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Ein Glas Wasser

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15.05.2013
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Ein Glas Wasser

„Es ist schön hier.“
„Wie bitte?“ Er starrt sie an. Die Entrüstung ist ihm deutlich anzusehen.
„Ich finde, dass es schön ist hier.“ Sie bleibt ruhig. Sie will nicht ausrasten. Nicht schon wieder.
„Aber, das … das ist ein Loch!“
„Na und? Ich finde es eben schön.“ Auf den Schuhsohlen wippend fährt sie sich mit dem Zeigefinger über die Unterlippe. Sie war seit Jahren nicht mehr hier. Mindestens dreißig.
„Es hat was Heimisches. Ja, das ist es. Heimisch.“
„Du findest es heimisch?!“ Er reißt den Blick von der löchrigen Tapete und schaut sie an. Sie zuckt genervt mit den Schultern.
„Ja, stell dir vor Jörg, ich mag es.“ Ihre Zigarette wippt im Mundwinkel mit, als sie das sagt. Ein bisschen Asche bröselt auf den Teppich.
Er dreht sich um, will noch einmal das Kinderzimmer besichtigen.
„Du gehst schon? Gibst der Wohnung nicht mal eine Chance?“ Sie sieht ihn nicht an. Sie starrt aus dem Fenster. Starrt, als ob sie einen Lichtblick sehen könnte in dieser schmierigen, grauen Suppe.
„Komm schon, Sarah. Du meinst das doch nicht wirklich ernst.“ Er sagt ihr nicht, dass er gar nicht gehen wollte.
„Und wenn doch?“ Die Zigarette geht aus. Sie spuckt sie auf den Boden und fischt in ihrer Hosentasche nach der Packung. „Ist dir ja eh egal. Du willst die Wohnung nicht behalten. Aber weißt du was? Ohne mich kannst du sie nicht verkaufen. Auch wenn wir verheiratet sind. Ich hab sie geerbt, nicht du.“
„Sarah …“ Er hatte gewusst, dass es schwer werden würde. Für sie beide.
„Du denkst, dass ist leicht für mich. Ist es nicht. Überhaupt nicht.“ Mehr sagt sie nicht, will sie nicht sagen. Es geht ihn nichts an, dass sie ihre Mutter vermisst. Dass die Wohnung das Einzige ist, was sie noch hat von ihr. Aber wie kann sie sich auch beschweren. Dreißig Jahre ist sie davongelaufen, wollte nichts von ihrer Mutter und deren Sucht wissen und jetzt war sie weg. Unerreichbar weit weg.
„Schatz, es ist schwer, aber überleg doch mal. Denk an Annie. Willst du, dass sie in diesem Umfeld aufwächst?“ Die Hände in den Hosentaschen vergraben, sieht er sie drängend an. Sie weicht zurück. Sie hat das Gefühl, dass seine Augen sie wie Scheinwerfer durchleuchten. Er seufzt.
„Ich versteh dich nicht. Du wolltest sie nie sehen und jetzt wo …“
„Ich weiß!“ Sie brüllt. Er macht sie krank. Der Vorwurf macht sie krank. Sie quält sich damit. Tag und Nacht. Sie versteht es ja selber nicht.
Er geht langsam auf sie zu, versucht sie in den Arm zu nehmen. Wie bei einem in die Enge getriebenen Tier.
Sie hebt die Hände. „Lass mich, Jörg.“
Er bleibt stehen und sieht sie an, schweigend. Dann dreht er sich um und geht. Ein Kloß bildet sich in ihrem Hals. Im Nebenzimmer wird der Wasserhahn aufgedreht und sie hört, wie er sich ein Glas Wasser einschenkt.
Sie schluckt, versucht, den Kloß die Kehle hinab zu zwingen.
„Hier.“ Plötzlich steht er hinter ihr. Das Glas Wasser in seiner Hand ist für sie. Ein Schluchzer entreißt sich ihrer Kehle.
„Wir schaffen das. Wir verkaufen die Wohnung.“
Er sagt es.
Sie nickt.
„Ich liebe dich.“, sagt sie. Es ist nur ein Flüstern. Aber hier, in dieser Wohnung ist es ein Schwur.

 

hey jascha,

bist ja noch relativ jung, wie ich gerade in deinem profil gesehen habe. also für 16 jahre fand ich das jetzt echt nicht schlecht geschrieben, du hast in diesem kleinen textchen einige sprachliche schmanckerli drinnen, die mir gut gefallen haben. ich zeige dir einfach mal mein zeug, was ich mir so beim lesen mitgeschrieben habe, ist auf jeden fall nicht irgendeine musterlösung oder sowas, musst die verbesserungsvorschläge auch nicht umsetzen wenn du nicht magst, aber vielleicht helfen dir ja meine gedanken weiter:

Er starrt sie an. Die Entrüstung ist ihm deutlich anzusehen.
also das präsens hat mich die ganze zeit über beim lesen gestört. wieso präsens? ich finde präteritum beim lesen immer äußerst angenehm. hat schon seinen grund, wieso es sich als die erzählzeit durchgesetzt hat.

