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Ein Italienier zum Anknabbern

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25.03.2003
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Ein Italienier zum Anknabbern

Ein Italiener zum Anknabbern
(überarbeitete Version von Kultur-pur)

Rom – ich komme! In ein paar Stunden würde ich meine nicht unbeachtlich langen Beine aus dem Flieger schwingen und zum ersten Mal mit Sabine, meiner Kollegin aus dem Reisebüro den heiligen Boden der ewigen Stadt betreten. Wir nahmen an einer Expedientenreise eines Reiseveranstalters teil, bei der wir Hotels testeten und uns über die Sehenswürdigkeiten informierten.

Der Flughafen Roma-Fiumicino lag ungefähr dreißig Kilometer außerhalb der Stadt, und so stiegen wir in einen Zubringerbus, der uns zu unserem Hotel in die Innenstadt fahren würde. Ich war schon sehr gespannt, wann wir endlich das erste geschichtliche Denkmal erblicken würden. Uns gegenüber saß ein junger Mann, er trug Jeans und ein Schalketrikot. Er hatte schon eine ganze Weile herübergeschaut und schien zu überlegen, wie er mit uns ins Gespräch kommen konnte.
„Boh ey, ich bin getz echt ma gespannt, woll“, sprach er uns in breitestem Ruhrpottslang an, „wie dat woll getz da aussieht in Rom. Wart ihr da schon ma gewesen?“ Wir schüttelten beide mit dem Kopf.
„Also, ich bin der Manni aus Wuppertal, ausm Jetset-Reisebüro.“ Na prima, bei dem buchte bestimmt der gesamte Jetset aus dem Kohlenpott seine Luxuskreuzfahrten und Karibikfernreisen.
„Wie heißt ihr zwei Superfrauen denn? Find ich echt voll gut ey, dat ihr auch mit aufe Tour seid. Bei meiner Letzten nach Mallorca, da waren echt nur alte Büroleiterinnen dabei, voll die alten Schachteln, ey, dat war totaaal langweilig gewesen, woll.“
Sabine und ich verdrehten die Augen, nannten ihm aber höflichkeitshalber unsere Namen.
„Boh ey, also am meisten freu ich mich getz auf dat Kolosseum“, redete er weiter und merkte anscheinend nicht, dass uns sein Geschwafel gar nicht interessierte. „Dat muss ja früher voll krass gewesen sein, mit die Löwen, woll, ey beiß-schmatz-schluck.“
Dann brabbelte er irgendetwas von Christen und Kämpfen und Wagenrennen vor sich hin, natürlich gespickt mit lauter Bohs, Eys und Wolls.

Wir hatten uns mittlerweile dem Stadtzentrum genähert, und unser Bus schlängelte sich weiter durch die Strassen.Wir mussten wohl die Rushhour erwischt haben, denn alles war vollgestopft mit Autos, Bussen und Vespas. Die kleinen flotten Zweiräder schienen überhaupt eines der beliebtesten Fortbewegungsmittel der Römer zu sein. Mir wurde auch ganz schnell klar warum. Mit diesen wendigen Teilen konnte man sich überall bequem zwischen den Autos hindurchschlängeln. Diese verübten ein ständig anhaltendes Hupkonzert, weil sie nicht schnell genug vorankamen. Die Gehwege waren ebenfalls überbevölkert. Mir fiel sofort auf, dass die Frauen alle sehr modisch und elegant gekleidet waren. Nicht umsonst waren hier die bekanntesten italienischen Modeschöpfer zu Hause. Rom wirkte auf mich wie ein lebendiges summendes Bienennest, all diese Hektik und Geschäftigkeit, und dazu an fast jeder Ecke eine Kirche, ein Brunnen, eine Säule oder sonst irgendein geschichtliches Denkmal. Kurz und gut, Rom und ich - das war Liebe auf den ersten Blick. Auch Sabine schien sehr beeindruckt zu sein und alles in sich aufzusaugen. Es war ziemlich still im Bus, weil jeder vom Flair dieser Weltstadt gefangen war. Nur Manni hatte damit nichts am Hut. Er blökte seine Kommentare lauthals durch die Gegend.

