- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Ein Kuss?
Mit einem angewiderten Gesichtsausdruck drehte sie sich von ihm weg. Sie wollte ihn einfach nicht küssen.
"Was hast du?", fragte er voller Erstaunen.
Er war sich so sicher gewesen. Alles lief doch perfekt heute Abend, dachte er. Sie waren schön Essen gewesen, in einem sehr romantischen Restaurant. Das Ambiente stimmte. Auch die Unterhaltung stockte fast keine Sekunde. Sie redeten über ihren und seinen Beruf, über Politik, Hobbys und Urlaubsziele. Sie sprachen sogar über Beziehungen im Allgemeinen und ihre Ex-Partner im Besonderen.
Frauen mögen vor allem Männer mit viel Humor. Da war er sich sicher. Und er gab sich an diesem Abend alle Mühe witzig zu sein. Er war davon überzeugt, dass sie sich heute Abend amüsiert hatte.
Aber vielleicht hatte sie ja nur gelacht, um ihn nicht zu verletzen? Nein, das konnte nicht sein! Als sie sich beide gemeinsam über das Ehepaar am Nachbartisch leise lustig machten, weil es eine Stunde lang kein Wort miteinander wechselte, da spielte sie ihm in keinem Fall was vor. Oder? Nein! War es nicht so, dass sie sogar in manchen Augenblicken mit ihm flirtete? Mehrmals nahm er diesen gewissen Blick von ihr wahr. Die Art von Blick, der ein paar Momente zu lange dauerte, als dass er nichts bedeuten würde. Und erzählte sie ihm nicht, alle ihre Ex-Freunde haben genauso wie er blonde Haare? Warum sonst sollte sie so etwas "beiläufig" erwähnen?
Trotzdem wollte sie ihn jetzt vor ihrer Haustür nicht küssen. Er verstand es nicht. Nicht im geringsten. Er war sich doch so sicher gewesen.
"Nichts", antwortete sie auf seine Frage. "Ich habe nichts". Sie versuchte freundlich zu klingen, denn sie fühlte sich schuldig. Der Abend war sehr nett gewesen und er ist ein sehr charmanter Mann, dachte sie. Sie hatten sich heute Abend nett unterhalten und waren sogar in einem wirklich guten romantischen Restaurant essen gewesen. Auch gelacht hatte sie viel. Dass er versuchen würde sie zu küssen, wusste sie schon nach dem Dessert. Sie nahm es ihm nicht übel. Aber sie wollte es nicht. Kein Kuss. Denn es fehlte etwas. Aber was?
Sie war heute Abend kein bisschen nervös gewesen, erhoffte sich keinen längeren Blick von ihm, keine zufällige Berührung. Seine Nähe hob sie nicht empor, keine innere Wärme ergriff Besitz von ihr, als sie seinen Atem spürte. Es fehlte etwas. Aber was? Es kribbelte nicht. Weder im Bauch, noch in den Fingerspitzen, noch sonst wo. Sie wünschte, sie hätte es gefühlt. Aber, da war nichts.
Aber vielleicht würde ja doch ein Kuss für dieses Kribbeln sorgen? Sollte sie ihn doch küssen?
"Hast du etwa doch einen Freund?", fragte er mit verletztem Stolz. Auch der Ärger in seiner Stimme war nicht zu überhören.
"Nein, ich habe keinen Freund".
"Aber dann... ich verstehe nicht... ich dachte, dass wir... ich meine... . Es ist doch nur ein Kuss, verdammt!" Ich will dich ja nicht heiraten!"
Er packte sie nun an beiden Armen und hauchte: "Komm schon! Zick' doch nicht so!" Er versuchte liebevoll zu klingen und war doch nur verzweifelt. Es war zu spät. Sie ekelte sich plötzlich vor ihm. Es machte keinen Sinn mehr.
"Lass' mich!!", rief sie während sie sich von ihm loss riss. Sie war wütend, enttäuscht, verletzt.
Sie drehte sich um, kramte ihren Haustürschlüssel aus ihrer Handtasche und schloss die Tür auf.
"Es ist ein Kuss! Du Idiot", schrie sie ihn verärgert an.
"Verstehst du? Ein Kuss!"