern und Fluren schlummerten.

Als Anders im obersten Stockwerk ankam und sich die Metalltür öffnete, wurde er bereits von Detlev erwartet. Ein kurzer Moment des Zögerns überkam ihn, als er seinen Freund erblickte. Detlevs Gesicht war von einer krankhaften Blässe gezeichnet, die durch das fahle Licht im Flur noch verstärkt wurde. Als sie sich begrüßten, klang Detlevs Stimme dünn und brüchig, als würde sie jeden Moment brechen.
Durch die dünnen Wände drang plötzlich das röhrende Geräusch eines Achtzylindermotors in den Flur.
Detlev, trotz sichtlicher Erschöpfung mit einem Lächeln auf den Lippen, wandte den Blick leicht ab und nickte in Richtung Fenster. „Das ist der Fernsehkoch in seinem weißen Ford Mustang. Jeden Nachmittag fährt er in sein Restaurant auf der Schanze, um ahnungslosen Touristen seine überteuerte Currywurst zu braten.“ Anders musste schmunzeln. Es tat gut, Detlevs trockener Humor war unverändert, eine unerschütterliche Konstante in der sich verändernden Landschaft seines Krankheitsverlaufs. In dieser kleinen, geschichtsträchtigen Ecke Hamburgs, umgeben von den stummen Zeugen der Stadt, fand Anders einen bitteren Trost in der Normalität des Alltags, der draußen weiter pulsierte, unberührt von den persönlichen Dramen, die sich hinter anonymen Mauern abspielten.

Sie setzten sich nebeneinander auf die breite Fensterbank des Wohnzimmers, dessen Kälte durch das dünne Kissen kaum gemildert wurde. Das Panorama, das sich ihnen bot, war ein lebendiges Gemälde vom Herzen Hamburgs. Das Rathaus erhob sich majestätisch in der Ferne, flankiert vom Michel und dem lebhaften Treiben im Hafen, wo die Schiffe wie kleine Spielzeugboote auf dem glitzernden Wasser tanzten.
Detlev, der die Aussicht mit einem resignierten Seufzer betrachtete, wandte sich schließlich an Anders. „Barbara will nicht, dass ich weiter rauche.“ Seine Stimme klang trotzig und müde zugleich. „Hast du zufällig Zigaretten?“, fragte er dann, fast wie eine Herausforderung. Anders zögerte einen Moment, bevor er schließlich eine Packung Camel ohne Filter hervorholte, ein Relikt aus einer anderen Zeit, ein süßes Gift, das sie beide schon viel zu lange kannten. Ohne ein weiteres Wort zündeten sie sich jeweils eine an und bliesen den Rauch vorsichtig in die kühle Abendluft, die durch das leicht geöffnete Fenster hereinwehte.

Gemeinsam verloren sie sich in der Betrachtung der Stadt und ließen schweigend die letzten Strahlen der untergehenden Sonne auf sich wirken. Der Rauch ihrer Zigaretten vermischte sich und zog wie dünne Nebelschleier über die Stadtkulisse. Es war ein Moment der Zweisamkeit, in dem die Last der Welt draußen blieb und nur die atemberaubende Aussicht und das leise Knistern des brennenden Tabaks zwischen ihnen stand. Die Stadt unter ihnen pulsierte mit Leben und Lichtern, und doch schien die Welt hier oben, in diesem kleinen Refugium, still zu stehen.

„Detlev, du siehst nicht gut aus“, sagte Anders schließlich mit besorgter Stimme. „Was ist passiert?“
„Ich glaube, ich habe einen großen Fehler gemacht“, antwortete Detlev leise, den Blick fest auf den Horizont gerichtet. „Dr. Brinkstell von der HIV-Schwerpunktpraxis hat mich überredet, eine Therapie mit AZT zu versuchen. Seitdem geht es mir von Tag zu Tag schlechter. Ein Assistenzarzt von Dr. Brinkstell hat mir dann eines Tages im Vertrauen erzählt, dass sie hier die Patienten mit diesem hochdosierten AZT vergiften. Ich habe die Therapie natürlich sofort abgebrochen, aber mein Zustand hat sich seitdem nicht gebessert“.
Anders hörte ihm aufmerksam zu, während die Schatten des Abends langsam den Raum füllten. Schweigen legte sich schwer zwischen sie, belastet von Detlevs erschreckenden Worten. Die Zigarette in Anders’ Hand brannte unbeachtet weiter, die Asche fiel leise auf das schmale Fensterbrett.
„Detlev, das klingt ernst“, murmelte Anders mit einer Mischung aus Sorge und Ungläubigkeit in der Stimme. „Warum hat Brinkstell es euch nicht gesagt? Das ist doch ...“
Detlev zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht, Anders. Vielleicht war es Verzweiflung, vielleicht Gier nach Ergebnissen. Dieser Assistenzarzt, der sah aus, als läge die ganze Welt auf seinen Schultern. Er sagte, sie stünden unter Druck, schnell Ergebnisse zu liefern, koste es, was es wolle.
Anders setzte sich aufrechter hin, die Augen auf einen unsichtbaren Punkt in der Ferne gerichtet. „Und jetzt, Detlev? Was wirst du tun?“
„Ich weiß es nicht“, gestand Detlev mit brüchiger Stimme. „Ich fühle mich wie in einer Sackgasse. Abgeschnitten von allen Hoffnungen, die ich einmal hatte. Barbara weiß es noch nicht. Ich kann es ihr nicht sagen, nicht jetzt.“

