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Ein Hotel in Rostock

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02.11.2002
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Ein Hotel in Rostock

Einsam. Ruhelos. Aber immerhin nicht untätig. So sitze ich in Rostock. Habe mein Hotel wieder nur wegen der guten Matratze gewählt. Herrlich fest, keine Kuhle oder Ritze in der Mitte und herrlich breit. Mindestens einen Meter achtzig. Kabelfernsehen. Ist eines dieser typischen Vertreter- und Außendienstler-Hotels, dass normalerweise Selbständige mit kleinem Budget buchen. Oder der geizige Chef.

Ich wohne hier gern. Habe neulich zur Abwechslung in einer der feinen Adressen der Stadt übernachtet. Die Sekretärin meiner Chefin wollte mir wohl was Gutes tun. Eines von unzähligen gleichgeschalteten Hotels von einer dieser gleichgeschalteten amerikanischen Ketten. Fünf Tage Rückenschmerzen. Seitdem wohne ich wieder hier und wache ausgeschlafen und schmerzfrei auf. Komfort besteht eben nicht nur aus Sauna und Sonnenbank im Tiefparterre. Ein gutes Bett ist der Anspruch den ich habe und hier finde. Ich schlafe oft hier. Immer wieder. Seit zwei Jahren unregelmäßig, aber eben immer wieder

Sitze am Fenster und hacke mit zwei Fingern auf meinem Laptop rum. Immerhin nicht untätig. Der Blick aus dem Fenster geht raus auf den alten Stadthafen. Im Sommer schaue ich wehmütig raus. Die großen Schiffe liegen inzwischen draußen im Hafen von Warnemünde. Aber hier im alten Hafen warten die Segelyachten auf das Wochenende. Warten, dass die wohlsituierten Rostocker, Berliner und Lübecker rausfahren auf die Ostsee. In den Momenten denke ich mir, dass es ein Leichtes wäre die Leinen einer Segelyacht loszumachen, die Roll-Genua rauszulassen und mit einer leichter Brise eine Runde in der Nacht zu drehen um in der Morgendämmerung das Schiff wieder zwischen den Dalben festzumachen. Segelyachten wären so leicht zu klauen.

Jetzt - im November - sind die Schiffe in ihren Winterlagern. Das Hafenwasser ist eine schwarze Fläche. Durch das dunkle Gegenufer sind keine Reflexionen auf dem Wasser zu erkennen. Man stellt sich vor, dass das Wasser ebenso kalt sein muss wie es trostlos scheint.

Alleine in einem Hotel zu wohnen ist nicht der Traum vom Leben. Morgen geht es endlich wieder heim. Mit dem Nachtflieger aus Berlin. Heim nach München. Kurz schlafen, dann einen Tag voll Arbeit im Büro, abends meine Kinder. Ein bisschen Erzählen, ein bisschen Kinderprogramm. Im Bett raufen, einschlafen lassen. Nachts an der Tür vorbeigehen und reinblinzeln. Wer keine Kinder hat wird dieses warme Gefühl nicht kennen, das sich einstellt, wenn man seine eigenen Kinder im Schlaf beobachtet. Am leichtesten lässt es sich beschreiben mit dem Gefühl eines Teenagers in der Magengegend beim ersten Gutenacht-Kuss vor der Haustür des Mädchen, das man nach der Party heimgebracht hat. Heimgebracht hat, obwohl es nicht wirklich auf dem Heimweg wohnt, sondern eher in die Gegenrichtung. Was man alles tut und vor allem was man alles fühlt, wenn man über beide Ohren verliebt ist. Ich bin wohl wieder verliebt. Über beide Ohren in meine Kinder. Ich weiß gar nicht wie ich es ihnen sagen soll. Ich hoffe, sie spüren es.