Schließlich erreichten wir unser Hotel, ein imposantes altes Gebäude mit einem gelblichen Anstrich, grünen Klappläden und bunten Hängegeranien vor den Fenstern. Wir luden unser Gepäck aus dem Bauch des Reisebusses und versammelten uns erst einmal alle vor der Rezeption. Hier wurden wir bereits von der örtlichen Reiseleitung unseres Reiseveranstalters erwartet, einem etwas untersetzt wirkenden Italiener mit grauem Haarschopf, der auf den klangvollen Namen Giancarlo hörte.
Er begrüßte uns zwar in einigermaßen fließendem Deutsch, konnte jedoch einen starken italienischen Akzent nicht vermeiden.
„Ich wusste gar nicht, dass Trapatoni jetzt als Reiseleiter arbeitet“, flüsterte Sabine mir ins Ohr.
„Isse crreemig, isse Waahhnsinn“, flüsterte ich zurück und Sabine fing an zu kichern. Als nächstes sollte die Zimmerverteilung erfolgen. Giancarlo verkündete soeben, dass auch einige Dreibettzimmer zu vergeben seien und so ergab es sich, dass Sabine und ich noch zu einer dritten Mitbewohnerin kamen. Conny traf das Los, sie war ungefähr in unserem Alter, also Anfang dreissig und machte mit ihrem flotten Kurzhaarschnitt einen sympathischen Eindruck.
Zu dritt machten wir uns auf den Weg in unser Zimmer im vierten Stock. Nachdem der altersschwache Hotelaufzug knarrend und ächzend sein Ziel erreicht hatte und sich die Fahrstuhltür nach einer Ewigkeit mit einem quietschenden Geräusch langsam wieder öffnete, stand für mich fest, dass mich keine zehn Pferde mehr in dieses Unikum hineinbekommen würden. Lieber würde ich meine Kondition auf eine harte Probe stellen und etwas für meine Figur tun, was dieser bei dem bevorstehenden Anschlag in Form von Pizza, Pasta und Tiramisu bestimmt nicht schaden würde.
Ich steckte den Schlüssel in die Zimmertür und schloss auf. Der Raum war erstaunlich groß und mit einem antik aussehenden Schreibpult, zwei gepolsterten Stühlen und drei Betten ausgestattet. Diese standen nebeneinander aufgereiht an der Wand, fast so wie in Schneewittchens Zwergenhaus. Frische, blütenweiße Bettwäsche lachte mir entgegen und schien mich aufzufordern, meine schlaffen Glieder auf ihr auszustrecken und mein müdes Haupt in dem weichen Kopfkissen versinken zu lassen. Doch tapfer widerstand ich der Versuchung, da ich aus Erfahrung wusste, dass ich, einmal darnieder gestreckt, danach wieder ziemlich lange brauchen würde, um auf die Beine zu kommen. Und der Tag war schließlich noch nicht zu Ende. Stattdessen öffnete ich sofort das Fenster und atmete tief durch.
„Wow“, rief ich, „wir können den Petersdom sehen.“ Die anderen beiden quetschten sich sofort neben mich und genossen ebenfalls den tollen Ausblick.
„Stellt euch mal vor, sie hätten uns den Ruhrpott-Manni aufs Auge gedrückt“, kicherte ich, während ich begann, meinen Koffer auszupacken. Conny, die im Bus nur zwei Reihen hinter uns gesessen hatte, wusste sofort, wen ich meinte.
„Was für ein Ekelpaket, den kenne ich noch von einer Infotour nach Berlin. Der hielt sich für absolut unwiderstehlich und meinte mit seinem Ruhrpott-Charme alle weiblichen Mitfahrerinnen herumzubekommen.“
„Am besten, wir zeigen ihm gleich von Anfang an, wo es lang geht“, schlug Sabine vor. „Sonst haben wir den die ganze Woche über am Rockzipfel hängen“.

Als wir alles ausgepackt und uns frisch gemacht hatten, gingen wir nach unten, das heißt, Sabine und Conny bestiegen den Fahrstuhloldi und ich begann tapfer den Abstieg zu Fuß. Laut Plan sollten wir uns nun alle in der Hotelbar versammeln, um uns ein wenig kennen zu lernen und den Programmablauf zu besprechen.

