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Ein Glas Wasser

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22.02.2004
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Ein Glas Wasser

Ein Glas Wasser

Sie stellte ihr Glas Wasser wieder auf den Tisch und legte die Hände auf die Tastatur. Hmmm. Wo war sie nochmal stehen geblieben? Ach ja. Immer noch suchte sie diese Java-Methode, welche ihr helfen sollte, den Text zu zentrieren.Sie dachte:„Warum sind diese Programmiersprachen immer so kompliziert?“. Es kam ihr so vor, als hätte Java hunderttausende von Methoden und die Richtige zu finden ist wie die berühmte Nadel im Heuhaufen zu suchen.

Zwangsläufig fing sie an sich zu fragen, warum sie das alles überhaupt tat. Es fiel ihr kein Grund ein. Das Programm an dem sie zusammen mit sechs anderen Entwicklern Tag für Tag arbeitete schien keinen sinnvollen Nutzen zu haben. Zumindest keinen, den sie entdecken konnte! „Irgendwer wird den Kram schon brauchen, sonst würde ich hier nicht sitzen“ ging es ihr durch den Kopf. Wird wirklich alles was Menschen entwickeln auch gebraucht? Sie musste an dieses neue fantastische Gebäude in der Nachbarstadt denken. Ein Kongresszentrum, gebaut von einer Versicherung. Sie schätzte, dass von diesen aquariumartigen Businesspalästen bestimmt mehr als vier in den letzten zwei Jahren irgendwo in die graue Betonwüste gestampft worden waren. Kann es denn wirklich so viele Kongresse, Vorträge und Diskussionrunden geben, dass sich das lohnt?

Sie musste an die Bauarbeiter denken, die dieses Monster erschaffen hatten. Kranführer, Installateure, Glaser, aber auch Architekten und Ingenieure. Ob irgendeiner von ihnen sich jemals Gedanken darüber gemacht hat, ob diese Räume jemals benutzt werden? Genau wie sie scheinen sie einfach ihrer Aufgabe nachgegangen zu sein. Vielleicht sogar ohne sich jemals darüber Gedanken zu machen, was sie überhaupt tun und wofür. Konnte das sein?

Früher waren die Verhältnisse einfacher: Überleben, fressen, fortpflanzen. Klare Ziele, die die Natur jedem Lebewesen verordnet hatte. Doch bei den Menschen hatte sich etwas geändert. Irgendwie wussten nur noch wenige von ihnen, wofür sie überhaupt da waren, arbeiteten oder lebten. Oder gab es vielleicht jemanden, der ganz oben saß und alle Schalter bediente? „Schon wieder diese Verschwörungstheorie.“ dachte sie. Im Internet gab es einen ganzen Haufen dieser Geschichten. Die Amerikaner waren gar nicht auf dem Mond, sondern in einem schlecht beleuchteten Fernsehstudio. Der 11. September war von der CIA geplant. Im Bermuda-Dreieck werden Menschen von Außerirdischen gekidnappt, usw. Sie glaubte nicht an dieses Zeug. Als studierte Mathematikerin versuchte sie sich meistens an die Fakten zu halten. Doch je mehr sie darübernachsinnte, desto klarer wurde es ihr.

Kaum noch jemand, der in einem technischen Beruf arbeitet und den Überblick hat. Als Angestellter hat man seinen Abteilungsleiter. Dieser berichtet der Geschäftführung. Direkt? Nein. Fast immer gibt es einen „Local Director“, darüber den „National Director“, dieser ist wiederum der Geschäftsführung unterstellt. Weiss hier noch jemand über das Gesamtprodukt bescheid? Kann sein. Weiss dieser jemand dann auch noch darüber etwas, wo sein Produkt überall eingesetzt wird? Vermutlich nicht. Meistens endet die Kette nach zwei bis drei Stufen. Mehr überblickt man nicht mehr. Das Outsourcing tat sein übriges. Jemand wird beauftragt etwas zu entwerfen. Es gibt Spezifikationen. Eventuell verläßt er dabei niemals sein Büro, trifft den Auftraggeber nie. Er hat nur einen Ansprechpartner. Kommuniziert wird über Telefon und E-Mail. Die Globalisierung greift hier unverkennbar. Gedanken- und tatsächliche Produkte werden von einem Ende der Welt zum anderen verschifft bzw. geschickt.

