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Ein Hase auf Rezept

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04.08.2002
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Ein Hase auf Rezept

Mit einem Aufschrei sprang ich vom Tisch auf, um mit großen Schritten zur Apotheke zu hetzen. Der Tag war anstrengend gewesen, beinahe hätte ich das Rezept vergessen. Ich war sehr spät dran. Am Ende war es noch zu spät, die ärztliche Verordnung abzuholen. Am Morgen hatte ich dort eine Verschreibung abgegeben. Es sollte eine Salbe angemischt werden.
„Kommen Sie bitte zwischen 18.00 und 19.00 wieder, dann ist die Salbe fertig. Es tut mir leid, dass es bis heute Abend dauert, aber wir haben vor dem Wochenende viel zu tun“, sagte die Apothekenhelferin mit gekünstelter Freundlichkeit. Sie schob mir den Abholschein über den Tresen. Man merkte, dass Streß förmlich in der Luft lag.
„Das macht nichts,“ antwortete ich gelassen. „Es ist schon in Ordnung.“ Ich lächelte freundlich zurück. Dann steckte ich das Papier ein und ging nach Hause.

Um 18.45 Uhr mitteleuropäischer Zeit betrat ich erneut die Apotheke. Mit leicht zittriger Hand kramte ich meinen Abholschein heraus, und wurde sofort von einer Angestellten bedient. Sie hatte einen kleinen Hasen aus Plüsch an ihrem Weißen Kittel. Mir war der Anstecker schon am Morgen aufgefallen. Geduldig wartete ich auf meine Salbe. Zuerst stand ich nur da und schaute die Regale an.
„Ihre Gesundheit liegt uns am Herzen,“ las ich. Im Verkaufsraum hing eine Uhr. Sie hatte lustig bunte Zeiger. Mittlerweile waren fünf Minuten vergangen. Von der Apothekerin war nichts zu sehen. Ich machte mir Gedanken, was geschehen sein könnte. Hatten sie mein Rezept vergessen anzumischen? Konnte die Pharmazeutin die Salbe nicht finden? Oder war sie eingesperrt? Mir fiel eine Reportage ein, wo Kollegen den Mitarbeiter in einem kleinem Zimmer eingeschlossen hatten. Mit einem Mal hatte ich das Geschehen deutlich vor Augen. Aus dem Hinterhalt war eine Person gekommen und hatte die arme Frau in einem kleinen Zimmer eingeschlossen. Ich konnte die Schreie richtig hören. Die Ärmste trommelte gegen die Tür, bis sie kraftlos zu Boden sank.
Durch ein Klingeln wurde ich abrupt aus meinen Gedanken gerissen. Eine weitere Kundin betrat das Geschäft.Ich hatte Mühe mich zu sammeln.
Aus einem Nebenraum kam ein Kollege, und fragte, „Guten Abend, was bekommen Sie?“
„Ich möchte Zink- Brausetabletten!“ Der Apotheker nickte, und verschwand hinter einer Wand. Er kam wenige Augenblicke später, mit dem gewünschten Präparat in der Hand wieder. „Fünf Euro, elf Cent bitte“, sagte der Mann vom Fach, und reichte das Medikament über den Tresen. Die Kundin bezahlte und verließ die Apotheke. Ich stand immer noch dort.
Mittlerweile war ich ungeduldig. Ich hatte angefangen mit den Fingern mein Portmonie zu kneten. Mit gemischten Gefühlen stellte ich mich abwechselnd auf das Rechte, dann auf das Linke Bein. Dann kam die Apothekerin zurück. Die Frau war völlig verändert.
Im ersten Augenblick dachte ich sie hätte sich Wasser ins Gesicht gespritzt. Doch bei genauerem Hinsehen sah ich, dass es Schweiß war der ihr im Gesicht stand. Die Angestellte hatte immer noch meinen Abholschein in der Hand, und auch das Rezept, was ich heute Morgen hier abgegeben hatte. Nur die Salbe hatte sie nicht mitgebracht.
Sie versuchte die Nummer meines Scheines mit der Nummer auf dem Rezept zu vergleichen. Sie konnte jedoch die Zahlen nicht zusammen bringen. Immer wieder murmelte sie: „773, 773.“ Sie schaute wie gebannt auf die Zahlen. Offenbar war sie nicht imstande das Rezept zu lesen. Zunehmend nervös stand ich ihr gegenüber. Mir stiegen wieder absurde Gedanken in den Kopf. War ich vielleicht durcheinander? Wie durch einen feinen Nebel sah ich, dass sie die Unterlagen auf den Tresen abgelegt hatte.
„Stimmt etwas nicht, ist meine Salbe nicht fertig?“ hörte ich mich sagen. Ich hatte das Gefühl nicht richtig sprechen zu können. Meine Zunge war schwer wie Blei.
„Ich weiß nicht, was ich damit machen soll? Weswegen waren Sie noch mal hier?“ fragte die Apothekerin irritiert.
Aufgewühlt erzählte ich ihr noch mal, weswegen ich hier sei.

