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Ein gewöhnliches Verhör
Chefinspektor Matumbe saß gebeugt über dem Schreibtisch seines kleinen Büros und wischte sich mit einem feuchten Tuch den Schweiß von der hohen Stirn. Die Hitzeperiode dauerte nun schon achtzehn Tage an und die trockene Luft stand bleiern in dem karg eingerichteten Raum. Ein klobiger Tisch mit einem Telefon, verbeulte Aktenschränke, blätternder Putz und ein nutzloser, vergilbter Ventilator an der Decke waren alles, was sein Vorgänger ihm hinterlassen hatte.
Er griff nach dem Bericht von Ermittler Hairte. Sein Blick fiel auf den gesprenkelten Steintopf mit den Ceesbaars, der neben der Akte stand. Seine Ajana bereitete sie in aller Frühe vor. Ajana, dachte er, schöne Blume. Ihre zarte Haut war so schwarz wie ihr Haar, die Lippen weich und ihre Augen so hell, das er den Blick kaum abwenden konnte. Sie erfüllte ihn mit Stolz und gab ihm Kraft. Die Bedeutung seines eigenen Vornamen war in der Unterwelt von Nougari berüchtigt, was er als schmeichelhaft empfand. Talehot, Bluthund.
Matumbe entnahm einen der pikanten Pfannkuchen aus dem Topf und biss mit der Erwartung von Hochgenuss in die schlichte Gaumenfreude mit Chili und Banane. Das Vergnügen spiegelte sich an seinen Gesichtszügen wieder. Durch das schlierige Fenster sah er die Untersuchungsgefangenen, fünf an der Zahl. Auf Händen und Knien krochen die Gefangenen über den staubigen Innenhof dem rostigen Wasserhahn entgegen, der einsam aus der Mitte des Platzes zwischen den Gebäuden und Mauern aufragte. Ungelenk mühten sie sich, eine Berührung ihrer nackten Füße mit dem Boden zu vermeiden. Unter ihren Shirts baumelte die morgentliche Ration Brot, an einem Band um ihre Hälse abgenutzte Aluiniumbecher. Matumbe öffnete den Ordner und studierte den Bericht von Inspektor Hairte.
Aakif Mboge, Frisör in Ruaka Town und ein zuverlässiger Informant, gab einen Hinweis auf die Fahrzeugentführung mit Doppelmord an der Ukwala Road. Ein gewisser Saabir Sidibeh, ein bekannter Kleinkrimineller, bisher auffällig durch Taschendiebstahl und Smash and Grab, soll Andeutungen auf den Überfall gemacht haben. Die Beschreibung des Täters passte auf ihn. Unter seinem Shirt trug er eine Automatik. Seiner Festnahme am folgenden Tag vor einer Slum-Bar widersetzte er sich nicht. Eine Waffe wurde bei ihm nicht gefunden. Die Vernehmung durch Ermittler Hairte kam zu keinem Ergebnis. Sidibeh leugnete beharrlich das Verbrechen und machte dementsprechend auch keine Angaben zum Tathergang. Die nächste Vernehmung würde Matumbe selbst übernehmen.
"Aboudi", rief er und biss noch einmal in den Maispfannkuchen.
Aboudi Aboudi öffnete die Tür des Büros. Sein pausbäckiges Gesicht erschien in dem schmalen Spalt zwischen Tür und Rahmen. Mit großen Augen schaute er Matumbe an.
"Chefinspektor."
"Hairte soll den Gefangenen...", Matumbe blickte auf den Bericht, "...Sidibeh zur Vernehmung vorbereiten. Ich werde sofort kommen."
"Jawohl, Chef." Das runde Gesicht mit der vorstehenden Oberlippe verschwand aus der Türöffnung, die sich darauf langsam schloss.
"Lass die Tür offen, Aboudi,“ rief Matumbe dem Bürogehilfen nach.
"Jawohl, Chef.“ Aboudi zog die Tür wieder zurück und öffnete sie vollständig.
