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Ein geladenes Gewehr

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21.04.2017
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Ein geladenes Gewehr

My Life had stood–a loaded Gun
In Corners–till a Day
The Owner passed–identified–
And carried Me away-

Emily Dickinson


Im Gegenlicht sah Ulrich den Staub fallen.
Andrea stand auf und ging in die Küche. Ihre nackten Füße patschten auf dem Dielenboden.
Ulrich beugte sich aus dem Bett und fühlte mit der Hand über das warme Holz des Bodens. Die Dielen waren alt, die braune Farbschicht war abgelaufen und das Holz sah grau hervor.
Durch die offene Tür beobachtete er, wie Andrea sich einen Kaffee machte. Sie trug einen schwarzen Slip und ein eng anliegendes T-Shirt. Ihre dunklen Haare fielen über die Schultern und er dachte, wie hübsch sie doch war und als sie wenig später ging, war er froh.
Nach eine Weile stand er auf, holte aus der Küche einen Stuhl, stellte diesen vor den Kleiderschrank, kletterte auf den Stuhl und kramte hinten, aus dem obersten Fach des Schrankes eine kleine Pappschachtel hervor. Die Pappe war vom Alter verfärbt und ein Gummiband hielt sie zusammen. Als Ulrich das Gummiband abnahm und die Schachtel aufklappte, löste sich die mit der Zeit labberig gewordene Lasche und fiel auf den Boden.
In der Schachtel waren Gewehrpatronen. Er nahm eine der Patronen aus der Schachtel und legte die Schachtel zusammen mit der abgefallenen Lasche und dem Gummiband auf das Bett. Dann ging er in eine kleine Abstellkammer, nahm ein dort an der Wand hängendes Gewehr, lud es mit dieser einen Patrone und ging mit dem Gewehr zurück in das Schlafzimmer, stellte die Waffe in die Ecke und legte sich auf das Bett.
Ulrich hatte das Gewehr von seinem Großvater Ernst geerbt. Dieser rückte niemals genau damit heraus, woher er es hatte und sagte immer nur so viel wie „in den Nachkriegswirren zugelaufen“.
Ulrichs Großmutter schimpfte dann jedes Mal. „Erschossen hätten sie dich, wenn sie dich erwischt hätten. Erschossen haben sie jeden Deutschen, der ein Gewehr versteckt hielt damals“ und klaubte dabei Kuchenkrümel von Großvaters Schoß, denn immer nur bei Kaffee und Kuchen kam das Gespräch auf das Gewehr.
Auf jeden Fall war es ein deutsches Armeegewehr aus dem zweiten Weltkrieg. Die Munitionsschachtel stammte allerdings aus den fünfziger Jahren.
Sein Großvater hatte auf Fragen, was er denn mit dem Gewehr wolle, immer nur geantwortet „Man weiß nie, was für Zeiten kommen. Ihr werdet noch sehen.“ Schließlich hatte Ernst das Gewehr doch nicht mehr gebraucht, aber wahrscheinlich beruhigte es ihn zu Lebzeiten, es als Sicherheit für erwartete schlechte Zeiten zu haben.
Ulrich glaubte nicht daran, dass in Mitteleuropa eine Waffe absehbar von Nutzen sein konnte. Er war im Frieden aufgewachsen, er kannte nichts anderes als Frieden. Krieg oder Umsturz waren für ihn und seine Altersgenossen theoretische Möglichkeiten, die sich nicht von der Hand weisen ließen, an die sie jedoch nicht ernsthaft dachten.
Nein, nachdem Ulrich das Gewehr geerbt hatte, fand er eine eigenartige Verwendung dafür. Gelegentlich lud er es und stellte es dann so geladen in die Ecke, wie an diesem Samstagnachmittag.
Noch niemals hatte er einen Schuss mit der Waffe abgegeben und das hatte er auch nicht vor. Jedoch fühlte er durch das geladene Gewehr in der Wohnung alles verändert. Nichts war so, wie es ohne die geladene Waffe war. Plötzlich hatte alles Bedeutung. Es war wie eine Veränderung in der Luft, die nicht sicht- oder greifbar war und kaum zu benennen, die er aber deutlich spürte. Er fühlte sich in diesen Momenten erregt und angespannt.
Am ehesten konnte er diesen Zustand mit dem Rausch nach etlichen Tassen Kaffee vergleichen. Auch der Kaffee regte ihn manchmal angenehm an und Ulrich überwand eine Müdigkeit nach dem Essen oder kam bei einer Party spät abends nochmal in Fahrt, zuweilen jedoch wirkte der Kaffee unangenehm und er war weiterhin schlapp, dabei jedoch auch noch unkonzentriert und es fühlte sich an als liefe eine Saite durch seinen Kopf, von einem Ohr zum anderen und als sei diese Saite zu stark angespannt und jeder der vorbeigehe, zupfe einmal kurz. Diese Unruhe drängte ihn dann zu Taten, jedoch verdarben ihm seine Unkonzentriertheit und Hektik an allem die Freude und es war das Beste, er ging joggen oder fuhr mit dem Fahrrad einen Berg hinauf und baute dadurch das Koffein in seinem Körper ab und fand wieder zu sich selbst.
So war es auch bei dem Gewehr: Manchmal war die Spannung gut und manchmal nicht. Leider wusste er dies nicht im Voraus und so konnte es sein, dass es seinen Tag rettete oder ihn vollends verdarb.
Er lud das Gewehr an Tagen, an denen er wollte, dass etwas passierte; Tage an denen er etwas erleben wollte, aber an denen seine Energie so fest schlummerte, dass allen Gedanken keine Tat folgen würde; Tage, an deren Abend er sich schlecht fühlen würde, wenn er nichts getan hatte.
Die Erregung durch das geladene Gewehr gab seiner Energie keine Richtung vor, aber es weckte sie und manchmal war der restliche Tag einfach nur durch diese in ihm vibrierende Kraft von Bedeutung erfüllt und manchmal tat er Dinge, die er sonst nicht getan hätte und rief beispielsweise einen Bekannten aus früheren Zeiten an, bei dem er sich schon lange hatte melden wollen, aber wo zuvor der Wunsch nach einem erneuten Kontakt immer etwas schwächer gewesen war als die Befürchtung, dass die Begegnung langweilig sein würde.
Er wusste nicht, wohin dieser ungewohnte Tatendrang ihn führen würde. Er sah sich als einen Schwimmer, der für gewöhnlich in den ruhigen Uferzonen eines breiten Flusses seine Bahnen zieht und spürt, wie die Strömung immer stärker wird, je weiter er hinausschwimmt; ein Schwimmer, der weiß, es liegt an ihm, wie weit er hinausschwimmt und der auch weiß, dass selbst in der Mitte des Flusses die Strömung ihn wahrscheinlich nicht untergehen lassen wird, aber dort wird er sich nicht dagegen wehren können, fortgetragen zu werden und seine Kraft und sein Geschick nur noch dafür einsetzen, seinen Kopf über Wasser zu halten, bis der Fluss es ihm, wo auch immer, erlaubt, sich an Land zu schleppen.
Ulrich mochte es nicht, fortgetragen zu werden und doch sehnte er sich danach. Tief in ihm saß die Angst, in dem Fluss zu ertrinken, von Krokodilen gefressen oder in Länder mit schwarzer Sonne gespült zu werden. Gleichzeitig hegte er die Hoffnung, eine Strömung möge ihn aus seinem Leben reißen und ihn in ein Land führen, in dem er sich an ungeahnter Schönheit satt trinken würde und einmal sagen könnte „ich bin zufrieden, ich mag nicht mehr.“
Warum er so zerrissen war zwischen Angst und Sehnsucht, wusste er nicht und es war ihm auch jetzt, mit dreißig Jahren, gleichgültig. Viel Zeit hatte er in seiner Jugend damit verbracht, verstehen zu wollen, warum er so war, wie er war, bis er irgendwann merkte, dass er nicht einmal wusste, wie er war. Daraufhin hatte er nur noch versucht, sich selbst und die Welt so weit zu erkennen, wie es nötig war, um sich durchzuwursteln.

An jenem Nachmittag, als Ulrich sein Gewehr lud, ertrug er kaum seine Erwartung, es möge etwas passieren. Er hatte eine Freundin, die ihn langweilte, er hatte einen Beruf, der ihn langweilte und er spürte jeden Tag, wenn er müde erwachte, wie ihm jede Minute seines Daseins die restliche Kraft aus den Knochen zog. Er wollte nichts anderes, als auf dem Rücken liegen und die Decke anstarren und darauf warten, dass ein Komet einschlug oder Außerirdische eine Invasion begannen oder eine Seuche alle Menschen bis auf ihn und ein paar hübsche Frauen hinwegraffte. Gleich was, aber eine Kraft, außerhalb seiner selbst, veränderte alles so gründlich, dass es sich wieder lohnte, aufzustehen und sei es nur, um zu sterben.
Ulrich besaß zu viel Phantasie, um sich nicht die Schrecken eines Krieges realistisch vor Augen führen zu können; hätte jedoch in dieser Stimmung ihn jemand gefragt, ob er mit an die Front zöge –welche Front auch immer- er wäre gegangen, allein in der Hoffnung, mit dem Pfeifen von Granatsplittern über seinem Kopf und mit vollgeschissener Hose im Regen von Körperteilen zerfetzter Kameraden zu liegen und aus Angst vor dem umherfliegenden Tod wieder zu spüren, wie herrlich es war, zu leben und zu hoffen, ihm sei noch Zeit vergönnt nur eins von den tausenden Dingen zu tun, die ihm dann so kostbar erscheinen würden.

Er stand auf und nahm das Gewehr in die Hand. Eine falsche Bewegung, und ein Schuss würde sich lösen. Ein Schuss in einer Wohnung zieht immer etwas nach sich und wenn es nur ein Loch in der Wand ist.