Die Zigaretten glimmten in der Dämmerung wie die letzte Glut eines erlöschenden Feuers. Draußen auf der Straße war das Dröhnen des Achtzylinders längst verstummt, zurückgelassen in der Kühle der Nacht. Der Geruch des Rauches vermischte sich mit dem der nahen Elbe, und in diesem Augenblick fühlten sich die beiden Männer verloren in einer Stadt, die vor ihren Augen unaufhörlich pulsierte und doch so fern schien. Auf der Höhe der Hochhauswohnung, über den Dächern der geschäftigen Stadt, tauschten Anders und Detlev letzte Worte aus. Der schwere Geruch des Tabaks hing zwischen ihnen, eine zerbrechliche Brücke über ihren gegenseitig belasteten Gedanken. Dieser Moment war mehr als ein gewöhnlicher Besuch, die Worte zwischen ihnen trugen das Gewicht all ihrer unausgesprochenen Ängste. „Ich dachte immer, wir hätten mehr Zeit, Detlev“, begann Anders, seine Stimme ein leichtes Zittern im Wind. Detlev nickte, seine Gesichtszüge im schwindenden Licht wie in Stein gemeißelt.
„Ich auch, Anders. Ich auch.“

Die Stadt unter ihnen lag ausgebreitet wie ein lebendiges Gemälde, das Lichtermeer eine ferne Erinnerung an das Leben, das draußen unermüdlich pulsierte. „Weißt du noch, wie wir uns hier oben zum ersten Mal begegnet sind?“, fragte Detlev, ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. „Du hast über die Architektur der Grindelhochhäuser philosophiert, als wären sie alte Freunde von dir.“
Anders lachte leise. „Ja, das habe ich. Und du hast mir deine Theorie von der heilenden Kraft der Musik erklärt.“ Er zog an seiner Zigarette, der Rauch bildete eine flüchtige Skulptur in der Luft. „Ich habe so viel von dir gelernt, Detlev. Über Mut, über Widerstand, über das Leben.“
„Und ich von dir, Anders.“ Detlevs Stimme war leise, aber seine Augen leuchteten mit einer Intensität, die alles sagte. „Du hast mir gezeigt, wie man trotz allem weitermacht. Wie man kämpft, auch wenn die Chancen gegen einen stehen.“ In diesem Moment, in diesem verborgenen Hochhausrefugium, fühlten sie sich einander näher als je zuvor. Die beiden Männer blickten sich an, es herrschte Einigkeit zwischen ihnen. Sie teilten eine Geschichte, die von Kampf und Kameradschaft geprägt war, und jetzt, an diesem Abend, ein letztes Mal das Gefühl, verstanden zu werden, ohne Worte sagen zu müssen.
„Pass auf dich auf, mein Freund“, sagte Detlev schließlich, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Und pass auf die anderen auf, so wie du es immer getan hast.“
Anders nickte, unfähig zu sprechen, weil ihm die Gefühle die Kehle zuschnürten. Er half Detlev, sich hinzulegen, deckte ihn mit einer dünnen Decke zu und spielte den Beschützer. Dann stand er auf, warf einen letzten Blick in Detlevs ruhiges Gesicht und ging leise hinaus in die kühle Nacht.

