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Ein kostenloser Festtagsschmaus
Es war in der Nachkriegszeit, zu Beginn der 50er Jahre, irgendwo in Bayern. An einem sonnigen Sonntag Vormittag hatte sich der Michl wieder einmal mit seinem früheren Schulfreund Egid verabredet, mit dem er sich öfter beim sonntäglichen Frühschoppen traf. In der Regel war es meist das gleiche Wirtshaus, wo sie sich mit noch einigen anderen Stammtischbrüdern zusammen fanden und bei anregenden Gesprächen zwei oder drei Halbe Bier tranken. Manchmal spielte man auch einen Schafkopf oder Tarock. Diesmal wollten die beiden jedoch ihr Bier einmal in einer anderen Umgebung trinken. Nach kurzer Diskussion kam einer von ihnen auf die Idee, in die etwa 8 km entfernte Nachbarstadt zu fahren. Doch wie kamen sie dorthin! Michl hatte zu dieser Zeit noch keinen fahrbaren Untersatz und sein Kumpel Egid hatte sein Motorrad zuhause gelassen. Obwohl zu dieser Zeit die wenigsten einen Pkw besaßen, dauerte es nicht lange, bis die beiden einen Bekannten trafen, der sie dorthin fuhr.
Dort angekommen, machte sich auch schon ihr Durst bemerkbar. Da die nahe Kirchturmuhr bereits 11 Uhr schlug, wurde es höchste Zeit, hier Abhilfe zu schaffen. Als ihr Blick auf das Wirtshausschild des nahen Gasthofes fiel, wussten sie auch schon, wo sie ihren Durst löschen würden. Zielstrebig traten die beiden in die fast leere Gaststube ein. Nur hinten im Eck saß ein alter Mann bei einem Glas Bier und rauchte eine Pfeife. Der aromatische Duft des Rauches vermischte sich mit dem von Schweinebraten und Sauerkraut, der von der Küche hereinzog. Für die beiden, die mittlerweile an einem Tisch Platz genommen hatten, war dieser Wohlgeruch unwiderstehlich. Doch dummerweise reichte ihr Barvermögen, welches sie dabei hatten, für diese deftige Köstlichkeit nicht aus. Sie mussten sich wohl oder übel mit dem Bier begnügen. Es dauerte auch nicht lange und es kam eine kräftig gebaute Frau mit einem umgebundenen Schurz in die Gaststube. Vermutlich handelte es sich um die Wirtin.
Mit kräftiger Stimme meinte sie zu den beiden:
„Grüß Gott - Ihr beiden seit bestimmt von der Hochzeitsgesellschaft, die gestern hier feierte. Darf ich Euch von dem Schweinebraten, der gestern übrig geblieben ist, auch etwas bringen?“
(Zum besseren Verständnis muss hier erwähnt werden, dass es hier, wie wahrscheinlich auch in vielen anderen Landstrichen bei Hochzeiten üblich ist, dass sich die nähere Verwandtschaft der Hochzeitsgesellschaft am Tag nach der Trauung, Mittags noch einmal im gleichen Gasthaus trifft, um das zu essen, was vom Vortag übrig geblieben war.)
Michl und Egid wussten im ersten Moment nicht, was sie der Frau erwidern sollten. Allerdings dauerte ihre Sprachlosigkeit nicht lange an. Michl, der recht schlagfertig war, erwiderte:
„Ja, selbstverständlich - wir haben schon einen Riesenappetit!“
So dauerte es nicht lange, bis die Bedienung mit dem Bier und dem köstlich duftenden Essen kam. Die beiden ließen sich den Schweinebraten mit Knödel und Sauerkraut so richtig schmecken. Allerdings aßen sie ihren Schmaus etwas eiliger, als wie sie es sonst gewohnt waren! Wenn sie zulange trödeln würden, könnte es ja sein, dass die ersten „echten“ Hochzeitsgäste schon bald hier erscheinen würden! Der große Zeiger der Wanduhr näherte sich schließlich schon dem Sechser. Es war also höchste Zeit, hier zu verschwinden, um nicht etwa doch noch bloßgestellt zu werden. So wollten sie bei der Wirtin - die sich über die Eile der beiden Gäste wunderte - schnell noch ihr Bier bezahlen. Doch auch dieses ging auf die Rechnung des ihnen unbekannten Hochzeitspaares.
Nachdem die beiden das Wirtshaus verlassen hatten, galt es wieder zu überlegen, wie sie jetzt am besten nachhause kamen. Mitten in ihren Überlegungen sprach sie ein in einem dunkelblauen Anzug gekleideter Mann an, der neben einem größeren Auto stand:
„Gehören die beiden Herren vielleicht zu der gestrigen Hochzeitsgesellschaft?“
„Ja“ - antwortete ihm der Michl, etwas zögernd.
„Kann ich Sie beide irgendwo hinfahren? Ich bin nämlich hier herbestellt worden und soll diejenigen Gäste, die von Auswärts kommen, nachhause fahren!“
„Ja, wir sind von der Nachbarstadt. Würden Sie uns auch dorthin fahren?“ - meinte Michl.
„Selbstverständlich, steigen Sie bitte ein, meine Herren!“ sagte der Chauffeur und fuhr mit seinen Fahrgästen los.
So kamen die beiden ganz unverhofft nicht nur zu einem kostenlosen Festessen in diesen kargen Nachkriegsjahren, sondern wurden auch noch zurück in ihre Heimatstadt chauffiert. Allerdings gaben sie nicht ihre richtige Adresse an, sondern eine Straße, die sich ganz entgegengesetzt von ihren Wohnungen befand, um ja möglichst keine Spuren zu hinterlassen. Welchem jungvermählten Ehepaar sie dieses Gastmahl zu verdanken hatten, wissen die zwei Freunde Michl und Egid jedoch bis heute noch nicht!
[ 29.05.2002, 01:00: Beitrag editiert von: W.J.Pilsak ]