Konnte das gefährlich sein? Sie musste daran denken, was passieren würde, wenn eine Entwicklung, an der jeder produktive Mensch auf der Erde beiteiligt ist, aus dem Ruder laufen würde. Irgendwann würde auch der letzte Mitarbeiter entlassen sein, der noch wußte um was es ging. Leute sterben bei Autounfällen, treffen ihre große Liebe und ziehen in eine andere Stadt. Jeder trägt seinen Teil zum Gesamtsystem bei. Jedoch, hat dieses System dann noch einen Zweck? Kann es bald etwas geben, das von Milliarden von fleissigen Arbeitnehmern und Unternehmern geplant, entworfen, entwickelt, gebaut und gepflegt wird, und keiner weiss warum? Das System macht sich selbstständig. Es entwickelt ein Eigenleben. Es wird nicht mehr gesteuert. Es existiert um der Existenz willen. Es nutzt niemandem. Kann es dann noch bentutzt werden? Natürlich. Es wird benutzt, weil es da ist. Keine Aktion, nur noch Reaktion. Das Ende der Kausalität. Ihr Mund war trocken. Sie schaute auf ihr halb volles Glas Wasser und trank einen Schluck.

 

- Ich finde es ein feines Detail, dass sie sich solche Geadnken macht und am Schluss das Glas doch als halbvoll wahrnimmt.

Allerdings finde ich es seltsam, was dem Wort "System" für ein negativer Beiklang anhaftet. Jedes System existiert um der Existenz Willen. Die "klaren Ziele" überleben, fressen und fortpflanzen sind auch reine Existenzsicherung.
Überhaupt frage ich mich, wie ein System eigentlich aussehen soll, dem man eine solche Eigendynamik zuschreibt. Wer oder was ist denn dieses System? Ist es nicht das Zusammenspiel aller beteiligten Elemente, dass nur dadurch unübersichtlich wird (und damit "nutzlos" scheint), da niemand fähig ist, jeden einzelnen Konnex zu sehen?
Jedes Resultat ist abhängig von einer Initialzündung, einem Input, der vom Individuum stammen muss und nicht auf Eigeninitiative eines Systems beruhen kann.
Das System wird erst aktiv, wenn zwei Menschen Kontakt aufnehmen. Und ob dieser persönlich oder virtuell stattfindet, spielt in diesem Kontext ja keine Rolle.

 

Hallo Etaku.
Danke für die Kritik.
Es ist prinzipiell alles richtig, was Sie schreiben. Ich habe versucht einen Schritt weiter zu denken. Das ein System von einer Person angestossen werden muss ist klar. Die Frage ist allerdings was passiert, wenn es sich selbstständig macht und es keiner mehr steuert (oder steuern kann!). Ein konkretes Beispiel zu geben ist in diesem Zusammenhang sehr schwer, weil die Menschheit noch nicht ganz so weit gekommen ist. Vermutlich wäre sowas am ehesten im Computer- oder Maschinenbereich zu suchen. Aber z. B. wäre das auch ganz aktuell im Bereich der Nanotechnologie denkbar. Etwas, das in diese Richtung geht, war z. B. die automatische Steuerung der Nuklearwaffen der Großmächte im kalten Krieg. Bei einem Angriff der einen Seite, hätten die Computer der anderen Seite automatisch(!) zurückgeschossen (für den Fall, daß keiner mehr dagewesen wäre, der den Rückschlag auslösen konnte). Das ganze Thema wird leicht in dem Kinofilm "Cube" gestreift. Gesehen? Falls nicht unbedingt anschauen! Eine Gruppe von Menschen wacht in einem würfelförmigen Labyrinth auf. Während sie versuchen zu entkommen, machen sie sich so ihre Gedanken, wer oder was das Ganze zu verantworten hat. Übrigens hat das ganze meiner Meinung nach nichts mit künstlicher Intelligenz oder der Angst vor Computern/Robotern zu tun. Bin selbst Programmierer und habe somit ein gutes Verhältnis zu diesen Dingen
;-)

 

Hallo terranaut,

eine Geschichte voller Gedanken, die nicht neu, dennoch nicht weniger aktuell sind. Allerdings ist nicht die Globalisierung „des Pudels Kern“ (Goethe, Faust I), sondern ich interpretiere zunächst das Problem der Entfremdung dessen, der schafft, von seinem Produkt, dem Ergebnis seiner Arbeit, hinein. Und die Entwicklung bis heute, nun ja, da stellt die Globalisierung eine neue Stufe des Grundproblems dar.

