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Ein Leben für ein Leben

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18.02.2003
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Ein Leben für ein Leben

„Weißt du noch, wie es war? Damals...“
Sie flüstert es immer wieder vor sich her. Obwohl sie schon lange keinen Gesprächspartner mehr hat, redet sie sehr viel. Oftmals nur wirres Zeug, zusammenhangslose Wortfetzen, manchmal klingen sie wie Buchtitel, von schönen Gedichtbänden oder schnulzigen Liebesromanen, oder wie die Sprüche, auf diesen Postkarten, die Brandungen in der Abendröte zeigen oder vom Wind geneigte Weizenhalme, golden wie die Sonne, deren Licht sie brechen.
Manchmal aber spricht sie in ganzen Sätzen, leise und langsam, sie bekommt dann immer eine Stimme wie aus Samt und in ihren Augen hat sie dann immer so einen Ausdruck, den man gar nicht beschreiben kann, aber man kann ihn fühlen, wenn man sie ansieht. Meistens liegt um ihre Lippen dann so ein sehnsüchtiges Lächeln, ich glaube, dass sind die Momente, in denen sie Gott und der Welt all das verzeiht, was man ihr antat. Momente der Vergebung, die sie mit uns teilt.
Ihr Alter zu schätzen ist gar nicht so einfach, man sieht deutlich, dass die Last vieler Jahre auf ihren Schultern liegt, aber trotz allem scheint ihr Geist lang noch nicht erloschen. Sie strahlt sehr viel Stärke aus, auf eine Weise, die man nur sehr selten erlebt.
Sie kennt mich nicht, aber ich kenne sie. Ich beobachte sie schon lange. Anfangs war es ungewollt, zufällig. Ich sah sie das erste Mal, als ich unten am Fluss spielte.
Als ich sie damals kommen hörte, bekam ich Angst, ich war noch sehr jung und meine Mutter hatte mir immer wieder verboten am Fluss zu spielen, weil es zu gefährlich sei.
Aus Angst, entdeckt zu werden versteckte ich mich vor ihr in der Krone der großen Eiche, die nur ein paar Meter vom Flussbett entfernt stand.
Irgendetwas faszinierte mich damals an ihr. Vielleicht war es ihre ungewöhnliche Art sich zu kleiden, vielleicht waren es ihre langen Haare, die sie wie tausend Arme im Sommerwind umspielten, oder ihre Art, sich zu bewegen. Sie bewegte sich so leichtfüßig, als würde sie schweben, als könnten die Spitzen des Schilfgrases nur ihre Fußsohlen kitzeln.
Vielleicht war es aber auch ihr Gesang, mit dem sie mich verzauberte, auch wenn es gar kein richtiger Gesang war, sondern mehr ein leises Summen, aber es klang, als würde es von einer Märchengestalt kommen, von einer Elfe oder einer Fee.
Damals sprach sie noch nicht, sie summte nur, und sie lächelte.
Sie hatte mich an diesem Tag so in ihren Bann gezogen, dass ich von nun fast jeden Tag zum Fluss runterging, auf die alte Eiche kletterte und sie aus sicherer Entfernung beobachtete.
Sie wirkte auf mich sehr weise, auch wenn ich nie mit ihr sprach. Aber man sah ihr an, dass sie vom Leben gelernt hatte, und man sah ihr auch an, dass das Leben ihr dafür gedankt hatte und sie mit reichlich Liebe beschenkt hatte.
Zuerst war dies nur eine Vermutung, aber später fing ich an, Nachforschungen über sie anzustellen. Das war nicht einfach, denn ich wusste ja nicht einmal ihren Namen, und was sollte ich den Leuten denn erzählen? Dass ich seit Jahren einer alten Frau hinterher spionierte, ohne zu wissen, warum ich das eigentlich tat?
Aber mit der Zeit erfuhr ich, wenn auch mehr durch Zufall, doch einige Dinge über sie. So bekam ich zumindest bestätigt, dass sie tatsächlich das Glück hatte, ihre große Liebe erleben zu dürfen, dass sie und ihr Mann viele schlimme Dinge durchgemacht hatten und dass sie auf eine harte Probe gestellt worden waren, weil sie keine Kinder bekommen konnten, was für beide damals wohl ein großer Schock gewesen war.
Sicherlich gab es keine Beweise, aber an ihrem Gesichtsausdruck, der so voller Glückseeligkeit war, jeden Tag aufs neue, sah ich, dass sie wirklich liebte, ich spürte es einfach.
Der Tag, an dem alles anders wurde, war eine schwüler Spätsommertag, die Hitze machte mir an diesem Tag besonders zu schaffen und selbst das Dickicht des Eichenlaubs versprach keine übermäßige Kühle.
So saß ich dort, wie jeden Tag, und je länger ich auf meinem Ast wartete, umso unerträglicher wurde die Hitze, wenn auch die Sonne schon tief am Himmel stand.
Ich fragte mich irgendwann, ob die Zeit heute langsamer vergehe als sonst, oder ob die alte Frau später kam als sonst.
Ich wartete vergebens.
Als die Sonne das umliegende Land schon in tiefes Rot tauchte, entschloss ich mich, den Heimweg anzutreten. Ich war enttäuscht. Es war das erste Mal seit Jahren, dass sie nicht gekommen war. Ich fragte mich, ob etwas geschehen war.
Ein paar Tage lang blieb mein sehnsüchtiges Warten erfolglos, ich wusste damals noch nicht, was geschehen war, aber ich war fest davon überzeugt, dass sie irgendwann wiederkommen würde.
Und so war es auch.
Doch etwas hatte sich verändert.
Es war, als ob der Feenschleier von ihr gefallen sei. Ihre Schritte wirkten zwar noch immer leicht und elegant, aber anders, als zuvor.
Erst jetzt fiel mir auf, dass ihr Haar grau geworden war, und es hatte deutlich an Glanz verloren. Obwohl noch immer ein Lächeln ihre Lippen umspielte, wirkte sie nicht mehr so glückseelig wie zuvor, etwas Sehnsüchtiges hatte sich in das Lächeln gemischt und ihrem Gesichtsausdruck etwas Geheimnisvolles verliehen.
Dies war auch der Tag, an dem sie begann, zu sprechen. Anfangs war ich verwirrt, denn ich hatte sie noch nie zuvor sprechen gehört, aber gleichzeitig beruhigte mich ihre Stimme auch, sie hatte etwas Tröstliches und etwas in ihr verriet mir, dass nun alles wieder gut werden würde, und dass ich sie nun wieder jeden Tag sehen dürfte.
Das was sie sprach, ergab zuerst keinerlei Sinn für mich.
Heute tut es das, weil ich heute weiß, was damals geschah.
Das Leben hatte sich zurückgeholt, was es ihr geschenkt hatte.
Ihr Mann starb an dem Tag, an dem ich vergeblich in meiner Eiche auf sie wartete.
Woran er starb, weiß ich bis heute nicht. Im Dorf erzählte man sich darüber die wildesten Geschichten, er sei von einem wilden Tier angefallen worden, oder seine Frau hätte ihn vergiftet, manche schimpften sie als Hexe. Doch ich glaubte all das nicht.
„Zeit vergeht, halte sie nicht fest.“, flüstert sie wieder mit diesem geheimnisvollen Unterton. Ich finde die Dinge, die sie sagt sehr schön, sie geben mir ein warmes Gefühl, ich habe viel von ihr gelernt. Jeden Tag aufs Neue gibt sie mir ein Teil ihrer Weisheit preis, lehrt mich Leben durch ihr Leben.
Ich weiß, dass auch ihre Zeit irgendwann vergangen sein wird, aber wie sie es mir beigebracht hat, werde ich nicht versuchen, sie festzuhalten, nein, wenn ihr Leben ein Ende findet, dann werde ich an ihrer Stelle anfangen, eins zu führen.