Er versteht sie einfach nicht.
mhm, ... ich würde solche, vom erzähler wertenden einschübe, weglassen. weißt du, was ich meine? fordere den leser etwas, lass ihn selbst herausfinden, dass der prot sie nicht versteht.

Starrt, als ob sie einen Lichtblick sehen könnte in dieser schmierigen, grauen Suppe.
das fand ich gut.

Er geht langsam auf sie zu, versucht sie in den Arm zu nehmen. Wie bei einem in die Enge getriebenen Tier.
auch das. wirklich gutes bild :D

Ein Kloß bildet sich in ihrem Hals. Er dreht sich um und geht.
diese stelle hier ist etwas irreführend. da dachte ich zuerst, der kloß würde sich umdrehen und gehen (?) würde ich etwas umformulieren.

Es ist nur ein Flüstern. Aber hier, in dieser Wohnung ist es ein Schwur.
guter schlusssatz!

ja, wie gesagt, ich finde man merkt, du hast talent.
aber, aber (jetzt kommt das aber): der text ist halt sehr kurz. erzähltechnisch fand ich das größtenteils gut erzählt, aber das war mir dann doch zu wenig story. manche autoren schaffen das, in solchen kurzen texten tatsächlich so viel zu verdichten, dass in jedem satz irgendein rockzipfel heraushängt, der uns ein teil der geschichte erzählt, aber das ist mir hier zu wenig. zum schluss hast du ja versucht, die story etwas aufzulösen, zu erklären, wieso sie in dieser wohnung sind und sich so komisch verhalten; aber das war mir etwas zu plakativ.

Mehr sagt sie nicht, will sie nicht sagen. Es geht ihn nichts an, dass sie ihre Mutter vermisst. Dass die Wohnung das Einzige ist, was sie noch hat von ihr. Aber wie kann sie sich auch beschweren. Dreißig Jahre ist sie davon gelaufen, wollte nichts von ihrer Mutter und deren Sucht wissen und jetzt war sie weg. Unerreichbar weit weg.
diese stelle meine ich. du versuchst hier zwar, die spitze des eisbergs zu zeigen, aber du zeigst sie irgendwie - bitte versteh mich nicht falsch - zu einfach, zu unkreativ, du erzählst uns das einfach und man nimmt es hin, da muss ich mir keine gedanken machen.
abgesehen davon fehlt mir hier halt einfach der lesenswerte konflikt, das dilemma, das mich in die story hineinzieht und sie für mich interessant macht. ich meine, die idee ist vielleicht etwas klischeemäßig oder abgelaufen, dorgensüchtige mutter usw., aber warum nicht? da kann man schon viel draus machen. aber einfach: tochter steht mit verlobten im hause ihrer drogensüchtigen, verstorbenen mutter und vermisst sie - das ist mir zu wenig. das ist eine momentaufnahme, aber keine geschichte, kein konflikt, der sich in der story entwickelt und zum schluss gelöst wird.
also: ich fands, wie gesagt, nicht schlecht geschrieben für dein alter und für den anfang, bleib am ball, dann wird das auf jeden fall, bin ich mir sicher. versuch doch einfach beim nächsten mal eine ganze geschichte zu erzählen, anstatt nur eine momentaufnahme zu zeigen.
vielleicht hilft dir der ein oder andere gedankenanstoß von mir weiter. ich hoffe es.

grüße,
zigga

 

Eine wohltuend unaufgeregt kleine Geschichte über Sarah und Jörg, solide erzählt durch Dich, umso erstaunlicher wegen Deiner Jugend,

liebe Jascha,

und damit erst einmal herzlich willkommen hierselbst!

„Sarah…“ Er hatte gewusst, dass es schwer werden würde. Für sie beide.
Hier aber gleich drei Anmerkungen:

Die Auslassungspunkte sollten durch eine Leerstelle vom Namen (exakt: letzten Buchstaben des vorhergehenden Wortes) abgetrennt werden. In der Form wie hier zeigen sie an, dass an dem vorhergehenden Wort etwas weggelassen würde.*

Warum die Aneinanderreihung von Hilfsverben (sein + werden), wobei Futur und Konjunktivkonstruktion aufeinanderprallen. Genügte nicht ein

…, , dass es schwer […] würde.
oder besser, da er sich sicher ist
…, , dass es schwer [wird].

Hier nun käme der Satz durchaus ohne Peronalpronomen aus, da eben nur zwo Protagonisten auftreten
Für sie beide.
Gelegentlich könnte auch der Aussagesatz verlassen werden, eben wie hier
Für […] beide[!],
was eine zusätzliche Betonung in den Text hineinbrächte.

Ähnlich hier

Aber wie kann sie sich auch beschweren,
wobei der Satz einen „fragenden“ Charakter hat.

Dreißig Jahre ist sie davon gelaufen
Hier kannstu davon + laufen zusammenschreiben (i. S. von „weglaufen“).

Gern gelesen vom

Friedel,
der noch ein schönes Wochenende wünscht

* geschieht hier nochmals:

Du wolltest sie nie sehen und jetzt wo…“

 

Hallo Zigga und Friedrichard,

danke für die Kritiken. :)
Ich setzt mich nochmal dran.

Grüße,
Jascha

 

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