Matumbe schob den Rest des Pfannkuchen in den Mund, wischte die fettigen Finger an dem Tuch ab und las den Bericht mit dem Tathergang. Zeugenaussagen zufolge saß das Ehepaar im Auto, einem Seat Alhambra Kombi, als ein etwa zwanzigjähriger Mann die Fahrertür aufriss. Der Täter trug eine weite, verwaschene Jeans und ein graues Shirt mit Querstreifen und Ausschnitt. Die Waffe hielt er in der linken Hand. Er richtete sie auf den Kopf des Mannes und zerrte ihn mit der anderen Hand auf den Boden vor dem Fahrzeug. Dann schoss er ihm seitlich in den Kopf. Die Frau blieb im Wagen sitzen. Der Täter stieg ein, schlug ihr mit der Waffe ins Gesicht und schrie ihr etwas zu, das nicht verstanden wurde. Die Frau stieß die Beifahrertür auf, sprang aus dem Fahrzeug und der Täter schoss ihr dreimal in den Rücken.
Chefinspektor Matumbe überflog den Rest des Berichtes und erhob sich. Er griff sein Jacket von der Stuhllehne, streifte es über und schloss die Knöpfe. Mit dem Ordner in der Hand passierte er Aboudi, der in eine Akte schrieb und den Blick nicht erhob. Aboudi war jung und noch neu im Polizeidienst. Matumbe konnte seine Unsicherheit spüren. Aboudi war so verstört, wie auch er in den ersten Monaten, als er die zuweilen grausame Gewalt im praktischen Dienst miterlebte. Es war allen egal, ob es ihn anekelte oder sich in seinem Inneren etwas sträubte. Sein direkter Vorgesetzter wusste es nur allzu gut, entweder ein sicheres Einkommen als Polizist oder zukunftslose Drecksarbeit. Und das ließ er ihn auch spüren. Seine Abscheu überwand Matumbe nur langsam. Er folgte den Anweisungen trotz des gefühlten Ekels und oft reagierte er nur noch mechanisch. Nicht selten hatte er sich selbst dafür gehasst, dass er alles mit sich machen ließ.
Matumbe lief einen verschmutzten Gang entlang und folgte ihm um eine Biegung. Hairte erwartet ihn vor dem Verhörraum. Er wirkte grobschlächtig und Matumbe wusste, das sich unter der Uniform massige Muskeln befanden. Gegen die gedrungene, kräftige Statur von Hairte erschien Matumbe in seinem blauen Anzug wie ein sehniger Athlet.
„Guten Morgen.“ Matumbe nickte Hairte respektvoll zu. Er war eine Person von durchschnittlicher Intelligenz, aber fähig zu skrupelloser Brutalität. Auf einen Mann wie ihn konnte er bei seinen Ermittlungen häufig nicht verzichten.
„Guten Morgen, Chefinspektor.“ Hairte verzog keine Miene. Die hohen Wangenknochen und der kräftige Kiefer unterstrichen seine körperliche Ausstrahlung.
Matumbe deutete mit der Hand auf die Tür des Verhörraumes, wie er es immer tat. Hairte trat ein und stellte sich schweigend an die Wand. Matumbe schloss leise die Tür und betrachtete den potentiellen Täter.
Saabir Sidibeh lag mit dem Rücken auf einer breiten, dunklen Holzbank. Die großen Nasenlöcher weiteten sich in schnellem Takt. Seine nackten Füße waren mit zwei Eisenringen am unteren Ende der Bank fixiert. Sie waren blau angelaufen und geschwollen. Einer der Zehen stand unnatürlich vom Fuß ab. Ein weiterer Ring zierte seinen Hals. Sidibeh hatte den Kopf angehoben. Mit aufgerissenen Augen starrte er über seine Füße hinweg die beiden Männer an. Sein Kopf vibrierte.
Matumbe schlug wiederholt sachte mit dem Ordner auf seinen Handballen und trat neben die rauhe Holzbank.
"Saabir", hauchte er. "Wir wollen dir nicht weh tun. Beantworte ein paar einfache Fragen und das hier ist vorbei, bevor es richtig begonnen hat." Er senkte den Kopf und hob die Brauen.
