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Ein Kleid aus Rosen

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12.04.2011
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Ein Kleid aus Rosen

Kapitel 1

Es war einmal in einem fernen Land vor langer, langer Zeit eine unglückliche Prinzessin, die, eingesperrt von hohen Mauern, ein ereignisloses, trauriges Dasein fristete. Ihr Gemahl, ein in sich gekehrter, knurriger Kauz, hatte sich mit Haut und Haaren dem Lautenspiel verschrieben und das gesamte Gesinde entlassen, um beim Musizieren nicht gestört zu werden. Seine Prinzessin, die nun für die Instandhaltung der einsam gelegenen Burg allein zuständig war, beachtete er nicht länger, obwohl er sie einmal sehr geliebt hatte. Sie nunmehr schuftete Tag und Nacht, fegte die zugigen, allmählich verkommenden Räume, sorgte dafür, dass in der großen Kaminhalle, die schon seit langem keinen Besucher gesehen hatte, immer ein wärmendes Feuer brannte, und kümmerte sich um die Mahlzeiten des geistesabwesenden Gemahls. Doch abends saß sie im Schein einer müde flackernden Kerze in ihrer Kemenate oben im Turm, starrte aus der kleinen Fensterluke in die undurchdringliche Dunkelheit und fragte sich, warum nur ihr Herz so unendlich schwer in ihrer Brust lag…und ob es dort draußen in der großen, weiten Welt noch irgendwo einen edlen Recken gab, der ihr unendliches Sehnen befriedigen, ihr Verlangen erfüllen konnte.
Es war eine weitere dieser langen, einsamen Nächte, als sie mit einem Mal beschloss, ihr elendes Schicksal nicht länger hinzunehmen und einen Boten auszuschicken, der ihr den Ritter ihrer Träume suchen gehen sollte. Sie nahm an ihrem zierlichen Tischchen Platz, warf mit einer energischen Bewegung das schwarz glänzende Haar nach hinten, griff mit entschlossenem Gesicht nach Federkiel und Tinte und begann, in ihrer geschwungenen Handschrift ein Bild ihres Retters zu skizzieren. Groß sollte er sein und stattlich, männlich und bestimmt, mit blauen, strahlenden Augen und wallendem, grauen Haar. Beschützend sollte er sein, vertrauenswürdig und stark, ein Fels in der Brandung, doch voller Leidenschaft, energisch und fordernd, doch genauso auch zärtlich und sanft. Irgendwo würde es einen solchen edlen Recken geben, dessen war sie sich ganz sicher – einen edlen Recken, der von genau derselben Sehnsucht umgetrieben wurde wie sie selbst, der nur darauf wartete, eine traurige, anlehnungsbedürftige, seit ewigen Zeiten vernachlässigte Prinzessin aus ihrer Einsamkeit zu befreien.
Am nächsten Morgen bezog sie schon sehr zeitig auf der obersten Zinne der düsteren Burg Stellung, um nach einem Reiter Ausschau zu halten, der sich ihres sorgfältig zusammengerollten Schriftstücks annehmen würde. Sie musste nicht allzu lange warten, da der Weg zum größten Markt in der Umgebung direkt am Schloss vorbeiführte, und bald sah sie auch schon einen bunt gewandeten Gesandten heranpreschen. Sie eilte die steilen Stufen hinab und erreichte den Reiter, als er sich gerade dazu anschickte, am Burgtor vorbei zu galoppieren.
„Haltet ein, guter Mann, so haltet ein!“
Er zügelte sein schnaubendes Ross und blickte mit freundlichen Augen auf die Prinzessin hinunter.
„Was kann ich für Euch tun, mein edles Fräulein?“
Atemlos vom Laufen sah sie zu ihm auf.
„Seid Ihr des Lesens mächtig, mein Herr?“
„Das bin ich allerdings!“ belustigt lächelte er sie an. „Ich bin ein Gesandter des Königs!“
„Wollt Ihr dann mein Bote sein?“ schüchtern hielt sie ihm die Rolle entgegen. „Wollt Ihr mir helfen, meinen Retter zu finden, den EINEN, der mich glücklich macht?“
Der Reiter sah sie lange und sehr nachdenklich an.
„Das will ich gerne tun.“ meinte er schließlich. „Ein so schönes Frauenzimmer wie Ihr sollte nicht einsam in einem Turm darben müssen.“
„Ich danke Euch!“ seufzte die Prinzessin erleichtert. „Bitte findet mir den edlen Recken, den ich auf diesem Papier sehr ausführlich beschrieben. Bei der nächsten runden Scheibe des Mondes möge er sich auf dem Marktplatz des nahegelegenen Städtchens einfinden, dort werde ich bei der ersten Abenddämmerung seiner harren.“
„So soll es geschehen, mein edles Fräulein!“
Der Reiter verstaute die Botschaft in der Tasche seines Wamses, tippte sich zum Gruß an seine mit einer lustig schwingenden Feder geschmückten Kappe, gab dem Pferd die Sporen und ritt in einer Staubwolke von dannen.
Die Prinzessin aber kehrte in ihre Burg zurück, voll freudiger Erwartung und Hoffnung, und selbst das Lautenspiel ihres Gemahls konnte sie an diesem Tag nicht stören.

Nun, da sie etwas hatte, worauf sie sich freuen konnte und das sie in Aufregung versetzte, schienen die Tage im düsteren Schloss längst nicht mehr so schrecklich und hoffnungslos, und immer öfter stahl sich ein heimliches Lächeln auf das sonst so stoische Gesicht der einsamen Prinzessin. Nacht für Nacht stand sie nun oben auf den Zinnen und beobachtete das sich langsam wandelnde Gesicht des Mondes, und endlich war der große Tag gekommen. Wie eine große, glänzende, perfekt gerundete Silbermünze hing der volle Mond am sternenklaren Himmel, und das Herz des edlen Fräuleins fing wild an zu hämmern. Nur noch wenige Stunden, und ihr Schicksal sollte besiegelt werden, dann würde sie ihrem Retter gegenüber stehen, dem EINEN, der dazu auserkoren war, sie aus ihrer Lethargie zu befreien und der sie glücklich machen würde bis ans Ende aller Tage.
Schon zeitig stand sie auf an diesem Tag, schleppte eimerweise heißes Wasser für ein Bad herbei, gab sogar ein wenig Lavendel hinzu, um ihr frisch gewaschenes Haar zum Duften zu bringen, und legte das schönste Gewand an, das ihre Wäschetruhe hergab. Um ihr edles, bodenlanges Kleid nicht zu beschmutzen, beschloss sie, ihr treues Pferd im Stall zu lassen und den Weg zum Markt zu Fuß zurückzulegen, und mit jedem Schritt, den sie tat, klopfte ihr Herz noch rasender, wurde ihr Mund noch trockener, fühlten sich ihre Knie noch weicher an.
Im letzten Licht des Tages herrschte auf dem großen Marktplatz des nahegelegenen Städtchens nicht mehr allzu viel Betrieb. Die letzten Händler packten ihre Waren zusammen und rollten mit ihren Handkarren und Pferdewagen davon, und es senkte sich eine gespannte Stille. Die Prinzessin hielt sich eng an eine der schmucken Häuserreihen gedrückt und fürchtete sich davor, jeden Augenblick die Besinnung zu verlieren vor Vorfreude und Furcht. Was, wenn er nicht kam, der edle Ritter? Was, wenn er sie seiner für nicht würdig befand? Was, wenn sie ihn IHRER nicht für würdig befand? Die Gedanken flatterten in ihrem Kopf herum wie aufgescheuchte Vögel. Was hatte sie nur getan? War sie gerade dabei, sehenden Auges in ein noch größeres Unglück zu rennen als das, das sie bereits zuhause hatte? Nein, sagte sie sich…auch ich habe das Recht, Leidenschaft zu spüren und geliebt zu werden, und wenn dieser Recke hier mein Schicksal ist, dann sei es!
Die Sonne war fast völlig verblasst, als die Prinzessin einer schattenhaften Bewegung gewahr wurde. Eine düstere Gestalt bewegte sich über den Platz auf sie zu – porzellanweiße Haut, dunkle, lodernde Augen, üppiges, braunes Haar, das bis auf den Rücken herabfiel, ein tiefschwarzer, weit geschnittener Cape-Mantel, dessen Saum wie eine Schleppe über das Kopfsteinpflaster schleifte.
Sie stand nur da und wagte nicht zu atmen – da war er, da kam er, ihr Retter, ihr Ritter in der schimmernden Rüstung!!!
„Gestatten?“ der Fremde deutete eine formelle Verbeugung an. „Ritter zu Düsterstein.“