Die Uhr war in der Zwischenzeit auf 18.55 weiter gewandert. Sie sah mich an, und nun sah ich, daß sie im Gesicht noch weißer war, wie ihr Kittel, den sie an hatte. Der Hase, der an ihrem Kittel geheftet war, kam mir nun vor wie eine Bedrohung.
Hatte mir der Rammler gerade zugezwinkert? Er wackelt bei jeder Bewegung, die gemacht wurde mit den langen Ohren. Da, er zwinkerte mir noch mal zu. Oh, nein bitte nicht. Er richtete nun beide Ohren auf mich, gleich würden rote Pfeile da heraus sprühen.
Der Schweiß tropfte ihr nun von der Nasenspitze auf den Ladentisch.
Mein Herz fing an zu rasen. Nun brach mir selbst das Wasser aus. Ich hörte mein Blut in den Ohren pulsieren. Ein Gedanke durchzuckte mich, diese Frau wurde nicht gemobbt, sie war geistesgestört. Aus ihrer Kitteltasche holte sie langsam eine Pistole heraus. Sie wollte mich hier an Ort und Stelle umbringen? Sie fuchtelte mit der Schußwaffe herum. Ganz klar die Frau war krank. Vor meinen Augen spielte sich eine Tragödie ab. Nun geschah alles in Zeitlupe.
Der Apotheker kam herbei geeilt, und wollte der wahnsinnigen Kollegin die Pistole aus der Hand schlagen. Sie schoß den Mann rücksichtslos nieder. Nun war ich alleine mit ihr im Verkaufsraum. Alle Gedanken gingen mir durcheinander. Mein ganzes Leben raste in Windeseile hinter meinen Augen vorbei.
Die Zeiger der Uhr bewegte sich in Zeitlupe. Ich nahm nichts mehr wahr, was sonst noch im Laden geschah. Nur noch mich und die Frau. Die Wahnsinnig grinste, und ächzte beängstigend dabei.

