Was ist neu

Ein Herz für Ralf

Mitglied
Beitritt
23.09.2002
Beiträge
93
Zuletzt bearbeitet:

Ein Herz für Ralf

Natürlich habe ich gestern vergessen, das Haus lautlos zu schalten, und jetzt rächt es sich mit „Guten Morgen Deutschland“.

„Ruhe!“, krächze ich, und das Haus verstummt.

*​

Zum zweiten Mal wache ich auf, weil ich pissen muss. Schnell aufzustehen wäre ein Fehler, und so öffne ich erst mal die Augen. Natalie oder wie sie hieß ist natürlich nicht mehr da. Habe ich sie gestern noch rausgeworfen? Ich weiß es nicht mehr.

Das Mittagsjournal wabert lautlos über die Sonywand vor mir, und ich muss mich festhalten. Fuck, ist mir schlecht. Kotzen, pissen, und feststellen, dass Natalie oder wie sie hieß die Klobrille runtergeklappt hat.

Ich sage dem Haus, dass Dominique heute arbeitet und gehe in die Küche. Zwei Aspirin zum Eristoff und ich bin wieder Mensch.

*​

„Es tut mir Leid, Herr Lohmann, früher ging nicht“, meint Dominique als sie gegen zwei endlich auftaucht.

„Jetzt ist auch schon egal. Klo, Schlafzimmer, und die Küche wenn ich fertig bin mit essen.“

Dominique braucht eine Stunde, aber wenigstens putzt sie gründlich.

„Ich konnte wirklich nicht schneller kommen, die Dadaisten haben die Busspur blockiert“, entschuldigt sie sich schon wieder.

Dominique hat Angst um ihre Stelle, aber ich bin kein Unmensch.

„Ist ja gut Dominique. Schönen Tag noch“, Tür zu, und endlich wieder Ruhe.

Nicole oder wie sie hieß hatte gestern natürlich auf Champagner bestanden, Pisse – kein Wunder, dass mir noch immer schlecht ist. Und natürlich, Gastripan verträgt sich nicht mit Beruhigungsmitteln. Also Magenschmerzen oder nüchtern bleiben.

Ich entscheide mich für ein paar Underberg, die helfen mit dem Magen und mit dem Distraneurin. Danach aufs Leder vor der Sonywand im Wohnzimmer und noch ein wenig ausschlafen bevor's wieder ans Feiern geht …

*​

… und plötzlich heiße Nadeln in den Schläfen – Telefon!

„Verzeihen Sie … aber nachdem Sie bis sechzehn Uhr dreißig noch nicht online waren, dachten wir uns, fragen wir zur Sicherheit noch mal nach, ob bei Ihnen so weit alles bereit ist …“

Fuck, die Arbeit! Jetzt nur nichts anmerken lassen!

„Sicher ist bei mir alles so weit bereit! Sie denken doch nicht, dass ich den kleinen … na?“

„Schüte, Ralf … ?“

„Klar! Also denken Sie nicht, dass ich den kleinen Schüte warten lasse, oder, Günther!“

„Natürlich nicht … und bei Ihnen ist bestimmt alles in Ordnung?“

„Jetzt machen Sie sich nicht ins Hemd, in fünf Minuten bin ich online.“

Klick, weg mit dem Nokia, fuck, Kopf unter die kalte Dusche. Fuck! Und der Trip für heute Abend geht drauf, damit ich für den kleinen Schüte in die Gänge komme.

Danach die Brille aufgesetzt, die Hände in den Manipulator und online. Vor meinen Augen erscheinen die Daten von Schüte, Ralf, und eine dreidimensionale Darstellung des Jungen, Datum von vorgestern. Ich überspringe den Testlauf, und oben links tauchen die maskierten Gesichter von Günther und dem Anästhesisten auf. Darunter das Standbild eines Chinesen, den ich noch nie zuvor gesehen habe. Der Junge ist jetzt in Farbe, live.