Es wurde Abend und Ulrich machte kein Licht. Er saß auf einem Stuhl am Fenster und sah hinaus. Sein Zimmer lag im Halbdunkel des aus der Ferne herüberscheinenden Lichts einer Straßenlaterne. Eins nach dem anderen gingen die Lichter in der Nachbarschaft an. In der Wohnung gegenüber ging eine junge Frau nur mit einem Hemd bekleidet umher. Das Hemd erinnerte Ulrich an den Film „Was“ von Polanski. Vor über einem Jahr hatte er diesen Film gesehen und hoffte seitdem immer wieder, einer Frau wie der Schauspielerin Sydney Rome zu begegnen, mit Korkenzieherlocken, nur einem Hemd als Kleidung und dieser berechnenden Naivität, die schon fast Natürlichkeit war. Immer wenn er den Hinterkopf einer schlanken jungen Frau mit blonden Korkenzieherlocken sah, versuchte er ihr Gesicht zu sehen, in der Hoffnung diesen Blick zu finden, der ihn vor dem Fernsehapparat gebannt hatte, ohne dass er genau wusste weshalb. Natürlich war er sich der Idiotie dieser Schwärmerei bewusst. Es irritierte ihn, dieser Idiotie so hilflos ausgeliefert zu sein. Sein Herz verzehrte sich nach Korkenzieherlocken und sein Verstand peitschte ihn mit Verachtung. Auch bei anderen Menschen beobachtete er ähnliche Idiotien. Sie erschienen ihm als Risse in der Oberfläche des Lebens, dass jeder Mensch nach außen hin führte. An den Rissstellen war die Oberfläche zerstört und heraus drang, ja was kam da heraus? Das konnte man eben nie vorher wissen und das machte die Sache so spannend. Allerdings konnte man gewiss sein, dass das, was hervorkam, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und nicht von der Art war, wie es in Lebensläufen ausgebreitet wurde.
Nichts faszinierte ihn so, wie der Punkt im Leben mancher Menschen, an dem es knackte und etwas zerbrach. Meist knackte es nur ganz leise und die feinen Risse waren nur von nahem sichtbar.
Wenn es laut knackte, zerbrach meist das ganze Leben.

Ulrich liebte Geschichten des Fortgehens, denn sie riefen in ihm die Erinnerung wach an das erste Mal, als er sich ernsthaft vorgestellt hatte fortzuggehen und es weckte in ihm auch die Erinnerung an das köstliche Gefühl der Freiheit, welches er damals empfand: Er konnte gehen wohin auch immer, er konnte werden, was er wollte. Alles was er tun musste, war, die Tür zu öffnen und hinauszugehen. Er ging niemals fort, sondern blieb in seinem Leben und träumte mit allen, die es gewagt hatten, so rücksichtslos gegenüber sich und den Menschen in ihrer Umgebung zu sein, um Zigaretten holen zu gehen und niemals zurückzukehren.
Alle, die fortgegangen waren, hatten über den Punkt hinaus gelitten, an dem der Schmerz des Leidens größer war als die Angst vor dem radikalen Schnitt. Ulrichs Angst würde wohl immer größer sein als sein Leiden.

Mittlerweile war es dunkel. Noch immer saß er auf seinem Stuhl und sah hinaus auf die Lichter der anderen Leben, einzeln und verstreut in der Nacht. Die Frau im Hemd lief hin und her, räumte auf, bügelte, legte Wäsche zusammen und schaute zwischendurch immer wieder in den Fernsehapparat, der für Ulrich verborgen stand, dessen blauweißes Licht jedoch an der Rückwand ihres Zimmer leuchtete und verlosch.

Er öffnete das Fenster und legte den Gewehrlauf auf die Fensterbank. In der Wohnung über der jungen Frau saß ein Mann auf seinem Balkon, rauchte und las im Schein eines Windlichts Zeitung. Ulrich spürte, wie sich seine Blase vor Aufregung zusammenzog. Rasch legte er das Gewehr auf das Bett und ging auf die Toilette. Als er zurückkehrte, legte er sich neben dem Gewehr auf das Bett, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und betrachtete die an der Decke zitternden Schatten der Blätter des Baumes vor seinem Fenster. Er freute sich, wenn der Wind in den Blättern rauschte und die Schatten rascher hin und her wackelten. Drehte er den Kopf ein wenig, konnte er an der Rückwand des Zimmers den Lichtschein aus dem Fenster der jungen Frau sehen.
Ulrich überlegte, wie er den restlichen Abend verbringen wollte. Andrea traf sich mit einer Freundin und hatte deshalb keine Zeit. Ein paar Freunde hatten ihn eingeladen, gemeinsam in der Kneipe Fußball zu schauen. Eigentlich hatte er keine Lust dazu, aber er wusste, seine Stimmung würde schlechter werden, wenn er alleine zu Hause blieb, ohne rechte Lust etwas zu tun. Geselligkeit, selbst wenn sie schlecht war, hob meistens seine Stimmung, da er dann keine Zeit zum Grübeln hatte und auf andere Gedanken kam.
Er stand auf und nahm das Gewehr, um es wegzuräumen. Die junge Frau gegenüber löste ihren Blick von dem Fernsehapparat und ging in ihr Schlafzimmer. Sie warf einen raschen Blick direkt auf Ulrich. Er zuckte zusammen, als er ihre Augen auf sein Gesicht gerichtet spürte, aber dann wurde ihm klar, dass die Frau ihn unmöglich in seinem dunklen Zimmer sehen konnte und wahrscheinlich nur einen prüfenden Blick hinüber geworfen hatte, um zu sehen, ob Licht bei ihm war und somit jemand zu Hause, oder ob sie unbeobachtet war, da allein Ulrichs Zimmer einen Blick in ihre Wohnung ermöglichte.
Sie zog das Hemd aus und stellte sich, nur mit einem weißen Slip bekleidet, vor einen an die Hinterwand des Zimmers gelehnten, mannshohen, schmalen Spiegel. Sie schürzte ihre Lippen, nahm ihre Brüste in die Hände und drehte sich auf Zehenspitzen stehend vor dem Spiegel hin und her und betrachtete dabei ihre Figur in verschiedenen Haltungen. Zwischendurch ließ sie immer wieder ihre rechte Brust los und strich sich die Haare hinter das Ohr, wo sie nur kurz hielten, zurück in ihr Gesicht fielen, um wieder zurückgestrichen zu werden.
Ulrich war gerührt von ihrer unverstellten Eitelkeit und erregt von seinem in ihrer Intimität wühlendem Blick. Sie warf noch einen prüfenden Blick in Richtung seines Fensters, dann zog sie ihren Slip aus, stülpte die Innenseite des Slips nach außen, roch kurz daran, riss die Slipeinlage heraus und verließ das Schlafzimmer durch eine weitere Tür.
Ulrich starrte ihr hinterher, bemerkte dann, dass er immer noch das Gewehr in der Hand hielt und warf die Waffe auf das Bett.
Ein gewaltiger Knall ertönte. Ulrich war so betäubt von der Explosion, dass er glaubte, er sei verletzt. Fenster wurden lautstark aufgerissen, Stimmen hallten über den Hof und Ulrich begriff, dass er unverletzt war. Das Gewehr lag auf dem Bett, der Rückstoß hatte es zurückgeworfen von dem Kissen, auf welchem es gelandet war und auf dem das Mündungsfeuer eine schwarze Spur hinterlassen hatte.
Eine heiße Welle stieg Ulrich vom Herzen in den Kopf. Er hatte das Gefühl, sein Kopf würde in der Dunkelheit glühen wie eine Rotlichtlampe. Ohne das Licht einzuschalten –er wollte sich nicht verraten und die Blicke aus den anderen Fenstern erwidern müssen- suchte er im Dunkeln die Wand nach dem Einschussloch ab und überlegte sich dabei, wie er der Polizei, den Nachbarn, Andrea und seinen Eltern und Bekannten erklären sollte, wie solch eine Dummheit passieren konnte. Könnte ein Mensch vor Scham sterben, Ulrich wäre tot zu Boden gesunken.
Er fand in der Wand kein Einschussloch. War der Schuss durch das offene Fenster hinausgegangen? Sein Herz zog sich zu einer kleinen, harten Faust zusammen. Ohne sich hinauszulehnen, suchte sein Blick die gegenüberliegende Hauswand ab. Die junge Frau stand mit einem Bademantel und einem Handtuch um den Kopf geschlungen am offenen Fenster und schaute abwechselnd nach unten in den Hof und nach oben zu einem anderen Nachbarn, der aus seinem Fenster lehnte und nach unten schaute.
Ulrich hörte einen Schrei. Dann entdeckte er auf dem Balkon des Nachbarn, der zuvor Zeitung gelesen hatte, hektische Bewegungen im grellen Licht einer Lampe, sah, dass der Lichtschein der Lampe nicht wie sonst durch das Glas der Balkonbrüstung fiel, sondern durch eine leere Öffnung und dass die Bewegungen zu der Frau des Zeitungslesers gehörten, der auf dem Boden lag.
Ulrich starrte auf die Szene vor seinen Augen, bis er durch ein Wummern aufgeschreckt wurde. Er drehte sich zur Tür, glaubte, man käme bereits, ihn zu holen, überlegte kurz, sich zu erschießen, aber da rannte er bereits zur Tür, riss sie auf, sah, dass niemand im Treppenhaus stand und er verstand, dass das Wummern in seinem Kopf war und er nahm seine Jacke vom Haken, die Schuhe in die Hand und rannte die Treppe hinunter und rannte, rannte und rannte.


Teil II


Ulrich ging immer nachts an Deck des Schiffes. Tagsüber lag er in seiner Koje und dachte nach, mit hinter dem Kopf verschränkten Händen oder er döste vor sich hin, erschöpft von den Nächten unter den Sternen, den Wolken und im Wind. Das ununterbrochene Dröhnen der Schiffsmotoren betäubte ihn so, dass er wider besseren Wissens glauben konnte, es sei das Dröhnen, welches ihn daran hindere, richtige Gedanken zu denken, anstatt wie ein auf und niederstampfender Zylinder oder eine endlos sich drehende Schiffsschraube immer wieder zu fragen: Wieso habe ich an Jacke und Schuhe gedacht? Wieso habe ich gewusst, mein Portemonnaie ist in der Jacke? Wieso bin ich geflohen? Was werden meine Eltern von mir denken? Wieso denke ich an meine Eltern und nicht an Andrea oder jemand anderes? Wieso? Wieso? Wieso?
Als er das Gefühl hatte, jeden Moment könne die Saite in seinem Kopf reißen und der durch das Reißen entstehende Knall würde fürchterlicher sein als der des Gewehres; als es so weit war, kaufte er von dem polnischen Matrosen eine Flasche Wodka und trank sie in kleinen regelmäßigen Schlucken, bis die Saite nicht mehr sirrte, und nur noch ein dumpfes Brummen und Dröhnen, von den Schiffsmotoren oder woher auch immer, seinen Kopf vibrieren ließ und er genussvoll im Takt der tiefen Frequenzen seinen Oberkörper hin und her schaukelte.