Dieser Komplex ist hier allerdings kaum diskussionsfähig, weil zu weitläufig und sicher auch nicht auf den Punkt zu bringen mit all den Theorien seit der Aufklärung mit Ausgang des 18.Jahrhunderts. Zu viele Ansätze gibt es und zu wenig Probates, das sich bewährt hat in der Zeiten Lauf.

Vieles wird von dir auch zusammen getragen, was zwar erscheint an der Oberfläche in den Medien und sich widerspiegelt in den Köpfen. Doch sind die Verschwörungstheorien nicht aussagekräftig für die unterschwellige Angst, das System (welches auch immer!) könne sich mit unabsehbaren Folgen für die Menschheit selbständig machen. Und ob Nanotechnologie oder Genforschung, niemand vermag heute voraus zu sagen, wer was mit welchen Mitteln zur Katastrophe wird bringen können.

Der Angst vor dem Atomcrash hat Hawkins vor etwa 3 oder 4 Jahren die Angst vor Biowaffen à la AIDS oder noch gefährlicheren Mitteln der Gen-Labore voran gestellt: weil einfacher und weniger finanziell aufwändig auch von kleineren Gruppen zu bewerkstelligen.

Was also bleibt, sonders in einer Welt, in der die zunehmende Technisierung zum Obergötzen avanciert? Das Gegengewicht im Menschen selbst, sein Gewissen und daraus resultierend seine Verantwortung für das, was er tut, beginnend beim Forscher und endend beim Politiker, die von dir genannten ganz normalen Arbeiter, Ingenieure, Architekten usw. einbegriffen.

So gesehen lese ich deine Geschichte als einen Appell, mit jedwedem Fortschritt der Forschung auch fortzuschreiten mit der humanistischen Bildung der Menschen.

Ergibt sich schlussendlich die Frage, ob eine Ethik-Kommission des Bundestages als ausreichendes Schild gegen die von dir beschriebenen Gefahren ausreicht?

Unheimlich interessantes Szenarium auf alle Fälle, das du hier angerissen hast – und so gar nicht mathematisch-nüchtern!

Gruß Pied Piper

 

Hallo Pied Piper,
prinzipiell war fast alles so gemeint, wie Du es aufgefasst hast. Allerdings wollte ich keineswegs vor einer zu weit gehenden Technisierung waren. Wie gesagt, bin ich selbst Programmierer.

Was übrigens noch zusätzlich anzubringen wäre, ist die zunehmende Bildung von Monopolen in der Industrie. Die Chance, das alle mentalen und manuellen Produkte irgendwann mal Teil eines einzigen großen Kreislaufes(Systems, Produkts) werden vergrößert sich dadurch immens.

 

Hallo terranaut,

bei Deiner Geschichte hat mir gefallen, dass sie immer weitere gedankliche Kreise zieht. Letztlich erinnert die Grundthese an den marxistischen Begriff der Entfremdung, die aber nicht nur vom Kapital, sondern auch der Technisierung ausgeht.
Die (negativ zu Bewertende) Verselbständigung von Systemen am Schluß ist ein interessanter Schlusspunkt, man kann natürlich auch Überlegen, ob es eine positiv zu bewertende naturwissenschaftliche Analogie zu einer gesellschaftlichen Entwicklung gibt (die auch als Systementwicklung zu verstehen ist).
Letztlich scheint es mir, als ob dem Menschen diese Problematik schon seit Urzeiten `anhaftet´, nur in Verschiedenen Erscheinungsformen (die Sinnfrage wird man nicht los…). Immerhin nimmt sie das Glas Wasser als halb voll wahr.


Ist nur eine Kleinigkeit, aber „Ihr Mund war trocken“ würde ich in eine neue Zeile stellen.

LG,

tschüß… Woltochinon

 

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