Die Chromstahlarme, die sich auf den kleinen Schüte zu bewegen sind gyroskopstabilisiert und zittern lange nicht so stark wie die Arme, die ich im Manipulator nach vorne schiebe. Von rechts kommt der glänzende Arm des Chinesen und schneidet ein perfektes „T“ in die Brust des Jungen. Ich strecke sechs kristallene Finger nach vorne, tauche sie in den senkrechten Balken des „T“s und bringe die schmächtige Brust zum blühen. Aus den Augenwinkeln sehe ich die drei Assistenzärztinnen um den Jungen tanzen wie zur Walpurgisnacht, und irgend wo außerhalb des Schärfebereichs meiner Optik steht Günther und bewacht das Herz, das in den Jungen muss. Ich strecke meine Arme danach aus, aber sie sind zu kurz. Meine Arme sind zu kurz, und der Junge braucht ein Herz.

Die Hexen tanzen, und die jüngste beugt sich über den Jungen und macht irgend was an seiner Brust. Der Arm des Chinesen zittert trotz all der Gyroskope, Günther oben links lacht oder weint, das Herz strahlt wie eine Sonne, unendlich weit weg. Aber der Junge braucht ein Herz!

Und da begreife ich endlich. Der ganze Raum ist voller Herzen. Ich brauche nur die Arme auszustrecken.

 

Fuck, ich glaub das hat mir nicht so gut gefallen. ;) Die Idee ist ja so gut wie Realität, und der Charakter und ein Großteil der Handlung haben mich auch nicht überzeugt. Aber mir kann ja auch nicht alles gut gefallen. :)

Grüße

Dante_1

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Slingshot!

Mir hats es gefallen. Sicher, ist nicht zu weit weg, aber das muss es ja nicht immer. Nur dass die Ärzte immer Alkoholiker sein müssen (oder auf dem besten Weg dahin...)
Das Ende habe ich aber nicht so ganz verstanden. Halluziniert er im Drogenrausch? Oder was sollten die Sonnen?

In diesem Sinne
c

Nachtrag:
Hab jetzt gerade noch einmal das Ende gelesen und es muss eine Art Drogenrausch sein. Oder?

 

Hallo slingshot

Ich schließe mich da lieber auch Chazar an:
Fands ganz gut. Anfangs der etwas derbe Umgangston deines Prots, eingebettet in ein multifuntionales Haus. Da hab ich mich schon gefragt, was der für einen Stand hat, dass er sich so ein Leben leisten kann.
Auf Chirurg wäre ich dann nicht gekommen, nach der Beschreibung des ständigen Drogenexzess.

Würde nich auch in Zukunft solche Ärtzte früher oder später Praktizierverbot bekommen?


mfg Hagen

 

Jaja, die Tücken der online-Fernoperation :teach: :D
Aus jeder Krankenhausserie weiß man, dass ein betrunkener Arzt von sorgenden Schwestern nach Hause geschickt und gevö... gesundgepflegt wird, statt im OP zu praktizieren. Das muss dann der Betrüger mit dem gekauften Doktortitel erledigen, und der hat auch noch Spaß dabei.
Zurück zur Geschichte :D
Von der Schreibe her ganz prima, aber irgendwie fehlt mir was. Dieser Anfall am Ende kommt mir zu unbegründet, und mir fehlt der Hintergrund. Wieso ist dieser Mensch so fertig?

Fazit: sprachlich gut, inhaltlich brauchbarer Ansatz, aber nicht überzeugend.

Uwe
:cool:

 

Hallo slingshot,
Hab das Ende nicht verstanden. Der Anfang war gut.
Das ganze hätte ruhig noch etwas länger sein können

Grüße
Bernhard

 

Hey slingshot du bist ja ziemlich produktiv in letzter zeit

Gerade das Ende finde ich sehr eindringlich. Allein sich vorzustellen, was dem Jungen passieren kann, während der Arzt, mit seinen Metallhänden nach irgendwelchen nicht vorhandenen Sachen greift, ist mir fast unerträglich.

weckt Emotionen, gut so ;)

 

Hallo Dante_1,

und danke für Deinen Kommentar! Schade, dass Dir die Geschichte nicht gefallen hat …


Hallo chazar!