Die Sterne kannte er bis auf den großen Wagen nicht, aber er bemerkte doch von Nacht zu Nacht eine Veränderung des Sternbildes. Auch war jede Nacht ein wenig wärmer als die zuvor.
Er war an Bord des Frachters gegangen, weil er irgendwann auf seiner Flucht die Küste erreicht hatte. Er hatte die Richtung beibehalten, die er zufällig am Anfang eingeschlagen hatte und niemals ging er auch nur einen Schritt zurück. Eine Feuerwand ragte hinter ihm empor und verbrannte alles hinter seinen Fersen zu schwarzem Staub.
Er ertrug es nicht, sich umzusehen. Jeder Baum und jedes Haus und alles leuchtete in schwarzem Grauen, sobald er sich umdrehte und es von hinten sah. Ja, die Dinge hatten eine Hinterseite und diesen Anblick ertrug er nicht. Er wollte alles nur von Vorne sehen und vorne war dort, wo er hinlief.
Was hatte er vor? Was war sein Plan? Er wusste es nicht. Er wollte tot sein, aber er schaffte es nicht, sich zu töten. Er glaubte, sein Plan sei es, sich auf dem Meer zu töten, aber er wusste, er glaubte dies nur, damit er einen Grund hatte auf dem Frachter zu sein und weiterzufahren, denn er wusste natürlich, dass er nicht in das Meer springen würde. Alles, nur nicht in das Meer, aber es war so schön, daran zu glauben.
Im Hafen hatte er sich vor der Abfahrt eine Tube Sekundenkleber gekauft. Nächtelang stellte er sich vor, wie er das Eisenteil, welches er in einer Rumpelkammer gefunden hatte, auf die Reling legt und mit einer Kette an seinem Fuß befestigt, wie er den Kleber auf seinen Handflächen verteilt, dann die Handflächen hinter seinem Rücken zusammendrückt und sich über Bord fallen lässt, wie die Kette spannt und seinen Fall kurz bremst, bis das Eisenteil von der Reling gleitet und er weiter saust, auf das Wasser schlägt und eintaucht und in dem Moment, wenn er wieder anfängt nach oben zu treiben, sich die gewaltige Faust des Eisens um seinem Knöchel schließt und ihn nach unten reißt, dorthin, wo es viel dunkler ist als die schwarze Nacht an Bord und er hinab fährt, bis ihm die Ohren platzen und dunkle rote Fahnen aus seinen Ohren nach oben ziehen, wie Rauch in einer Nacht, und er weiter sinkt an den glotzenden Augen der Tiefsee vorbei in eine Kälte, in der es keine Augen mehr gibt und immer weiter, wie ein Fallschirmspringer in der Dunkelheit, bis irgendwann das Eisen lautlos in den Schlamm des Grundes schlägt, eine kleine Fontäne aufwirbelt, wie der Einschlag eines Geschosses in Zeitlupe, und er über dem im Grund versunkenen Eisen stehen bleibt, eine Boje unter Wasser, eine Weile hin und her wackelt, bis er seine Ruhe findet und wenn die letzte Luft und die letzten Gase aus seinem Körper entwichen sind, zu Boden sinkt, in den Schlamm zu den Gebeinen der Wale, kleine Tiere sein Fleisch fressen und seine Knochen dort liegen mit den Walknochen und den Knochen all der anderen Namenlosen und bedeckt werden durch Staub, der wie feinster Regen unsichtbar und unaufhörlich langsam rieselt, sich langsam zu dicken Schichten ansammelt, sich mit den Knochen verbackt und sie zerdrückt und zermahlt und er irgendwann als Öl auf eine Lampe wartet, die ihn verbrennt oder er als Abdruck im Gestein von der Zeit auf Berge befördert wird und er die Sonne noch einmal sieht, bevor die Sonne gemeinsam mit Wind und Regen und Frost ihn zu Staub zerreibt, oder es ganz anders kommt und die Erde mitsamt seinen Knochen sich nicht hoch faltet, sondern ihn nach unten zieht in die Hitze, die alles einschmilzt und dann mit der Glut ausgespuckt in Meere oder auf Berge oder wohin auch immer, denn das ist ihm dann einerlei.

Nichts fürchtete und liebte er so wie das Meer. Seine Liebe zum Meer war die des Träumers, der es liebt, in einer Düne zu sitzen, sich mit dem Hintern eine Sitzkuhle zurechtzuruckeln, den wehenden Sand auf der Haut zu spüren und die Wolken, die Sonne und das Licht auf dem Wasser zu beobachten und das Schlagen der Wellen auf den Strand.
Er liebte es auch, am Strand entlang zu schlendern und das Treibgut mit den Blicken zu durchsuchen, die Steine, den Müll, die Scherben, das Holz und die stinkenden toten Tiere, immer hoffend, er würde eine Goldmünze finden oder besser noch eine Flaschenpost mit der Botschaft eines fremden Schicksals und der Hoffnung, damit auch in die Wirren und den Ruhm dieses fremden Lebens hineingezogen zu werden und die andere, wilde Seite seiner Natur ausleben zu können, wenn er Schätze entdeckte, Frauen betörte und Feinde zerschmetterte.
Er liebte es auch, auf einem kleinen Segelboot auf den Wellen zu reiten, geschoben vom Wind, wenn der Bug mit an- und abschwellendem Zischen durch das Wasser schnitt oder bei stärkerem Seegang in die Wellentäler patschte und Meerjungfrauen Gischt an Deck spien.
Also liebte Ulrich das Meer, wenn es ihm nicht zu nahe kam.
Die zwei schönsten seiner Träume waren verbunden mit dem Meer.
In dem einen Traum ging er am Grunde des Meeres spazieren und sah über sich die Sterne und nach dem Erwachen war er erfüllt von einer Heiterkeit, die ihm den ganzen Tag versüßte.
In seinem zweiten Traum sah er ein großes Segelschiff. Er sah es von oben, als ob er flöge und es fuhr auf ihn zu und aus Wasser waren die geblähten Segel des Schiffes. Niemals wieder in seinem Leben erwachte er aus einem Traum so getränkt von Schönheit und Kraft und Einklang. Ulrich trug diesen Traum immer bei sich und er zog aus der tiefen Bedeutung, die sich seinem Verstehen verschloss, die er aber so deutlich als eine gute Kraft spürte, die Gewissheit eigener Stärke, gleich jenem Menschen, dem sich ein Gott in einem brennenden Busch, einer fliegenden Kröte oder einem schreienden Kind gezeigt hat; denn auch ohne einen Auftrag von dem Busch, der Kröte oder dem Kind erhalten zu haben, fühlt der Mensch sich gestärkt allein durch die Offenbarung einer großen Macht, die sich die Mühe macht, sich dem Menschen zu zeigen, auch wenn dieser sie nicht verstehen kann.

Das Meer war auch der Grund seiner tiefsten Ängste. Bevor er das Meer jemals erblickte, sah er es auf einem Kinoplakat. Die unteren drei Viertel des Bildes waren aus einem tiefen Blau, das obere Viertel war Hellblau.
Auf der dünnen Linie, die das dunkle und das helle Blau trennte, schwamm die unendlich kleine, in all dem Blau verlorene Figur einer schönen jungen Frau im Bikini. Am unteren Rand des Plakates ragte riesenhaft der schrecklich aufgerissenen Rachen eines gewaltigen Hais empor. Ulrich erschreckte, wie unbekümmert die Frau planschte, ahnte sie doch nichts von dem unaussprechlichen Grauen, welches sie gleich anfallen würde. Er zitterte vor Mitleid und Schrecken.

Als Jugendlicher verbrachte Ulrich einen Urlaub in Australien und nahm an einem Schnorchelgang im Great Barrier Reef teil. Mit einem halben Dutzend anderer Touristen und einem Führer fuhren sie hinaus auf das ruhig atmende Meer, dessen Heben und Senken man an diesem stillen Tag kaum sah und dessen geringe Bewegung sich nur weit draußen in der weißen Linie der sich am Riff brechenden Wellen zeigte.
Das Wasser war klar und in Ufernähe sah er den weißen Sand des Grundes in feinen Wellen gelagert und sogar einzelne Muscheln konnte er im Sand erkennen.
Sie fuhren weiter hinaus und Ulrichs Augen versuchten, jedes Detail im Sand festzuhalten, erkannten aber immer weniger und das Blau des Wasser überlagerte immer mehr Einzelheiten, bis der Grund nur noch ein fernes weißes Leuchten war, schließlich verschluckt vom Grün, welches das Wasser mittlerweile angenommen hatte, ein Grün, dass an der Oberfläche hell und klar war und dass in der Tiefe immer dunkler wurde, bis es nichts mehr gab als ein undurchdringliches Schwarz.
Ulrich hob den Blick von dem Schwarz der Tiefe in das Blau des Himmels, wurde aber auch dessen wolkenlose Monotonie bald müde und ließ seinen Blick auf das Bein seiner Bootsnachbarin fallen. Sie war keine Schönheit und auf der Straße hätte Ulrich sie nicht beachtet, aber jetzt auf dem Meer und unter dem wolkenlosen Himmel erschien ihm ihr Fleisch so köstlich lebendig und sein Verlangen, diese zarte, braune Haut mit den feinen, weißen Härchen zu küssen, zu riechen und zu schmecken war so stark, dass er hätte weinen mögen ob der Unmöglichkeit seines Begehrens und er tröstete sich damit, in der Fläche seiner Hand zu schnuppern, um den Geruch des Menschlichen nicht ganz zu missen.
Sie waren noch weit von der Brandungslinie entfernt, als plötzlich wieder Grund unter ihnen sichtbar wurde. Es war das Korallenriff. Das Wasser war wieder von einem leichten Blau und vor dem Untergrund aus hellen Korallen zackten bunte Fische hin und her.
Die Ausflügler verließen das Boot und schnorchelten an der Oberfläche entlang, tauchten ab und zu auch ein paar Meter, um für kurze Zeit ganz in dem stillen Traum aus Licht und Farbe aufzugehen. Ulrich hatte noch niemals solch eine Schönheit gesehen. Mit kräftigen Flossenschlägen trieb er sich weiter und folgte den bunten Schwärmen, die immer wieder verschwanden, nur um neuen Schönheiten Platz zu machen und er kam aus dem Staunen nicht heraus.
Er genoss auch das köstliche Gefühl der eigenen Geschwindigkeit. Durch die Flossen war er mühelos schneller als sonst bei angestrengtestem Kraulen und in diesem schnellen Gleiten durch eigene Kraft fühlte er sich fast wie einer der Fische und er bedauerte, dass die Vorfahren der Menschen das Meer verlassen und sich der ununterbrochenen Plackerei der Schwerkraft unterworfen hatten. Nicht einmal im Schlaf waren die Landbewohner vom Gewicht ihres eigenen Körpers befreit.
Er erinnerte sich seiner ersten erotischen Phantasien, die er später in ihrer Phantastik nie mehr erreichte und in denen immer das Meer die Hauptrolle spielte, denn in diesen Phantasien war er ein Bewohner des Meeres und tummelte sich nackt im Wasser mit nixengleichen Frauen.
Ulrich fühlte die Kraft des Meeres um sich und in sich und wusste, er würde sie niemals verstehen und immer nur Ahnungen von dieser Kraft in sich tragen, die vielleicht ab und zu einen Traum als unverständlichen Boten sandten.