Heute also noch eine Nacht in diesem Hotel. Der Gedanke an meine Kinder lässt diese Einsamkeit wieder wachsen. Wenn es aber nur die Einsamkeit wegen der Kinder wäre. Da muss man wohl durch. Bin allein, weil ich es wollte. Gleichzeitig sehne ich mich nach der Trennung von meiner Frau nach der Beziehung mit einer anderen Frau. Was für ein Widerspruch. Der Mensch ist ein Rindvieh. Und wie das so ist, er sucht seinesgleichen. Nur seinesgleichen zu finden ist in letzter Zeit sehr schwer. Eines weiß ich: Einsamkeit ist nicht das was ich suche...

Aber, ich war hier nicht immer alleine. Auch deswegen wohn ich hier gern. Dieses Hotel, in dem man immerhin so aufmerksam ist, dass man immer das selbe Zimmer bekommt, birgt schon so etwas wie Erinnerungen für mich.

Erinnerungen, die damit anfingen, dass ich mit zwei Frauen im Bett lag. Erinnerungen, die damit anfingen, dass ich im Bett lag mit zwei Frauen aus Ostdeutschland, von denen ich immer gedacht habe, dass Sex in Ostdeutschland viel unkomplizierter ist als im ach so braven München und hier für mich fand, dass nicht alle Vorurteile über den Osten Deutschlands falsch sind.

Es wäre eine andere Geschichte zu erzählen, wie die beiden in mein Bett kamen.
Jedenfalls war ich in die eine verschossen. Die andere in mich. Als ach so braver Münchner hatte ich im Morgengrauen nur Augen für die eine. Ich lag im ersten Licht wach und betrachtete das Gesicht dieser sexy Frau. Ich lag links, das Geschöpf der Begierde in der Mitte und die Verliebte, von der ich nicht wusste, dass sie mich liebte auf der anderen Seite. Ich lag da und streichelte der Mittleren sanft mit den Fingerspitzen über den Arm. Sie schlief, beziehungsweise musste sich wohl schlafend stellen und wollte genießen. Die Verschmähte bekam es mit und ging. Sie hatte ein gebrochenes Herz und ich guten Sex. Erst Tage später griff ich mir an den Kopf und dachte, dass das wohl die erste, einmalige und wahrscheinlich letzte Nacht war, in der ich so nahe am Sex zu Dritt war. Männer denken halt mit dem Schwanz. Der hat keine Augen um die Chance zu sehen.

Erinnerungen habe ich auch daran, dass ich ein dreiviertel Jahr später mit dem Mädchen zusammen war, dem ich damals das Herz brach. Auch mit diesem Mädchen verbrachte ich Nächte in diesem Hotel. Mit Sex, der alles zuvor in den Schatten stellte.

Erinnerungen, die ich als schön empfinde. Erinnerungen, die mich aber gerade beim Einschlafen einholen und wieder diese Einsamkeit schüren.

Ich möchte wieder diese Nächte erleben, in denen ich Zärtlichkeit, Sex und Geborgenheit empfinde. Nicht hier im Hotel, sondern zu Hause. Ich möchte irgendwann wissen, dass ich aus Rostock eines Tages spät h e i m komme. Mit dem Nachtflieger aus Berlin. Ich möchte heimkommen und in ein schlafendes zufriedenes Gesicht schauen. Das Gesicht einer Frau, die auf der Couch, unter eine Decke gekuschelt, versucht hat wach zu bleiben um auf mich zu warten. Ich möchte heimkommen, meine Krawatte über den Stuhl legen, die Schuhe neben den Schrank zu stellen und diese Frau zärtlich auf die Stirn küssen. Ich möchte ihr Grummeln hören und kein Wort verstehen, dass sie im Halbschlaf über die Lippen bringt und dennoch wissen, was sie mir sagen möchte.

Ich möchte heimkommen und diese Frau in´s Bett tragen, ihr die Decke über die Schulter ziehen, mich hinten an sie rankuscheln und zufrieden einschlafen.
Ohne Einsamkeit, ohne Einsamkeit im Hotel...

Bis das soweit ist, werde ich mich wohl mit den Nächten im Hotel abfinden und das Beste daraus machen. Vielleicht mit abenteuerlichen Nächten mit einer neuen Frau, bei der die Sehnsucht nach Zärtlichkeit und begehrendem Sex in diesem Hotel erfüllt wird. Solange, bis aus diesen Abenteuern wieder Erinnerungen werden.