Die Luft im Aufzug roch alt und abgestanden, als Anders den Knopf für das Erdgeschoss drückte. Der Motor summte leise, fast zärtlich. Dieser kurze Moment der Abgeschiedenheit im Aufzug fühlte sich an wie eine seltsame Übergangszone. Anders stand da, starrte auf die langsam wechselnden Zahlen über der Tür und versuchte, die Bedeutung des Gesprächs mit Detlev abzuschütteln. Jede Etage erschien ihm ein Schritt weiter weg von der dunklen Offenbarung oben in der Wohnung.

Als sich die Türen öffneten, schlug ihm die kühle Abendluft wie ein Weckruf entgegen. Er atmete tief durch und versuchte, Klarheit zu gewinnen. Die Straßen Hamburgs waren belebt, Menschen eilten vorbei, gefangen in ihren eigenen kleinen Dramen und Freuden. Anders spürte, wie die Stadt um ihn herum pulsierte, unberührt von dem Schmerz und der Verzweiflung, die gerade in einem der Grindelhochhäuser ihren Höhepunkt erreicht hatten. Als er die Straße entlangging, war ihm nicht bewusst, dass er Detlev zum letzten Mal lebend gesehen hatte.

Irgendetwas an diesem Nachmittag hatte sich endgültig angefühlt, wie der letzte Akkord eines langen, traurigen Liedes. Aber das wirkliche Ende sollte er erst später erfahren. In diesem Moment war es nur eine unterbewusste Ahnung, die sich wie ein kalter Schatten in sein Bewusstsein schlich. Die Stadt zog in einem Fluss aus Licht und Schatten an ihm vorbei, und Anders fühlte sich verloren in einem Netz aus Möglichkeiten und Endlichkeiten. Die Welt erschien ihm zugleich riesig und erdrückend klein, als er sich auf den Heimweg machte, nicht ahnend, dass er gerade einen Abschied hinter sich gelassen hatte, der alles verändern würde.

 

Hi @ZwischenZeit ,

Überarbeite doch erstmal wie angekündigt deinen anderen Text, bevor du einen neuen postest.
So bekomme ich das Gefühl. dass die Kommentare dir egal sind.

Gruß, GoMusic

 

ALs Neuling war mir nicht bewusst, dass ich Posts später ändern kann. Aber jetzt habe ich den richtigen Klick gefunden.

 

Hallo @ZwischenZeit

Ich habe auch deine andere Geschichte gelesen, Hella von Helgoland, die mir gut gefallen hat. Leider muss ich dann bei dieser Story hier sagen, dass sie mich nicht so abgeholt hat, wie die andere, weil etwas böse gesagt: Es ist einfach 'more of the same'. Bei Helga hast Du diese zwischenmenschliche Beziehung und die Töne gut getroffen (wie auch teilweise hier), Helga stirbt und das macht etwas mit dem Protagonisten. Hier ist es ein Kumpel desselben Protas und dieser Kumpel stirbt dann ebenfalls weg. Es ist also von der Anlage her genau gleich, weshalb ich eben den Eindruck habe, ich lese dieselbe Geschichte noch einmal, einfach verpackt in etwas andere Worte. Vielleicht auch einfach ungünstig, dass ich deine andere Geschichte direkt vor dieser hier gelesen habe, aber ich empfand das als Problem. Ich hoffe, das ist jetzt nicht zu hart formuliert.

Ich mache noch etwas Textarbeit:

Der winzige Aufzug im Grindelhochhaus summte leise, als Anders ihn betrat, ein schmaler Raum, der kaum genug Platz für zwei Personen bot, die bereit waren, ihre persönliche Distanz für die Dauer der Fahrt aufzugeben.
Das ist schön formuliert, aber auch sehr umständlich, eigentlich sagt der Einstieg ja lediglich: Anders betritt den winzigen, leise summenden Aufzug im Grindelhochhaus. Schmaler Raum, kaum genug Platz für zwei Personen, persönliche Distanz aufgeben für die Dauer der Fahrt, das ist ja eigentlich alles bereits im Wörtchen 'winzig' enthalten.

Detlevs Gesicht war von einer krankhaften Blässe gezeichnet, die das fahle Licht des Flurs nur noch deutlicher hervorhob.
Da finde ich die Formulierung etwas missverständlich. Eigentlich ist ja wohl gemeint, dass das fahle Licht des Flurs Detlevs kränkliche Blässe deutlicher hervorhebt, ich habe es im ersten Moment aber umgekehrt gelesen: Dass Detlevs kränkliche Blässe das fahle Licht im Flur hervorhebt. Vielleicht würde es helfen, zwei Sätze daraus zu machen? Detlevs Gesicht war von einer krankhaften Blässe gezeichnet. Im fahlen Licht des Flurs wurde diese noch betont. Irgendwie sowas vielleicht.

