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Ein kurzes Interview mit einem Mann, der Recht hat
Ich will sie unter keinen Umständen wiedersehen.
F
Nein, wirklich unter keinen.
F
Also gut, wenn sie mir unbedingt erzählen wollte, dass ich in allem Recht und sie in allem Unrecht hatte, dann würde ich es mir vielleicht überlegen. Wobei nein … selbst dann nicht.
F
Weil wenn sie so was sagen würde, dann nicht etwa aus dem Bedürfnis heraus, die Ehrlichkeit walten zu lassen oder mir etwas Gutes zu tun, sondern nur, weil sie spüren will, dass sie über den Dingen steht. Im besten Fall sagt sie es deswegen. Wahrscheinlicher ist, sie sagt es, damit ich spüren kann, wie wenig ich ihr noch bedeute.
F
Dann hätten wir eben beide Unrecht. Sie würde natürlich so tun, als hätte sie von Anfang an Recht gehabt, aber wir wissen beide, dass ich Recht habe, und auch, dass wir das beide wissen.
F
Indem sie die Bürde des Im-Unrecht-Seins auf den Schultern trug wie ein Ochse sein Joch. Sie füllte diese Rolle mit Leben aus und ging sie voller Demut an. Auf diese Weise verlieh sie ihr Dasein eine heldenhafte Dimension, durch die sie sich emotional wiederum im Recht fühlte. Sie war das ewige Unrecht-Opfer, und ich war der ewige Recht-Täter.
F
Natürlich habe ich das versucht. Ich bin zu ihr hin und hab gesagt: Du, Schatz, es ist völlig egal, wer Recht hat, weil ich dich liebe. Aber das konnte sie nicht annehmen. Da wurde sie schnippisch und lenkte vom Thema ab. Für sie war das ein Angriff auf ihre devote Heldenhaltung, dessen Existenz wiederum ein Angriff auf ihre Intelligenz war. Das waren zwei Pole ihrer selbst, die sie unmöglich miteinander versöhnen konnte. Deswegen die Wut. Deswegen die Empörung.
F
Wir haben mit dieser Rolle gelebt. Eine Zeitlang hat das funktioniert und wir waren glücklich. Doch dann ist ihr diese Rolle bewusst geworden. Und ihr Selbstbild konnte nicht anders, als sie zu verurteilen. Danach war unsere Beziehung dahin. Ab dann war es so: Jedes Mal, wenn wir nicht einer Meinung waren, musste sie an ihre Rolle denken, die ihr mit einem Mal so verhasst war, und diesen Hass hat sie auf mich projiziert. Sie blockte ab und machte mir Vorwürfe, ich sei rechthaberisch und borniert und gemein, sie tat alles Menschenmögliche, um eine Rolle zu leugnen, mit der sie glücklich gewesen war. Das merkte man vor allem dann, wenn ihr Standpunkt am Hoffnungslosesten erschien. Dann suchte sie verbissen den Diskurs, sie zankte und kämpfte und schrie und verlor sich zuletzt in Ausschweifungen, Vorwürfen und Selbstmitleid. Ich denke, damit war sie selbst am wenigsten zufrieden. Aber sie besaß nun mal keine anderen Strategien. Und einfach einsehen, dass ich Recht hatte, konnte sie ja nicht mehr. Denn dazu hätte sie diese Rolle akzeptieren müssen, die mit ihrem Selbstbild nicht vereinbar war.
F
Ich wollte ihr nicht wehtun. Ich wollte, dass sie glücklich ist. Ich wollte mir ihr glücklich bleiben. Ich führte nur die besten Absichten im Sinn. Ich bin nur insofern schuldig, als dass ich Recht habe. Das ist meine Bürde, wenn man so will.
F
Was vieles angeht, wäre ich sogar äußerst gerne im Unrecht, aber ich bin's halt nicht.
F
Natürlich war ich häufiger im Recht als sie.
F
Das haben Sie jetzt gesagt.
F
Es kann gut sein, dass ihr Selbstwertgefühl darunter litt. Aber wie will man das ändern? Nun, ich hab's ja probiert. Schon mal versucht, sich einzureden, dass zwei und zwei fünf ergibt?
