Ein Grashalm unter vielen
Ein Grashalm unter vielen
Neulich ging ich wieder einmal mit unserem Hund Spazieren.
Wir nahmen immer den selben Weg, einen mit Gras bewachsenen Feldweg.
Jetzt, im frühen Sommer, wo hier kaum noch Traktoren fuhren, stand das Gras hoch und saftig. Nur in den Hauptfahrspuren war es eher spärlich.
Das satte Grün wurde von allerhand Bunten Blumen unterbrochen. Am auffälligsten waren die Gelben Blüten des Löwenzahns.
Die Blumen standen in voller Blühte und unzählige, große und kleine Insekten umschwirrten diese. Für alle gab es jetzt Futter in Hülle und Fülle. Emsig sammelten die Insekten den Nektar ein. Damit waren sie so beschäftigt, das die Vögel, welche ja bekanntlich gerne Insekten fressen, nur zupacken brauchten. Ruck zuck flogen sie dann mit vollen Schnäbeln zu ihrer Brut, von der sie dann lautstark begrüßt wurden.
Nur die Grashalme schien das alles irgendwie nicht zu interessieren. Sie wiegten sich im leichten Wind hin und her. Niemand nahm Notiz von ihnen, weder Insekten, noch die Vögel.
Der eine oder andere Käfer benutzte sie vielleicht noch als Startbahn, aber sonst.
Deshalb war das Gras aber nicht nutzlos. Im Gegenteil, für die Viehhaltung war es fast unentbehrlich. Im Sommer als Frischfutter und im Winter als Trockenfutter, das sogenannte Heu, oder als Silage. Auch Rehe und Hasen fraßen von dem Gras, aber nur wenn es noch sehr jung und zart war.
Doch dieses Gras, auf dem Feldweg stand nur so da.
Es begann zu wachsen und wuchs, bis es im Winter trocken wurde und abstarb. Und das jedes Jahr aufs neue.
Der Wind bewegte das Gras hin und her.
Das Gras beobachtete seine Umgebung. Es sah die Blumen blühen und verblühen .
Aus der Gelben Blüte des Löwenzahns wurde im laufe der Zeit eine bauschige, Weiße Kugel, welche der Wind zerriß und in alle Himmelrichtungen verstreute, damit aus ihnen im nächsten Jahr neuer Löwenzahn wachsen konnte.
Viele Grashalme trieben ihr Wachstum schneller vorran als andere. Sie wurden zu harten Stielen mit einem Kopf aus Samen, welchen der Wind, wie beim Löwenzahn davontrug.
Auf den Äckern mühte sich das Getreide ab. Schnell und Stark mußte es sein, große Ähren bilden und Ordentlich Ertrag einbringen. Und waren die Ähren endlich dick und prall mit Körnern gefüllt, wurden die Halme mit riesigen Erntemaschinen abgeschnitten und Ausgedroschen. Die Körner wurden gesammelt und das Stroh viel zurück auf den Acker. Entweder presste man das Stroh, als Streu für das Vieh, oder es wurde Gehäckselt und Untergepflügt.
Hin und her wiegte sich dar Grashalm im leichten Wind.
Ach was hatte er es doch gut. Er konnte sich die Welt genau anschauen, vielmehr den Teil der Welt welchen er sehen konnte. Und das war schon ein riesen Stück.
Ab und zu gingen Spaziergänger über den Feldweg. Entweder spazierten sie nur so daher und schauten sich die Natur an, oder sie pflückten von den verschiedenen Blumen Bunte Sträuße, die sie dann zu Hause in eine Vase stellten.
Doch am schlimmsten waren immer die sogenannten Picknicks. Dann herrschte meißt ein riesen Trubel. Die große Decke wurde ausgebreitet und Unmengen von Geschirr und Essensgerichten wurden auf dieser aufgestellt. Überall Füße, die alles Gnadenlos und ohne Rücksicht niedertrammpelten.
Und dieser Lärm, alles redete und rief durch einander.
Wenn dann endlich, nach langen Stunden, Ruhe einkehrte, atmeten alle Pflanzen auf, die es noch konnten.
Auch der Grashalm hatte Glück gehabt, doch nur knapp.
Unmittelbar in seiner Nähe hatten sich die Männer eine Pinkelecke eingerichtet. In der Urinlache verbrannten die Pflanzen Regelrecht.
Das plattgedrückte Gras richtete sich Irgendwann wieder auf. Aber diejenigen welche abgeknickt, oder Direckt unter der Decke lagen, hatten keine Chance mehr.
Uberall lag Müll und Unrat. Leere Flaschen achtlos ins Gelände geworfen. Dosen, Papier, Folie und Essensreste lagen verstreut in der Gegend herrum.
Essensreste und Papier waren ja nicht so schlimm, denn sie vergingen im laufe der Zeit, oder wurden von Tieren Gefressen. Aber der andere Müll verging so schnell nicht, wenn überhaupt.
Naja zum Glück waren nicht alle so.
Liebespärchen verhielten sich ganz ordentlich. Sie suchten sich einen schönen Platz, breiteten eine Decke aus, legten sich darauf und liebten sich einige Zeit. Dann schüttelten sie die Decke aus und gingen wieder, ohne Unordnung zu hinterlassen.
Der laue Wind bewegte den Grashalm sacht hin und her.
Mittlerweile hatte er eine Stattliche Größe erreicht und an seiner Spitze entwickelte sich eine große Dolde, voll mit Samen. War dieser Reif genug, sprang die Dolde auf und der Wind trug den Samen in alle Richtungen davon.
Eigentlich hatte der Grashalm seine Pflicht erfüllt, doch sein Leben dauerte noch bis zum Winter und bis dahin konnte er sich die Welt in aller Ruhe ansehen.
Ziemlich weit reichte sein Blick jetzt, viel weiter als er noch klein war.
In weiter Ferne sah er eine Ortschaft und einen großen, Grünen Wald. Ach eigentlich war er mit sich und seinem Leben zufrieden. Denn er blieb ein Grashalm unter vielen.
ENDE