 

Hi Puddingbrumsel!
Deine Geschichte ist wundervoll!!! Ich hätte sie vermutlich eher in die Kategorie Märchen eingeordnet. Ein paar kleine Fehler sind noch drin (Gross/Kleinschreibung).

Insgesamt ein wundervoller Text!

Alles Gute,
Marana

 

Hi Marana!
Vielen Dank, für das Lob!Ja, das mit dem Einordnen find ich immer sehr schwierig,das muss ich wohl noch üben, irgendwie habe ich immer keinen blassen Schimmer,wohin;)

 
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Hi Pudding ;)

ich fange mal oben an, mit ein paar Kleinigkeiten:

Obwohl sie schon lange keinen Gesprächspartner mehr hat, redet sie sehr viel

Das Verb "reden" bezieht sich in diesem Kontext auf den gerade erzählten Moment (ist ja Präsens), aber der anfängliche Nebensatz legt nahe, dass der Zustand des redens schon lange anhält, daher würde ich schreiben: ... redet sie immer noch sehr viel.

Ich beobachte sie schon lange. Anfangs war es ungewollt, zufällig.

Hier und in den folgenden Sätzen verwendest Du Imperfekt. Diesen Wechsel der Erzählzeit kann ich nicht ganz nachvollziehen. Es scheint eine Art Rückblende zu sein. Es geht schon in Ordnung, denke ich, zumal Perfekt ungewohnt und unhandlich ist, wenngleich rein regeltechnisch wohl auch korrekt.

Vielleicht genügt es, die Rückblende vom Rest des Textes mit Absätzen, hm, abzusetzen. ;)

ihre langen Haare, die sie wie tausend Arme im Sommerwind umspielten

Hm, Arme als Bild für Haare finde ich unpassend... vielleicht eher Ärmchen oder Tentakel oder Weberknechtbeine, die sind dünner ;)


Aber man sah ihr an, dass sie vom Leben gelernt hatte, und man sah ihr auch an, dass das Leben ihr dafür gedankt hatte und sie mit reichlich Liebe beschenkt hatte.