In der Bar saßen bereits einige Teilnehmer unserer Gruppe in bequemen Clubsesseln an kleinen Marmortischen und schlürften Cappuccino, Campari oder ein Glas Vino. Manni nuckelte auch schon an einem Bier herum, und als er uns sah, winkte er uns aufgeregt zu, doch zu ihm zu kommen. Wir lächelten nett, winkten zurück, ließen uns aber an einem Tisch am anderen Ende des Raumes nieder.
„So, und wer bestellt uns jetzt auf italienisch was zu trinken?“, fragte Conny.
„Lasst mal, ich mach dass schon“, tat ich wichtigtuerisch und kramte in den hintersten Schubladen meines Gehirns nach den kümmerlichen Resten eines Volkshochschulitalienischschnellkurses, den ich vor Jahren einmal gemacht hatte. „Cameriere, lei puo venire un attimo per favore, vogliamo ordenare qualcosa da bere“, rief ich dem jungen Mann mit dem Tablett zu.
„Si, Signorina, vengo subito.“ Sabine und Conny starrten mich mit offenem Mund an.
„Mensch, woher kannst du so gut italienisch? Was hast du denn zu ihm gesagt?“
„Dass er zu uns kommen soll, weil wir etwas zu trinken bestellen wollen“, übersetzte ich, „und dann hat er geantwortet, dass er gleich kommt.“ Das tat er auch in diesem Moment.
„Prego signorine“, erklang eine tiefe melodische Stimme und ich blickte in die schwärzesten Augen, die ich je in meinem Leben gesehen hatte. „Prego“, wiederholte er und lächelte uns an. Aber was für ein Lächeln er hatte. Er entblößte eine Reihe schneeweißer Zähne und auf seinen Wangen erschienen zwei lustige Grübchen.
„Eh ..., un Cappucino ,eh ..., un Espresso e una eh..., una Coca Cola, per favore“, stotterte ich. Warum brachte mich dieser Typ bloß so in Verlegenheit? „Wow, ist der aber süß“, schwärmte Sabine. „Das ist doch wirklich mal ein Italiener zum Anknabbern, der sieht aus wie der Kerl aus der Cola-Light Werbung.“
„Und was für einen Knackarsch der hat“, stellte Conni fest, als dessen Besitzer sich bückte, um eine Coladose aus dem Kühlvitrinenschrank zu nehmen. Ich hörte den Schwärmereien der beiden noch eine Weile schweigend zu.
„Carina, du sagst ja gar nichts mehr, du bist wohl auch hin und weg.“ Ja, das war ich wirklich, und zwar meilenweit weg. Ich hatte mir gerade vorgestellt, wie ich mit dem hübschen Kellner ..., nein lassen wir das lieber. Der Fauxpas meiner Gedanken kam soeben wieder an unseren Tisch zurück und brachte die bestellten Getränke. Dabei lächelte er wieder sein strahlendes Lächeln und wenn mich nicht alles täuschte, hatte er mir, kurz bevor er sich umdrehte, zugezwinkert. Ein Adrenalinstoß fuhr mir vom Hals bis in die Zehen und ich machte mich geschäftig daran, das Zuckertütchen aufzureißen, und es in den Cappuccino einrieseln zu lassen. Mittlerweile war unsere Gruppe vollzählig und Giancarlo begann, seinen Text herunterzuleiern. Jeder musste sich zunächst einmal vorstellen und den Namen und den Ort seines Reisebüros nennen. Dann erläutert Giancarlo den Programmablauf, erklärte, welche Sehenswürdigkeiten wir besichtigen und welche Vertragshotels des Reiseveranstalters wir kennen lernen würden. Ich hörte zwar zu, schielte aber immer wieder in die Richtung des netten Kellners.Dabei traf mich so mancher Blick aus feurigen Augen. Nach unserer kurzen Besprechung stand uns der Rest des Nachmittags bis zum Abendessen zur freien Verfügung.

Am nächsten Morgen begannen wir nach dem Frühstück mit unserem offiziellen Besichtigungsprogramm. Für den Vormittag waren der Petersplatz und der Petersdom eingeplant. Am Nachmittag sollten wir uns dann die Sixtinische Kapelle und die Vatikanischen Museen zu Gemüte führen.
Das Wetter war herrlich. Die Sonne schien von einem strahlend blauen Himmel auf uns herab, und die klare Sicht verhieß uns laut Giancarlo nachher von der Kuppel des Petersdoms aus einen atemberaubenden Ausblick über die Stadt.
Unser Bus stand bereits vor dem Hotel. Ruhrpott-Manni war an diesem Morgen der Lachschlager schlechthin. Er trug kniekurze Hosen, braune Gesundheitssandalen der Marke „ich esse nur Vollwertkost“, kombiniert mit weißen Tennissocken, ein blau-weiß kariertes Hemd und ein blau-weißes Schalke-Käppi, das bereits diverse Löcher und Schwitzränder aufwies. Um seinen Hals hing ein Fotoapparat von Anno Tobak und auf seinen Rücken hatte er einen Minirucksack geschnallt - kurz gesagt, er sah einfach zum Verlieben schön aus. Giancarlo saß vorne in der ersten Reihe, hatte sich mit einem Mikrofon bewaffnet und begann nun, uns mit Informationen und Geschichtszahlen zu bombardieren.