Als sie sich begrüßten, klang Detlevs Stimme dünn und brüchig, als ob sie jeden Moment brechen könnte.
'Brüchig' zeigt doch bereits, dass seine Stimme jeden Moment brechen kann. Also würde ich den Rest wegstreichen.

Draußen, durch die Wände hindurch, drang das röhrende Geräusch eines Achtzylinder-Motors in den Flur.
Knackiger, kürzer: Durch die Wände hindurch drang das Röhren eines Achtzylinder-Motors. Dass das Geräusch von draussen kommt, dürfte klar sein. Dass das Geräusch (durch die Wände) zu ihnen in den Flur dringt, ebenfalls. 'Röhrendes Geräusch' finde ich unschön, ein einfaches 'Röhren' fände ich besser. Achtzylinder-Motor könnte ebenfalls abgekürzt werden mit das Röhren eines Achtzylinders. Versteht jede/r, oder? :-)

In diesem kleinen, geschichtsträchtigen Winkel Hamburgs, umgeben von den stummen Zeugen der Stadt, fand Anders einen bitteren Trost in der Normalität des Alltags
Reine Wiederholung von bereits Erzähltem.

Sie setzten sich nebeneinander auf die breite Fensterbank im Wohnzimmer
Auf einer Bank sitzt man zwangsweise nebeneinander, oder nicht? :-) Das Wort erachte ich als komplett überflüssig.

wo die Schiffe wie kleine Spielzeugboote auf dem glitzernden Wasser tanzten
Ich kenne den Hamburger Hafen nicht. Stelle ihn mir aber mit grossen Containerschiffen vor. Die tanzen dann eher nicht in den Wellen, denke ich, da viel zu schwer. Kann aber eben daran liegen, dass ich besagten Hafen nicht kenne, weshalb es mein persönliches Problem ist, dass für mich dieses Bild nicht aufgeht.

Anders zögerte einen Moment, bevor er schließlich eine Packung Camel ohne Filter hervorzog, ein Relikt einer anderen Zeit, ein süßes Gift, das sie beide schon zu lange kannten.
Hier verstehe ich nicht genau, wieso die Packung Camel ein Relikt aus anderer Zeit sein soll. Ja, sie haben beide aufgehört zu Rauchen und paffen jetzt wieder eine, aber wieso hat Anders die Zigaretten überhaupt noch dabei? Also es liest sich so, als trüge er immer, seit Jahren oder Jahrzehnten, diese Packung Camel mit sich. Wieso? Ist es ein Relikt aus der Zeit vor seiner Diagnose? Ich würde es etwas klarer machen, aber vielleicht bin das auch nur ich.

Sie zündeten sich jeweils eine an und bliesen den Rauch vorsichtig in die kühle Abendluft
Wieso vorsichtig?

Ein Assistenzarzt von Dr. Brinkstell hat mir dann eines Tages im Vertrauen erzählt, dass sie hier die Patienten mit diesem hochdosierten AZT vergiften würden.
Hat der Assistenzarzt das wirklich so gesagt, "Wir vergiften unsere Patienten hier mit hochdosiertem AZT"? Wieso arbeitet er dann noch da?

Die Zigarette in Anders’ Hand brannte unbeachtet weiter, die Asche fiel leise auf das schmale Fensterbrett.
Ich bin, wie unschwer an meinem Avatar zu erkennen, selbst Raucher und habe ehrlich gesagt noch nie Asche fallen hören. Also wie still muss es da sein, dass sie selbst Asche fallen hören? Dringen da keinerlei Geräusche der Stadt durch das gekippte Fenster? Ich kaufe dem Text die Stelle nicht ab, wirkt übertrieben.

„Detlev, das klingt ernst“, murmelte Anders, seine Stimme durchsetzt mit einer Mischung aus Sorge und Unglauben. „Warum hat Brinkstell euch das nicht erklärt? Das ist doch…“
Dass es ernst klingt und auch ernst ist, wird aus Detlevs Schilderungen klar. Ich würde das hier deshalb streichen.