Kapitel 2

Seine tiefbraunen Augen versenkten sich in ihre grauen, und die Prinzessin war wie vom Donner gerührt. Er war nicht groß, er war nicht stattlich, sein Haar war nicht grau und die Augen nicht blau…doch das, was sie sah, das, was sie SPÜRTE, das übertraf alles, was sie sich jemals hätte wünschen und erträumen können, das war so großartig und so überwältigend, dass sie gar nicht in der Lage gewesen wäre, einen solchen Wunsch in Worte zu fassen.
„Ich bin gewiss nicht der, der den Ihr gesucht habt…“ ergriff der Ritter das Wort. Er sprach mit einer dunklen, wohlklingenden Stimme, die einen kleinen, gefährlichen Unterton barg, der dafür sorgte, dass der Prinzessin die feinen Härchen in ihrem Nacken zu Berge standen.
„Das seid Ihr nicht?“ wagte sie schließlich zu antworten, völlig gebannt von der Erscheinung des Fremden.
„Nein…doch ich bin der, der Euch gefunden hat. Ich bin der, der gut für Euch ist, meine edle Prinzessin.“
„Möglicherweise habe ich ja in einer völlig falschen Richtung gesucht?“ überlegte sie atemlos. „Dann ist unsere Begegnung jetzt wohl Schicksal…“
„Ja, das ist es mit Sicherheit… Ich bin Euer Schicksal, und Ihr seid das meine. Kommt, lasst uns dort drüben in die Schänke gehen, es fällt auf, wenn Ihr auf einem solch öffentlichen Platz zu Fremden sprecht.“
Mit seinen schlanken, feingliedrigen Fingern ergriff der Ritter ihre Hand und zog sie zielstrebig in ein Wirtshaus an der Ecke des Marktplatzes.
„Kennt man Euch dort?“
„Vermutlich nicht.“ Antwortete die Prinzessin erstaunt. „Für gewöhnlich verlasse ich die Burg ja nie, wie sollte mich hier jemand kennen?“
Nichtsdestotrotz erregten die Prinzessin in ihrem edlen Gewand und der dunkle Ritter mit dem düsteren Gesicht und seinem schwarzen, bodenlangen Cape eine Menge unwillkommenes Aufsehen, als sie die Schankstube betraten – zu ungewöhnlich war ein solcher Anblick bei den einfachen Leutchen im Städtchen, zu dominant war die Präsenz des Fremden, zu auffällig das Strahlen in den Augen der edlen Dame.
„Was möchtet Ihr speisen?“ erkundigte sich der Ritter galant und vertiefte seine Augen einmal mehr in den Blick der Prinzessin.
„Speisen?“ sie sah zu ihm auf wie aus einem Traum erwacht. Nie könnte sie in einem solch denkwürdigen, aufregenden Moment an die Aufnahme fester Nahrung denken! „Oh nein danke, nicht für mich…einen heißen Wein vielleicht?“
„Wie Ihr wünscht…“ Mit einer lässigen Handbewegung winkte er die Wirtstochter herbei, die beinah über ihre Röcke stolperte, um den interessanten Fremden schnell genug in Augenschein nehmen zu können. Eine derartige Erscheinung hatte man hier noch nie gesehen…und er sah so GUT aus!!!
„Zwei Becher heißen Gewürzwein!“ orderte er, ohne auch nur für eine Sekunde den Blick von der Prinzessin zu nehmen, die neben ihm auf dem harten Bänkchen saß, von unbekannten Gefühlen eingehüllt wie in einen wärmenden Kokon. Unter den lodernden Augen des edlen Recken drohte sie innerlich zu verglühen. Wie sehr sehnte sie sich mit einem Mal nach der Berührung einer kühlen, weißen Hand, die diesen brennenden Schmerz lindern könnte… Die Prinzessin erschrak fast zu Tode, als sie sich bei einem solchen Gedanken ertappte. Ihr Leben lang war sie immer hübsch distanziert gewesen und hatte emotional die Contenance bewahrt – und jetzt genügten wenige Augenblicke mit einem schönen Fremden, um all die antrainierte Nonchalance wieder über Bord zu werfen? Unwillkürlich rückte sie ein kleines Stückchen von ihm ab, und ebenso unwillkürlich rückte Ritter zu Düsterstein wieder ein Stück nach und platzierte sein in schwarzen, engen Hosen steckendes Knie so dicht an ihrem, dass sie seine Körperwärme spüren konnte. Ihr wurde schwindelig.
Die dampfenden Becher wurden vor ihnen abgestellt, und die dralle Wirtstochter fiel bei ihrem demütigen Knicks beinah vornüber und dem Ritter auf den Schoß. Gleichgültig blickte er sie an und reichte ihr eine Münze zu. „Für deine Bemühungen!“ Das Mädchen wurde rot wie ein Kapaun und stammelte verwirrt: „Aber mein Herr, das ist doch viel zu viel!“ Er wiegelte mit einer lässigen Handbewegung ab. „Das ist schon recht so. Wir möchten jetzt bitte nicht länger gestört werden.“ Die Magd entfernte sich rückwärts zurück in die Stube, und der Ritter führte gedankenverloren das zum Gewürzwein gereichte, süße Gebäck zum Mund. Die Prinzessin betrachtete fasziniert die Lücke zwischen seinen oberen Schneidezähnen, die sich offenbarte, als er in den Kuchen biss. So etwas hatte sie noch nie zuvor gesehen, und sie fand es sehr speziell und attraktiv. Um den Anblick noch ein wenig länger zu genießen, schob sie ihm auch ihr Gebäckstück zu, das er zwar zögernd, aber doch sehr bereitwillig annahm.
„Erzählt mir von Euch!“ bat er schließlich. „Erzählt mir, was in Eurem Leben so schrecklich ist, dass Ihr nach einem Ritter ausschicktet, der Euch erlösen sollte.“
„Schrecklich…schrecklich, das ist wohl das falsche Wort.“ Begann die Prinzessin nachdenklich. „Eigentlich habe ich alles, was ein Mensch sich wünschen könnte – ich habe ein Dach über dem Kopf, bin gesund, mein Tag ist ausgefüllt, so dass ich mich niemals auch nur eine Sekunde langweile, mein Gemahl ist gut zu mir, aber er beachtet mich nicht wirklich. Ich bin einsam…ja genau, das trifft es auf den Punkt! Ich bin so furchtbar, furchtbar einsam.“
„Euer Gemahl beachtet Euch nicht? Das kann ich mir nur sehr schwer vorstellen… Liegt er nachts denn nicht mehr bei Euch?“
Die Prinzessin war ob der Direktheit dieser Frage doch ziemlich überrascht – schickte es sich an, über ein so delikates Thema offen mit einem Fremden zu sprechen? Doch der Blick, den zu Düsterstein ihr zuwarf, war offen, ehrlich und aufrichtig interessiert, als beschloss sie, freimütig zu antworten.
„Nein…schon lange nicht mehr. Er ist ein wenig, wie soll ich es sagen…UNLEBENDIG.“
Der Ritter nickte bedächtig. „Unlebendig? Ja…ist das Feuer erst einmal erloschen, ist es schwer, die Flammen neu zu entfachen.“
„Ihr sprecht, als hörtet Ihr nicht zum ersten Mal von einem solchen Vorkommnis?“
„Nein, werte Prinzessin…auch ich hatte einst ein edles Fräulein an meiner Seite, und im Lauf der Jahre erkaltete das Feuer auch da.“ Sein Blick schweifte für einen Moment in die Ferne, und in ihr brodelte etwas, das sie ungläubig als Eifersucht identifizierte. Stand ihr das denn an, auf ein unbekanntes Edelfräulein eifersüchtig zu sein? Der Mann war schließlich nicht ihr Eigentum!
„Was ist aus ihr geworden?“ fragte sie schließlich atemlos. Täuschte sie sich, oder spielte da ein Lächeln der Belustigung um seinen schönen Mund?
„Fräulein Adele? Sie lebt nach wie vor auf meiner Burg, doch sie ist wie eine Schwester für mich geworden. Im Übrigen hat sie mittlerweile einen neuen Galan, der ihr den Hof macht…er hat gerade erst ein paar Tage bei uns verbracht, ein angenehmer, ruhiger Mensch.“
„Und das macht Euch so gar nichts aus? Weiter mit ihr unter einem Dach zu leben, und dann den neuen Liebhaber zu ertragen?“ „Nein.“ Sagte er mit fester Stimme. „Hat man einmal mit den Gefühlen abgeschlossen, ist es eigentlich ganz leicht.“ „Und das kann man? Einfach so mit den Gefühlen abschließen?“ Die Prinzessin konnte es selbst nicht glauben, wie unverschämt sie den Fremden soeben aushorchte, aber irgendetwas an ihm zog sie so sehr in seinen Bann, dass sie am liebsten in ihn hineingekrochen wäre, trotz all der Düsternis und Melancholie, die er ausstrahlte. Oder vielleicht gerade deswegen…?!
„Ja, das kann man.“ Das Knie des Ritters berührte ganz kurz das ihre, wie zufällig. „Zumal es meine eigene Schuld war, dass diese Liebe zerbrach.“
„Ohhh…möchtet Ihr darüber reden?“
„Ich habe beschlossen, von Anfang an ehrlich und aufrichtig zu Euch zu sein, meine edle Dame. Ich werde mit nichts hinterm Berg halten, Euch aber auch keine falschen Versprechungen und Hoffnungen machen. Meine Liebe zerbrach, weil ich mich in ein anderes Fräulein verliebte – zumindest glaubte ich es – und mit ihr das Bett teilte. Meine Gefährtin fand eine Depesche, die ich gerade an die Nebenbuhlerin versenden wollte…da half alles Leugnen nichts. Ich habe Adele einer kleinen Laune geopfert…und war bereit, mit den schrecklichen Folgen zu leben. Doch eines schwor ich mir – niemals wieder werde ich einem anderen Menschen so wehtun!“
Die Prinzessin hing wie gebannt an seinen Lippen. „Das bedeutet, Ihr werdet die nächste Frau, die Ihr liebt, niemals betrügen oder verlassen?“
„Nein, mein edles Fräulein, genau das heißt es NICHT…ich habe mir geschworen, mich niemals wieder zu verlieben.“