Nach einer kurzen Fahrt durch die Stadt erreichten wir über die Prachtstraße Via della Conciliazione den Petersplatz.
Als wir aus dem Bus stiegen, waren wir zunächst einmal alle wie erschlagen von der gewaltigen Weite dieses Platzes und der riesigen Basilika im Hintergrund. Ich glaube, wenn man noch nicht selber hier gestanden hat, kann man dieses Gefühl gar nicht nachempfinden. Der Platz war von Gian Lorenzo Bernini entworfen worden, berichtete uns Giancarlo. Rechts und links wurde er von einem Säulengang begrenzt, der aus 284 Travertinsäulen, und 88 Stützpfeilern bestand, die wiederum von 140 Heiligenstatuen gekrönt waren. Mitten auf dem ovalen Platz stand ein 35 m hoher Obelisk aus rotem Granit, den Caligula im Jahre 37 n. Ch. aus Ägypten mitgebracht hatte.
Sicherlich hatten ihm Asterix und Obelix dabei geholfen.
Langsam schlenderten wir über den Platz in Richtung des Domes.
„Dorrt oben, hinterr diese Fensterr lebt und arrbeite il papa, der Papst“, Giancarlo zeigte auf ein Gebäude rechtsneben dem Petersdom. „Das ist die Vatikanpalast. Sonntags um zwölf Uhr errscheint die Papst an eine Fensterr und errteilt Segen.“

Wir waren mittlerweile am Dom angekommen und erhielten letzte Anweisungen von Giancarlo. Er wies uns daraufhin, dass wir nun das größte Gotteshaus der Christenwelt betreten würden und bitte keine Fotos machen sollten. Wir würden als erstes auf die Kuppel steigen und danach die Kirche von innen besichtigen. Das Innere des Doms war einfach überwältigend. Auch wenn man nicht unbedingt religiös veranlagt war, so war man doch total ergriffen von all dieser Pracht. Selbst Manni hatte es die Sprache verschlagen. Wir fuhren zunächst mit einem Aufzug bis in die Galerie über dem Hauptschiff.
Sabine und Conny kostete es einige Überredungskunst, mich dort hineinzubekommen und mir zitterten die Knie, als wir wieder ausstiegen.

