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Ein letzer Kuss. Ein letzer Wunsch.
Ein letzter Kuss. Ein letzer Wunsch.
(v. Daigoro)
Wenn ich meine Augen schließe, dann kann ich sie sehen. Sie steht vor mir und grinst mich an. Unbekümmert, verspielt und kindlich frech. Als ob sie sich darüber freut, mich erfolgreich um den Verstand gebracht zu haben. Sie stellt sie sich darauf ein, weg zu rennen, weil ich sie gleich jagen und fangen will, um sie liebevoll ... für ihre Frechheit zu strafen. So wie es Liebende tun. Wie es kleine Kinder oft gern haben. Die quieksen dann ganz laut, wenn man ihnen hinterher rennt, laut stampft und lustige drohende Geräusche macht. Allein bei der Vorstellung, dass sie so reagiert, wenn ich gleich auf sie zu renne, muss ich anfangen zu grinsen.
Doch dann öffne ich verwirrt die Augen. Ein Krankenwagen rast mit lauter Sirene allein auf der einsamen Straße entlang. Nach einigen Sekunden sehe ich durch das Fenster, dass der Krankenwagen die heulende Sirene ausgemacht hat ... aber immer noch mit vollem Tempo und Blaulicht durch die Straßen der Nacht irrt. Wieder tut es mir im Innern weh. Ein seltsames Stechen in der Brust, das sich wie Säure ausbreitet und anfängt um sich zu fressen. Man fühlt sich dann so leer ... und ... man hat das Gefühl, da wo einst ein Herz war, ist ein riesiges schwarzes Loch, das gefüllt werden muss. Sonst wird es ewig weiter brennen und einen ... durchsichtig machen, oder gar für immer unsichtbar. Weil man davor Angst hat, verschließt man sich davor; es ist enorm schwer sich danach jemals wieder zu öffnen ... so wie vorher.
Der Radiowecker geht plötzlich an und sie spielen eines dieser alten traurigen Jazzballaden, in denen sich auch andere Menschen nach dem Sinn der Liebe und der Erinnerung fragten. Es regnet. Rhythmisch klopft der Regen an die Scheiben. Es sieht aus, als würde alles weinen und in bitteren Tränen zerfließen. Die Stadt da draußen, die Straßen ... alles was Form und Gestalt hat. Selbst die Nacht, die eigentlich keine wirkliche Gestalt hat, scheint auf uns nieder zu weinen. Ich sehe ihr Foto, ein Portrait von ihr, das sich an eines der verregneten Fenstergläser spiegelt. Welche Ironie. In Wirklichkeit weint sie nicht auf dem Foto, doch durch die gespiegelte Abbildung im Fenster und die einzelnen Regentropfen, die am Fenster hinunter laufen, sieht es so aus, als würde sie weinen. Ich schließe wieder meine Augen, um sie noch ein einziges Mal zu sehen, bevor ich diese Wohnung verlasse. Doch da ist bloß diese blaue Stimmung - der Regen, die Musik, diese Akustik, die tickende Uhr, das Geräusch der Straßen von draußen.
Es erinnert mich an jenen Abend, als wir in den Regen kamen und pitschnass wurden. Zuhause angekommen, hüpfte ich schnell unter die Dusche. Danach zog ich meinen Wohlfühlpullover an, über meine bloße dampfende Haut, ohne ein T-Shirt oder Unterhemd darunter zu tragen. Sie sah das. Irgendwie schien ihr das zu gefallen und kam wie eine Katze auf Beutejagd an mich heran geschlichen, um dann sanft ihre Hände unter den Pulli zu führen und diese ungewöhnliche Wärme der Haut, dieses Gefühl zu ertasten ... während die Fantasie dabei voll verrückt spielte. Sie krallte sich an meine Brust und kratzte sanft über diese feuchtwarme Haut, die leicht mit Schweiß überzogen war und sich dadurch weich und glatt anfühlte. Sie kam ganz dicht heran und presste sich ganz fest an mich, küsste mich auf meine Brust und saugte leicht an meinem Hals. Streichelte mich sanft mit ihrer Nase und atmete diesen Geruch von Haut, Schweiß und Parfüm tief in sich ein. Legte eine nasse Haarsträhne aus meinem Gesicht, um mir tief in meine traurigen Augen zu sehen. Sie verführte mich voll und ganz mit ihrem Blick, der genau sagte, was sie braucht und will. Welchen Zauber du auch immer über mich gelegt hast, ich will nie wieder davon erlöst werden ...