"Ich hab das nicht getan, Chef. Ich bin kein Mörder, Chef."
„Ein paar einfache Fragen, Saabir, in Ordnung?“
Sidibeh nickte heftig.
„Was für einen Wagen hast du gestohlen, Saabir?“
Sidibehs Augen weiteten sich.„Ich habe nicht gestohlen, ich bin kein Dieb, Chef“, rief er aufgewühlt. Die Muskeln unter seiner Haut zitterten. Matumbe verzog einen Mundwinkel.
„An wen hast du den Wagen verkauft?“
„Ich stehle keine Autos, das habe ich noch nie getan.“
„Aber du hast schon einmal jemanden getötet?“
„Nein, beim Leben meiner Mutter, nein, bestimmt nicht.“
„Saabir, mache es uns doch nicht so schwer“, sprach Matumbe leise. „Woher hattest du die Waffe?“
Sidibeh zögerte.
„Ich habe keine Waffe, Chef.“
Matumbe schaute zu Inspektor Hairte, senkte den Blick und nickte. Hairte ergriff einen der langen Bambusstöcke, von denen ein Dutzend nebeneinander an einer Wand des unverputzten Raumes standen. Sidibeh blickte ihn panisch an. Er schnappte aufgeregt nach Luft. Seine Haut wurde dunkler.
"Chef, bitte, Chef. Ich bin kein schlechter Mensch." Sein Körper zittert wie im Fieber. Die aufgedunsenen Füße schlugen gegen die Eisenringe, deren Verschlüsse klirrend schepperten.
Matumbe hielt sich nicht für einen Unmenschen. Er mochte diese Art des Verhörs nicht, doch mit der Zeit hatte er gelernt, Distanz zu wahren und die wenig erfreulichen Eindrücke an sich abgleiten zu lassen. Es war ja nichts Persönliches sondern ein notwendiges Mittel, um Erfolge zu erzielen. Und bei so manchem Delinquenten bereute er es nicht einmal. Aber was sollte er machen?
Er hatte sich vom kleinen Polizisten bis zum Chefinspektor hochgearbeitet. Er konnte eine schöne Frau heiraten und aus dem verdreckten Vorort in eines der umzäunten und bewachten Wohnviertel ziehen. Die Lebensqualität dort war hoch. Seine Kinder besuchten eine gute Schule und würden nicht ertragen müssen, was er in all den Jahren erlitten hatte. Sie würden zur Elite des Landes gehören. Das alles wollte er nicht aufs Spiel setzen.
Moderne Ermittlungsmethoden standen ihm nunmal nicht zur Verfügung, um gerichtsverwertbare Beweise zu erhalten. Hier im Hinterland verfügte er nicht über Datenbanken mit Fingerabdrücken, DNA Fingerprints, technischen Möglichkeiten zur Bestimmung des Waffentyps oder der Zuordnung von Hülsen als Tatwaffenbestimmung. Er konnte keine Telefone anzapfen lassen. Er besaß nicht einmal einen Computer.
Pfeifend fuhr der dünne Stock durch die Luft und schlug klatschend auf die rechte Fußsohle von Sidibeh. Er warf den Kopf zurück und schrie. Der zweite Schlag traf auf die linke Fußsohle.
Sidibehs Körper bäumte sich auf den Schultern auf. Er schnappte stoßweise nach Luft und wollte beim folgenden Schlag die Beine hochreißen, blieb aber in den Ringen hängen. Tränen rannen ihm aus den Augenwinkeln, während er stöhnte und bei jedem Schlag aufbrüllte.
Matumbe hob die Hand. Hairte stellte seine Bemühungen ein.
"Saabir", sagte Matumbe vorwurfsvoll. „Du machst mir meine Arbeit nicht einfach. Hast du den Mann und die Frau getötet?“
Sidibeh blickte ihn mit großen Augen an und schwieg. Matumbe hob Ring- und Zeigefinger in einer kurzen Bewegung. Hairte schlug erneut zu, dieses Mal erbarmungslos. Sidibehs Gliedmaßen strampelten mit dumpfen Geräuschen auf der Holzbank. Matumbe blickte in Richtung Hairte, ohne ihn anzuschauen und wiederholte seine Geste.