Unter uns befand sich der Hauptaltar über dem Grab des Hl. Petrus mit dem riesigen Baldachin von Bernini und über uns die unendlich erscheinende Kuppel, die von Michelangelo entworfen worden war. Dies alles wusste ich bereits aus meinem Reiseführer.
„Wahnsinn, oder? Wie die das früher nur alles so hinbekommen haben, so ohne die ganzen modernen Hilfsmittel von heute.“ Conny, Sabine und ich hatten die Köpfe weit nach hinten gebeugt und starrten hinauf in die gewaltige Kuppel. Sie war immerhin stattliche 136 Meter hoch mit einem Durchmesser von 42 Meter, wie Giancarlo soeben erwähnte.
„Und diese Deckengemälde“, schwärmte ich, „also dieser Michelangelo muss ja wohl absolut schwindelfrei gewesen sein.“
„Ich habe mal einen Film darüber gesehen,“ sagte Conny. „Er hat auf einem Brett gelegen und praktisch im Liegen gemalt.“
„Ist ja irre.“ Ich schaute noch einmal zum Hauptaltar hinunter. Für einen kurzen Augenblick kam es mir so vor, als ob ich den Kellner aus unserem Hotel da unten ..., aber nein, das konnte nicht sein, ich musste mich wohl verguckt haben.
Weiter ging es über etliche Wendeltreppen und Rampen bis zur Aussichtsterrasse der Kuppelspitze. Hier bot sich uns ein einfach fantastischer Blick über die Stadt. Giancarlo hatte uns wirklich nicht zuviel versprochen. Er zeigte uns die Vatikanischen Gärten, die Engelsburg, das Colosseum und das Viktorianum, an dem wir bereits gestern vorbeigefahren waren. Alles wirkte von hier oben winzigklein.
„Was ist denn mit Manni los?“ fragte Conny und deutete auf denselbigen, der kalkweiß an der Wand neben dem Treppenausgang lehnte. Ein leises Stöhnen kam über seine Lippen. Eine aus unserer Gruppe, ich glaube sie hiess Elvira König, eine in ein jutesackfarbenes Ensemble gehüllte Büroleiterin aus Köln-Kalk ging sofort mütterlich besorgt zu Manni hin. Dieser war mittlerweile in die Knie gesunken. Er war noch eine Idee blasser geworden und auf seiner Stirn perlten ein paar traurige Schweißtropfen vor sich hin. Es stellte sich heraus, das der Gute unter akuter Höhenangst litt und sich keinen Schritt mehr bewegen konnte. Hinter uns flüsterten zwei aufgetakelte Damen aus der Gruppe aufgeregt miteinander, die eine hochtoupiert, rothaarig mit einem dezenten Leopardenmuster-Brillengestell auf der Nase, die andere, eine nicht minder gestylte Mittvierzigerin mit einem Haarschopf der Marke Rom, fünfzehn Uhr, Sonne, die Frisur klebt immer noch.
„Also, das hat der doch bestimmt vorher gewusst, dass er nicht schwindelfrei ist“, giftete die Rothaarige. „Warum ist der überhaupt mit hier herauf gekommen.“ Und noch ein wenig echauffierter: „Ich finde solche unnötigen Unterbrechungen einfach empörend.“
„Da bin ich vollkommen Ihrer Meinung“, stimmte die andere aus vollstem Herzen zu.
„Das geht alles nur von unserer Besichtigungszeit ab.“ Nein, was für herzlose Zicken. Neben uns schrieb ein kleiner, hagerer, kurz vor der Pensionierung stehender Mann eifrig in seine mitgebrachte Kladde. Er trug sein braun-grau meliertes, schütteres Haupthaar exakt gescheitelt und mittels Frisurcreme ordentlich zu beiden Seiten an die Kopfhaut geklatscht. Sein grau-braun melierter Anzug schlotterte um seinen Körper und passte farblich genau zu seinem melierten Kassenbrillengestell. Ich hätte bei diesem Herren eher auf Buchhalter getippt, als auf Reisebürokaufmann und lag mit dieser Annahme goldrichtig. Herr Malzahn arbeitete in der Buchhaltung eines großen Reisebüros in Düsseldorf-Mettmann, wie ich später erfuhr und war nur für einen Kollegen aus der Touristikabteilung eingesprungen, der ganz plötzlich auf dem Krankenbett danieder gesunken war. Nun fühlte sich Herr Malzahn dazu verpflichtet, dem kranken Kollegen bei seiner Rückkehr einen genauen Reisebericht vorlegen zu können. Manni war inzwischen rechts und links von Giancarlo und einem Teilnehmer aus Garmisch-Patenkirchen untergehakt worden. Elvira König hielt dem immer noch leichenblassen Manni ein Fläschchen Riechsalz vor die Nase und erklärte jedem, der es eigentlich gar nicht hören wollte, dass sie, seit sie einmal bei einer Reise nach Ägypten in einer Pyramide ohnmächtig geworden sei, besagtes Fläschchen nun immer mit sich führe.
„Wir brringe Manni nach unten, Sie könne noch ein bisschen die Aussicht gucken,“ wies uns Giancarlo an. „Trreffen wirr uns in eine halbe Stunde bei die Baldachin vor den Hauptaltarr.“
Sprachs und verschwand mit dem stöhnenden Manni im Treppenausgang. Wir betrachteten noch einmal Rom aus der Vogelperspektive und gingen um die gesamte Aussichtsterrasse herum.