Die Tür knallt zu. Sie ist wieder zurück. Im Dunkeln läuft sie wie beirrt umher und zieht sich die nassen Kleider vom Leib. Wirft sie einfach quer über die Wohnung und läuft zur Küche. Ich folge ihr langsam und leise. Sie greift nach dem Multivitaminsaft im Kühlschrank, nimmt einen tiefen Schluck und verschluckt sich fast dabei. Keucht und hustet kurz, stellt den Saft verärgert wieder in den Kühlschrank, knallt die Tür zu, richtet sich gerade auf, um kurz Luft zu holen und atmet tief durch. Dabei schaut sie ziellos in die Decke und schließt dann die Augen. Als sie wieder nach unten schaut, atmet sie schwer und lang aus. Fast wie ein Seufzen, ein verzweifeltes Atmen. Sie sieht müde aus, erschöpft, krank ... und ... traurig. Ich komme ihr näher und strecke meine Hand aus. Gleich berühre ich ihre Schultern ... doch ... meine Hand geht durch sie durch. Ich kann sie weder fühlen noch berühren. Ich bin wie durchsichtig. Dieses Loch, diese Säure in mir hat mich schon viel zu sehr verändert, es hat mich zu durchsichtig gemacht, oder sogar schon unsichtbar.
Sie geht einfach davon, ohne mich gesehen zu haben, ohne zu wissen, dass ich doch bei ihr bin ... ohne mich.
Dann wache ich auf. Sitze allein in meiner kalten, steril eingerichteten weißen Wohnung. Was ist mit mir passiert? Sonst hab ich immer alles ganz kribbelbunt gemalt, weil ich es hasse alles steril und monoton zu lassen. Meine Augen brennen noch, weil der Traum so heftig war. Mein Rapid-Eye-Mode wurde unterbrochen und ich bin unmittelbar darin aufgewacht, ohne vorher einen Tiefschlaf zu haben, in welcher sich die Augen wieder erholen. Es macht mich müde und ich falle wieder schwer in mein Kissen.
Wo waren wir stehen geblieben? AH, ja, richtig, in ihrer Wohnung. Sie kann mich nicht fühlen und sehen. Oder doch? Warum starrt sie mich jetzt aber so an? Sie kommt auf mich zu. Mit kleinen Schritten, schaut mir sehnsüchtig in die Augen und beginnt ganz warm zu lächeln. Sie streichelt zärtlich mein Gesicht und hält mir mit ihren Händen die Augen zu. Ich kann sie fühlen. Ihre Hände sind so wunderschön warm und ich fange an, diese Wärme nur so in mich hinein zu saugen, wie eine Art heilende Energie. "Ich hab nicht viel zeit", flüstert sie, gibt mir einen langen und süßen Kuss ... und wird durchsichtig, so wie ich vorher. Jetzt kann ich sie weder fühlen noch sehen, nur unmittelbar spüren, dass sie noch um mich herum ist ... was sollte das?
Er wacht nun endgültig aus diesem Traum auf und ist ganz konfus. Es tut ihm weh sich daran zu erinnern und zu begreifen, was da geschehen war. Eine Weile sitzt er da und schaut mit diesem unbeschreiblich traurig sehnsüchtigem Blick ziellos in seine große, weiße, leere Wohnung. Mich macht das trauriger denn je, ihn so leiden zu sehen. Nicht wirklich zu wissen, ob er weiß, dass ich immer bei ihm bin und ihn vermisse. Ich hoffe du hast mich verstanden, mein süßer Schatz. Ich hoffe nur, dass du meine Botschaft verstanden hast. Er geht zum Fenster und schaut auf die Stadt. Als ob er in einem kleinen Glaskäfig haust und neidisch auf das leben da draußen blickt. Ich komme ihm näher und will ihn berühren. Auch wenn ich weiß, dass ich ihn nicht fühlen kann und er mich nicht. Wir sind so schrecklich nah ... und doch so unendlich weit voneinander entfernt. Ich stehe noch eine Weile mit ihm am Fenster und umarme ihn, stelle mir dabei vor und versuche mich daran zu erinnern, wie es sich wohl angefühlt hatte. Seine Haut, seine Wärme, sein Geruch ... nichts hätte ich mir mehr gewünscht als ein letztes Mal, alles sagen zu können, was er hätte wissen sollen. Für die Ewigkeit. Und ein letzter Kuss. In den Träumen, habe ich manchmal die Chance, ihm zu begegnen, so wie ich es mir wünsche. Und doch wäre mein letzter Wunsch, dass eines dieser Träume vielleicht...
... irgendwann ...
... zur Realität wird.