Kapitel 3

Das Blut gefror in ihren Adern bei der Bestimmtheit seiner Worte, und als sie langsam zu realisieren begann, was das eigentlich für sie bedeutete, fiel der wärmende Kokon, der sie eben noch schützend umhüllt hatte, wie ein zu groß gewordener Mantel von ihr ab. Seine dunklen Augen fixierten sie, beobachteten das Mienenspiel, das auf ihrem schönen Gesicht zwischen Unverständnis und Verleugnen des eben Gehörten hin- und her zu schwanken schien.
„Aber…wie kann man sich denn so etwas schwören, edler Ritter? Gefühle brechen doch einfach so über einen herein, dagegen ist man doch vollkommen machtlos!“
„Das stimmt so nicht, meine Prinzessin… Es kommt doch auch darauf an, bis zu welchem Punkt man bereit ist, Gefühle zuzulassen, sich auf jemanden anders einzulassen. Wenn das zu viel wird, dann gehe ich.“
„Dann GEHT Ihr? Einfach so?“
„Einfach so…ehe ich nochmal jemandem Schmerz zufüge, ehe MIR jemand Schmerz zufügen kann.“
Ihr Herz hämmerte bis zum Hals hinauf, und sie hatte das Gefühl, in ihrem Kopf sei ein Hamster in seinem Rad gefangen. War sie nicht ihrem Elfenbeinturm entflohen, um von jemandem errettet zu werden, der sie lieben und auf Händen tragen würde bis ans Ende aller Tage? Und jetzt erklärte ihr dieser düstere, in tiefster Seele offenbar genauso unglückliche und verletzte Ritter, er würde sich für den Rest seines Lebens gegen das Gefühl der Liebe sperren, mit aller Macht, die er besäße? Oh nein…so war das doch nicht geplant gewesen!
„Aber…warum seid Ihr dann hier?“ ihre Stimme war kaum mehr als ein entmutigtes Flüstern. „Warum seid Ihr dann gekommen? Doch nicht wirklich um meinetwillen?“
„Doch, mein edles Fräulein…um Euch zu zeigen, dass Euer Leben nicht von einem Ritter abhängt, der Euch auf sein Pferd setzt und mit Euch in den Sonnenuntergang davon reitet, sondern allein von EUCH und davon, was Ihr aus diesem Leben macht.“
Die Prinzessin ahnte dunkel, was er ihr damit sagen wollte, wusste in ihrem tiefsten Innern auch, wie recht der Fremde damit hatte…doch wenn sie ehrlich war, wollte sie es gar nicht wahrhaben, wünschte sie sich nichts sehnlicher als einen Ritter, der sie auf sein Pferd hob und mit ihr von dannen ritt. Um nicht antworten zu müssen, senkte sie den Kopf und nippte entmutigt an ihrem mittlerweile völlig kalten Wein.
„Noch etwas möchte ich Euch zeigen.“ Sanft legte zu Düsterstein seine Finger unter ihr Kinn und hob es an, so dass sie nicht umhin kam, ihm in seine nunmehr fast liebevollen Augen zu sehen.
„Ja?“ gefangen in seinem Blick, kämpfte sie die aufsteigenden Tränen hinunter.
„Ich möchte Zeit mit Euch verbringen, meine Prinzessin. Wenn ich Zeit mit jemandem verbringen möchte, dann tue ich das aus freien Stücken, weil ich es genieße, mit diesem anderen zusammen zu sein. Jede Minute dieser Zeit wird Euch gehören, und Ihr werdet niemals auch nur den leisesten Zweifel haben, dass ich bei Euch bleibe, weil ich es MÖCHTE, nicht, weil ich es MUSS. Denn das ist es doch, was die meisten Menschen unter ‚Liebe‘ verstehen…Tag und Nacht mit ein und demselben Jemand zusammen sein zu MÜSSEN, weil es sich irgendwann einfach so ergeben hat.“
Der Prinzessin gefiel, was er da sagte, doch sie verstand auch, was er NICHT sagte.
„Doch das alles hat nur eine ganz bestimmte Zeit, nicht wahr? Wenn Ihr an den Punkt gelangt seid, an dem es sich anfühlt, als hätte sich unser Zusammensein irgendwie ERGEBEN, dann werdet Ihr gehen, ohne Euch noch einmal nach mir umzudrehen.“ Sie schluckte an dem immensen Kloß, der sich in ihrem Hals breitzumachen versuchte.
Der Ritter blickte ihr wissend in die Augen, strich sanft mit seinen schlanken Fingern ihre Wange entlang.
„Ihr seid sehr klug…das sah ich bereits an der bestimmten Art, in der Ihr Eure Wünsche formuliert hattet. Dann seid Ihr sicher auch klug genug, dieses besondere Geschenk, das das Leben hier für uns beide bereithält, nicht mit beiden Händen von Euch zu weisen.“
„Ihr wollt damit sagen, ich soll mich in Euch fallenlassen, in der sicheren Gewissheit, nicht von Euch aufgefangen zu werden?“ In ihr machte sich endlose Enttäuschung breit. Er hatte sie bereits so sehr in seinen Bann gezogen…aber konnte und wollte sie sich mit derart abstrakten, halben Sachen abspeisen lassen, wo sie sich doch nach einer starken Schulter zum Anlehnen sehnte, nach einem edlen Recken, der ihr all den Kummer und all die Sorgen nahm?
„So habe ich das niemals gesagt…“ schmunzelte der Edelmann. „Was ich Euch vielmehr fragen möchte – ist ein gewisser Zeitraum überschäumenden, nahezu unerträglichen Glücks es nicht wert, einen hohen Preis dafür zu zahlen? Ist es nicht besser, das Glück gekannt, genossen und verloren zu haben, als diese Erfahrung zu versäumen, stattdessen immer im gleichen Trott weiterzuleben? Ihr sehnt Euch doch nach Leidenschaft, meine Prinzessin, das sagt mir das Feuer in Euren strahlenden Augen…ergreift die Gelegenheit doch beim Schopfe, wer weiß, ob Euch das Schicksal noch einmal eine solche bietet!“
Während er sprach, rückte der Ritter immer näher an sie heran, drückte sein Knie an das ihre mit solcher Vehemenz, dass sie nicht länger an einen Zufall glauben konnte. Wie Blitze schoss es durch ihren Körper, ein Gefühl, das sie so noch nie gekannt…sie fürchtete tatsächlich, im nächsten Moment in Ohnmacht zu sinken. Was der Fremde da sagte, klang so schön und verlockend, nahezu unwiderstehlich…sie fühlte sich so sehr zu ihm hingezogen, wollte seine Arme um sich spüren, ihren Kopf an seine Schulter betten, den Duft seiner wundervollen Haare atmen, seine sensiblen Lippen schmecken. Doch war das, worauf sie sich da einließ, nicht ein Pakt mit dem Teufel? Verkaufte sie nicht ihre Seele für ein bisschen Glück?
Als hätte er ihre Gedanken erraten, zog zu Düsterstein sie unvermittelt in seine starken Arme. „Ich fühle mich so zu Euch hingezogen, meine Prinzessin…darf ich Euch ein wenig halten?“ Der Rest der Schankstube versank mit einem Mal im süßen Nirgendwo, und obwohl sie sich eigentlich wehren wollte, fand sie sich plötzlich an der Schulter des Ritters wieder, das Gesicht tief in seinem wallenden Haar vergraben, das genauso wundervoll duftete, wie sie es sich vorgestellt hatte. Jeglicher Widerstand schmolz dahin, alles, was sie noch wollte, war bei ihm zu sein.
„Ich bin bereit, den Preis zu zahlen!“ flüsterte sie, doch er hatte sie gar nicht gehört…er hielt sie nur fest und war für einen Augenblick gefangen in seiner eigenen, so gefährlichen Glückseligkeit.
Der Moment schien ewig zu dauern, und wäre es nach der Prinzessin gegangen, hätte er auch niemals enden müssen, doch es war der Edelmann, der als erstes wieder zur Besinnung kam. „Dies hier ist kein guter Ort!“ bemerkte er mit rauer Stimme. „Ihr dürft über all dem nicht vergessen, dass Ihr einen Gemahl habt, der zuhause auf Euch wartet. Ihn dürft Ihr niemals verletzen, hört Ihr? Er darf es niemals erfahren.“
„Er wird es niemals erfahren.“ Die Stimme der Prinzessin klang ebenso rau wie die des Ritters. „Doch Ihr habt recht, lasst uns gehen!“
Ihr zitterten so die Knie, dass sie Schwierigkeiten hatte, eigenständig die Tür der Schänke zu erreichen. Draußen bot zu Düsterstein ihr galant den Arm. „Im Schutz der Dunkelheit sollte es uns möglich sein, noch ein wenig zu flanieren, was meint Ihr, meine Prinzessin?“ „Oh ja, das ist ein wundervoller Einfall!“ dankbar nahm sie seinen Arm und fühlte sich gleich wieder trittsicher. „Wann werdet Ihr denn auf Eurer Burg erwartet?“ „Nicht vor dem neunten Glockenschlag.“ Der Ritter strahlte. „Dann können wir sogar ganz ausgedehnt spazieren gehen!“
Die Prinzessin wurde geradezu überrollt von Gefühlen, als sie da am Arm ihres dunklen Gefährten durch die einst so vertrauten Straßen und Gassen des Städtchens schritt, als sähe sie das alles zum allerersten Mal…sie sah es mit SEINEN Augen, fühlte mit SEINEM Herzen, und es war irgendwie warm und richtig.
„Ich weiß nicht, was es ist…“ brach sie das Schweigen schließlich. „Doch ich fühle mich in Eurer Gegenwart so wohl, so sicher! Irgendwie so gut aufgehoben, als könnte mir nie wieder auch nur das geringste Leid geschehen.“ Der Ritter blieb stehen und blickte sie an, mit strahlenden Augen und ehrlichem Lächeln. „Genau so muss es sich anfühlen! Ich möchte, dass Ihr glücklich seid…“ und damit nahm er ihre Hand in die seine, und ihre Finger verschlangen sich ineinander, als wären sie seit Jahr und Tag schon so miteinander spazieren gegangen.
Trotz der nunmehr doch recht fortgeschrittenen Stunde waren doch noch einige Menschen unterwegs – brave Handwerker, die von der Arbeit nach Hause zurückkehrten, Tagediebe und Taugenichtse, die sich in dunklen Ecken herumdrückten oder auf dem Weg zur nächsten Schänke waren, der Nachtwächter, der die Laternen anzündete und mit seinem Gesang verkündete, dass es acht Uhr geschlagen habe…weit mehr Trubel, als dass sich die Prinzessin und ihr Ritter wirklich unbeobachtet und sicher gefühlt hätten.
„Kennt Ihr nicht einen etwas weniger öffentlichen Ort?“ erkundigte sich zu Düsterstein und zog sie noch ein wenig dichter an sich heran. Sie wusste, dass sich das, was sie gleich vorschlagen würde, absolut nicht schickte, nicht für eine Bürgerliche und schon gar nicht für eine edle Dame, doch sie hatte den Mund schon aufgemacht, ehe sie überhaupt einen klaren Gedanken fassen konnte. Sie wollte mit ihm allein sein, sie wollte es so sehr…Leise klang seine Warnung noch in seinen Ohren – „Ich werde mich niemals mehr verlieben!“ -, doch sie schlug sie in den Wind, wollte später daran denken, nur nicht jetzt. Jetzt wollte sie nur leben, genießen, bei ihm sein! „Lasst uns doch zum Fluss hinuntergehen!“ hörte sie sich sagen, und er drückte verschwörerisch ihre Hand, die noch immer fest umschlossen in der seinen lag.
Der Fluss lag dunkel in seinem Bett, nur spärlich von den Laternen am anderen Ufer beleuchtet, und die Tauben krächzten verschlafen in ihren verstreut aufgestellten Schlägen, da sie sich von den beiden Eindringlingen in ihrer Nachtruhe gestört fühlten. Ein kleiner Pfad führte direkt am Wasser entlang, immer wieder unterbrochen von kleinen, wie zufällig in die Landschaft gesetzten Bänkchen. Hand in Hand schritten sie dahin, immer der Nähe des anderen bewusst, in der sicheren Gewissheit, vom Gegenüber verstanden und bei ihm gut aufgehoben zu sein, zumindest in dieser einen Nacht DAHEIM zu sein.
„Wollt Ihr Euch nicht setzen?“ der Ritter deutete auf eine Bank direkt am Ufer. Atemlos ließ sich die Prinzessin nieder, zog ihren dunklen Gefährten mit sich hinunter, so dass sie einander schräg gegenüber zu Sitzen kamen. „Was ist das nur…“ murmelte er und schüttelte entgeistert den Kopf. „Was macht Ihr nur mit mir?“ „Ich weiß es nicht…“ sie lächelte entrückt. „Es fühlt sich an, als würde jeden Augenblick der Blitz einschlagen, findet Ihr nicht auch? Sogar die Luft riecht danach!“ „Da habt Ihr allerdings Recht!“ „Es fühlt sich gut an…“ hauchte sie. „Und irgendwie RICHTIG, obwohl wir beide wissen, dass es das eigentlich nicht ist, nicht sein DARF…“ „Doch, das darf es.“ Flüsterte zu Düsterstein. „Ihr ahnt nicht, wie sehr Eure Augen strahlen…“ „Sie strahlen so, weil Ihr mich glücklich macht, mein Ritter!“ „Ich will, dass Ihr glücklich seid, IMMER sollt Ihr glücklich sein!“ Er nahm beide ihrer Hände in die seinen, sah sie lange, sehr lange an. Dann nahm er sie zärtlich in die Arme, zog sie ganz nah an sich heran…und so verharrten sie eine Weile, Nasenspitze an Nasenspitze, spürten die Haut des anderen und spürten sie doch nicht, nahmen den ersten, vagen Geruch des nun nicht mehr so Fremden in sich auf, sahen sich tief in die Augen bis ganz hinunter auf den Grund ihrer Seele. Und dann, als es nicht länger zu ertragen war, kamen sie sich noch ein kleines Stückchen näher, schlossen die Augen und gaben sich einen ersten, zaghaften Kuss. Es war ein Kuss, wie ihn die Prinzessin und wohl auch ihr Ritter noch nie zuvor erlebt hatten…er war keusch, so wie ein Kuss, den Kinder sich geben, die Lippen gespitzt, ein winziger Moment nur…doch anstelle sich wieder voneinander zu lösen, ließen sie ihre Lippen auf denen des anderen, genossen das unendliche Gefühl, das sie auf einmal miteinander verband, und begannen ganz langsam, den anderen zu erforschen. Die Prinzessin öffnete ihre Lippen ein wenig weiter, der Ritter tat es ihr nach, sie zitterten, sie klammerten sich aneinander wie zwei Ertrinkende, und dann küssten sie sich endlich, wie es die Welt zuvor noch nie gesehen hatte und auch niemals mehr zu sehen bekommen würde, ein Kuss voll Freundschaft, Liebe, Verlangen und Verlust, und es war als würde er niemals wieder enden.
„Ich habe Euch so lieb gewonnen!“ stammelte der Ritter überwältigt. Es sollte das einzige Mal sein, dass die Prinzessin die Worte aus seinem Mund hören sollte, die er doch so fürchtete und die eigentlich schon jetzt das Ende bedeutet hätten…doch sie lehnte sich nur an ihn, tat so, als hätte sie ihn nicht gehört, und antwortete stumm: „Ich habe Euch auch lieb gewonnen, mein edler Recke!“
Aus weiter Ferne hörten sie den Nachtwächter neun Uhr ausrufen, und die Prinzessin erschrak fürchterlich. „Wie konnte ich nur so die Zeit vergessen!“ Zu Düsterstein nahm sie in seine Arme, zog sie ganz dicht an sich und verschloss ihr die Lippen mit einem weiteren hungrigen Kuss. „SO konntet Ihr die Zeit vergessen, meine süße Prinzessin!“ Glücklich blickte sie in seine warmen, braunen Augen und lächelte. „Ihr lasst mich ALLES vergessen, mein dunkler Ritter…doch wenn ich jetzt nicht bald nach Hause gehe, dann wird das unser letztes Treffen gewesen sein.“ „Oh nein, sagt so etwas nicht!“ erschrocken zog der Edelmann sie in die Höhe. „Ich MUSS Euch wiedersehen, am liebsten morgen schon! Doch damit Ihr nicht in Schwierigkeiten kommt, lasst mich Euch nach Hause bringen.“
Eng umschlungen und völlig in ihrer eigenen Welt machten sie sich auf den Weg zurück in das Städtchen, wo der Ritter sein Pferd unweit des Marktplatzes in einem Stall untergebracht hatte. Es war ein edles, dunkles Ross, das seinen Herrn mit freundlichem Schnauben begrüßte und selbst dann geduldig stehenblieb, als er die Prinzessin vor sich in den Sattel hievte. Er warf dem Knecht eine großzügig bemessene Münze zu, drückte die Hacken seiner schwarz glänzenden Stiefel in die Flanken des vornehmen Tieres und preschte mit seiner kostbaren Fracht davon, erschüttert von dem Gedanken, sie wieder gehen lassen zu müssen.

Kapitel 4

Ein letzter, langer Kuss voll Leidenschaft und Begehren, und die Prinzessin fand sich allein vor dem Burgtor wieder, mit klopfendem Herzen und dem Gefühl, recht unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt zu sein. Eben noch war sie so von Glück erfüllt gewesen, dass sie es mit der ganzen Welt hätte aufnehmen können, doch jetzt musste sie der Realität wieder ins Auge sehen und in ihr eigentliches Leben zurückkehren. Wie sollte das nur möglich sein, nach diesem Rausch des Verlangens, diesem Verstanden-werden und sich Aufgehoben-fühlen? Wie sollte sie auch nur im Entferntesten dazu in der Lage sein, auch nur eine STUNDE ohne ihren dunklen Gefährten zu leben? Wie sollte sie dem lethargischen Gemahl begegnen, ohne dass er ihr auf den ersten Blick ansah, wie sehr sie sich in den anderen verliebt hatte? Bange schlich sie sich in die große Kaminhalle und fand den Gatten völlig in sich selbst versunken am Feuer vor, an seiner Laute zupfend und sinnend in die Flammen starrend.
„Ah, da seid Ihr ja, meine Prinzessin!“ er blickte nicht einmal auf. „Ein schöner Teller heißer Suppe wäre jetzt genau das Richtige, meint Ihr nicht?“
Sie glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen…wie konnte er nur so banal daherreden, nach all den bedeutungsvollen und anregenden Gesprächen, die sie eben noch mit dem Ritter geführt hatte? Der sie für klug gehalten hatte und der Meinung gewesen war, sie wäre es wert, gehört zu werden? Aber er SIEHT mich ja nicht mal, dachte sie mit bitterem Blick auf ihren Gemahl, deutete einen Knicks an und erwiderte betont beschwingt: „Aber selbstverständlich, mein Prinz! Eine Suppe wäre jetzt ganz wundervoll, es ist wieder ordentlich kalt geworden. Ihr entschuldigt mich? Ich werde in die Küche gehen und Euch etwas zurechtmachen.“ Doch er hatte sie gar nicht mehr gehört, zu sehr vertieft war er schon wieder in das Spiel seiner Laute.
Als sie in dieser Nacht in ihrer Kemenate saß und aus dem kleinen Fenster hinaus ins Dunkle starrte, schienen ihr die Ereignisse des Abends auf einmal wie ein Traum…viel zu schön war die Begegnung mit dem dunklen Edelmann gewesen, viel zu tief hatte sich der Blick seiner lodernden Augen in ihr so endlos bedürftiges Herz gebrannt, viel zu süß hatte sich sein zarter Kuss auf ihren Lippen angefühlt, viel zu geborgen hatte sie in seinem starken Arm gelegen. Wie sollte ein solcher Moment tatsächlich WIRKLICH sein, wie ein solcher Moment wiederholbar? Und hatte sich der Ritter nicht selbst in Widersprüche verheddert, als er ihr seine Liebe gestand? Nein, nicht daran denken! Schalt sie sich. Möglicherweise habe ich ihn auch einfach nur falsch verstanden…NIEMAND wehrt sich gegen ein Gefühl, das so unendlich groß ist, NIEMAND wirft ein solches Glück über Bord wegen eines so dummen Paktes mit sich selbst. Er LIEBT mich, das spüre ich…seine Augen, seine Lippen, seine Hände, ja, auch seine Worte sagen es! Ich will ganz zuversichtlich sein und auf das Schicksal hoffen…und dann werden wir gemeinsam glücklich leben bis ans Ende aller Tage!