Nun tropfte mir der Schweiß an der Nasenspitze herunter. Ich war langsam, Schritt für Schritt nach hinten gegangen. Eine Wand merkte ich im Rücken. Ein Regal stürzte um.
„Nein, nein bitte nicht", schrie ich. Wild fuchtelte ich mit den Armen um her.
Die Apothekerin kam schleppend auf mich zu. „ Lassen Sie mich gehen, ich habe Ihnen doch nichts getan. Die Salbe wollte ich doch nur abholen“, kreischte ich. Tränen rannten mir übers Gesicht. "Lassen Sie mich bitte gehen, ich habe zwei kleine Kinder, die ihre Mutter noch brauchen,“ wiederholte ich mehrmals.
Flehend mit dem Rücken an der Wand gelehnt schrie ich unverständliche Worte. Die ganze Apotheke schien auf mich zuzukommen. Die Wände rückten immer näher. Die Fremde und der Hase standen mir nun Auge in Auge gegenüber. Der Finger der Irren war am Abzug. „Nein, nein", schrie ich hysterisch.
Die Frau hatte Mühe sich zu Konzentrieren. Ihre Hand zitterte. Wieder stöhnte sie. Es löste sich ein Schuß. Mir stockte der Atem. Mit beiden Händen schützte ich mein Gesicht.Ein zweiter Schuß traf die Deckenbeleuchtung und alles im Raum verschmolz zu halbdunklen Schemen. Der Geruch von Schießpulver stieg mir in die Nase. Meine Augen brauchten einen Moment, um sich an das Zwielicht zu gewöhnen. Die Kranke hatte in die Deckenbeleuchtung geschossen. Ich nutzte eine günstige Sekunde aus, um mich hinter einem Regal, was halb von einem Vorhang verdeckt wurde zu verstecken.
Der angeschossene Apotheker keuchte beängstigend. Ich konnte eine Blutlache entdecken, die sich langsam vor dem Tresen ausbreitete.
Mein Herz raste. Meine Atmung ging schwer. Ich hatte das Gefühl, dass mich das Luft holen in meinem Versteck verraten würde. Was sollte ich nur machen. Ich war noch nicht lange genug von zu Hause weg gewesen. Rainer würde mich sicher noch nicht vermissen.
Ich hörte Schritte im Raum. Nun preßte ich mir die flache Hand auf den Mund. In Gedanken befahl ich mir immer wieder, dass ich keinen Laut von mir geben dürfte.
„Wo bist du, wo hast du dich versteckt“? Fragte die Frau mit gequälter Stimme.
„Dieses mal entkommst du mir nicht. Wieso hast du mir Karsten weggenommen? Und Du bekommst auch noch ein Kind von ihm. Du weißt genau, dass ich keine Kinder bekommen kann. Du hast das schamlos ausgenutzt". Sie fing laut an zu lachen. Den Haß konnte man geradezu hören.
Welcher Karsten? Ich bin nicht schwanger, dachte ich benommen.
„Antworte mir du Schlampe, jetzt habe ich die Macht. Ich schieße erst in deinen Bauch, wo der widerliche Bastard drin ist, und dann schieße ich in Dein schönes Gesicht“.

„Sie verwechseln mich, ich bin nicht die, für die sie mich halten“, rief ich ohnmächtig vor Angst aus meinem Versteck.
„Bitte lassen Sie uns Hilfe holen“, versuchte ich die Verrückte vorsichtig zu beeinflussen.
„Ha, nun belügst du mich schon wieder. Ich weiß wo du bist", flüsterte sie. "Dir geht es gleich schlecht, hier kommst du nicht lebend raus, und ich auch nicht, aber das ist mir egal"!
Wieder brach sie in schallendem Gelächter aus. Die Geistesgestörte war offensichtlich zu allem bereit.
Ich hörte ihre Schritte nun ganz nah bei mir. Plötzlich sah ich ihre Fußspitzen. Mit einem lautem Schrei stieß ich das Regal um, dass genau auf die Frau fiel. Die Schußwaffe schlitterte über den Boden bis vor den Tresen. Augenblicklich versuchte ich an ihr vorbei zu kommen, doch sie hielt mich am Bein fest. Ich stürzte zu Boden, und lag nun neben ihr. Ein gewaltsamer Zweikampf begann. Wir wühlten uns auf dem Fußboden. Ich hatte keine Kraft mehr. Die Fremde hatte es geschafft sich auf mich drauf zusetzen. Mit beiden Händen würgte sie meinen Hals. Verzweifelt versuchte ich mich zu wehren. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich sie an. Todesangst überkam mich. Ich war wehrlos. Meine Lippen bewegten sich, ich wollte noch was sagen.
„Hallo, Frau Vogt,“. Jemand streichelte mir sanft die Wange. Ich schlug die Augen auf, und sah ein helles Licht. Auf meinem Gesicht befand sich eine Sauerstoffmaske. Ich wußte nicht wo ich war, und versuchte mich erneut hysterisch zu wehren.
„Ich bin nicht die, für die sie mich halten“. Tränen rannten mir übers Gesicht.
„Beruhigen Sie sich Frau Vogt. Mein Name ist Doktor Knopp. Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich spritze Ihnen jetzt ein Medikament, und dann geht es ihnen gleich viel besser“. Der Arzt hatte eine beruhigende, warme Stimme. Erschöpft legte ich mich zurück auf die Trage.
„Ich möchte nach Hause zu meiner Familie", jammerte ich.
„Wir nehmen Sie mit in die Klinik“, sagte der Arzt bestimmend.
„Hier ist ein niedlicher kleiner Plüschhase, dass ist sicher Ihrer“, mit einem Lächeln legte der Mediziner das Karnickel auf meinen Bauch. Der Hase blinzelte mir schon wieder zu.
Ich holte tief Luft, und schrie so laut ich konnte...