Auf dem Rücken schwamm er ein Stück weiter und betrachtete die Brandungslinie, der er sich zwar genähert hatte, die aber immer noch fast einen Kilometer entfernt war. Der Leiter des Schnorchelgangs hatte sie davor gewarnt, zu nahe an die Brandungslinie heranzuschwimmen, da die sich brechenden Wellen unvorsichtige Schwimmer auf den Korallen zu Fetzen schlugen.
Ulrich drehte um, schwamm auf dem Bauch weiter und steckte den Kopf wieder unter Wasser.
Nichts mehr war unter ihm. Schwärze schlug zu ihm aus unendlicher Tiefe herauf. Panisch gurgelte und zappelte er, sah jetzt auch ein paar dutzend Meter vor sich den senkrechten Abbruch, über den er unbemerkt hinausgeschwommen war und an dessen Kante sich das Korallenriff in der Dunkelheit der Tiefe verlor. Der Anblick des in der Tiefe verschwindenden Abbruchs war noch schrecklicher als die leere Tiefe unter ihm und es war mehr, als er glaubte ertragen zu können. Viel mehr.
Er hob den Kopf über Wasser und sah das Boot und seine Gefährten einige hundert Meter entfernt. Sie waren kleine Punkte in der alles zerschlagenden Weite, die sich über ihm, unter ihm und rings um ihn herum erstreckte.
Mühsam kontrollierte er seinen panischen Körper, der wild um sich schlagen oder erstarren wollte, zu Schwimmbewegungen in Richtung des Riffs. Er hielt den Kopf über Wasser und senkte ihn erst wieder, als er unter sich den hellen Grund der Korallen sah. Er schluchzte und als er wenige Minuten später das Boot erreichte, war er froh, der einzige an Bord zu sein und Zeit zu haben, seinen schüttelnden Körper zu beruhigen und die krampfartigen Schluchzer verebben zu lassen.
Als die anderen eintrafen, fiel ihnen nichts an ihm auf und da sie eine Gruppe von Fremden waren, bedeutete seine Schweigsamkeit ihnen nichts.

Von da an schwamm er nie mehr im Meer oder in Seen, deren Grund er nicht sehen konnte, sondern nur noch in Schwimmbädern.
Er liebte es, am Beckenrand zu stehen, jedes Steinchen oder Pflaster auf dem gekachelten Grund so deutlich zu sehen, dass er meinte, es greifen zu können. Oft tauchte er und hielt sich an einem in den Grund eingelassenen Ring fest und betrachtete dabei die über ihm wie Schinken in der Darre baumelnden Beine und Bäuche der Schwimmer.

Die Nächte wurden immer wärmer und tagsüber war es so heiß in seiner Koje, dass er kaum noch schlafen konnte. Erschöpft von der Schlaflosigkeit des Tages nickte er manchmal ein in seinen Grübeleien unter den Sternen, gesättigt von fremden, üppigen Gerüchen und einem Wind, so mild, wie er ihn nicht kannte. Weit entfernt konnte das Land, welches die Gerüche verströmte, nicht sein.

Eines Nachts schlief Ulrich an Deck, da lief ein Zittern und Stöhnen durch das Schiff. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass er eingeschlafen war und glaubte sich wach und er verstand nicht, dass es das Schiff war, welches zitterte und stöhnte und er wusste nicht mehr was Traum und was Wirklichkeit war, und als er schreiende Männer um sich sah, dachte er es sei wegen des Mannes, der zu seinen Füßen lag und stöhnte und mit einem letzten Zucken der Beine gegen Ulrichs Füße schlug, bis Ulrich merkte, der sterbende Mann war nur ein Traum und es war das Schiff welches starb.
Ulrich stand auf, sah sich um und glaubte es nicht. Ein Schiff kann doch nicht sterben.

Dann saßen sie alle in einem großen Rettungsboot und hörten das grausige Ächzen, als das Wasser das Schiff zerdrückte.
Einer der Matrosen kniete im Boot und betete, die Hände um seine Mütze gefaltet. Ein anderer Matrose stieß den Betenden an und sagte grob etwas zu ihm in für Ulrich fremder Sprache, und als der Betende nicht reagierte, riss der andere Matrose die Mütze aus den gefalteten Händen, gab sie Ulrich und bedeutete ihm zu schöpfen. Da sah Ulrich, warum der Matrose betete. Das Rettungsboot hatte einen großen Riss im Boden, durch den Wasser quoll und während die Männer mit allem was sie hatten schöpften und seien es die bloßen Hände, stopften der Kapitän und zwei weitere Matrosen Fetzen ihrer Kleidung in den Riss.

Die Nacht war fast windstill und sie hoben und senkten sich mit einer kaum wahrnehmbaren trägen Dünung. Ulrich schöpfte mit der Mütze und betete währenddessen „Lieber Gott, alles, bitte nur nicht in das Wasser“ mit der Monotonie eines schaukelnden Autisten, nur unterbrochen von Verwünschungen, in denen er seine Feigheit verfluchte, doch nicht mit dem Gewicht an den Füßen über Bord gesprungen zu sein und dann fragte er sich, ob er, in das Wasser gezwungen, wohl den Mut haben würde, so tief zu tauchen bis er ertrank und sich so ein schnelles Ende zu bereiten, oder ob er in seiner Feigheit verharren würde, bis ein Krampf, ein Hai oder völlige Erschöpfung ihn nach unten ziehen würden. Wäre das Wasser doch nur kalt! Dann gäbe es keine Haie und außerdem wäre er schnell erfroren.
Sie wurden des eindringenden Wassers Herr. Seine Panik legte sich und er stellte sich auf einige Stunden des Wartens ein. Ulrich verstand nicht, warum keine Rettung kam und die Erklärungen des Kapitäns in einer Sprache, die Englisch sein sollte, verstand er auch nicht.
Gegen Morgen frischte der Wind etwas auf, aber nicht so stark, um ihr Boot zu gefährden. Sie freuten sich über den Wind, der ihnen Kühlung in der immer stärker sengenden Sonne bot. Die Dünung wurde allerdings stärker, als das bisschen Wind erwarten ließ und Ulrich dachte sich, dass irgendwo anders ein Sturm getobt haben musste, der das Wasser so aufgeschaukelt hatte.
Noch immer war keine Rettung in Sicht. So weit konnte das nächste Schiff doch gar nicht entfernt sein, dass die Zeit nicht gereicht hätte am Unglücksort einzutreffen.
Ulrich fielen alle Geschichten ein, die er von langsam in ihren Booten verdurstenden und verhungernden Schiffbrüchigen gehört hatte und er malte sich aus, wie die siebzehn anderen Matrosen, die unterschiedliche Sprachen zu sprechen schienen, aber sich untereinander zu verständigen wussten, ihn als Außenseiter, der niemanden verstand und den niemand verstand, zur ersten Mahlzeit auserwählten.
Er hatte immer geglaubt, es sei ihm recht gleichgültig, was nach dem Tod mit seinem Körper geschehen würde. Jetzt stellte er fest, dass die Vorstellung, von einem anderen Menschen gegessen zu werden, ihn in hohem Grade unangenehm berührte. Sein Fleisch, das für gewöhnlich nur eine Geliebte zärtlich berührt hatte oder ein Arzt mit sachlichem Griff, wehrlos dieser groben Horde stinkender Männer ausgeliefert zu sehen, war bereits schlimm; schlimmer jedoch war die Vorstellung, von den Männern nicht nur berührt, sondern sogar gegessen zu werden- ein Akt, um vieles intimer als jede Berührung.
Er stellte sich vor, wie er von den Männern festgehalten wird und wie der Matrose an seiner Seite, mit seinem schartigen Taschenmesser, mit dem er sich die Fingernägel reinigte, ihm die Halsschlagader aufschlitzt und seinen ausgetrockneten Mund an Ulrichs Hals presst, um keinen Tropfen der kostbaren Flüssigkeit zu verschwenden und erst von ihm weicht, als die anderen Durstigen ihn wegprügeln, um auch ihre schrundigen Lippen an den Hals des für ewig Wegdämmernden zu pressen.
Ulrich versuchte, seine Gedanken auf etwas Anderes zu lenken, aber es gelang ihm nicht. Jedes Gesicht, in welches er blickte, sah er mit einem seiner Körperteile zwischen den Zähnen.
Mit solchen Gedanken verbrachte er den heißen Tag. Sie hatten zu essen und zu trinken und die Vorräte würden wohl noch einige Tage ausreichen.

Während der zweiten Nacht vergrößerte sich der Riss im Rumpf des Bootes und wieder wurden Kleiderfetzen zum Stopfen benutzt und wieder mussten sie alle schöpfen. Sie schafften es, den Riss abzudichten und während zwei Mann weiterschöpften, konnten die anderen ausruhen.