F
Ja, ihres Selbstwerts wegen habe ich behauptet, dass zwei und zwei fünf ergibt. Einmal, da ist sie vom Einkaufen zurück, und ich hab gefragt, wo das Bier ist. Und sie sagt: was für Bier? Und ich: das Bier, das ich trinken wollte und du holen solltest. Und sie: Quatsch, du hast nichts von Bier gesagt! Und ich: Natürlich hab ich das! Da wusste sie, dass sie im Recht ist.
F
Nein, diese Strategie hat nicht gefruchtet.
F
Wie gesagt, ich will sie auf keinen Fall wiedersehen.
F
Nur, weil ich theoretisch Unrecht haben könnte, was den Ausgang eines Wiedersehens betrifft, muss nicht heißen, dass ich auch Unrecht habe. Mit großer Wahrscheinlichkeit habe ich Recht, und das soll mir reichen, zumal so viel Leid auf dem Spiel steht. Jede fundierte Entscheidung beruht auf solchen Wahrscheinlichkeiten.
F
Meinen Sie, das macht mir Spaß? Meinen Sie, es liegt in meinem Interesse, zu leiden? Sehen Sie denn nicht, wie ich leide? Mir ist mehr als bewusst, was ich an ihr verloren habe.
F
Junge intelligente Frauen, die sexy sind und auf mich stehen, gibt's nicht gerade wie Bettler in Indien. Glauben Sie mir, das weiß ich nur zu gut.
F
Soll diese Frage etwa implizieren, ich sei rechthaberisch? Was soll das in diesem Zusammenhang überhaupt bedeuten? Dass ich lieber Recht habe, als glücklich zu sein? Glauben Sie das wirklich? Wollen Sie von mir hören, wie dreckig es mir geht und wie sehr ich sie vermisse? Muss das sein? Ihr Geruch und ihr Haar und die kleine Stupsnase und die süßen Füße und die Abende auf dem Sofa und die Nächte im Bett. Und wie ich leide!
F
Sie verlangen also von mir, dass ich glaube, dass sie zwei plus zwei gleich fünf ist.
F
Wollen Sie mich mit dieser Frage etwa zu einer Erkenntnis führen?
F
Hören Sie, ich verstehe durchaus, dass Sie es als ihre Aufgabe ansehen, mich auszuquetschen. Sie suchen Wahrheiten, frei nach dem Motto: Die Erkenntnis macht glücklich. Nun, ob das stimmt, sollte man vielleicht hinterfragen. Aber wie dem auch sei, ich habe Ihnen schon alles erzählt. Wir reden hier auch nicht von Schuld. Sie ist sie, und ich bin ich und wir funktionieren nun mal nicht. Ich kann nicht von ihr verlangen, dass sie ein Mensch wird, der sie nicht sein will. Das geht nicht. Das wissen Sie doch. Das weiß jeder.
F
Man könnte auch einfach akzeptieren, dass weniger als drei Prozent aller Beziehungen mit dem Tod enden. Alle anderen gehen irgendwann vorher in die Brüche.
F
Also bitte! Sie müssen meine Ausführungen nicht annehmen, aber Sie könnten zumindest versuchen, sie zu verstehen. Es mag unbefriedigend für Sie sein, wenn Sie helfen wollen und das nicht können, aber wenn Sie schon so veranlagt sind, dürften sie solche Situationen zur Genüge kennen. Eigentlich könnte man erwarten, dass Sie eine Grenze erkennen, wenn sie Ihnen auf die Schädeldecke klopft.
F
Ganz ehrlich, langsam wird mir das zu blöd. Ich habe Ihnen intimste Dinge anvertraut, und Sie kommen mir mit Facebook-Phrasen. Liebe, Akzeptanz, wer nicht wagt, der nicht gewinnt … Darf ich Ihnen auch mal was sagen? Ein Bart schützt nicht vor Einfältigkeit.
F
…
F
Sie wiederholen sich!
F
Auch das habe ich bereits erläutert.
F
Ich denke wirklich, das hat jetzt keinen Wert mehr.