 
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Hi Conny,
die Idee hinter Deiner Geschichte und die Art, wie Du sie darin aufbaust, beides gefällt mir. Die Frage, warum das Ganze hält die Spannung und die Auflösung am Ende überrascht. Der Aufbau zieht einen mit.
Ganz sicher bin ich mir, was das Ende nun angeht nicht:
Nur Paranoia, Einbildung? Der Hase am Ende sagt was anderes. Aber wenn es echt war, waren die Motive der Apothekerin begründet? Sind Rainer und Karsten dieselbe Person? Oder denkt das nur die andere Frau? Das sind im Moment ziemlich viele Fragen, die ich für mich noch nicht befriedigend beantworten konnte. Die Entscheidung darüber, wieviel Hinweise der Leser bekommen soll liegt natürlich bei Dir - vielleicht habe ich ja auch nur einen übersehen...?

Zum Stil: ich finde, Du benutzt etwas zu oft "Die Verrückte", "die Irre" und so. Hier z.B., gleich in zwei Sätzen aufeinanderfolgend, finde ich es etwas überladen:

Wieder brach die Irre in schallendem Gelächter aus. Die Geistesgestörte war offensichtlich zu allem bereit.
Vielleicht mal "die Frau" oder vielleicht "die Fremde" dazwischen.
Bei der wörtlichen Rede vergisst Du manchmal die " am Ende:
Ha, nun belügst du mich schon wieder. Ich weiß wo du bist, flüsterte sie. Dir geht es gleich...
Am Ende auch nochmal (wo sie jammert).

Dass die Protagonistin bei der Waffe sofort weiß, dass es sich um eine Smith&Wesson handelt, finde ich auch etwas übertrieben... ;)

Ein paar Ausdrucksfehler sind noch drin:

daß sie im Gesicht noch weißer war, wie ihr Kittel, den sie an hatte
...als ihr Kittel...
Noch ein Schuß, dann wurde es dunkeler
'dunkeler' gibt's, glaub ich, gar nicht. Vielleicht eher sowas wie: "Ein zweiter Schuss traf die Deckenbeleuchtung und alles im Raum verschmolz zu halbdunklen Schemen." ...oder so etwas.

Insgesamt baust Du die Spannung gut auf, die Frage nach dem Warum wird immer dringlicher und löst sich überraschend. Ein paar Lösungsansätze mehr wären vielleicht noch sinnvoll (aber das ist wohl bei jedem anders ;) ).

Gruß, baddax

 

Hallo baddax,

herzlichen Dank für deine positive Kritik. Es freut mich, dass Dir meine Geschichte gefallen hat.
Die Fehler werde ich in kürze berichtigen.
Im übrigen sind Karsten und Rainer nicht die gleichen Personen. Vielleicht sollte ich das noch besser herausarbeiten.
Was den Schluß betrifft, war es meine Absicht alles offen zu lassen, denn der Leser soll sich eigene Gedanken machen, ob die Geschichte nun rein Fiktiv oder Real war.

Liebe Grüße

Conny

 

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