Kurz vor dem Morgengrauen zerbrach ihr Boot. Ulrich merkte auf einmal, wie die Bewegungen des Bootes sich veränderten. So weich sie auf der Dünung geschaukelt hatten, so deutlich hatte sich doch die ganze Zeit bei allen Schaukelbewegungen die steife Festigkeit des Bootes gegen das weich platschende, sie hebende und umspülende Wasser abgehoben.
Ulrich spürte plötzlich, wie das Boot sich der Bewegung des Wassers nicht nur anpasste, sondern ihr nachgab und da ertönten auch schon Schreie und eine Welle hob sie empor und sie sahen noch wie das Boot auseinanderklappte und die Männer in zwei Gruppen trennte, die eine im Bug, die andere im Heck.
Für einen Moment starrten sie sich fassungslos über den Bruch hinweg an, aber dann drang sofort das Wasser ein und sie fanden sich wiedervereinigt im Wasser. Sie schrien, strampelten und prügelten sich um einen Halt an den Bootshälften.
Ein Matrose umklammerte Ulrich und drückte ihn unter Wasser und während der Matrose schrie, war Ulrich erstaunt über seine eigene Ruhe und als er die Arme des Matrosen nicht los wurde, drückte er dem anderen mit beiden Daumen in die Augen. Jetzt schrie der andere noch lauter, aber er ließ für einen Moment los und hielt sich die Hände vor die Augen, sank dann gluckernd weg, tauchte wieder auf, schlug wild um sich, konnte aber Ulrich nicht mehr erreichen und da verstand er, dass der Andere nicht schwimmen konnte. Der Matrose streckte seine Hand nach Ulrich aus, der sich in sicherer Entfernung hielt und dann tauchte er ab, tauchte wieder auf, tauchte ab und tauchte nicht mehr auf.
Ulrich schwamm ein paar Züge im Dunklen und entfernte sich von dem prügelnden, kreischenden Haufen. Im Licht der Sterne und der feinen Mondsichel sah er die im Wasser kämpfenden Matrosen und er sah auch, dass die beiden Bootshälften versunken waren. Warum waren in einem Rettungsboot keine Schwimmwesten? Warum brach ein Rettungsboot auseinander?
Er überlegte, was er tun sollte. Sein Kopf war erstaunlich klar. Er legte sich auf den Rücken und paddelte mit den Beinen eben so viel, dass er nicht unterging. Seine Schuhe behinderten ihn stark beim Schwimmen und er zog sie aus und band sie mit den Schnürsenkeln an einer Gürtelschlaufe seiner Hose fest. Die Hose behinderte ihn zwar auch, aber er wusste keinen Ort, wo sie ihn weniger störte und verlieren wollte er sie nicht.
Der Lärm der kämpfenden Matrosen wurde schwächer. Im Morgengrauen sah Ulrich nur noch einen einzelnen Punkt auf dem Wasser, wenige hundert Meter von ihm entfernt. Er schwamm auf diesen Punkt zu und erkannte einen Matrosen, der seinen Oberkörper auf einen Wasserkanister stützte, der eben genug Auftrieb hatte, um Kopf und Oberkörper des Mannes über Wasser zu halten. Von den anderen Matrosen und dem Boot war nichts zu sehen.
Ulrich näherte sich dem Mann. Der Mann rührte sich nicht. Vielleicht schlief er. Als Ulrich nur noch zwei, drei Schwimmzüge entfernt war, fuhr der Mann herum und hielt Ulrich ein Messer vor die Nase. Das Gesicht und der Oberkörper des Mannes sahen aus wie ein rohes, mit Kleiderfetzen und Haaren garniertes Steak, in das jemand einen Schlitz geschnitten hatte, in dem die Zähne in der Morgensonne hell leuchteten. Ulrich zuckte zurück.
Nachdem er sich ein paar Meter entfernt hatte, rief er dem Mann zu: „Wir sind die letzten beiden. Wollen wir es nicht gemeinsam versuchen?“ Der Matrose konnte ihn natürlich nicht verstehen, aber auch auf Ulrichs freundlichen Tonfall reagierte er, indem er mit dem Messer in Ulrichs Richtung fuchtelte.
Mit langsamen Zügen schwamm Ulrich einige Meter und überlegte, ob er einfach wegschwimmen sollte. Er hatte allerdings Durst und ihn lockte die Aussicht auf einen Schluck Wasser.
Der Matrose hielt das Messer weiter erhoben und sagte etwas mit rauer Stimme. Ulrich bemerkte, dass der Matrose ihn beim Sprechen nicht genau ansah, sondern weiter in die Richtung schaute, in der Ulrich sich von ihm entfernt hatte.
Ulrich schwamm leise weiter, bis er sich im Rücken des Mannes befand. Der Matrose folgte ihm nicht mit seinen Blicken. Ulrich näherte sich ihm ein wenig und rief laut „Ich will nichts Böses.“
Der Matrose zuckte zusammen und drehte sich nach ihm um.
Ulrich schwamm laut platschend davon. Nach ungefähr zweihundert Metern hielt er an und paddelte auf der Stelle. Der Matrose ließ das Messer sinken, dann legte er seinen Kopf auf die Arme und bewegte sich nicht mehr. Nach einer Weile näherte Ulrich sich ihm langsam. Er schwamm so leise wie möglich.
Der Matrose schlief, zumindest hing er völlig regungslos auf dem Kanister. Das Messer baumelte im Wasser. Er hatte es sich mit einem Stofffetzen am Handgelenk befestigt.
Jetzt war Ulrich so nahe, dass er ihn hätte berühren können. Ulrich nahm mit seiner rechten Hand das Messer beim Griff und versuchte es so zu drehen, dass er den Stofffetzen durchschneiden konnte. Das Stück Stoff war zu kurz. Vorsichtig versuchte er den Knoten zu lösen. Plötzlich lag eine Hand des Matrosen über seiner Hand auf dem Messergriff und die andere Hand hatte ihn bei der Gurgel. Ulrich versuchte den Griff um seinen Hals zu lösen, aber der Matrose war viel kräftiger als er. Der Matrose war vom Kanister gerutscht und sie schwammen beide im Wasser und da keiner von ihnen eine Hand frei hatte, gingen sie langsam unter. „Warum sticht er nicht zu?“ fragte sich Ulrich, dann nahm er seine Linke von der Hand an seinem Hals, griff mit beiden Händen nach dem Messer und riss es mit aller Kraft zur Brust des Matrosen. Der Widerstand des Arms war bei diesem kräftigen Mann erstaunlich gering und Ulrich merkte, wie das Messer gegen eine Rippe stieß. Er hatte das Gefühl, das Knirschen des Stahls auf Knochen zu hören, aber es war nur die Härte des Knochens, die sich auf den Stahl übertrug und die so anders war als das Gleiten des Messers durch Fleisch.
Der Griff um seinen Hals löste sich kaum. Ulrich versuchte das Messer wieder herauszuziehen, aber das ging schwerer als das Hineinstechen. Es hatte sich zwischen den Rippen verhakt.
Langsam wurde ihm die Luft knapp. Er zog seine Beine hoch, stützte sich mit den Knien gegen den Leib des Matrosen und zog mit ganzer Kraft das Messer heraus und stach es dann unbehindert von der Hand seines Gegners in den Bauch des Matrosen, zog es wieder heraus und stach und stach, bis er vor Blut nichts mehr sah und merkte, dass sein Hals frei war.
Er löste sich von dem Anderen, glitt nach oben, holte tief Luft und schaute nach unten und sah den leblosen Körper in einer Wolke aus Blut im Schwarz versinken.
Ulrich zog seinen Oberkörper auf den Kanister und atmete tief. Dann stieß er sich mit raschen Schwimmbewegungen der Beine in Richtung aufgehender Sonne davon.
Nach den Stunden des Schwimmens war es ein Genuss, seinen Körper auf etwas aufstützen zu können und nicht unterzugehen, sobald er in seinen Schwimmbewegungen nachließ.
Wenn überhaupt, konnte er Land nur in Richtung Osten erreichen, da sie an der afrikanischen Westküste in Richtung Süden gefahren waren.
Nach kurzer Zeit war Ulrich völlig erschöpft. Er hörte auf mit den Beinen zu schlagen, aber es war immer noch anstrengend sich auf dem Kanister zu halten. Entspannte er seine Muskeln, glitt er in das Wasser. Hielt er fest, verkrampften sich seine Armmuskeln. Es war eine Folter. Er riss ein Stück von seiner Hose ab und wickelte es sich als Sonnenschutz um den Kopf. Dann versuchte er, aus dem Kanister zu trinken. Der Kanister fasste seiner Schätzung nach ca. dreißig bis vierzig Liter und war ungefähr zur Hälfte gefüllt. Wie sollte er ihn im Wasser schwimmend anheben? Durch Kippen des Kanisters kam er nicht an das Wasser heran und sobald er den Kanister auch nur versuchte, ein wenig zu heben, ging er selber unter. Wenn die Öffnung so klein gewesen wäre, dass er sie mit seinem Mund hätte umschließen können, hätte er sich mit dem angehobenen Kanister unter Wasser sinken lassen können, ohne dass das Süßwasser ausgelaufen oder Salzwasser eingedrungen wäre, aber die Öffnung war leider zu groß.
Ulrich glaubte schon, auf einem Wasserkanister schwimmend verdursten zu müssen, bis er auf die Idee kam, das Ende eines Stofffetzens durch die Öffnung zu stopfen und den vollgesogenen Stoff anschließend auszusaugen. Dabei schwappte allerdings Salzwasser in den Kanister, gleich wie vorsichtig er war, und das Wasser schmeckte bereits widerlich abgestanden und brackig. Verdursten würde er allerdings nicht. Er wurde müde und hätte gerne geschlafen. Jedes Mal wenn er einnickte, rutschte er jedoch herab. Er zog seine Hose aus und zog sie durch den Henkel des Kanisters, schlang sich dann die Beine unter die Achseln und knotete sie vor seiner Brust zusammen. Jetzt konnte er alle Muskeln entspannen und sein Kopf hing gegen den Kanister gestützt über Wasser.
Wenn er nicht schlief, dann paddelte er leicht mit den Beinen und bewegte sich so langsam Richtung Osten. Er wusste, dass selbst die kleinste Meeresströmung und der Wind seinen Kurs stärker beeinflussen konnten als dieses Paddeln, aber da er ohnehin nichts zu tun hatte, schlug er weiter mit den Beinen und dachte dabei immer wieder an die Geschichte von dem in den Sahnetopf gefallenen Frosch, der durch stetes Strampeln die Sahne zu Butter schlug und so dem Topf und dem Ertrinken entkommen konnte.