„Ich weiß es nicht“, gestand Detlev mit brüchiger Stimme. „Ich fühle mich, als wäre ich in einer Sackgasse. Abgeschnitten von jeder Hoffnung, die ich mal hatte. Barbara weiß das noch nicht. Ich kann es ihr nicht sagen, nicht jetzt.“
Würde man das so sagen? Ich weiss nicht. Es klingt für mich auch etwas gar gefühlsduselig, der Dialog hier, also Detlev fasst hier eigentlich das in Worte, was über den Text transportiert werden sollte. Das leistet der Text auch, dieses Abgeschnitten sein von jeglicher Hoffnung und das sich in einer Sackgasse befinden, aber hier im Dialog das noch einmal so konkret aufzugreifen, das würde ich mir überlegen.

Die Zigaretten glimmten in der Dämmerung wie letzte Glut eines erlöschenden Feuers.
Da fehlt ein Wort: [...] wie die letzte Glut [...]

Draußen auf der Straße war das Dröhnen des Achtzylinders längst verklungen, zurückgelassen in der Kühle der Nacht.
Auch hier: 'Draussen' streichen, weil klar und somit überflüssig. Ausserdem verstehe ich hier etwas nicht: Was wurde in der Kühle der Nacht zurückgelassen? Das Dröhnen des Motors? Aber das ist doch längst verklungen, wie also kann es in der Kühle der Nacht zurückgelassen worden sein? So wie ich es lese, müsste es in dem Fall noch zu hören sein.

Der Duft des Rauchs vermischte sich mit dem Geruch der nahen Elbe, und in diesem Augenblick fühlten sich beide Männer verloren in einer Stadt, die unaufhörlich vor ihren Augen pulsierte und doch so fern schien.
Hier finde ich 'Duft' und 'Geruch' irgendwie vertauscht. Also (noch) passender fände ich 'Der Geruch des Rauchs vermischte sich mit dem der nahen Elbe' bspw. Duftet Zigarettenrauch? Ich weiss nicht. Blumen duften oder so, aber nicht Rauch. Meine Empfindung. Und ab hier wird es mir dann auch etwas zu viel mit dem Verlorensein, mit der Niedergeschlagenheit, mit dieser Schwere: Der Text reitet mir zu sehr darauf herum, da wird eigentlich immer dasselbe ausgesagt, dieselben Bilder bedient, einfach leicht anders formuliert. Der Text will auf Biegen und Brechen, das mich diese Gefühle erreichen, aber weil er das so penetrant macht, schwächt es für mich die starken Stellen ab.

In der Höhe des Hochhausapartments, über den Dächern der belebten Stadt, tauschten Anders und Detlev letzte Worte aus.
Beginn des Satzes streichen und den Rest entsprechend umformulieren, das ist wiederum nur reine Wiederholung.

Der schwere Duft des Tabaks hing zwischen ihnen, eine fragile Brücke über ihre beiderseits beladenen Gedanken.
Finde ich etwas zu dick aufgetragen, wenn es auch schön formuliert ist.

Sie wussten beide, dass dies mehr als nur ein alltäglicher Besuch war, dass die Worte, die sie teilten, mehr Gewicht hatten als die Zigarettenrauchwolken, die sie in die kühle Abendluft ausatmeten.
Von diesen Worten zwischen Anders und Detlev hätte ich gerne mehr gelesen, damit mich die Schwere besser erreicht, das wäre ein Weg gewesen, damit die Geschichte bei mir tiefer einsinkt, weil wie oben geschrieben: Bei mir ist die Luft bei solchen Formulierungen langsam raus.

„Ich habe immer gedacht, wir hätten mehr Zeit, Detlev“, begann Anders, seine Stimme ein leises Zittern im Wind. Detlev nickte, die Linien seines Gesichts im schwindenden Licht wie in Stein gemeißelt. „Ich auch, Anders. Ich auch.“
Naja, finde ich bisschen Captain-Obvious-mässig, dieses 'ich hätte gedacht, wir hätten mehr Zeit', und ausserdem: Das hat man schon zigmal gehört, oder nicht?

Die Stadt unter ihnen lag ausgebreitet wie ein lebendiges Gemälde, das Lichtermeer eine ferne Erinnerung an das Leben, das draußen unermüdlich pulsierte.
Wieder ein bereits zuvor ausgiebig beschriebenes Bild. Reine Wiederholung. Langsam rutscht der Text für mich auch in die Kitsch-Ecke ab, wenn das so weitergeht.

Er zog an seiner Zigarette, der Rauch eine flüchtige Skulptur in der Luft.
Schön!