Klingt gut, aber ich glaube nicht, dass das Leben einem Menschen dankbar Liebe schenkt, wenn man von ihm lernt. Ich glaube, dass es das Wort "dankbar" ist, das ich nicht mit dem Leben in Verbindung bringen kann. Was ist das - ein "dankbares Leben"? Vielleicht solltest Du den mittleren Satz weglassen:

Aber man sah ihr an, dass sie vom Leben (oder: zu leben) gelernt hatte, und dass sie (dafür) mit reichlich Liebe beschenkt worden war.

Bis zum letzten Satz fand ich die Geschichte romantisch, sprachlich eingehend geschrieben und allein aufgrund der Konstellation und Perspektive interessant und nicht langweilig, obschon wirklich nicht besonders viel geschieht. Als Kategorie kämen noch "Romantik" oder "Gesellschaft" in Frage, aber so wichtig ist das nicht. Hauptsache ist, dass Du in der Geschichte etwas wichtiges über das Leben vermittelst, nämlich dass man es leben sollte. In diese Hinsicht bin ich dann aber mit dem letzten Satz nicht einverstanden: Der Held (oder die Heldin? Ist unklar, oder?) sollte nicht erst mit Leben anfangen, wenn die alte Frau tot ist. Es spricht rein gar nichts dagegen, sofort damit anzufangen, im Gegenteil: Jede Minute, die man damit wartet, ist eine verschwendete Minute.

Fazit: Sprachlich gut, inhaltlich interessant und mit Sinn für Lebensgefühl - durchaus eine der besseren Geschichten auf kg.de, finde ich.

Uwe

 

Hi Uwe!
Erst einmal vielen Dank für Kritik und Lob!
Das mit dem Schluss will ich gerne erklären. Damit,dass die Beobachterin anfängt zu leben, wenn die alte Frau stirbt, meine ich folgendes: Man kann nicht wirklich davon sprechen, dass Beobachterin(warum weiblich?vielleicht auch Beobachter)die Jahre ihres Beobachtens ein eigens erfülltes Leben führte, denn sie verbrachte die meiste Zeit damit, eine andere Person bei ihrem Leben zu beobachten, bzw. etwas über sie herauszufinden. Ist diese alte Frau allerdings nun einmal nicht mehr da, wird die Beobachterin/der Beobachter, nicht mehr seine Zeit mit dem Beobachten dieser Person verbringen können, und ist damit "gezwungen" ein eigenes Leben zu führen, statt dass der Frau zu bewundern!
Hm..ob das verständlich rüberkommt?!
Ok, hab grad das Wort beobachten ein bißchen häufig benutzt;)

 

Hallo Puddingprumsel!

Eine Geschichte voller Atmosphäre! Sie hat mir sehr gut gefallen. Die kritischen Anmerkungen von Uwe Post kann ich zum größten Teil nicht nachvollziehen (ist vielleicht Geschmacksache). Ich halte Deine Geschichte für sprachlich sehr gelungen und die Bilder sind meiner Meinung nach treffend eingesetzt!

Vom Leben zu lernen, ist mit Sicherheit eine gute Idee. Zwei Dinge frage ich mich am Ende Deiner Geschichte. Zum einen ob der Prot. nicht zuviel vom Leben verpasst, wenn er die ganze Zeit nur beobachtet. Zum anderen ob der Prot. tatsächlich von der Frau lernt. Im Grunde genommen sind es ja nur Spekulationen, die der Prot. über die Frau anstellt.

Er sitzt ganz allein in dieser Baumkrone, in seiner kleinen Welt und macht sich Gedanken. Letztendlich lernt er also von sich selbst. Hätte er was von der Frau lernen wollen, dann hätte er sie mindestens ansprechen müssen. Ich finde den Prot. schon fast etwas selbstherrlich, dass es glaubt, durch bloßes Beobachten soviel von dieser Frau wissen zu können.

Du siehst, Du hast mich mit Deiner Geschichte auch ein bisschen zum Nachdenken gebracht.
Insgesamt eine gute Geschichte, die Du aber noch mal sorgfältig durchlesen solltest, da sie noch einpaar Rechtschreibfehler enthält. Besonders solltest Du auf substantivierte Adjektive aufpassen.

z.B.

„... aber gleichzeitig beruhigte mich ihre Stimme auch, sie hatte etwas tröstliches und etwas in ihr verriet mir,...“ (Tröstliches)

„...etwas sehnsüchtiges hatte sich in das Lächeln gemischt und ihrem Gesichtsausdruck etwas geheimnisvolles verliehen.“ (Sehnsüchtiges, Geheimnisvolles)

„ ...als würde sie schweben, als könnten sie Spitzen des Schilfgrases nur ihre Fußsohlen kitzeln.“ (sollte das nicht „die Spitzen“ heißen?)

„Zuerst war dies nur eine Vermutung, aber später find ich an,...“ (fing ich an)

Schöne Grüße

Dejanira

 

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