Vielleicht gibt es aber auch eine da draußen, bei ich diese Fantasien bald verliere. Eine, die so oft den Weg in mein Herz findet wie ich den Weg in dieses Hotel. Eine, bei der ich keine Einsamkeit verspüre, wenn ich hier aus dem Fenster gucke. Eine, an die ich den letzten Gedanken vor dem Einschlafen denke und nicht mehr einsam einschlafe.

 

Hallo,

ein Hotel in Rostock? Cool. Da ich grad in einer Uni in Rostock sitze, musste ich das natürlich sofort lesen, und habe da erstmal geguckt, wie du die Stadt da eingebaut hast. Sehr hübsch. Schön, wenn man mal was zu lesen kriegt, wo das eigene Umfeld mitspielt. Macht alles gleich viel realistischer.

Generell fand ich die Sehnsucht des Mannes nach einer Familie und einer Heimat schön rübergebracht, war nachvollziehbar. Eine Formulierung, die ich gut fand:

sie hatte ein gebrochenes Herz und ich guten Sex

Zwei Sachen, die ich nicht ganz nachvollziehen konnte:

Erinnerungen, die damit anfingen, dass ich im Bett lag mit zwei Frauen aus Ostdeutschland, von denen ich immer gedacht habe, dass Sex in Ostdeutschland viel unkomplizierter ist als im ach so braven München und hier für mich fand, dass nicht alle Vorurteile über den Osten Deutschlands falsch sind.

und

Erst Tage später griff ich mir an den Kopf und dachte, dass das wohl die erste, einmalige und wahrscheinlich letzte Nacht war, in der ich so nahe am Sex zu Dritt war. Männer denken halt mit dem Schwanz. Der hat keine Augen um die Chance zu sehen.

Na, dann denkt dein Protagonist doch mit nix anderm als mitm Schwanz. Nur leider erst hinterher. Hätte er schon damals, hätte er es doch ausgenutzt :D

So. Stilistisch war der Text auch okay, kurze teilweise abgehackt klingende Sätze, man kann sich gut vorstellen, wie der Protagonist das alles jemandem erzählt, mit einer leicht traurigen und doch etwas gleichgültigen Stimme.

Viele Grüße,
Mario

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi daetann,

möchte mich Mario D. eigentlich vollinhaltlich anschließen, bis auf eine kleine Abweichung vielleicht. Die abgehackten Sätze gefallen mir dort, wo Du sie einsetzt, weil Du, wie ich finde, damit sehr gut das Tempo und die Tiefe der Geschichte variierst. Aber ich gebe zu, dass es schwierig ist und auch mir oft schwer fällt, das so zu tun, dass man nicht gegen die Gedanken-Gefühls-Lesewelt der Leser variiert, sie also nicht vor den Kopf stößt.

Gerade die Stelle

"sie hatte ein gebrochenes Herz und ich guten Sex"

war für mich so eine, wo Du das Tempo absolut gegen meinen Leserhythmus variiert hast und mich gezwungen hast, die Geschichte mit Deinen Augen zu sehen, statt sie mit meinen zu lesen (die sich viel zu sehr mit dem "verschmähten" Mädchen identifizierten - aber die kommt ja nachher zu ihrem "Recht", warum also nicht auch so.)

Ob Du das dann willst, den Leser in Deine Perspektive zwingen oder nicht, musst wohl am ehesten Du wissen. Manche stört’s, mich nicht.

Gruß
mod

BTW: beruflich kenne ich diese Hotelzimmernächte und privat den Blick in die Kinderzimmer, so war es Dir vielleicht allzu leicht, mich in Deine Geschichte zu verwickeln. ;)

 

Hey mod,

ich habe nicht gesagt, dass ich die abgehackte Sätze schlecht fand. Ich hab gesagt

man kann sich gut vorstellen, wie der Protagonist das alles jemandem erzählt, mit einer leicht traurigen und doch etwas gleichgültigen Stimme.

DURCH die abgehackten Sätze ist das so!

:)

Mario

 

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