Vielen Dank, freut mich, wenns gefallen hat :)

Halluziniert er im Drogenrausch? Oder was sollten die Sonnen?
Mit dem Drogenrausch hast Du recht, die Pointe ist mir dann aber leider nicht mehr verständlich genug geglückt:
Die Idee war, dass der Prot in seinem Rausch mit aller Kraft ein Herz in den Jungen stopfen will. Er reißt ihm den Brustkorb auf, und als er das vorbereitete Herz (das er mit einer Sonne assoziiert) nicht erreicht, wird ihm klar, dass rund um den Patienten noch eine Menge anderer Menschen stehen – und deren Herzen befinden sich in Reichweite seiner Arme …

Hab den letzten Absatz von

Und da begreife ich endlich. Der ganze Raum ist voller Sonnen. Ich brauche nur die Arme auszustrecken.
in
Und da begreife ich endlich. Der ganze Raum ist voller Herzen. Ich brauche nur die Arme auszustrecken.
geändert – hoffe, damit wird die Pointe klarer :drool:


Hallo Hagen, danke fürs Lesen und Kommentieren!

Würde nich auch in Zukunft solche Ärtzte früher oder später Praktizierverbot bekommen?
hoffentlich :D (Und abgesehen davon glaube ich nicht, dass ein vernünftiges Tele-OP-System einen so gravierender Missbrauch überhaupt zulassen würde – Kraft, Aktionsradius und Geschwindigkeit des Systems in der Geschichte sind viel zu hoch, um realistisch zu sein.)


Hallo Uwe,

vielen Dank für Deine Kritik! Schätze, mit dem Drogendoktor hab ich ein wenig zu tief in die Klischeekiste gegriffen :D

Von der Schreibe her ganz prima, aber irgendwie fehlt mir was. Dieser Anfall am Ende kommt mir zu unbegründet, und mir fehlt der Hintergrund. Wieso ist dieser Mensch so fertig?
Eigentlich wollte ich bloß eine „Pointengeschichte“ ohne viel Handlung und Hintergrund schreiben. (Leider ist die Pointe dann misslungen, siehe Antwort an chazar) Jetzt wo ich darüber nachdenke, sehe ich aber, dass dem Prot ein wenig Hintergrund nicht geschadet hätte (vielleicht bin ich beim Schreiben dem Alkoholiker-Chirurg-Klischee so aufgesessen, dass ich gar nicht daran gedacht habe, noch groß zu erklären).


Hallo Bernhard,

vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren! Das Ende hab ich jetzt geändert, hoffe dass es so deutlicher ist (siehe Antwort an chazar). Wie gesagt, der Text war als Pointengeschichte gedacht, deshalb der geringe Umfang …


Hallo Porcupine,

und danke für Deinen Kommentar!

weckt Emotionen, gut so
Freut mich, wenn ich das hingekriegt hab :)
Allein sich vorzustellen, was dem Jungen passieren kann, während der Arzt, mit seinen Metallhänden nach irgendwelchen nicht vorhandenen Sachen greift, ist mir fast unerträglich.
:teach: glaube, mich daran zu erinnern, dass in der jüngsten Vergangenheit ein paar hundert Hüftoperationen, die per Roboter durchgeführt wurden, massive Spätfolgen mit sich gebracht haben – also in Zukunft besser gesund bleiben :D

mfg

Bernhard

 
Zuletzt bearbeitet:

Tja, der Roboter war ja auch ein amerikanisches Produkt, dass in den USA keine Zulassung erhielt, also wurde er nach Europa verkauft um ihn zu "Testen"

edit: also mir haben die Sonnen besser gefallen :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Bernhard,

obwohl ich im großen und ganzen kein Fan von reinen Pointen-Geschichten bin, hat mir diese hier schon gefallen. Allerdings finde ich, daß Du den Charakter am Anfang etwas überzeichnest, das klingt für meinen Geschmack etwas zu sehr nach Bukowski. Nichts gegen Bukowski, ich finde nur, es verleiht dem ganzen hier einen etwas parodistischen Charakter und schwächt dadurch den Horror am Schluß unnötig ab.

Schöne Grüße
Roy

P.S.: @Uwe:

wei� man, dass ein betrunkener Arzt von sorgenden Schwestern nach Hause geschickt und gev�... gesundgepflegt wird
Als Ehemann einer Krankenschwester muß ich doch sehr bitten... :D

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom