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Ein herrlicher Marlin
„Das ist ein Wort!“, sagen sie in fünf Sprachen und freuen sich, mich überredet zu haben. Sie heben ihre Gläser und ich stoße mit jedem an. Mit den beiden Ladies zuerst.
„Mirren“, sag ich und bringe unsere Gläser zum Klingen, und „Evy“, noch einmal dieser erhabene Ton, schöner als manche Kirchenglocken. Ich schau den beiden nur kurz in die Augen, schließlich gilt ihr Lächeln der Kuriosität meines Alters und nicht mir als Mann.
Damals hatte das Spiel mit den Augen noch Spaß gemacht, wie beim Roulette. Fade oder höchstentzündlich. Streichhölzer in jeder Hosentasche.
Dem Blick von Männern standzuhalten war nie ein Problem, auch nicht dem von Rivalen.
Im Gegenteil.
Wir verabschieden uns und sie rufen mir nochmals hinterher: „Also bis Dienstag, halb sieben!“ Fehlt nur, dass sie mir’s aufschreiben. Auf der Heimfahrt mache ich Pause bei ‚Rosy’s Terrace’, bestelle Tee mit Rum und sortiere meine Gedanken. Mir muss man nicht vorwerfen, den Einsamen zu spielen; es geht gar nicht anders, wenn man alleine ist. Wenn ich in Bars und Restaurants aufkreuze, dann nicht, um Leute kennenzulernen, sondern um zu essen und zu trinken. Ich halte mich aufrecht und straff, achte auf ein neutrales Gesicht – weder abweisend noch zu freundlich – und suche kein Gespräch. Doch vielleicht reizt gerade das manche Leute beim dritten Ale, dem alten Hagestolz in aufkommender Alle-Menschen-werden-Brüder-Stimmung den Arm um die Schultern zu legen, oder ihm beim vierten Ale kräftig draufzuhauen, um ihn dann zum Wettangeln einzuladen.
Und mich muss der Hafer gestochen haben, einzuwilligen. Aber ich brauche Gesellschaft. Dienstag, halb sieben. Für alle Fälle tipp ich’s ins Smartphone ein.
Schon ziemlich weit draußen, bei ablandigem Wind und friedlicher See, wenn auch mit kurzen, harten Wellen, spüre ich mit einem Mal ein Zerren an der Angel. Da mag jemand Makrele. Statt mich zu freuen, nehme ich das beinahe widerwillig wahr, empfinde es in dieser frühen Stunde fast als Störung; doch plötzlich, wie bei einer Explosion, hellwach geworden, tourt der Puls hoch, es schrillt grell in den Ohren wie eine Turbine. Mich durchrüttelt eine mächtige Dosis irgendwelcher Hormone, wie mit einer Riesenkanüle in die Blutbahn gejagt. Meine Hände zucken.
Es wird ernst! Großwild vor mir, Attacke – Thun, Blauhai, Marlin, ich drille, gebe Leine, spüre Kräfte, die ich schon abgeschrieben hatte. Fast eine Stunde dauert der Kampf, ich muss mehr geben, als ich habe. Doch mit Genugtuung registriere ich Interesse auf den anderen Booten, Mirren und Evy winken. Hab keine Hand frei, zurückzuwinken. Meine große Nummer, vielleicht ein letztes Mal.
Die Fotografen packen ihr Gerät zusammen. Ich bleibe am Kai zurück, die anderen ziehen lärmend in die Kneipe. Bin jetzt allein mit meinem Kontrahenten. Musste ihn so oft hochrecken gegen die Blitzlichter, für die Uhuaugen der Kameras. Mein Rücken schmerzt. Vom Siegerlächeln tut mir das Gesicht weh; die ganze Anspannung, diese Aufgekratztheit – das alles rutscht nun langsam ab von mir, hört endlich auf, mich zu kommandieren, in diese Sklavenrolle zu pressen, die ganz und gar nicht meinen Vorstellungen entspricht. Sieger? Wollte ich gar nicht, kam einfach so. Hab mich wohl eher lächerlich gemacht. Ein alter Knacker macht die große Show.
Hätte meine Eitelkeit bezähmen, dem Marlin die Freiheit gönnen sollen. Musste ich wirklich den Helden spielen und die Jüngeren auf die Plätze verweisen?
Aber das ist doch Blödsinn!
Schließlich kenne ich mein Alter, meine Krampfadern und ausgeleierten Herzklappen. Ich war lediglich ein bisschen unausgefüllt, etwas gelangweilt und hab deshalb – um wieder einmal unter Leuten zu sein - an diesem Wettangeln teilgenommen.
Doch jetzt bin ich mir selbst ein Rätsel.
Woher kommen plötzlich soviel Kraft und Energie?
Verrückt gewordene Hormone, ein letztes Aufbäumen vor der großen Ruhe, Sehnsucht nach Bewunderung? Ich hätte bei dieser Schinderei draufgehen können, doch es schert mich nicht. So lebendig war ich lange nicht mehr. Ganze fünfzig Minuten konnte ich noch einmal diese steinzeitlichen, fast dämonischen Urgefühle auskosten, wo Leben und Stolz aufleuchten und der Tod ein jämmerlicher Schmierlappen ist.
Mein Marlin ist ein einziger Muskel. Silbrigblau, schnittig, gefährlich mit seiner Schwertlanze. Eine Schönheit. Einmal hab ich einen Marlin auf der Schwanzflosse übers Wasser tanzen sehen – das tun sie in großer Gefahr – und jetzt liegt so einer vor mir! Ich habe ihn erlegt, ihn besiegt.
Skurril genug: Ich verspüre Stolz, weiß aber, dass es Wahnsinn ist.
Jetzt sitze ich auf diesem von Rostblattern vernarbten Poller, le roi est mort, und ich bin schuld.
Und groggy bin ich, geschlaucht und geschafft.
Man hat ihn hundertfach fotografiert, die Abendausgabe verkauft sich mit einem solchen Knüller wie von selbst.
Ich bin auch gut getroffen, Seeluft bräunt. Auf einem Foto präsentiere ich meine Trophäe mit Evy und Mirren; unsere Pose ist professionell, wir haben strahlend weiße Zähne.
Mein Herz schlägt wieder gleichmäßig, die Pillen wirken. Was für eine Aufregung! Hunger hab ich jetzt. Steak ist nicht sehr originell, doch Fisch hatte ich schon.
Heh, da schreien sie übermütig und recken die Gläser in den Abendhimmel – wo ich denn bliebe? Ich fuchtle mit den Armen und morse ‚Komm ja schon’. Fühl mich verdammt gut.