Schon zeitig am nächsten Morgen erklomm die Prinzessin erneut den Turm, um nach einem Reiter mit einer Depesche Ausschau zu halten. Ritter zu Düsterstein hatte versprochen, ihr eine Nachricht ob ihrer nächsten Begegnung zukommen zu lassen, und sie hatte vor Aufregung die ganze Nacht kein Auge zugetan. Er wollte sie wiedersehen, das stand fest, er hatte es ihr mit aufrichtigen Worten zugesichert… Doch je länger sie dort oben auf den Zinnen stand, desto größer wurden ihre Zweifel und ihre Angst. Was sie am Abend zuvor noch lässig hatte abstreifen können wie einen zu warmen Mantel, das schnürte ihr jetzt unaufhaltsam die Kehle zu. „Ich werde mich nie wieder verlieben!“ Wie ein endloses Echo hallte dieses unheilvolle Versprechen in ihr nach, und eine kleine, skeptische Stimme in ihr fragte sie, worauf die Romanze mit dem dunklen Edlen nun eigentlich hinauslaufen sollte. Er wollte sich nicht mehr verlieben, das bedeutete, er würde sie fallen lassen, und zwar eher früher als später, sie würde nicht an seiner Seite glücklich auf Burg Düsterstein leben bis ans Ende aller Tage…und genau DAS wünschte sie sich eigentlich, wenn sie ganz tief in sich hineinhorchte. Er sollte sie in seine Arme nehmen, sie auf sein Pferd setzen und ihrem alten Dasein entreißen, sie einfach entführen und ihr ein Leben zeigen, das so voller Liebe war, Leidenschaft und gegenseitigem Respekt. Die kleine, skeptische Stimme kicherte böse und sagte ihr deutlich, dass dies für immer ein Wunschtraum bleiben würde, doch die Prinzessin wollte es nicht hören. „Noch nicht!“ flehte sie. „Lass mich das Glück, das eben erst begonnen hat, doch einfach noch ein Weilchen genießen!“ Und als die Stimme eben ausholen wollte, um sie erneut zu warnen, kam ein Bote heran geritten und verlangte nach dem edlen Fräulein.
Ihre Finger zitterten so sehr, dass sie die Depesche nur unter größten Mühen öffnen konnte. Ihr Herz hämmerte so schwer in ihrer Brust, dass sie fürchtete, keine Luft mehr zu bekommen, und ihr Mund war so trocken, als hätte er seit Tagen kein Wasser gesehen. Mit bebendem Körper lehnte sie sich gegen das von der wärmenden Frühlingssonne beschienene Gemäuer und schloss für einen Moment die Augen, ehe sie das Geschriebene las. Was, wenn er sie doch nicht für würdig befunden, wenn diese Worte hier seine letzten waren…?
„Meine süße Prinzessin…“ schrieb er, und sie ließ sich mit leisem Stöhnen auf die grob gehauenen Stufen des Treppenaufgangs sinken. Das klang nicht nach letzten Worten!
„Meine süße Prinzessin, Ihr ahnt nicht, welch Glück und welch Freude Ihr mir mit unserer gestrigen Begegnung bereitet habt. Ihr seid wundervoll, und allein in Eurer Nähe zu sein bedeutet mir alles. Nichts wünschte ich mir mehr, als Euch jetzt in meinen Armen zu halten… Ich verzehre mich nach Euch, ich schmachte Euch an!“ Sie drückte die Nachricht an ihre Brust und stieß einen glückseligen Seufzer aus. Er SCHMACHTETE sie an! Noch nie zuvor hatte ein Edelmann solch schöne, poetische Worte für sie gefunden…er schmachtete!!! Begierig las sie zu Ende. „Darum lasst mich nicht länger darben, erweist mir die Ehre und findet Euch morgen im letzten Licht des Tages am Park des Luisenschlosses ein…ich werde auf Euch warten. Auf ewig der Eure…zu Düsterstein.“
MORGEN SCHON!!! Morgen schon würde sie ihn wiedersehen, dem wundervollen Klang seiner Stimme lauschen dürfen, den Wind in seinen Haaren riechen, seine Lippen auf den ihren spüren, seine starken Arme, die sie hielten…oh, wenn es doch schon morgen wäre!!! All die düsteren Gedanken, die sie eben noch so gequält hatten, waren mit einem Mal vergessen.

Kapitel 5

Noch nie waren der Prinzessin zwei Tage so unendlich lang vorgekommen. In völliger Geistesabwesenheit verrichtete sie ihr Tagwerk, machte höfliche Konversation mit ihrem Gemahl, der selbst während der gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten noch nach seiner Laute schielte, und sie war nahezu erleichtert, als er ihr eröffnete, am nächsten Abend einen befreundeten Edelmann besuchen zu wollen, der seine Leidenschaft für Musik teilte und ihm einige besonders erlesene Instrumente zeigen wollte. Sie würde die wertvollen Stunden mit ihrem dunklen Gefährten vollkommen entspannt genießen können!
Dennoch war die Sonne bereits untergegangen, als sie an jenem stürmischen Abend völlig atemlos, mit rasendem Herzen und verwehtem Haar am Eingang des Schlossparks eintraf. Eine ihrer ehemaligen Hofdamen, die ihr unterwegs begegnet war, hatte sie scheinbar endlos aufgehalten, doch die Höflichkeit hatte es geboten, sie nicht einfach stehenzulassen, sondern sich eine angemessene Weile mit ihr zu unterhalten. Was, wenn der edle Ritter die Geduld verloren hatte, was, wenn sie ihm des Wartens nicht wert war? Und was, wenn er gar dachte, sie käme nicht, hätte seine Nachricht nicht erhalten? Was, wenn er dachte, sie wollte ihn nicht wiedersehen? Obwohl sie schon beinahe rannte, beschleunigte sie ihre Schritte noch ein bisschen mehr. Oh mein Gott, wenn er nun nicht mehr da wäre…
Doch er WAR da, stand mit stoischem Gesicht neben dem wuchtigen, schmiedeeisernen Tor, das lange, wellige Haar vom Wind zerzaust, und sah ihr mit stummem Lächeln und leuchtenden Augen entgegen. Die Prinzessin verlangsamte ihre Schritte so abrupt, dass sie beinahe gegen ihn geprallt wäre. „Ihr seid noch da, mein edler Ritter…“ ihre Stimme überschlug sich fast vor Erleichterung. „Ich hatte solche Angst, Ihr wäret des Wartens müde geworden!“ „Aber meine Prinzessin, wo denkt Ihr denn hin!“ lächelte er sanft. „Ich habe vielleicht ein halbes Stundenglas gewartet.“ „Ein halbes Stundenglas?“ sie war vollkommen überwältigt, dass jemand tatsächlich so lange ihrer zu harren bereit war…und endlos beschämt ob ihrer Verspätung. „Mein süßes Fräulein…“ sanft hob er ihr Kinn an und sah es in ihren Augen feucht schimmern. „…für Euch hätte ich auch ein volles Stundenglas gewartet!“
Den Kragen des schwarzen, bodenlangen Capes hochgeschlagen, das weiße, makellose Gesicht von einer Wolke dunklen Haars umrahmt, nahm er die Hände der Prinzessin in die seinen und zog sie dicht an seine breite, muskulöse Brust. Mit einem Seufzen ließ sie sich gegen ihn sinken und spürte, wie starke, männliche Arme sie hielten. Als sie zu ihm aufblickte, loderte in seinen braunen Augen ein solches Feuer, dass ihr für einen Moment der Atem stockte und sie sich unwillkürlich an ein Wesen aus einer anderen Welt erinnert fühlte.
„Nun gebt mir einen Kuss, meine Prinzessin…“
Und obwohl sie ihn zwei Nächte vorher doch schon mit so viel Leidenschaft geküsst, spürte sie für einen Augenblick wieder einen Anflug von Scheu, ein Kribbeln, das ihren ganzen Körper in Aufruhr versetzte…ein ganz und gar köstliches Gefühl unaussprechlichen Glücks, als seine kühlen, zarten Lippen die ihren berührten, erst keusch, zart wie ein Windhauch, dann immer verlangender, fordernder, bis seine Zunge sich forschend ihren Weg bahnte und ihr beinah die Knie wegbrachen. „Was…was tut Ihr da?“ stammelte sie überwältigt. Nie zuvor hatte sich ihr ein Mann auf solche Weise genähert. „Es gefällt Euch doch, meine Prinzessin…das spüre ich.“ Sie klammerte sich an ihn, um besseren Halt zu finden, vergrub die Finger in seinem langen, dichten Haar, reckte ihm erneut ihr Gesicht entgegen und flüsterte heiser: „Oh ja…“
Er reichte ihr seinen Arm, deutete mit dem Kinn in Richtung Park und fragte: „Wollt Ihr spazieren gehen? Oder schrecken Euch das kühle Wetter und der stürmische Wind?“ Sie schmiegte sich eng an seine Seite, griff nach seiner Hand und strahlte. „Mit Euch an meiner Seite kann nichts und niemand mich mehr schrecken, mein dunkler Ritter. Bin ich bei Euch, dann fühlt es sich, als könnte ich es mit der ganzen Welt aufnehmen!“ Er lächelte sie an und küsste sie sanft. „Genau so soll es sein, meine Prinzessin…Ihr dürft Euch völlig sicher fühlen. Lasst Euch einfach fallen und seid gewiss, Ihr werdet aufgefangen werden.“ Und sie zweifelte nicht eine Sekunde, genoss ganz einfach nur dieses neue, wunderbar warme Gefühl, das seine liebevollen Worte in ihr erzeugten.
„Wir machen ein Spiel, was haltet Ihr davon?“ übermütig grinste zu Düsterstein sie an und vollführte eine tollkühne Drehung, bei dem sich sein schwarzer Mantel so schwindelerregend um ihn bauschte, dass er aussah wie eine Fledermaus. Angesteckt von seinem Überschwang, grinste sie zurück und nickte gespannt. „Was habt Ihr denn für ein Spiel im Sinn?“ Er nahm ihre Hand und begann, die Bäume entlang des Weges abzuzählen. „Eins, zwei, drei…bei jedem dritten Baum ein Kuss, was haltet Ihr davon?“ Die Prinzessin kicherte ausgelassen. „Wisst Ihr eigentlich, wie endlos viele Bäume dieser Park zu bieten hat, mein edler Recke?“ „Eben drum…“ Atemlos sank sie in seine Arme, spürte seine Lippen, erst heiß und fordernd auf den ihren, dann weiter abwärts wandernd. Sie warf mit leisem Stöhnen den Kopf in den Nacken, ließ ihn die so empfindliche Stelle hinter den Ohren erforschen, ehe sein Mund ihre Halsbeuge abwärts wanderte und er sie sanft zu beißen begann. Ihr wurde es heiß und kalt bei seinen Liebkosungen, und sie hatte Angst, die Sinne würden ihr schwinden. „Tut das nicht!“ seufzte sie. „Ich falle in Ohnmacht!“ Der Ritter hielt sie sofort ein wenig fester, grub abermals seine perfekten, weißen Zähne in ihren Hals und murmelte zärtlich: „Nicht in Ohnmacht fallen, meine Prinzessin…hier sind noch so viele Bäume, die nur auf uns gewartet haben!“
Sie hatten irgendwann aufgehört, die Bäume zu zählen, standen einfach nur da, so eng es nur irgend möglich war, hielten sich, küssten sich hungrig und versuchten, soviel des Anderen zu erforschen, wie unter den sperrigen Umhängen möglich war. „Ihr bringt mich in wirklich große Schwierigkeiten…“ stöhnte zu Düsterstein und schob sie für einen Augenblick von sich weg, nur, um sie daraufhin noch dichter an sich zu ziehen. Die Prinzessin, die sehr wohl spürte, in welche Art Schwierigkeiten sie den Gefährten brachte, traute ihren Ohren nicht, als sie sich selbst mit fester Stimme sagen hörte: „Dann lasst uns ein einsam stehendes Bänkchen finden, ehe wir uns hier vor anderen Flanierenden kompromittieren!“ Er riss sie an sich und küsste sie hart. „Ihr habt Recht, lasst uns gehen…“
Die Suche nach dem so dringend benötigten Bänkchen gestaltete sich schwieriger als erwartet, da es im Park mittlerweile stockfinster war, ihnen kaum ein Licht zur Orientierung diente, sie den großen Wasserflächen ausweichen mussten, von denen ab und an das verschlafene Quaken einer Ente zu ihnen herüber drang, und sie bis zu den Knöcheln im weichen Boden einsanken, wenn sie in der Dunkelheit vom rechten Wege abkamen. „Mich dünkt, wir sind im Kreis gelaufen!“ mutmaßte der Ritter, als sie zum zweiten Mal am Turm des Luisenschlosses vorbeikamen. „Allerdings…“ lächelte die Prinzessin. „Ihr habt mich ein ums andre Mal auf Abwege geführt!“ „Oh, ich fürchte, wir haben hier schon wieder drei Bäume übersehen…“ gab zu Düsterstein ihr zu Antwort, und wäre es nicht so schrecklich kalt und stürmisch gewesen, sie hätten sich vermutlich an Ort und Stelle vergessen.
Nach einem Kuss, der an Leidenschaft durch nichts in der Geschichte der Menschheit zu überbieten gewesen wäre, blickten sie träumerisch zum Turm hoch, der im Licht des nun wieder abnehmenden Mondes wie überzuckert wirkte. „Er ist wunderschön, nicht wahr?“ fragte die Prinzessin, und der Ritter zog unbehaglich die Schultern hoch. „Er ist hoch.“ „Er ist HOCH? Natürlich ist er das, es ist ein Turm!“ „Ich fühle mich verunsichert in großer Höhe.“ Gestand der Edelmann offen und blickte seine Gefährtin treuherzig an. „Wirklich? Liebt Ihr nicht den Ausblick von den obersten Zinnen Eurer Burg?“ „Nein…ich gehe niemals dort hinauf. Doch ich liebe das Leuchten in Euren wunderschönen Augen, wenn Ihr mich so anseht wie jetzt.“ „Ihr seid es, der meine Augen zum Leuchten bringt…“ flüsterte sie heiser, und wieder verschloss er ihren Mund mit einem nicht enden wollenden Kuss, voll Begierde und Verlangen.
Schließlich fanden sie das so verzweifelt gesuchte, vom Hauptweg nicht einsehbare Bänkchen im Gebüsch eines kleinen Ententeichs, dessen Wasser in der fast vollkommenen Dunkelheit schimmerte wie schwarzes Eis. „Setzt Euch, meine Prinzessin…“ forderte der Ritter sie auf, und mit zitternden Knien ließ sie sich nieder. Er nahm neben ihr Platz, so dass ihre Knie sich berührten, sah sie einen Moment beinah ungläubig an, schüttelte den Kopf, murmelte: „Ihr seid so unsagbar SCHÖN!“ und riss sie mit einer geradezu gebieterischen Geste in seine Arme. Sie fühlte sich wie Wachs in seinen Händen, hatte den Eindruck, als hätte ihr sonst so beherrschter Körper sich verselbständigt, als gehörte er zu einer völlig anderen Person, wie er sich dem dunklen Gefährten so willig entgegen bog, bestrebt, ihm so nah zu sein wie nur irgend möglich. Seine Lippen fuhren einmal mehr die Konturen ihres zurückgeworfenen Nackens entlang, während ihre Hände unter sein dunkles Cape wanderten und zaghaft an der Schnürung seines nachtschwarzen Wamses nestelten. „Ihr bringt mich völlig um den Verstand!“ keuchte er und streifte mit einer energischen Bewegung den Umhang von ihren weißen Schultern. Sie zitterte, als seine schlanken Finger ihre nackte Haut berührten. „Ist es Euch kalt, meine süße Prinzessin?“ „Nicht im Geringsten…“ flüsterte sie und ließ den Mantel mit einer achtlosen Bewegung auf den Boden fallen. „Und Euch?“ In seinen dunklen Augen blitzte es gefährlich. „Nein…“ Er schnürte seinen Umhang auf, ohne den Blick von ihr abzuwenden, und genoss die vorsichtige Berührung ihrer zarten Hand. „Mein wundervolles Burgfräulein…“ stöhnte er. „Ich wünschte mir im Augenblick nichts sehnlicher, als Euch auf mein Pferd zu schaffen und in mein Schlafgemach auf Düsterstein zu entführen…“ „Das wäre schön!“ erwiderte sie leise. „Noch lieber würde ich Euch gleich hier im Gras Eurer hinderlicher Kleider entledigen, doch…“ Mit verstehendem Lächeln sah sie ihn an. „Doch es gibt ein ‚zu kalt‘, mein edler Ritter…“ Ernst nickte er ihr zu und küsste zärtlich ihre Finger. „Ja, ein ‚zu kalt‘ und ein ‚zu früh‘.“ Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände, fuhr sanft die Konturen seiner hohen Wangenknochen nach, strich über die dunklen, schön geschwungenen Augenbrauen und hauchte einen Kuss auf seine Lippen. „Dann lasst uns gehen, ehe wir uns doch zu etwas hinreißen lassen, das wir hinterher nur bereuen würden.“
Auf dem Weg zurück durch den Park war die Prinzessin überrascht zu erfahren, dass sich ihr dunkler Gefährte nicht nur für die schönen Künste wie die Musik interessierte, sondern sich auch jahrelang in den Wissenschaften unterrichtet hatte, insbesondere in Alchemie, und er als großer Kenner dieses Fachs landesweit einen außergewöhnlichen Ruf genoss. Die Alchemie mit all ihren komplizierten Formeln und dem großen Geheimwissen dahinter hatte ihr immer ein wenig Unbehagen bereitet, doch als der Ritter ihr einige Grundlagen zu erklären versuchte, war sie erstaunt, dass sie ihm doch folgen konnte. „Es hat bisher nur niemand Euer Interesse geweckt!“ lächelte zu Düsterstein warm. „Da könntet Ihr allerdings Recht haben.“ Schmunzelte sie. „Ich habe allerdings den Lateinunterricht sehr gern gehabt, den mir unser damaliger Propst hat angedeihen lassen…“ „Latein?“ Nun war ER an der Reihe, überrascht zu sein. „Ungewöhnlich für eine Dame, selbst für eine von Eurem Stand!“ Er zog sie eng an sich heran und deutete hinauf in den klaren Nachthimmel. „Per aspera ad astra.“ Sie schmiegte sich eng an ihn, so dicht es irgend ging, schlang ihre Finger um die seinen und lächelte. „Ja, mein Ritter…auf rauer Bahn zu den Sternen!“