Er verlor das Gefühl für die Zeit. Wachen und Schlafen waren nicht deutlich getrennt und die Wanderung der Sonne war das einzige, an dem sein Geist ein wenig Halt fand. Manchmal stand sie hoch, manchmal stand sie tief, manchmal war es Tag und manchmal war es Nacht.
Jedoch verwirrte ihn auch nichts so wie die Sonne. Er verstand die Sonne nicht mehr. Nach wie vor ging er davon aus, dass sie im Osten aufging, dort wo Afrika sein musste. Aber die Sonne schien anders zu wandern, als er es kannte und das konnte natürlich nicht sein, also musste er verrückt sein. Immer wieder rief er sich den Weg der Sonne in Erinnerung: Orte die er kannte, Zimmer von denen er genau wusste, wann wo die Sonne hereinschien. Gleich, wie man sich drehte, die Sonne wanderte immer im Uhrzeigersinn, oder anders ausgedrückt, wenn man mit den Füßen auf der Erde stand, wanderte sie immer von links nach rechts.
Er traute sich kaum, seine Beobachtung sich selbst einzugestehen: Die Sonne zog von rechts nach links, d.h. dem Uhrzeigersinn entgegengesetzt. Oder drehte er sich in einer Weise, die diese Täuschung hervorrief? Er konnte an nichts anderes mehr denken.
Ulrich trieb weiter und paddelte weiter und er hatte nicht nur das Gefühl, dass sich sein Verstand langsam auflöste, auch seine Haut war durch den langen Aufenthalt im Wasser aufgeweicht und er glaubte sein ganzer Körper würde sich bei der ersten heftigen Bewegung auflösen, Teile würden abfallen und wie in ein Aquarium gestreutes Fischfutter langsam in kleinen Bröckchen zu Boden sinken.
Dann hörte er in der Ferne ein Brausen. Es war ein leises, aber konstantes Geräusch. Zuerst dachte er an weit entfernten Regen oder Gewitter, aber dafür war das Geräusch zu gleichbleibend und ganz langsam wurde es lauter. Wenn er sich nicht täuschte, kam es aus der Richtung vor ihm, aus der Richtung, wo Afrika lag, wenn sein Kurs denn richtig war.
Es wurde Abend und das Brausen schwoll zu einem verhaltenen Donner an, immer noch weit entfernt, aber Ulrich hörte die gewaltige Kraft, die diesen Donner erzeugte. „Hoffentlich nicht Klippen in der Brandung“, dachte er und erinnerte sich an das Geräusch, welches diesem Donner am ähnlichsten klang. An der irischen Westküste stand er einmal an einem stürmischen Tag an einem mehrere Dutzend Meter hohen Abbruch und sah, wie die Wellen gegen die steile Felswand schlugen, in von den Wellen gegrabenen Höhlen explodierten und manchmal spritzte das Wasser bis zu ihm hinauf und unter seinen Füßen spürte er den Fels unter den Schlägen des Wassers erzittern und über allem war ein Donnern und Knallen, als ob ein Hochofen nach dem anderen abgestochen würde.
Es war Brandung, die dort vor ihm donnerte und er wusste, jetzt würde sich viel entscheiden.
Er hört auf zu paddeln, da er lieber bei Tageslicht durch die Brandung steuern wollte. Wichen die dichten Wolken für einen Moment zurück, sah er im Mondlicht vor sich weiße Linien. Die Brandung war nicht so weit weg, wie er geglaubt hatte und er versuchte ein wenig zurückzuschwimmen, um Zeit bis zum Morgen zu gewinnen.
Trotz seiner Bemühungen kam er den Brandungslinien immer näher. Dunkel lauerte dahinter das Land. Einzelheiten konnte er nicht erkennen. Einzig die Trennlinie zwischen Himmel und Erde warf das dunkle Land wie einen Scherenschnitt auf den Hintergrund des helleren Himmels. Wenn er sich nicht täuschte, zog das Land an ihm vorbei. Das hieße, eine starke Strömung würde ihn seitlich am Land entlangtragen, offensichtlich aber auch dem Land entgegen, da er sich der Brandung näherte.
Ulrich gab seine Bemühungen, sich der Strömung entgegenzustellen auf und ließ sich nur noch treiben. Die Hosenbeine löste er von seiner Brust und versuchte die Hose anzuziehen. Dies gelang jedoch nicht und er band sich die Hose um den Bauch. Dann hielt er sich an dem Kanister fest und wartete.
Der Mond war bereits deutlich weiter gewandert, als er spürte, wie die Wellen in hoben und sinken ließen. Unmittelbar vor ihm trugen die Wellen bereits weiße Kämme.
Er wurde gehoben und sank, er wurde höher gehoben und sank, er wurde wieder gehoben und um ihn herum krusselte es sich und er sank.
Dann wurde er heftig in die Höhe gerissen und glitt die Wellen nicht mehr hinab, sondern surfte mit seinem Kanister in tiefe Täler und was waren das für Wellen! Bei jeder Welle dachte er „diese ist es, die sich mit mir bricht“ und jedes Mal wurde er nur von einem leisen weißen Zischen verfolgt und wieder angehoben für die nächste Fahrt. Und dann war er in einem Tal und wartete darauf angehoben und weiter getragen zu werden, da sah er Sand im Wasser um sich herum und es zog ihn zurück, während die Welle sich hinter ihm aufbaute und sie hob ihn noch ein wenig an, bevor sie ihn zusammenschlug. Er wurde auf den Sand gehauen und spürte seine Brust zersplittern und sofort riss es ihn weiter, hob ihn wieder an und warf ihn zu Boden, diesmal schwächer, und so ging es fort, bis das Wasser immer weiter hinter ihm zurückfloss, wenn es ihn hingeworfen hatte und fest spürte er den Grund unter sich, bis er wieder angehoben wurde. Jedes Mal waren die Wellen schwächer und er wurde immer schwerer und dann reichte die Kraft der Wellen nicht mehr ihn zu heben und sie kullerten ihn hin und her, vom Bauch auf den Rücken und vom Rücken auf den Bauch und er fühlte sich zu schwach um aufzustehen, nahm dann alle Kraft zusammen und robbte ein paar Meter, bis die Wellen nur noch seine Füße erreichten und nach einer Pause zog er sich weiter auf den trockenen Sand.
Er drehte sich auf den Rücken und alles um ihn herum schaukelte. Schlimmer als auf einem Schiff in der Dünung schwankte alles um ihn herum. Auf einen Ellenbogen gestützt, übergab er brüllend das Wasser aus seinem Bauch dem Sand und nachdem er kein Wasser mehr hervorholen konnte, gab er dem Sand seine Galle.
In seiner Hand sah er den Griff des Kanisters, dessen beiden Enden aus Splittern bestanden. Er legte sich wieder auf den Rücken und befühlte seinen Körper. Alles tat weh, aber alles schien heil zu sein. Nur der Kanister war unter ihm zersplittert, nicht seine Brust. Er zog sich noch ein wenig weiter den Strand hinauf, rollte sich zusammen und obwohl er fror, schlief er bald ein.


