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Ein Leben als Freund
Ein Leben als Freund
„Er war mein Freund, das war er schon immer“, setzte der alte Mann an. Man sah ihm an, dass jedes Wort, das Frank Malur aussprach, ihm große Überwindung kostete. Der alte Mann erinnerte sich. Er erinnerte sich, dass er mit Paul Basaba durch die Gassen sauste. Sie waren in ihrer Kindheit immer zusammen. Einfach untrennbar! Auch als sie größer wurden, Frank blieb Pauls bester Freund. Das änderte sich auch nicht, als Paul auf Frank neidisch wurde. Die Menschen waren freundlich zu Frank, und die Mädchen interessierten sich für ihn. Für Paul interessierte sich keiner. Sie waren abgestoßen von seinem entstellten Gesicht. Frank empfand das nie so, Pauls Gesicht war etwas verbeult, nun ja, aber damit blieb er doch weiterhin sein bester Freund.
„Ich sah es nicht so, dass Paul litt“, rief der alte Mann aus. Paul hatte doch ihn, seinen Freund. Aber die Realität sollte bald Ernüchterung bringen, so war die Schulzeit gerade vorbei. Frank hatte schon einen Job als Artikelschreiber bei einer Zeitung. Paul hatte nichts. Nichts außer einen Plan.
„Er wollte gehen“, fuhr Frank Malur fort, „er sagte, er wolle das ändern, diese Respektlosigkeit. Er würde es der Welt beweisen. Ich sagte ihm, er solle bleiben, wir würden gemeinsam einen Weg finden.“
„Heuchler“, schrie die Frau. Der alte Mann schüttelte langsam den Kopf und erzählte weiter. Paul verriet niemandem, wohin er gehen wollte. Er verdingte sich bei der Eisenbahn als Schienenbauer. Er arbeitete fast fünfzehn Jahre, sparte jeden Dollar, den er sparen konnte, bis er seine Chance sah.
„Paul nutzte die Gelegenheit“, der alte Mann hob seine Stimme an, als müsste er seinen verstorbenen Freund verteidigen, „er ahnte, dass die Gesellschaft, bei der er arbeitete, zugrunde ging und kaufte sich mit seinen ganzen Ersparnissen in eine neugegründete Eisenbahngesellschaft ein.“ Und es kam, wie es kam. Die Wirtschaft explodierte, die neue Eisenbahngesellschaft kaufte die bankrotte auf und machte gewaltige Gewinne. Pauls Aktien schossen in die Höhe und machten ihn zu einem reichen Mann. Paul kam zurück, zurück mit Geld und dem Wissen, wie man dieses Geld potenziert. Er kaufte Geschäftsanteile der Geschäfte in seinem Geburtsviertel. Bald gehörte ihm fast alles.
„Eines Tages kam Paul in die Redaktion, bei der ich immer noch beschäftigt war. Er wurde von einer Schar Anwälten begleitet. Er sagte, er sei von nun an der Boss und verteilte ein Dutzend Kündigungen. Er kam auch zu meinem Platz, und er setzte sich zu mir. Ich sagte: ‚hallo Paul’ und er gab mir sein breites Grinsen, dass ich von seiner Kindheit her noch kannte. Er streckte mir die Hand zum Gruß entgegen, und ich bekam keinen Umschlag mit einer Kündigung.“ Kleine Schweißperlen schimmerten auf dem Gesicht des alten Mannes. Und er erzählte weiter. Mit den Jahren war Paul damit beschäftigt, das Stadtviertelbild nach seinen Vorstellungen zu prägen. Viele Menschen zogen weg. Einige von ihnen waren nicht mehr geduldet, andere sahen keine Zukunft mehr in ihrer Heimat.
„Paul schaffte in wenigen Jahren das, was unser Ort in fünfzig Jahren nicht schaffte“ erklärte Frank Malur. „Das Viertel war völlig verändert!“ Eines Tages bekam Frank eine Einladung. Es war eine Einladungskarte zu einer Hochzeit. Sie war mit Seide gefertigt und hatte einen goldenen Rahmen. Paul hatte Frank zu seiner Hochzeit eingeladen.
„Ich suchte mir meinen besten Anzug heraus, aber trotzdem sah ich aus wie ein Stadtstreicher in Gegenwart der hohen Gesellschaft.“ Frank Malur wollte lachen, aber er verschluckte sich nur in ein Husten. Frank durfte miterleben, wie Paul das wunderschöne Model Eunice McJoas ehelichte und befand sich dabei inmitten der oberen Zehntausend.
„Ich hätte gern Pauls Hand geschüttelt, ihm alles Gute gewünscht“, beteuerte der alte Mann. Aber Frank kam nicht dazu. Die Jahre zogen ins Land. Man sah Pauls Namen immer öfter in der Presse.
„Das Zeitungsfoto mit seinem ersten Sohn habe ich aufgehoben“, sagte der alte Mann, kramte ein sorgsam zusammengefaltetes altes Stück Zeitungspapier heraus und hielt es hoch. Es häuften sich auch die Meldungen, dass Pauls Gesundheitszustand nicht mehr der beste war. Er war einfach alt geworden. Die letzte Zeitungsmeldung über Paul auf der Titelseite, war die Meldung seines Todes. Der Multimillionär Paul Basaba verstarb im Alter von 82 Jahren im Kreise seiner Familie. Frank Malur wollte sich erheben, sein junger Anwalt half ihm dabei.
„All die Jahre war ich sein Freund“, rief er aus, „und er war nie gut zu den Menschen gewesen. Jetzt nach seinem Tod hat seine Lebzeit eine gute Bedeutung bekommen!“ Mit diesen energischen Worten ergriff Frank Malur seinen Stock, drehte sich um und ging. Sein junger Anwalt musste die Menge übertönen, um gehört zu werden. „Was mein Mandant damit ausdrücken wollte“, rief er, „ist, dass, selbst wenn die Testamentsanfechtung seitens Frau Basabas hier zur ihren Gunsten entschieden wird, Herr Malur nicht einen einzigen Dollar davon mehr besitzt, den er zurückzahlen könnte.“ Damit hielt der Anwalt eine Spendenquittung über die Spende von dreißig millionen Dollar an ein Flüchtlingswerk in die Höhe.