Manni ging es bereits wieder blendend, als wir am Baldachin ankamen. Er hatte seine roten Pauspäckchen wieder und redete eifrig auf seinen bayrischen Helfer ein. Wir standen nun alle vor dem Hochaltar der Kirche, der nur bei Messen des Papstes benutzt wurde und sich über dem Grab des Hl. Petrus befand. Hier sollte doch wirklich jener Jünger von Jesus begraben worden sein, nachdem er von einem ehemaligen römischen Gerichtshof zum Tode verurteilt worden war. Über dem Hauptaltar erstreckte sich der riesige Baldachin, ich glaube, ich erwähnte bereits, dass er ebenfalls von Bernini entworfen worden war. Rechts davon bewunderten wir die auf einem Thron sitzende Bronzestatue des Hl. Petrus ( ausnahmsweise mal nicht von Bernini). Giancarlo machte uns auf den abgenutzten Fuß des guten Petrus aufmerksam.
„Die viele viele Fingerr und Lippe von die ganze Pilgerr haben die Zehe von die heilige San Pietrro abgeknabberrt“, erklärte er uns. Na dann guten Appetit, dachte ich nur. Wir schlenderten langsam zurück in Richtung Ausgang. Rechts davon, in einer eigenen Kapelle untergebracht, schauten wir uns noch die berühmte Pieta von Michelangelo an, das kostbarste Kunstwerk der Kirche. Es stellte die Mutter Gottes dar, die den sterbenden Jesus auf ihren Knien hielt. Die lebensgrossen Figuren befanden sich seit einiger Zeit hinter kugelsicherem Glas, da ein fanatischer Gläubiger mit einem Hammer auf das Kunstwerk eingeschlagen hatte.
Nun waren Mutter und Sohn Gott sei Dank geschützt vor dem weiteren Hämmern und Anknabbern diverser Irrer.

Zum Schluss dieses ereignisreichen Vormittags stiegen wir noch in die Vatikanischen Grotten im Untergeschoss, in denen wir uns diverse kleinere Kapellen und die Gräber von verschiedenen Päpsten anschauten. Ich blieb ein wenig zurück, um den Namen eines Papstes auf einem der Sakrophage zu entziffern, als plötzlich jemand meinen Arm ergriff und mich in eine Nische zog. Es war Manni, der mich gegen die Wand drückte, mit einer Hand an meinen Busen grabschte und gleichzeitig seine feuchten Lippen auf meinen Mund drückte.
„Was soll das? Spinnst du?“, schrie ich ihn an, als ich wieder Luft bekam. „Lass mich sofort los!“
„Stell dich nit so an, Baby, du willst dat doch auch“, keuchte er und begann mit seinen Lippen meinen Hals hinunter in Richtung meines Ausschnitts zu wandern. Gerade, als ich ihm ein Knie zwischen die Beine rammen wollte, wurde er plötzlich von hinten gepackt. Jemand riss ihn von mir los und verpasste ihm einen Faustschlag auf die Nase. Ich traute meinen Augen kaum, als ich in das Gesicht meines Retters blickte: Es war Silvio, der süße Kellner aus unserem Hotel. Also hatte ich vorhin doch richtig gesehen, was für ein Zufall.
„Geht es Ihnen gut Signorina?“, fragte er mich in fast akzentfreiem Deutsch. Ich war so perplex, dass ich nur wortlos nicken konnte. Manni hielt sich jammernd sein blutendes Riechorgan.
„Boa ey, du hast mir die Nase gebrochen, du Prolli.“
„Sei froh, dass es nur die Nase war“, konterte Silvio.
Oh man, sprach der ein astreines Deutsch, und ich hatte mich am vorherigen Abend mit meinen paar kümmerlichen Italienischbrocken abgequält.
„Wir müssen zu den anderen zurück, die haben uns bestimmt schon vermisst“, sagte ich und an Silvio gewandt: „Danke für Ihre Hilfe.“
Als wir aus der dunklen, kühlen Kirche auf den Petersdom traten, schlug uns grelles Sonnenlicht entgegen. Unsere Gruppe stand weiter vorne an einem Sovenirstand und nur Sabine blickte in unsere Richtung. „Da bist du ja“, rief sie, als sie mich sah. „Ich habe gerade Conny gefragt, ob sie dich gesehen hätte? Wo warst du denn solange?“
„Ich erzähl euch später, was passiert ist“, zischte ich ihr zu, da Giancarlo gerade näher kam und sich nach Mannis Verletzung erkundigte.
„Manni ist hingeflogen und hat sich die Nase aufgeschlagen, aber es ist nicht so schlimm“, versichterte ich schnell.
„Und was macht er hier?“, wisperte Sabine und deutete auf Silvio.
Tja, das wusste ich eigentlich auch nicht so genau. War er wirklich zufällig hier?