Kapitel 6

Als sie in dieser Nacht auf seinem treuen Ross der Burg zuritten, fühlte sich die Prinzessin leicht und frei. Keine Spur mehr von Verzweiflung, Angst vor dem Abschied oder warnenden Stimmen im Hintergrund, sie war einfach nur unbeschwert und unendlich glücklich.
„Ihr duftet so betörend gut!“ seufzte zu Düsterstein und vergrub sich ein letztes Mal in ihrer Halsbeuge. „Ich wünschte, ich dürfte Tag und Nacht an Euch schnuppern…“ Mit einer zögernden Geste zog sie sich das Tüchlein vom Hals, das sie vor der Kälte der Nacht geschützt hatte, und reichte es ihm zu. „Das könnt Ihr nun, mein dunkler Gefährte.“ Ungläubig blickte er sie an. „Ihr meint…?“ „Ja…es soll Euch immer an mich erinnern.“ „Ich würde Euch auch so nicht vergessen, meine süße Prinzessin.“ Er roch an dem Tüchlein und drückte es fest an seine Brust. „Jede Nacht werde ich meinen Kopf darauf betten und mir wünschen, es wäret Ihr!“ Sie senkte den Blick, um die Tränen zurückzuhalten. „Doch auch ich habe eine Überraschung für Euch!“ lächelte er. „Wenn ich von dannen geritten bin, wartet oben auf den Zinnen Eures geliebten Turms.“ Damit beugte er sich zu einem letzten Kuss herab, wendete sein Pferd und ritt davon. „Wann werde ich Euch wiedersehen?“ rief ihm die Prinzessin noch hinterher, doch anstatt eine Antwort zu geben, grüßte er sie ein letztes Mal, indem er ihr Tuch im Wind flattern ließ.
Überrumpelt von den Ereignissen dieser zauberhaften Nacht und überwältigt von der Macht der Gefühle erklomm sie den Turm, wie der Ritter es sie geheißen hatte. Ihr Gesicht fühlte sich heiß an, ihr Herz schlug noch immer, als müsste es jeden Augenblick zerspringen, und der Kragen ihres Umhangs duftete wie ihr wundervoller, dunkler Gefährte, der jetzt irgendwo durch die Finsternis ritt, fort von ihr, zu einer Burg, in der ein anderes Edelfräulein schon seiner harren mochte. Doch ehe die düsteren Gefühle sich wieder ihrer bemächtigen konnten, wurde sie durch einen hurtig heran preschenden Reiter abgelenkt, der direkt unterhalb des Turmes zum Stehen kam und unverzüglich vom Pferd stieg. Sollte ihr Ritter etwa doch zu ihr zurückgekehrt sein…? Nein, dieser hier war zwar ebenso dunkel, doch von kleinerer Statur und sicher auch ein paar Jahre jünger. Der Fremde warf den Mantel nach hinten, förderte eine Laute zutage, sah zu ihr hinauf und hob an zu singen…ein Lied, so traurig und schön, dass es der Prinzessin oben auf dem Turm beinah das Herz zerriss und ihr die Tränen nur so über die Wangen liefen. Es war ein Requiem, vorgetragen mit solcher Melancholie, dass ein nie gekannter Schmerz ihre Seele ergriff, der sie erschauern und gleichzeitig lächeln ließ.