Er half Detlev, sich hinzulegen, deckte ihn mit einer dünnen Decke zu, die Rolle des Beschützers spielend.
Absolut überflüssig. Wird doch auch so klar bzw. kann man sich selbst denken.

Dann stand er auf, blickte ein letztes Mal auf Detlevs ruhendes Gesicht und ging leise hinaus in die kühle Nacht.
So vieles wird 'leise' und 'bedächtig' und 'vorsichtig' in dem Text gemacht, dass mir auch hier diese daraus resultierende Gefühlsduselei zu viel wird.

Der Motor summte leise, fast zärtlich.
Dasselbe hier. Wieso klingt ein Motor zärtlich?

Anders spürte, wie die Stadt um ihn herum pulsierte, unberührt von dem Schmerz und der Verzweiflung, die gerade in einem der Grindelhochhäuser ihren Höhepunkt erreicht hatten.
*gähn*

Irgendetwas an diesem Nachmittag hatte sich endgültig angefühlt, wie der letzte Akkord eines langen, traurigen Liedes. Doch das wahre Ende sollte er erst später erfahren. In diesem Moment war es nur eine unterbewusste Ahnung, die sich wie ein kühler Schatten in sein Bewusstsein schlich.
Die Stadt zog an ihm vorbei in einem Fluss aus Lichtern und Schatten, und Anders fühlte sich verloren in einem Netz aus Möglichkeiten und Endlichkeiten. Die Welt schien gleichzeitig riesig und erdrückend klein, als er den Heimweg antrat, nicht wissend, dass er gerade einen Abschied hinter sich gelassen hatte, der alles verändern würde.
Das würde ich alles streichen (weil es weiter auf dem zuvor Erzählten herumreitet und nicht wirklich neue Aspekte hinzufügt) und mit dem Satz aufhören:
Während er die Straße entlangging, war ihm nicht bewusst, dass er Detlev zum letzten Mal lebend gesehen hatte.

So, ich hoffe, das war nicht zu hart formuliert. Diese Eindrücke widerspiegeln nur meinen frischen Leseeindruck, also direkt nach dem Erstlesen deiner Geschichte. Dieser Schmerz und die verlorene Hoffnung, das kommt überdeutlich bei mir an, mir ist das jedoch von allem zu viel, es wirkt unglaublich sentimental und die immer wieder gleichen Bilder schwächen den eigentlich guten Text immer weiter ab, bis ich am Ende beinahe das Handtuch geworfen hätte. Sicher ist die Thematik sehr wichtig, aber mir ist das Ganze so sehr auf Mitleid gebürstet, dass mich schlussendlich der Kern der Geschichte nicht mehr mit der nötigen Kraft erreicht. Es kann gut sein, dass bin nur ich, denn jeder Leser wird deinen Text anders lesen.

Beste Grüsse,
d-m

 

Interessante Geschichte. Gut lesbar und nur hier und da ein Paar unglückliche Formulierungen. Die "pulsiriernde" Stadt scheint ein Motiv in deiner Geschichte zu sein, aber irgendwie finde ich das Wort nicht immer passend/treffend in den Text eingebunden. Vielleicht hast du es -für meinen Geschmack- auch einfach einmal zu oft verwendet.
Ein weiteres Beispiel:

*Als sie sich begrüßten, klang Detlevs Stimme dünn und brüchig, als ob sie jeden Moment brechen könnte.*

Das ist z.B. doppelt gemoppelt. "Brüchig, als ob sie brechen könnten."


Du nutzt sehr viele Adjektive und Gleichnisse in deinem Text, was mir zwischendrin etwas zu viel wurde. Zum schluss, wird es dann wieder weniger, wobei es gerade da, wie ich finde, ruhig etwas mehr hätte sein können.

Ansonsten ein solide geschriebener Text. Nicht langweilig, hat mich jetzt aber auch nicht vom Hocker gehauen. ;)

Gute Arbeit!

 

Ich habe bis jetzt nicht feststellen können, dass du näher auf die - teils umfassenden - Kommentare eingegangen bist, @ZwischenZeit. Ein-Satz-Antworten sind offenbar deine Spezialität. Auf meinen Kommentar zu deiner anderen Geschichte hast du z.B. im Plural geantwortet, obwohl es nur einen, meinen Kommentar, dazu gibt. Es ist Arbeit, Texte zu kommentieren. Und sie ist unbezahlt. Wir tun das aus Liebe zur Literatur. Deshalb darf man sich auch etwas Auseinandersetzung mit konstruktiver Kritik erwarten.

 

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