Manni verhielt sich beim Abendessen ziemlich kleinlaut. Auf seiner Nase, gegen die sogar das Riechorgan von Gerárd Departieu geradezu niedlich wirkte, klebte ein dickes Pflaster, und er verschonte seine Umwelt zum ersten Mal mit seinen klugen Kommentaren, nachdem ich ihm zu verstehen gegeben hatte, dass ich jeder Zeit erzählen konnte, was wirklich in den Katakomben passiert war. Dies hätte nämlich seinen sofortigen Rausschmiss aus der Reisegruppe zur Folge gehabt.
Nach dem Essen, lud ich Silvio, als er Feierabend hatte, noch auf einen Drink ein, um mich bei ihm für seine Hilfe zu bedanken und um mit ihm zu flirten. Er gestand mir, dass er unserem Bus nachgefahren war, um in meiner Nähe zu sein.
„Als ich dich gestern gesehen habe, cara mia, da war´s um mich geschehen. Ich konnte einfach nicht bis heute Abend warten, um dich wiederzusehen.“
Das ging mir runter wie Öl, denn auch ich fand Silvio mehr als symphatisch. Der Abend nahm noch einen sehr romantischen Verlauf, wir warfen eine Münze in den beleuchteten Trevibrunnen, saßen händchenhaltend auf der spanischen Treppe und aßen schließlich ein Eis auf der Piazza Navona, wo wir noch ein paar Freunde von Silvio trafen. Einer von ihnen hatte eine Gitarre dabei und spielte wunderschöne italienische Lieder, zu denen die anderen sangen.
Es war fast vier Uhr morgens, als Silvio mich wieder vor dem Hotel ablieferte. Er sah mir tief in die Augen und flüsterte: „Dormi bene bellissima, schlaf gut mein Engel“, bevor er mir einen langen Kuss gab.

Den Rest der Reise verbrachte ich überwiegend mit Silvio. Er nahm sich ein paar Tage frei und zeigte mir sein Rom.
Seid gestern bin ich wieder zu Hause, mein Körper jedenfalls, mein Herz und meine Seele sind in Rom geblieben, doch mein nächster Flug in die „cittá eterna“, die ewige Stadt ist schon gebucht.

 

Dies ist die überarbeitete Version von Kultur-pur. Ich habe ein paar Sachen abgeändert, gestrichen und Neues hinzugefügt.
Viel kürzer ist sie aber leider nicht geworden.

LG
Blanca

 

Hihi, Hallo Blanca!
Komme aus dem Kichern nicht mehr raus. Toll erzählte Geschichte! Echt supi! Deine lockere Art zu erzählen ist einfach Klasse!

LG Ulrike

 

Hallo Ulrike,
freut mich, dass die Geschichte bei Dir so rüber gekommen ist. :)

LG
Blanca

 

Servus Blanca,

nette, unterhaltende Geschichte für zwischendurch.
Vor allem für Itlaophile wie mich.


statt Rushhour haben wir im Deutschen Stoßzeit

Nicht umsonst waren hier die bekanntesten italienischen Modeschöpfer zu Hause.

Du möchtest Dich wohl mit drei Millionen Mailändern anlegen, hehehe...

Rom und ich - das war Liebe auf den ersten Blick

Wem sagst Du das!

Nette Geschichte für zwischendurch, unterhaltsam. Stilistisch paßt der Umganggssprachliche saloppe Ton, in welchem die Geschichte gehalten ist, auch deshalb, da Du ihn konsequent durchziehst.

liebe Grüße

Echna

 

Hallo Echnaton,
danke Dir fürs Lesen. Tja, Italien ist schon ein tolles Land. Obwohl ich jetzt fast siebzehn Jahre in Spanien lebe, hat Italien immer noch etwas Besonderes für mich. Vielleicht liegt´s auch daran, dass mein Mann halber Italiener ist.
Rom und ich, dass war wirklich Liebe auf den ersten Blick, eine Wahnsinnsstadt.
Stosszeit ist vielleicht der deutsche Begriff, aber mir gefällt Rushhour besser, deswegen werde ich das mal so stehen lassen.
Auf jeden Fall freut es mich, dass Dir meine kleine Italiengeschichte gefallen hat.

LG
Blanca

PS. Ich hoffe, die drei Millionen Mailänder werden mir verzeihen. :D

 

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