Die nächsten Tage und Nächte waren von solcher Seelenqual, wie sie die Prinzessin noch nie zuvor gekannt in ihrem Leben. Alles in ihr rief nach ihrem dunklen Ritter, es war, als würde das Herz ihr zerspringen in der Brust. Mit jeder Faser ihres Körpers verlangte sie nach ihm, meinte oft, seinen Duft zu riechen und den Wind in seinem Haar, fürchtete, STERBEN zu müssen, wenn sich nicht gleich seine starken Arme um sie legten, um sie zu beschützen. Mechanisch verrichtete sie ihre täglichen Arbeiten, starrte oft eine kleine Ewigkeit ins Leere, wenn sie sich unbeobachtet fühlte, und verbrachte jede freie Minute oben auf ihrem Turm, um ins Land hinaus zu blicken und nach einem Boten Ausschau zu halten, der die so sehnsüchtig erwartete Nachricht bringen sollte, die Erlösung von diesem brennenden Schmerz, der die Prinzessin in seinen unbarmherzigen Klauen hielt…die Nachricht, dass ihr edler Gefährte sie sehen wollte, der einzige Grund, für den sie noch zu atmen schien. Doch so lange sie auch dort oben auf den Zinnen umherwanderte, so angestrengt sie das Auge auch schweifen ließ – der Reiter mit der Depesche blieb aus, und tiefe Verzweiflung machte sich in ihr breit.
Wie töricht bist du auch gewesen! Schalt ihre innere Stimme sie warnend. Du hast die Zeichen nicht gesehen, WOLLTEST sie nicht sehen…hast deine Seele verkauft in einem Pakt mit einem völlig Fremden, nun zahl den Preis für dieses bisschen Glück!
Doch die Prinzessin wollte nicht glauben, sie vertraute dem Ritter mit ihrem letzten Aufgebot an Kraft…und abends fand sich wieder der Barde ein, der ihr vor einigen Nächten bereits das Requiem gesungen.
Sein getragenes Lied handelte von einem einsame Mädchen, das von zu Hause fortlief, um sich von einem fremden Meister ein Kleid aus Rosen fertigen zu lassen. Der Meister warnte es vor dem Preis, den es für ein solches Kleid bezahlen müsste, doch das Mädchen schlug jedes seiner Argumente in den Wind und beharrte darauf, das Kleid haben zu wollen. Letztendlich gab der Meister nach, griff zu den Nadeln und stach Rosen in die weiße, makellose Haut, eine nach der anderen, bis das Mädchen aussah, als wäre ihr Körper von einer dunkelroten Robe bedeckt. Später wurde das Mädchen, vor Schmerzen wahnsinnig geworden, von anderen am Wasser gesehen…und niemand würde je erfahren, wie hoch der Preis war, den sie für ihr Kleid aus Rosen am Ende bezahlen musste.
Der Prinzessin lief es eisig kalt den Rücken hinunter, da sie sehr wohl verstand, was zu Düsterstein ihr gerade mit dieser schaurigen Ballade sagen wollte…er gab ihr eine letzte Möglichkeit, ihrem nun sehr gefährlich gewordenen Bündnis zu entkommen – oder einen Preis zu zahlen, der ihr Seelenheil auf immer und ewig zerstören würde.
Doch so, wie sich das Mädchen in des Barden Lied nach ihrem Kleid aus Rosen gesehnt, so sehnte sie sich nach der Nähe des Ritters, und in ihrer endlosen Qual wäre sie bereit gewesen, ihr ohne ihn so sinnlos gewordenes Leben zu opfern für nur eine weitere Stunde mit ihm.
„Habt Ihr eine Nachricht für mich?“ fragte sie den Sänger hoffnungsvoll, als er mit seinem Vortrag geendet und sich formvollendet vor ihr verneigt hatte. „In der Tat, mein wertes Fräulein…“ Aus den Taschen seines weiten Umhangs förderte er eine Depesche zutage und reichte sie ihr zu.
„Meine süße Prinzessin…“ las sie mit angehaltenem Atem, „lange habe ich mich nun nach Euch verzehrt, in jeder dieser einsamen Nächte Euren Duft tief in mich eingesogen. Nun ist es an der Zeit, Euch wieder in die Arme zu schließen, und ich bitte Euch ergebenst, schenkt mir einen ganzen Tag mit Euch. Findet Euch morgen zur Mittagsstunde im kleinen Städtchen am Fuße der Berge ein, dort werde ich Euch finden. Ich sehne mich nach Euch…Euer schmachtender Ritter zu Düsterstein.“
Die Prinzessin zitterte am ganzen Körper, als sie die Botschaft sinken ließ. Kraftlos lehnte sie sich gegen das kühle Mauerwerk und rang um das letzte bisschen Selbstbeherrschung, das sie in diesem Augenblick noch aufbieten konnte. Er wollte sie wiedersehen, er hatte sie nicht verlassen…NOCH nicht. Noch einmal gab er ihr die Gelegenheit, ihm zu beweisen, dass wahre Liebe und echtes Gefühl mehr zählten als ein so selbstzerstörerischer Schwur, wie der Ritter ihn sich selbst gegeben.
Von plötzlicher Zuversicht erfüllt, sah sie zu dem Minnesänger auf, der nach wie vor wartend neben seinem Pferd stand. „Sagt Eurem Herrn, ich werde dort sein!“ Selten hatte ihre Stimme so fest und entschlossen geklungen. Sie würde diese Schlacht nicht verlieren, oh nein…dazu liebte sie den düsteren Gefährten schon viel zu tief. Und morgen sollte DER Tag sein, an dem er von seinem dummen Eid, sich nie mehr zu verlieben, endlich Abschied nehmen würde!

Kapitel 7

Noch nie zuvor hatte die Prinzessin so viel Zeit auf ihr Äußeres verwendet wie am nächsten Morgen. Sie nahm ein weiteres Lavendelbad, bürstete das schwarze Haar, bis es glänzte, umrandete die leuchtenden Augen mit einem Stück zurecht geschliffener Kohle, benetzte die Lippen mit Honig und kniff sich in die Wangen, um sich ein wenig Röte ins Gesicht zu zaubern. Dann glättete sie ihr schönstes Reitkleid, vergewisserte sich, dass ihr Gatte in der Kaminhalle mit seiner Laute beschäftigt war, sattelte ihre kleine Schimmelstute und machte sich auf den langen Weg in das Städtchen unterhalb der Berge.
Je näher sie dem ersehnten Ziel kam, desto weniger selbstsicher fühlte sie sich mit einem Mal. So siegessicher, wie sie sich noch am Abend zuvor gefühlt hatte, so mutlos war sie jetzt, als sie am Stadttor absaß und ihr Pferd am Zügel durch die engen Gassen führte. Niemand kannte sie hier, sie konnte sich also ganz ungehindert bewegen und ihren dunklen Gedanken nachhängen. Was, wenn er nicht kam? Er hatte so viel Zeit verstreichen lassen zwischen ihrem Spaziergang im Park und der heutigen Begegnung, am Ende hatte er den Gefallen an ihr verloren? Was, wenn er sie nur herbestellt hatte, um ihrer Romanze den Todesstoß zu versetzen? Er hatte sie doch gewarnt…spätestens die schaurige Ballade gestern hätte ihr die Augen öffnen müssen! Doch die Prinzessin in ihrer Verzweiflung klammerte sich an das, was sie GLAUBEN wollte, nicht an das, was sie WUSSTE. Und wer hätte es ihr verübeln können…
„Da seid Ihr ja, meine schöne Gefährtin.“ Unter Tausenden von Stimmen hätte sie die SEINE wiedererkannt, diese wunderbare, sonore Stimme, die nachts in ihren Träumen zu ihr sprach und die immer genau die Worte zu finden schien, die ihr Herz zum Schwingen brachten. Sie wagte kaum, sich umzudrehen. Hoch aufgerichtet thronte er auf seinem nachtschwarzen Ross und blickte mit einem Ausdruck auf sie hinunter, den sie nicht anders zu deuten wusste als liebevoll. „Ihr seid gekommen, mein Ritter…“ Sie klammerte sich an die Zügel ihrer Stute, um nicht von dieser Welle des Gefühls hinfort gespült zu werden. Sein Lächeln war weich und zärtlich, und seine dunklen Augen funkelten mit dem strahlenden Sonnenlicht um die Wette, das sein braunes Haar fast blond schimmern ließ. „Natürlich bin ich gekommen…länger hätte ich nicht sein können ohne Euch! Doch nun sitzt auf, lasst uns reiten…ich will Euch in die Arme nehmen, und dies ist nicht der Ort dafür.“ Erst jetzt wurde die Prinzessin des geschäftigen Treibens um sich herum gewahr, und sie erwachte wie aus einem tiefen Schlaf.
„Wohin reiten wir, mein edler Recke?“ Die beiden Pferde schritten kräftig nebeneinander aus, das weiße der Prinzessin und der Rappe des Ritters. „Hoch droben über dem Städtchen befindet sich eine Burg.“ Erklärte zu Düsterstein und deutete in die mit Eichenwäldern bewachsenen Berge. „Sie ist seit Jahren nicht mehr bewohnt und ein wenig verfallen, doch sollten wir dort die Ruhe finden, die wir so verzweifelt suchen.“ In ihr begann es zu kribbeln, und sie konnte den Blick nicht von der stattlichen Gestalt an ihrer Seite wenden. Kaum hatten sie die letzten Ausläufer der trutzigen Stadtmauer hinter sich gelassen, presste er die Schenkel in die Flanken seines edlen Tieres, und sie tat es ihm nach. Sein langes Haar flatterte im Wind, als sie die steilen Serpentinen hinauf preschten, voll Sehnsucht, den anderen endlich wieder zu berühren und ganz füreinander da sein zu dürfen. Kurz vor dem im Lauf der Jahre ausgetrockneten Graben der kleinen Ruine verfielen die Pferde in leichten Trab, und wenige Augenblicke später kamen sie vor dem nunmehr schief in den rostigen Angeln hängenden Burgtor zum Stehen. Gleichzeitig saßen sie ab, ließen achtlos die Zügel fallen, standen atemlos voreinander, spürten die Gegenwart des anderen, den sie so lang vermissen mussten, nahmen sich an den Händen und versanken in einem ungestümen, leidenschaftlichen Kuss.
„Nie wieder dürft Ihr mich so lang darben lassen!“ stöhnte die Prinzessin, während der Ritter sie hart an sich heranzog und seine Lippen ihren Hals hinab wanderten. Seine Hände legten sich fordernd um ihre Hüften, und sie fasste Mut und tat es ihm gleich. Wie wundervoll fühlte sich doch sein Körper an, wie muskulös und sehnig… Er nestelte an der Schnürung ihres Kleides und seufzte. „Nicht hier…“
Er bot ihr seinen Arm und machte eine einladende Bewegung. „Mein Burgfräulein?“ Sie kicherte gelöst, nahm seine Hand und ließ sich durch das Tor der Ruine führen. „Mein Ritter?“ Unbeschwert wie Kinder grinsten sie sich an.
„Seht nur, der Turm ist noch intakt!“ Zu Düsterstein besah sich die halbverfallenen, ausgetretenen Stufen, die zum ehemaligen Burgfried hinauf führten. Die Prinzessin folgte ihm neugierig. „Sagtet Ihr nicht, in großer Höhe verspürtet Ihr Unbehagen?“ „Das ist wahr, meine süße Gefährtin…doch möglicherweise ist es an der Zeit, sich eben diesem Unbehagen zu stellen?“ Eine Woge des Glücks durchflutete sie, des Glücks und der grenzenlosen Liebe. „Und Ihr glaubt, an meiner Seite könntet Ihr diese Furcht besiegen?“ Er sah sie eigentümlich an. „Wenn nicht an Eurer Seite, wie dann?“ Er bot ihr seine Hand und machte sich daran, die ersten Stufen zu erklimmen. „Das Geländer ist durchgebrochen, Ihr müsst Euch am Mauerwerk festhalten!“ Langsam und vorsichtig machten sie sich an den Aufstieg. Waren die Treppen zum Turm noch verhältnismäßig gut erhalten und eben, ähnelten die Stufen im Turm groben, unbehauenen Steinklötzen, die von unterschiedlicher Breite waren und das Gehen zu einer gefährlichen Herausforderung machten. „Habt keine Angst!“ Doch die Prinzessin schüttelte nur den Kopf und lächelte. „Wovor denn auch? Ihr seid doch bei mir!“ Gemeinsam erklommen sie die enge Wendeltreppe, tasteten sich in fast völliger Dunkelheit weiter nach oben, von wo das Licht verheißungsvoll durch eine große Öffnung schien. Als nur noch wenige Stufen zu bewältigen waren, drehte zu Düsterstein sich plötzlich um, riss das edle Fräulein in seine Arme und küsste es mit solchem Hunger und Verlangen, dass es sich nur noch an die raue Mauer lehnen und mit beiden Händen an seinen Schultern festhalten konnte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und wieder nach unten zu stürzen. „Ihr wisst nicht, was Ihr mit mir anstellt…“ keuchte er und zog sie so dicht an sich heran, dass er auch nicht den geringsten Zweifel daran ließ, was genau er damit meinte. Auch sie spürte ihren Körper reagieren, doch das, was ihr sonst wohl die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte, schien, von ihm verursacht, plötzlich ganz natürlich. „…und Ihr ahnt nicht, was IHR mit mir macht!“ gab sie zurück und krallte sich in den Kragen seines Mantels. „Kommt, lasst uns weitergehen!“
Sie mussten sich bücken, um oben durch die niedrige Öffnung ins Freie zu gelangen, und die Prinzessin griff sofort nach seiner Hand. „Und, wie fühlt Ihr Euch?“ vorsichtig führte sie ihn an eine der schmalen Luken heran, die einen wundervollen Blick auf die Wälder und das unten am Berg liegende Städtchen freigaben. Der Ritter beugte sich ein wenig hinunter und atmete tief durch. „Gut!“ erklärte er überrascht. „Ich spüre nicht die kleinste Beklommenheit!“ Er nahm sie fest in seine Arme. „Und das habt IHR gemacht!“ Ihre strahlenden grauen Augen vertieften sich in seine leuchtenden braunen, und zu Düsterstein drückte sie in eine der engen, kleinen Nischen, ehe er erneut ihr Gesicht und ihren Hals mit heißen, fordernden Küssen zu bedecken begann. Ihre Hände fanden den Weg unter sein Wams, und er stöhnte auf, als ihre geschickten, kühlen Finger zum ersten Mal seine bloße Haut berührten. Er schob ihr Kleid von ihren Schultern und ließ seine Hände abwärts wandern, so tief es die Schnürung ihres Gewandes eben zuließ. Da standen sie nun oben auf ihrem Turm, das Burgfräulein und ihr dunkler Ritter, hielten sich eng umschlungen und spürten, wie der Rest der Welt um sie herum versank, während unten auf dem Marktplatz des Städtchens das Leben stattfand wie an jedem anderen Tag.