III

Er hielt die Augen geschlossen und lauschte den Stimmen der Männer. Sie klangen weder freundlich noch feindlich und er öffnete seine Augen. Drei Männer hockten neben ihm im Sand. Ihr krauses Haar war kurz geschnitten und sie trugen verblichene kurze Hosen und Hemden.
Ulrich richtete sich auf und schaute sich um. Das Meer vor ihm war eine Reihe riesiger sich brechender Wellen. Jetzt erst nahm er wieder das Donnern wahr. Wie Nebel leuchtete über der Brandung ein feiner Schleier aus Dunst in der Morgensonne. Auf dem breiten Strand lagen mehr als ein Dutzend lange schmale Boote mit Auslegern an den Seiten. Hinter Ulrichs Rücken näherten sich weitere Stimmen. Er drehte sich um und sah Männer und Jungen aus einem lichten Wald nähertreten.
Ulrich und die Männer versuchten miteinander zu reden, aber niemand verstand sein Englisch und seine paar Brocken Schulfranzösisch. Ihre Sprache war ihm völlig fremd. Bei manchen Lauten hatte er den Eindruck, sie sprachen eine Art Französisch, aber er hätte nicht einmal des Französisch eines Franzosen verstanden und diese Sprache hatte höchstens entfernte Ähnlichkeit damit.
Mit Mimik und Gestik erklärte er ihnen den Untergang des Schiffes. Sie führten ihn zu ihrem hinter den Bäumen gelegenen Dorf. Frauen in langen bunten Kleidern und ebenso bunten Kopftüchern traten aus kleinen Hütten.
Als sie ihm eine Schüssel mit Reis und Fisch vorsetzten, merkte Ulrich, wie hungrig er war. Seit dem Schiffsuntergang hatte er nicht mehr gegessen. Er schlang das Essen herunter. Als er fertig war, gab man ihm nicht mehr und nach einem Nachschlag wollte er nicht fragen. Keiner der Menschen um ihn herum sah unterernährt aus, aber Fett hatte von den Männern niemand auf dem Leib. Einzig die Frauen wirkten unter den weiten Gewändern recht üppig.
Nachdem er gegessen hatte, verließen die Männer ihn und er blieb mit einem alten Mann zurück, der ihm etwas erzählte. Der Mann wirkte nicht so, als ob er nicht bemerkte, dass Ulrich kein Wort verstand. Es schien ihn vielmehr nicht zu stören oder er vertraute auf eine universelle Verständlichkeit der menschlichen Sprache jenseits von Worten und tatsächlich fühlte sich Ulrich in dem leisen plätschernden Regen aus weichen Worten so geborgen, wie er es in dieser fremden Welt sein konnte.
Kleine nackte Kinder mit hinter dem Rücken verschränkten Armen umstanden sie. Die Frauen waren zu stolz oder zu züchtig, mehr als einen Blick auf ihn zu werfen, Blicke, die auch einer Kokosnuss oder einem auf einem Blatt entlangkriechenden Käfer hätten gelten können: Gleichgültig, neutral und Ulrich völlig fremd.
Er war immer noch müde und unter dem Reden des Alten streckte er sich auf der Matte, die man ihm als Sitzgelegenheit gegeben hatte, aus, und war bald darauf eingeschlafen.
Am Nachmittag erwachte er. Der Alte war weg. Ulrich ging durch das Dorf und außer ein paar spielenden Kindern und hin und wieder einer im Dunkel einer Hütte sitzenden Frau, die er durch den Eingang erspähte, war niemand zu sehen. Er ging an den Strand und blieb dort sitzen, bis am Abend die Männer mit ihren Booten vom Meer zurückkehrten. Er half ihnen, die Boote auf den Strand zu ziehen und gemeinsam gingen sie in der Abenddämmerung zurück in das Dorf.
Mit etwas wirscher Miene bedeutete einer der Männer Ulrich mit ihm mitzukommen und in der Hütte des Mannes erhielt Ulrich Reis mit Fisch. Während der Mann und Ulrich aßen, bediente die Frau des Mannes sie. Hinter ihnen saßen, fast unsichtbar im Dunkel, sechs Kinder mit den Rücken an die Wand der Hütte gelehnt.
Das Essen war auf einer Platte angerichtet und für zwei Männer war es eine große Portion. Ulrich aß kräftig, denn den ganzen Tag über hatte er sich auf die nächste Mahlzeit gefreut.
Ließ Ulrichs Eifer beim Essen nach, ermutigte sein Gastgeber ihn mit Gesten, weiter zu essen. Ulrich wollte nicht unhöflich sein und das Essen schmeckte köstlich, so einfach es war und so langte er immer wieder zu. Er wunderte sich über den geringen Hunger des Mannes, aber als sie gegessen hatten, war dank Ulrichs Appetit nicht mehr viel auf der Platte übrig.
Der Mann bot ihm eine Zigarette an und während sie sich zurücklehnten und rauchten, nahmen die Frau und die Kinder die zuvor von den beiden Männer belegten Plätze in der Mitte der Hütte ein und aßen schweigend den kümmerlichen Rest der Mahlzeit.
Ulrich hatte erwartet, dass eine neue Mahlzeit für den Rest der Familie aufgetragen würde und als er sah, was er mit seiner Gefräßigkeit angerichtet hatte, stiegen ihm vor Scham die Tränen in die Augen.
Sie gaben ihm eine Matte und eine Decke und wiesen ihm einen Platz auf dem Boden der Hütte zu und gemeinsam legten sich alle schlafen.
Am nächsten Morgen führte ihn der gesprächige Alte zu einer anderen Hütte. Eine dicke Frau stand in der Tür und sagte etwas mit lauter, harter Stimme zu dem Alten. Hinter der Frau standen kleine nackte Kinder, hielten sich am Rock der Frau fest und lugten um ihre Beine herum.
So, wie Ulrich die Gesten des Alten und der Frau verstand, sollte er der Frau bei der Arbeit helfen. Der Alte verabschiedete sich, die Frau tauchte in die Dunkelheit der Hütte und Ulrich stand etwas hilflos vor dem Eingang herum, bis die Frau, gefolgt von fünf Kindern im Alter von etwa zwei bis zehn Jahren, wieder erschien, Ulrich eine Hacke gab und mit ihm im Schlepptau einen schmalen Pfad entlang ging, bis sie ein Feld im Wald erreichten.
Gemeinsam ernteten sie kartoffelähnliche Früchte und während Ulrich hackte, fragte er sich, was er hier tat. Er sah sich und die gesamte Szene wie in einem Film, sah sich mit gebeugtem Rücken über die leichte, dunkle Erde gebückt arbeiten und Früchte ausgraben, die von der Frau und den Kindern aufgeklaubt, vom groben Schmutz gereinigt und in Körbe gepackt wurden.
„Wo bin ich überhaupt?“, fragte er sich und während er sich diese Frage stellte, merkte er, dass ihn die Antwort gar nicht interessierte. Keinen Kontinent kannte er so schlecht wie Afrika und was hätte ihm der Name eines Landes schon gesagt oder der Blick auf eine Karte? Er wusste, er befand sich an der Westküste Afrikas und wie das Land genannt wurde, und ob er ein paar hundert oder tausend Kilometer weiter nördlich oder südlich war –was spielte das für eine Rolle?
Ein besseres Versteck hätte er allerdings nicht finden können. Selbst wenn jemand seine Spur bis auf den Frachter verfolgt hätte, würde er durch den Schiffbruch, den er offensichtlich als einziger überlebt hatte, für tot gelten und wäre damit aus allen Akten gelöscht. Ausgerechnet er hatte das Schiffsunglück überlebt, er, der an Bord gegangen war um sich umzubringen. Und als er aufsah und vor dem Hintergrund des Waldes die Kinder sah, wie sie die Früchte aufsammelten und die zwei Kleinsten auf dem Boden saßen und sich gegenseitig die Erde über die Beine rieseln ließen, da wusste Ulrich, dass er niemals hatte sterben wollen, sondern dass immer nur ein Schmerz, den er geglaubt hatte nicht aushalten zu können, dem Tod das Gewand der Kameradschaft umgehängt hatte.
Jetzt wusste er, dass er sehr viel aushalten konnte und zwar einzig aus dem Grund, weil er das Leben liebte und er wusste, diese Liebe würde immer stärker sein als der schlimmste seelische Schmerz.
Woher diese Liebe kam, wusste er nicht und hätte ihm gestern jemand gesagt er, Ulrich, liebe das Leben, hätte er es nicht geglaubt. Vielleicht war es auch nur Neugier auf das, was noch kommen mochte. Warum sollte man ein Theaterstück verlassen, gleich wie schlecht es war, wenn man bezahlt hatte, nichts anderes vorhatte und die Dramatik der Handlung sich steigerte?
Aber wollte er denn in diesem Dorf bleiben und Früchte hacken? Was konnte er sonst tun, als Weißer ohne Papiere in einem schwarzen Kontinent? Vielleicht hatten die Dorfbewohner auch bereits die Polizei verständigt oder sie warfen ihn bald hinaus, nachdem sie ihre Gebote der Gastfreundschaft erfüllt hatten.
Ulrich lachte, als er sich die Absurdität seiner Situation solchermaßen vor Augen hielt und er merkte an dem ihm nicht mehr vertrauten Gefühl im Bauch, wie lange er nicht mehr gelacht hatte. Mit Sicherheit seit dem Schuss nicht mehr und mit Melancholie wurde ihm deutlich, dass er lange vor diesem Unglück nicht gelacht hatte. Was Andrea wohl gerade machte?
Sie füllten die Körbe und schwer beladen gingen sie zurück in das Dorf. Die Hauptlast trug Ulrich.
Bei der Hütte angekommen, schickte die Frau ihn mit dem ältesten Jungen in den Wald Holz holen und nachdem er den ganzen Nachmittag über Holz gehackt und andere Arbeiten übernommen hatte, wusste er, warum er diesem Haushalt, in dem offensichtlich der Mann zeitweise oder für immer fehlte, zugewiesen worden war. Ihm war es recht. So brauchte er kein schlechtes Gewissen zu haben, als er abends die Essensplatte vorgesetzt bekam und das aß, was er ungefähr als siebten Teil der Mahlzeit einschätzte.
Nach dem Essen gingen die Kinder schlafen und als Ulrich vom Austreten in den Büschen zurückkam, lag auch für ihn eine Matte ausgebreitet auf dem Boden. Kurz darauf legte die Frau sich auf eine Matte neben ihn und er fragte sich, wie weit er hier den fehlenden Ehemann vertreten sollte. Er streckte seine Hand hinüber zu der Frau und landete in warmem, weichem Fleisch. Dann spürte er eine Hand unter seiner Decke und diese Hand wusste, was sie wollte. Sie rückten zusammen und Ulrich sah von weit oben, wie ein schmaler weißer Körper und ein üppiger schwarzer Körper sich aneinanderpressten, wie sich der weiße Körper auf den schwarzen schob und sich dort bewegte, von Beinen und Armen umklammert, und wie der älteste Sohn seine Augen aufschlug und sich abwandte, und wie der weiße Körper zuckte, sich mit dem schwarzen Körper vermischte und dabei fast verschwand.

Nach einigen Wochen hatte Ulrich sich in das neue Leben gefügt. Die Arbeiten auf dem Feld, im Wald und gelegentlich mit den Männern auf den Fischerbooten waren ihm so vertraut, wie sie jemandem sein konnten, der sein bisheriges Leben völlig anders verbracht hatte.
Er sah sich weiterhin oft von oben und fühlte sich wie der Hauptdarsteller in einer Dokumentation über das Leben des Ulrich H. Bei aller Vertrautheit mit den täglichen Abläufen stand er allem um ihn herum so fremd gegenüber wie am ersten Tag.
Die Sprache verstand er nicht, wollte sie auch nicht verstehen und da er immer Schwierigkeiten hatte, sich Laute einer fremden Sprache einzuprägen, rauschte das um ihn herum Gesagte an ihm vorbei. Auch hatte er den Eindruck, Worte und Namen klängen bei jeder Nennung anders. Ein paar Mal hatte er versucht, sich den Namen seiner Frau –so bezeichnete er sie für sich- einzuprägen, aber als er versuchte, den Namen nachzusprechen, lachte sie nur und wiederholte ihren Namen anders klingend, als Ulrich ihn in Erinnerung hatte. Er gab daraufhin seine Bemühungen auf und nannte sie Elsbeth, der für sein Empfinden am wenigsten afrikanisch klingende Name in seinem Repertoire. Namensgebendes Vorbild dieser Taufe war eine Großtante. Ulrich hatte sie als winzige, vertrocknete Frau in Erinnerung. Sie war so vertrocknet, dass er als Kind in der Advents- und Weihnachtszeit immer in Angst lebte, Großtante Elsbeth könne versehentlich eine Kerze des Adventskranzes berühren und in Flammen aufgehen. Seine afrikanische Elsbeth mochte das Dreifache von dem Gewicht seiner Großtante auf die Waage bringen und selbst ein Waldbrand hätte ihrer Üppigkeit wohl nur ein paar Schweißperlen entlockt.

Eine zufällige Begegnung mit Fremden gleich welcher Art brauchte Ulrich anscheinend nicht zu fürchten oder zu erhoffen. Bisher hatte er noch keinen Fremden im Dorf gesehen. Ab und zu verschwanden ein paar männliche Dorfbewohner schwer beladen mit Lebensmitteln und kehrten am nächsten Tag mit Kleidung und anderen nicht im Dorf herzustellenden Produkten zurück. Also schien es ungefähr eine knappe Tagesreise entfernt einen Markt zu geben, aber Händler oder sonstige Fremde suchten nie das Dorf auf. Ulrich war es recht. Erklärungen waren das Letzte, worauf er Lust hatte.