"Ich hab ihn umgebracht. Ja, ich hab ihn umgebracht."
Sidibeh blickte ziellos umher. Seine Augen waren glasig. Beim Ausatmen blies er die Wangen auf.
"Ich hab ihn einfach erschossen. Hab auf ihn draufgehalten und dann auf die Frau."
Sidibeh schien wie von Sinnen. Mit verzerrtem Gesicht starrte er an die graue Decke.
"Wie oft hast du geschossen?", fragt Matumbe ruhig.
"Das ganze Magazin hab ich in die reingejagd. Das ganze dreckige Magazin."
"Wo war der Mann, als du ihn erschossen hast?"
"Er hat im Auto gesessen, dieses verfickte Schwein. Ich hab ihm die Fresse weggeballert.
„Du hast ihm ins Gesicht geschossen?“
„Den seine Fresse war weg, einfach weg.“
"Und die Frau?"
Sidibeh zögert, als wäre er überrascht und müsste nachdenken.
"Die Frau, Saabir."
"Die Schlampe ist weggerannt."
„Hast du sie geschlagen?
„Nein, die ist einfach weggerannt.“
„Du hast sie nicht geschlagen?“
„Nein, die ist aus der Tür und weg.“
„Hast du mit ihr gesprochen?“
„Hau ab, dreckige Hure.“
„Und dann hast du auf sie geschossen?“
Sidibeh zögerte. Dann nickte er.
"Wie oft hast du auf sie geschossen?"
Sidibeh schüttelte den Kopf.
"Zwei mal", sagte er. "Zwei mal."
"Zwei mal? Bist du sicher?"
"Nein, vier mal oder fünf mal."
"In welcher Hand hast du die Waffe gehalten?"
Sidibeh schaute ungläubig auf Matumbe.
"In der Rechten, Chef. In der rechten Hand."
„An wen hast du den Wagen verkauft?“
Sidibeh schüttelte lange den Kopf, seine Augäpfel zuckten umher. Ihm schien keine Antwort einzufallen.
Matumbe schaute zu Hairte, dessen Blick starr auf Sidibeh gerichtet war. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
"Du kannst ihn frei lassen. Geb ihm die übliche Ration Zigaretten."
Matumbe bewegte sich näher an Sidibeh heran und schaute ihn mit verkniffenen Augen an. Hairte hielt Sidibeh das Ende des Stockes an die Kehle.
"Wende dich nicht gegen den Staat, Saabir", sprach Matumbe mit bedrohlichem Ton. "Hörst du?"
Sidibeh nickte zitternd. "Wende dich nicht gegen den Staat."
Er drehte sich ab und verließ den Verhörraum. Die Ermittlungen standen wieder ganz am Anfang. Er seufzte, öffnete sein Jackett und schlenderte zurück in sein Büro, ohne Aboudi im Vorzimmer zu beachten. Matumbe griff einen Stift vom Schreibtisch, öffnete den Ordner auf einem der Aktenschränke und schrieb einen kurzen Bericht. Der Mangel an Fakten ließ eine Aufklärung des Carjackings unwahrscheinlich erscheinen. Er hoffte auf zufällige Informationen, die sich bei den Verhören von anderen Kriminellen ergaben. Manche von ihnen waren recht gesprächig und würden jeden in einen Abgrund stoßen, um ihre eigene Situation zu verbessern. Das hatte sich als gute Quelle erwiesen.
Matumbe ließ den Stift auf die beschriebene Seite fallen und stellte sich nachdenklich ans Fenster. Er sah Sidibeh, der auf allen Vieren dem Hoftor zukroch. Seine Schuhe waren an den Senkeln zusammengebunden und baumelten vor seinem Hals. Die Zigarettenstange unter dem Shirt drückte Kanten in den Stoff. Er hatte ein Entlassungsschreiben von Hairte, das der Wächter am Tor ihm mit mürrischem Gesichtsausdruck aus dem Mund zog.