Kapitel 8

Nachdem sie den beschwerlichen Abstieg vom Turm bewältigt hatten – die Prinzessin vertrauensvoll an die Hand des Gefährten geklammert -, beschlossen sie, ihre Einsamkeit noch ein wenig länger zu genießen und einen ausgedehnten Spaziergang in den Wäldern zu unternehmen. Sie schritten nebeneinander her, schweigend, völlig im Einklang miteinander, und sogen alles in sich auf, was die Natur ihnen an diesem wundervollen Tag zu bieten hatte – den strahlenden Sonnenschein, der dann und wann durch das dichte Blätterdach brach, den kühlenden Wind, der ihre erhitzten Gesichter streichelte, die bunten Frühlingsblumen, die sich, im weichen Moos verborgen, dem Licht entgegen reckten. Der Ritter erzählte von seiner Leidenschaft für die Wissenschaften und die Alchemie, die Prinzessin machte ihn auf das Rufen verschiedener Vögel aufmerksam und nannte sie beim Namen, und sie machten sich einen genüsslichen Spaß daraus, einen Teil ihrer Unterhaltung auf Latein zu führen. Er neckte sie, wenn ihr eines der fremden Worte nicht gleich einfallen wollte, und sie ließ es gutmütig geschehen und zog ihn damit auf, dass er ein Gänseblümchen nicht von einem Schneeglöckchen zu unterscheiden wusste. In ihrem ganzen bisherigen Leben war sie noch niemals so glücklich gewesen, und wann immer sie in die blitzenden Augen ihres dunklen Gefährten blickte, war sie überzeugt davon, dass es ihm ganz genauso ging. Jeglicher Zweifel, ihn wieder zu verlieren, war mit einem Mal verflogen, und sie ließ sich gänzlich fallen in dieses wunderbar leichte, schwerelose Gefühl.
„Bis zur Dämmerung bleibt uns noch Zeit!“ stellte zu Düsterstein mit einem Blick zum Himmel fest, als sie wieder bei ihren friedlich grasenden Pferden angekommen waren. „Was schlagt Ihr vor?“ Die Prinzessin sah sinnend ins Tal hinunter. „Wollen wir das Städtchen erkunden? Es gibt so herrliche Häuser und Türme dort, es wird Euch gewiss gefallen!“ Der Ritter lächelte weich. „Was für ein wundervoller Einfall! Und wenn wir alles gesehen haben, können wir uns in einer der Schänken zum Abendessen niederlassen.“
So saßen sie wieder auf und ritten gemächlich hinab ins Tal, gerade, als die Sonne sich anschickte, unterzugehen. „Es ist wirklich wunderschön.“ Stellte der Ritter ergriffen fest. „Was haltet Ihr davon, wenn wir zum Fluss hinunter gehen und dort den Sonnenuntergang betrachten?“ Die Prinzessin nickte strahlend und genoss es, an seiner Seite über die Wiesen zum Wasser zu spazieren. Sie ließen sich direkt am Ufer nieder, sie in seinen Armen, ihr Kopf an seiner Schulter und seiner an der ihren, so saßen sie da, eng aneinander geschmiegt, hielten sich fest an den Händen und sahen zu, wie die Sonne als roter Feuerball ganz langsam und majestätisch im träge dahin strömenden Fluss versank. Und in diesem Moment verstand die Prinzessin zum ersten Mal WIRKLICH, was der Barde mit seinem „Kleid aus Rosen“ eigentlich hatte sagen wollen – dass es Augenblicke gibt im Leben, nein, DEN einen Augenblick, der so unvergesslich ist und schön, dass man jeden Preis dafür zu zahlen bereit wäre, jeden Schmerz der Welt dafür zu ertragen. DIES war DER Moment, auf den sie ihr ganzes Leben lang gewartet hatte – in den Armen dieses Ritters den Sonnenuntergang zu sehen, sich in seinen Armen unendlich geborgen zu fühlen, nichts sagen zu müssen…und dennoch verstanden zu werden.
Das empörte Krächzen der Wildgänse, die sich in ihrer unmittelbaren Nähe zum Schlafen niederlassen wollten, schien wie aus einer anderen Welt zu kommen. „Lasst uns aufbrechen!“ zärtlich strich zu Düsterstein über ihr Gesicht. „Ihr müsst Hunger haben!“ Der Sinn der Prinzessin stand nach allem, nur nicht nach Essen, doch sie wollte nicht unhöflich sein und erhob sich. Das Gefühl der Glückseligkeit, diesen wundervollen Tag an seiner Seite erleben zu dürfen, machte sie nahezu trunken. Vorbei an niedlichen Häuschen und stattlichen Kirchen fanden sie ihren Weg zum Marktplatz, wo eine hübsche, ein wenig versteckte Schänke zum gemütlichen Verweilen einlud. Kerzen brannten auf den liebevoll zurechtgerückten Tischchen, die den Gästen reichlich Platz für sich selbst und den Rest des Raumes im angenehmen Halbdunkel ließen. „Heißer Gewürzwein für Euch?“ lächelte er. „Ja…und ein wenig Wasser dazu?“ Die Kehle der Prinzessin schien mit einem Mal völlig ausgetrocknet. „Selbstverständlich! Was möchtet Ihr gern zu Euch nehmen?“ „Bestellt Ihr…ich überlasse es Euch, mein Ritter.“ Während zu Düsterstein der freundlichen und dienstbeflissenen Schankmagd seine Wünsche mitteilte, suchte das edle Fräulein den Brunnen hinter dem Wirtshaus auf, um sich ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen und für einen Moment mit ihren Gedanken allein zu sein. Sie sah auf ihr eigenes Abbild hinab, das sich im dunklen Wasser spiegelte, und erschrak beinah ob des fiebrigen Ausdrucks in ihren Augen. Es war zu spät…sie hatte all die gutgemeinten Warnungen in den Wind geschlagen, hatte nicht hören wollen und nicht sehen, Augen und Ohren krampfhaft verschlossen, um nicht mit der bitteren Wahrheit konfrontiert zu werden…sie hatte es gewusst, dass es niemals geschehen dürfte, und nun war es doch passiert, und sie konnte es nicht mehr rückgängig machen. Sie war verloren, rettungslos verloren, und das konnte nur eins bedeuten: das Spiel war es auch. Wenn nicht…ja, wenn nicht DOCH ein Wunder geschähe und ihr Ritter mit seinem lächerlichen Pakt bräche!!!

Kapitel 9

Mit mühsam wiedererlangter Contenance und Selbstbeherrschung trat sie den Weg zurück in die Schankstube an, und als sie den Blick bemerkte, mit dem zu Düsterstein ihr lächelnd und erwartungsvoll entgegensah, setzte ihr Herzschlag für einen Augenblick aus. Wie hatte sie nur eben so sehr zweifeln können? Seine Gefühle für sie schienen so aufrichtig und ehrlich, nicht für den kleinsten Moment hatte er einen Hehl daraus gemacht, wie sehr er sie mochte, geschweige denn noch einmal seinen blödsinnigen Schwur erwähnt… Alles wird gut werden! Die Prinzessin straffte ihre Schultern, lächelte strahlend zurück, ließ sich neben ihm auf dem bequemen Bänkchen nieder und schmiegte sich eng an ihn.
„Ich habe uns ein wenig Gebäck bestellt!“ Er schob ihr ein Tellerchen wunderbar duftenden Kuchens hin. „Das müsst Ihr unbedingt versuchen…“ Ihre Kehle war nach wie vor wie zugeschnürt, doch sie wollte seine offensichtliche Begeisterung nicht trüben und ließ es zu, dass er ihr mit lachenden Augen ein Stückchen davon in den Mund steckte. Das Gebäck war süß, weich und feucht, eine wahre Gaumenfreude, und die Prinzessin war überrascht, wie leicht und selbstverständlich es mit einem Mal war, an der Seite ihres Ritters zu essen, sich von ihm mit köstlichem Kuchen füttern zu lassen. „Noch nie zuvor habe ich etwas derartig Herrliches zu mir genommen!“ gestand sie ihm mit leuchtenden Augen, doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie in seiner Gegenwart auch die älteste Scheibe trockenen Brots zum lukullischen Hochgenuss erklärt hätte. „Dem kann ich nur beipflichten, meine Prinzessin.“ Der Edelmann schien geradezu verzückt. „Wollen wir dies zu ‚unserer‘ Schänke erklären und immer wieder hierher zurückkehren, um dieses wundervolle Gebäck gemeinsam zu genießen?“ Sie wusste ihr Glück kaum zu fassen – er dachte tatsächlich in die Zukunft, und zwar völlig unbeschwert und ohne das sonst so allgegenwärtige Damoklesschwert seines Pakts? „Nichts lieber als das, mein dunkler Ritter.“ Sie drückte seine Hand und hauchte einen Kuss auf seine Lippen. „Dies soll ‚unsere‘ Schänke sein, unser kleines Ritual.“
Die Schankmagd grinste still in sich hinein, als sie das ungleiche Paar dort sitzen sah, das weder Hände noch Lippen voneinander lassen mochte und sich geradezu gegenseitig mit Blicken verschlang. „Wenn es Euch gemundet hat, dann beehrt uns wieder!“ gab sie den beiden mit auf den Weg und sah ihnen mit belustigtem Kopfschütteln hinterher, als sie eng umschlungen das Wirtshaus verließen und in der Dunkelheit verschwanden.
Der Nachtwächter rief eben die achte Stunde aus, und die Prinzessin erschrak. Sollte dieser Traum nun wieder zu Ende sein, würde ihr schöner Gefährte sie auch diesmal wieder zurück in ihr wirkliches Leben entlassen? Aber gab es das denn überhaupt noch, ihr wirkliches Leben? Waren diese Tage, diese kostbaren Stunden an der Seite zu Düstersteins nicht tausendmal wirklicher gewesen als all diese sinnlosen Jahre davor? Stumm schritt sie neben ihm durch die nun verlassenen Gässchen und kämpfte mit den Tränen, die der bevorstehende Abschied in ihren grauen Augen quellen ließ.
„Seht nur, wie schön!“ Oberhalb des Türmchens, bei dem ihre Pferde auf sie warteten, war der Mond aufgegangen, eine perfekte, hell leuchtende Sichel. Die Prinzessin folgte seinem Blick und hielt den Atem an, und als er anhob, ein kleines Verslein auf den Mond zu deklamieren, wusste sie, dass sie diesen Moment niemals wieder vergessen und sie dieses Bild für immer in ihrem Herzen tragen würde – die noch kühle Frühlingsnacht, der dunkle Ritter an ihrer Seite, die silberne Sichel über den Zinnen…und seine Hand, die ihre hielt, als wollte er sie niemals wieder loslassen.
Eine Weile ritten sie einfach nur nebeneinander dahin, jeder seinen Gedanken nachhängend, kein Auge vom anderen lassend, zu schwermütig, um viel zu sagen, doch die Herzen zu voll, um lange still zu sein. Ihr Weg führte am Fluss entlang, hinaus aus dem Städtchen, das sie an diesem Tag so unendlich lieb gewonnen. Bald hatten sie die letzten Mauern hinter sich gelassen, und es umfingen sie kühle Finsternis und das atemlose Schweigen der Natur, die sich zum Schlafen bereit macht. Mit jedem Schritt, den ihre treue Stute tat, wurde das Herz der Prinzessin schwerer, und ihr war, als müsste ihr Brustkorb mit jedem Augenblick ZERSPRINGEN, als zu Düsterstein mit jähem Ruck zum Stehen kam und ihr in die Zügel griff. „Haltet ein, meine Gefährtin, haltet ein!“
Das dunkle Feuer, das in seinen Augen loderte, schien sie mit Haut und Haaren zu verzehren, und zitternd glitt sie vom Pferd, um in seine starken, wartenden Arme zu sinken. Seine hungrigen Lippen, die ihr ganzes Gesicht mit Küssen bedeckten, machten jegliche Fragen überflüssig, und seine Hände auf ihren Hüften zogen sie so dicht an ihn heran, dass sie am liebsten aufgeschrien hätte vor Verlangen. „Ihr macht mich wünschen, wir wären auf meiner Burg!“ zischte er zwischen mühsam zusammen gepressten Zähnen. „Ihr macht mich nur wünschen, es wäre nicht so kalt…“ erwiderte sie mit leisem Stöhnen und ließ ihre Finger spielerisch unter sein Wams wandern. Er maß sie mit seltsamen, grüblerischen Blick, ehe er sie kurz von sich wegschob und mit einer einzigen Bewegung den schwarzen Umhang von den breiten Schultern auf den weichen Boden gleiten ließ. „Es ist nicht kalt, meine Prinzessin…“ Und damit zog er sie mit sich nach unten, rollte sich über sie und ließ sie den Rest der Welt um sich herum vergessen.

*

Die Nacht war schon weit vorangeschritten, als die Pferde unter dem geliebten Turm der Prinzessin zum Stehen kamen. Alles schien sich zwischen ihnen verändert zu haben, es war eine solch innige Nähe entstanden, dass es ihnen mit einem Mal unmöglich war zu unterscheiden, wo der eine aufhörte und der andre anfing. Beide saßen ab, um sich noch einmal stumm in die Arme zu nehmen. „Nehmt dies, meine süße Gefährtin…auf dass auch ich immer bei Euch sein kann!“ Der Ritter drückte ihr das nachtschwarze Leinenhemd, das er nicht wieder angezogen hatte, an die Brust und verschloss ihre Lippen mit einem letzten, langen Kuss.
Lange sah sie ihm nach, das Gesicht tief in seinem wundervollen Duft vergraben, und war so glücklich, dass sie fürchtete, das Herz würde jeden Augenblick in ihrer Brust zerspringen.
Hätte sie auch nur für einen kurzen Moment nach oben geblickt, sie hätte die dunklen Wolken gesehen, die sich oben am nächtlichen Himmel zusammenbrauten… Doch so schlich sie ungesehen in ihre Kemenate, schmiegte sich tief in das Hemd ihres Geliebten und träumte davon, bei ihm zu sein bis ans Ende aller Zeit.

Kapitel 10

Sie erwachte am nächsten Morgen mit derselben fassungslosen Glückseligkeit, mit der sie auch zu Bett gegangen war, verrichtete ihre Tätigkeiten mit glänzenden Augen und fand sogar freundliche Worte für den Gemahl, der einigermaßen verdutzt vom Spiel seiner Laute aufsah.
Wie groß war ihre Überraschung, als zur Mittagsstunde der Barde heran geprescht kam, als wäre ihm der Leibhaftige auf den Fersen. Sie spürte sofort, dass etwas geschehen sein musste – noch NIE war der Gesandte zu Düstersteins bei hellem Tageslicht erschienen! Für einen Augenblick hoffte sie nichts sehnlicher, als dass der Bote sie zu ihm bringen sollte, um für immer und ewig an seiner Seite zu leben… Doch ein einziger Blick in das Gesicht des Reiters machte alle diese Hoffnungen zunichte. „Eine Nachricht für Euch, edles Fräulein!“ Er saß nicht ab, um ihr das Schriftstück zu überreichen, doch in seinen Augen las sie echte Anteilnahme und Bedauern. Er tut dies nicht zum ersten Mal… Der Prinzessin schnürte sich die Kehle zu ob dieser schrecklichen Erkenntnis. Er hat schon etliche solcher Botschaften überbracht. Der Gesandte sah das grausame Realisieren in ihren Augen und schenkte ihr ein beinah unmerkliches Nicken. „Lebt denn wohl…“ Damit gab er seinem Pferd die Sporen und ritt in einer Staubwolke davon.
Sie stand nur da, die Depesche in der Hand, keines klaren Gedankens fähig, auf Beinen, die nicht länger zu ihrem Körper zu gehören schienen, eisig kalten Händen, einem Herzen, das schlug so dumpf und schwer wie eine der wuchtigen Glocken der Kathedrale. Ihr Mund war völlig ausgetrocknet, der Kopf leer, und das Atmen war so mühselig, dass sie die Hände gegen die schmerzende Brust pressen musste, um überhaupt Luft zu bekommen.
Nein, dachte sie nur. Nein, bitte nicht… Lass mich jetzt aufwachen und diesen Tag noch einmal von vorn beginnen, in all seiner Unbeschwertheit und Freude!
Das Schriftstück schien in ihrer Hand wie Blei zu wiegen, und mit glanzlosen Augen blickte sie zum Turm hinauf. Du hast es doch GEWUSST, drängte die Stimme. Er hat es dir von Anfang an gesagt, wieso wolltest du nicht hören?! Schwerfällig zog sie sich am Geländer nach oben, setzte mechanisch einen Fuß vor den anderen auf Stufen, die beständig in den Himmel zu wachsen schienen. Nein, sagte sie sich bei jedem ihrer Schritte. Nein, oh nein. Bitte nicht…
Oben angekommen, kauerte sie sich in eine kleine, windgeschützte Nische, starrte blicklos auf die plötzlich so bedrohlich wirkenden Mauern um sich herum und spürte ein Prickeln wie von tausend Nadeln ihren Körper hinauf wandern. Kleid aus Rosen, schoss es ihr durch den Kopf…und hier ist der Preis, den es dafür zu zahlen gilt.
„Meine Prinzessin…“ las sie mit tränenblinden Augen. „Nun heißt es, Abschied von Euch zu nehmen nach diesen wunderschönen Stunden, die wir uns gegenseitig geschenkt. Was als etwas so Besonderes begonnen, fühlt sich für mich nicht länger richtig an. Zu schnell ist unsere Verbindung vorangeschritten, zu tief war das Gefühl. Erinnert Euch an meinen Eid - ich kann und will es nicht, bin nicht in der Lage oder dazu bereit, Euch das zu geben, was Ihr so sehnsüchtig erhofft. Wir werden uns nie wiedersehen – doch Ihr werdet fortan das Wissen in Euch tragen, wie viel Glück das Leben für Euch bereithalten kann, so wie ich immer wissen werde, dass ich nicht derjenige sein kann, der es Euch gibt. Unbekümmert, unbeschwert, so muss es sein, dieses Gefühl, das wir als Liebe kennen… Niemals wäre uns beiden das beschieden gewesen ob des Versteckspiels vor Eurem Gemahl, das mich mit größtem Unbehagen erfüllt. So lebt denn wohl, meine schöne Gefährtin… Euer Ritter zu Düsterstein.“
Kein Schluchzen kam über ihre Lippen, keine Träne rollte über ihr Gesicht, als sie das Schriftstück sinken ließ und, von plötzlichem Schwindel erfasst, am rauen Mauerwerk Halt fand. Ihr Magen war zu einem eisigen Brocken gefroren, die Finger kalt, die Augen leer, und die Prinzessin spürte, wie etwas tief in ihrem Innern für immer zerbrach.
Sie straffte entschlossen die Schultern, ignorierte den schrecklichen, alles verzehrenden Schmerz, reckte mit zusammengepresstem Kiefer das Kinn nach vorne und machte sich daran, vom Turm herabzusteigen.
Der Gemahl in der Kaminhalle ließ erstaunt die Laute sinken und grinste sie schief an. Mit toten Augen ging sie auf ihn zu, beherrschten Schritts, nahm ihn an der Hand und führte ihn in ihre Kemenate. Und während er sich völlig überrascht die seltene Gelegenheit zunutze machte, sah sie mit starrem Blick über seine Schulter und schwor sich einen ewigen Eid.

ENDE

 

Hallo skippy!

Willkommen auf kg.de.

Dein Einstieg hier ist wohl eher ein Roman als eine Kurzgeschichte. Wie wäre es mit was Kürzerem? Das könnte man viel effektiver kommentieren.

Okay, ich sag erstmal ein paar Dinge zum Text, die mir schon beim Drüberscrollen aufgefallen sind:
- Großbuchstabenschreibweise: ist extrem unliterarisch. Wenn du etwas betonen möchtest, setzte es besser kursiv.
- Textblöcke: Denke daran, dass der Leser am Monitor liest. Bei langen Textblöcken verliert man den Faden. Weitere Zeilenumbrüche wären hilfreich, im Dialogen (beim Wechsel des Sprechers) sogar dringend angesagt.
- Zeichensetzung. Multiple !!! sind ebenfalls extrem unliterarisch. Beschränke dich doch auf eines zur Zeit. Die Regeln zur Kommasetzung (und der Groß- und Kleinschreibung) im Umfeld der wörtlichen Rede solltest du dir ansehen (die findest du z.B. hier im Korrekturcenter) und sie beherzigen, und ... muss durch ein Leerzeichen vom (vollständigen) Wort getrennt werden.

Dann zum Text selbst, jedenfalls zum Anfang:

"Es war einmal" => Die ersten Wort verraten es bereits, es handelt sich um ein Märchen. Du schreibst (zu Beginn) in märchentypischem Stil, was ich persönlich als mühselig und langweilig empfinde. Einen ganzen Roman in dem Stil möchte ich nicht lesen. (Ein Beispiel für einen interessanten, empfehlenswerten Märchen-Roman wäre MOMO von Michael Ende.)

Stilistisch befindest du dich im Märchengenre, inhaltlich eher bei Rosamund Pilcher ("edlen Recken gab, der ihr unendliches Sehnen befriedigen, ihr Verlangen erfüllen konnte.) Deine Prinzessin ist also auf der Suche nach einer Affäre. Ich frage mich, ob dein Text nicht unter Romantik/Erotik besser aufgehoben wäre. Denn darum geht es doch im Text, oder? Das Märchen-/Mittelalteroutfit ist bloß Zierat.

=> Ja, okay, das soll es schon von mir gewesen sein, denn Liebesgeschichten sind überhaupt nicht mein Ding.

Grüße
Chris

 

Hallo, Chris!

Erst einmal ganz herzlichen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast, meine Geschichte zu lesen und zu kommentieren.
Ich bin noch ganz neu hier und für Feedback/konstruktive Kritik natürlich dankbar und offen.

Erstmal zur Länge: ja, ich gebe zu, eine typische "Kurzgeschichte" ist es sicher nicht. Ich hatte vorab beim Team hier angefragt, ob es eine Maximallänge gibt, und mir wurde gesagt, die längste Geschichte bisher hätte über 60 Seiten, und ich sollte meine ruhig einstellen.

Du hast vollkommen Recht, was das Layout für den Monitor betrifft - ursprünglich war die Story als "Ausdruck" geplant gewesen, da habe ich eine Adaption für die Online-Leser schlichtweg nicht in Betracht gezogen. Werde meinen nächsten Beitrag definitiv übersichtlicher gestalten.

Für die Vorschläge zu stilistischen Mitteln/Zeichensetzung vielen Dank, habe wieder etwas dazu gelernt und werde mir auch im Korrekturcenter gern frischen Input holen.

Zur Geschichte an sich... Ja, ich selbst sehe sie als eine art "modernes Märchen", und der mittelalterliche "Zierat" und die "schwülstigen" Ausdrücke sollten eher Mittel zum Zweck sein, als mich zu einer Anwärterin zur Nachfolge Rosamunde Pilchers zu machen ;-)
Grundsätzlich hast Du Recht, es ist eine Liebesgeschichte...wenn auch ohne das märchentypische Happy End.
Ich würde nicht sagen, dass die Prinzessin nur auf eine Affäre aus ist...sie sehnt sich nach jemandem, der sie aus ihrem Trott heraus reisst und ihr nicht nur eine Schulter zum Anlehnen, sondern auch eine neue Perspektive bietet. Der Erotik-Faktor ist meines Erachtens nach nicht hoch genug, um die Geschichte direkt in diese Ecke zu stellen - aber möglicherweise wäre sie im Bereich "Romantik" tatsächlich besser aufgehoben.

Grüße, Skippy

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich habe die Geschichte mir jetzt durchgelesen. Es ist nicht so, dass ich ein wahrer Fan von Liebesgeschichten bin; aber ich war - als ich sie gefunden hatte - schon etwas verwundert darüber, dass so fast niemand eine Kritik oder auch eher schlichte Antwort abgegeben hatte. Ich denke, dass es sowohl an der Länge sowie auch an der Rubrikwahl liegt. Sicherlich zieht sie ein nicht gleich vom ersten Satz in den Bann wie das bei vielen Geschichten von Lovecraft zum Beispiel der Fall ist oder bei Kafkas Verwandlung. An einigen Stell fand ich es sehr schnulzig. Es ist auch so, dass viele Abschnitte einander ähneln; ich persöhnlich sehe nicht so den Unterschied bei den Ausritten der Prinzessin mit den Ritter von Düstereien. Ich denke, der Leser soll sich fragen, ob die Affäre hält bzw. intensiver wird - sozusagen vielleicht passiert beim nächsten Aufeinandertreffen mehr ohne jetzt vorweg nehmen zu wollen, ob dem so ist. Die Figur von Düstereien vollzieht für mich nicht so den Wandel, die Prinzessin schon mehr. Da die Leute wahrscheinlich zu erst die Kritik lesen, möchte ich allerdings nicht so viel dazu sagen. Vielleicht wäre noch eine dritte Person besser gewesen, der Gemahl wird ja eher als in sich vertiefter Eigenbrödler beschrieben, der die Geschichte aber nicht wirklich voran bringt. Der Bote reicht da meiner Ansicht nach nicht. Sprachlich gesehen ist das definitiv gut genug, auch wenn es sicherlich nicht zum Beispiel so schön ist wie die Novelle „Schwüle Tage" von Eduard von Keyserling(musste mal erwähnt werden).

Ich habe es nicht bereut sie zu lesen. Ich hatte sie jetzt nicht an einem Stück gelesen, sondern auf mehrere Tage verteilt. Die Idee mit dem Kleid aus Rosen ist gelungen und die Beschreibung des Charakters der Prinzessin ist meiner Ansicht nach ebenfalls gut.

 

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