Er mochte die Menschen im Dorf. Sie waren ernst und still und doch von einer elementaren Heiterkeit, wie er sie aus seiner Heimat nicht kannte. Deutlicher als zuvor sah er die Hysterie der Menschen in Deutschland vor dem Hintergrund der alle Lebensbereiche durchziehenden Gelassenheit in diesem Dorf. Deutlich sah er aber auch, dass er nicht hierhergehörte und immer der Fremde sein würde, selbst wenn er schwarze Haut hätte und die hiesige Sprache beherrschte.
Seltsamerweise war er weder glücklich noch unglücklich. Eigentlich hätte er erwartet, seine Stimmungen in das eine oder andere Extrem kippen zu sehen angesichts der außergewöhnlichen Umstände seines Lebens in letzter Zeit, aber nein, seit dem Untergang des Schiffes hatte ihn nichts mehr erschüttert und er war so ausgeglichen und friedlich wie nie zuvor. Nichts regte ihn auf und er war weit von den Zuständen der Verzweiflung und Wut entfernt, die er aus der Zeit seines friedlichen Daseins vor dem Schuss kannte.
Er erklärte sich diesen ausgeglichenen Zustand damit, dass alles, was ihm geschah, weiter von ihm weg war, als er es jemals erlebt hatte. Ein Film ergreift einen schließlich auch nicht so wie das richtige Leben. Einerseits genoss Ulrich diese Abwesenheit von Leid, andererseits hatte er manchmal Angst, bis an den Rest seines Lebens nicht mehr stark zu fühlen. Ob es Menschen gab, die ihr gesamtes Leben so erfuhren?
Bei allem Gleichmut der Gefühle freute Ulrich sich sehr über seine fünf Kinder. Von einem Tag auf den anderen war Ulrich nicht nur Ehemann, sondern auch Familienvater geworden.
Sorgen bereitete ihm einzig der Gedanke, er könne mit Elsbeth ein Kind zeugen. Diese Vorstellung gefiel ihm nicht und daran merkte er, dass er sein Leben mit Elsbeth doch nur als vorübergehende Episode auffasste und nicht den Rest seines Lebens hier verbringen wollte.
Die Leichtigkeit, mit der er sich in dieses fremde Leben fügte -ja eigentlich genau den Platz eines Menschen einnahm, nämlich von Elsbeths verstorbenem oder verschwundenem Mann- brachte ihm einen Wesenszug von sich selbst vor Augen, der bereits in der Vergangenheit zutage getreten, ihm aber niemals aufgefallen war. Ulrich lebte gerne in anderer Menschen, genauer gesagt Frauen, Wohnungen. Dreimal bereits hatte er seine paar Habseligkeiten gepackt, sein Zimmer oder seine Wohnung aufgegeben und war bei einer Frau eingezogen. Die Wohnung aus der er geflüchtet war, gehörte Andrea, war von ihr eingerichtet und Ulrich hatte lediglich ein paar Fächer in Andreas Kleiderschrank für sich beansprucht. Sein bisschen Hausrat und die anderen mit dem Einzug überflüssig gewordenen Sachen hatte er in Kartons verpackt und im Keller gelagert.
Das Leben mit Elsbeth war also nur die Steigerung einer altbekannten Verhaltensweise. Eine Steigerung war es in der Tat, da er sonst nur in eine neue Beziehung getreten und in eine fremde Wohnung gezogen war. Bei Elsbeth hatte er zugleich mit dem Wechsel Kinder erhalten, eine neue Arbeit und ein komplett neues Leben. Warum nicht?

Eines Nachmittags hackte Ulrich neben der Hütte Holz, als er sich plötzlich einem fremden Jugendlichen gegenübersah. Der Jugendliche trug zerrissene, ausgeblichene Militärkleidung und hielt einer großen Machete in der Hand. Er hatte ein seltsames Grinsen im Gesicht.
Ulrich öffnete den Mund und wollte etwas sagen, da holte der Jugendliche mit der Machete aus und schlug dem vor Ulrich auf dem Boden spielenden Knaben die obere Hälfte des Schädels ab. Es klang wie das Aufschlagen einer Kokosnuss und es war sehr laut, denn sonst war alles sehr still. Alles ging sehr langsam und Ulrichs Blick folgte dem Flug der Schädelhälfte bis sie im Sand landete.
Plötzlich hörte er Schüsse und Geschrei und alles lief jetzt viel schneller ab, er bekam gar nicht mehr alles richtig mit. Überall liefen Menschen hin und her, wie bei Tarzan, als dieser, auf dem Rücken eines Elefanten sitzend, gemeinsam mit der Elefantenherde das Dorf der bösen Schwarzen stürmte. Das war eine Freude, wie die Bambushütten der Bösewichter auseinanderflogen unter den Schlägen der Rüssel und es war schrecklich mit anzusehen, wie ein Mann schreiend unter dem Fuß des Elefanten zerquetscht wurde.
„Und das am Sonntagnachmittag“. War das seine Mutter? „Heute Nacht können die Kinder wieder nicht schlafen“.
Jetzt stand schon wieder jemand mit einem irren Grinsen vor ihm. Ulrich zwang sich genau hinzugucken, denn er wusste, das war kein Film.
Der mit dem irren Grinsen zeigte immer wieder auf Ulrichs Hand. Was wollte der denn? Ulrich sah seine Hand an und bemerkte, dass er die Machete vom Holzhacken darin hielt. Wollte der Irre die Machete?
Ulrich hob die Hand und wollte ihm die Machete reichen, da fuhr der Irre zurück und holte mit seiner eigenen Machete aus. Jetzt standen noch mehr Irre um ihn herum und Ulrich nahm seine Machete mit der Spitze in die Hand, wie ein scharfes Messer, welches man bei Tisch jemand anderem reicht, und hielt sie mit dem Griff voran seinem Gegenüber hin.
Die Irren um ihn herum lachten und einer schlug ihm sogar auf die Schulter und da musste auch Ulrich lachen und er konnte gar nicht mehr aufhören. Die Irren fanden den Witz aber auch sehr gut, denn sie lachten alle und lachten, bis Ulrich sah, wie seine eigene Machete in der blutbespritzten Hand des Irren so schön sauber glänzte, während die anderen Macheten alle rot waren, ebenso bespritzt mit Blut wie die nackten Arme und die Uniformen der Irren und da hörte er auch das Stöhnen überall. Als er anfing zu toben, hatten sie ihm schon die Arme auf den Rücken gebunden.
Sie führten ihn an Elsbeth vorbei, deren Blut in der Abenddämmerung dampfte. Unter ihrem breiten Körper sah ein dünnes Kinderbein hervor.
In einer Hütte fesselten sie Ulrich an einen Pfosten. Während der Nacht war es das schlimmste, dass er sich nicht die Ohren zuhalten konnte, denn die Irren hausten weiter und vergnügten sich mit einigen ausgewählten Opfern, deren Schreie Ulrich hörte. Er schlief nicht in dieser Nacht und seine Gedanken verhedderten sich immer mehr, bis er nicht mehr wusste, ob er wachte oder schlief, was Phantasie war und was Wirklichkeit.

Am Morgen herrschte Stille.
Ulrich war müde, aber klar und ruhig. Bis lange nach Sonnenaufgang war es still, bis er gereizte Männerstimmen hörte, die sich leise stritten. Er überlegte, ob er sich melden sollte, damit er versorgt würde, oder ob es besser sei zu hoffen, man habe ihn vergessen und in den nächsten Tagen zu verdursten. Er blieb ruhig liegen und schloss die Augen.
Nach einer Weile raschelten Schritte im Stroh und eine mürrische Stimme raunzte etwas in seine Richtung. Ulrich hielt die Luft an und bewegte sich nicht. Ein schwerer Tritt traf ihn im Magen und zischend ließ er die Luft heraus und riss die Augen auf. Einer der fremden Männer stand vor ihm und half ihm beim Aufstehen. Der Mann gab ihm zu trinken und zerrte ihn dann aus der Hütte. Überall lagen Leichen, aber das war nicht so schlimm, obwohl manche sehr zerhackt waren. Schlimm waren die Lebenden, die er in der Ferne sah. Schnell folgte er dem Mann, der ein Seil um Ulrichs Hals gebunden hatte und ihn daran hinter sich her zerrte. Im Gänsemarsch verließen sie das Dorf auf dem Pfad, der auch zu Elsbeths Acker führte und Ulrich entfernte sich weiter als jemals zuvor von dem Dorf.

Er war der einzige Gefangene dieser Truppe. Die Männer sahen anders aus als die Dorfbewohner. Sie waren größer und schlanker und ihre Gesichtszüge waren anders geschnitten.
Der Trott des Marschierens erinnerte ihn an seine Nächte an Deck des Frachters und die oft schlaflosen Tage in seiner Koje, mit dem immer gleichen monotonen Vibrieren der Maschinen im Hintergrund.
Was waren das für glückliche Zeiten, ungetrübt von Schrecken. Aber nein, auch damals war er verwirrt wegen eines Unglücks, aber wie harmlos das damals doch alles war.
Sie marschierten und er erhielt zwar nichts zu essen, was ihn nicht störte, da er ohnehin keinen Hunger hatte, aber genügend Wasser. Die Männer lösten sogar seine Fesseln, wahrscheinlich damit er besser laufen konnte und nicht mehr so oft hinfiel. Was hatten sie mit ihm vor und warum nahmen sie ihn mit?
Nach vier Tagen Marsch erreichten sie eine Stadt. Ulrich sah die Stadt nur in der Ferne, da sie außerhalb kampierten.
Drei Männer blieben bei ihm und der Rest der Truppe ging in Richtung Stadt. Sie fesselten Ulrich und lagerten unter einem großen Baum. Ihr Rastplatz war sehr idyllisch. Um sie herum war Grasland mit vereinzelten großen Bäumen, vor ihnen eine Straße mit Fußgängern und gelegentlich einem Lastwagen oder Geländewagen mit einem Schweif aus rötlichem Staub. Weit weg lagen die verschwommenen Umrisse der Stadt. Nach der langen Zeit im Wald genoss Ulrich die Aussicht und den erstaunlich frischen Wind.
Nach ein paar Stunden wehte der Staub aus Richtung der Stadt einen Militärlastwagen heran. Der Lastwagen hielt kurz, setzte dann wackelnd über den Straßengraben und näherte sich ihnen.
Seine Begleiter standen auf und sahen gespannt auf das herannahende Fahrzeug. Als es nur noch hundert Schritte von ihnen entfernt war, drehte es eine leichte Kurve, hielt an und Soldaten mit Gewehren sprangen von der Ladefläche. Ulrichs Bewacher redeten aufgeregt miteinander und der eine begann wegzulaufen, blieb auf den Zuruf eines der anderen jedoch wieder stehen. Die Soldaten kamen auf sie zu. Zunächst duckten sich die drei Wachtposten hinter den Baum, dann liefen sie gebückt davon.
Ulrich saß und drehte seinen Kopf mal in die eine, dann in die andere Richtung. Als er die Soldaten loslaufen und die Gewehre anlegen sah, warf er sich flach auf den Boden. Einzelne Schüsse knallten, dann immer mehr und Ulrich presste sich dicht an Baum und Boden und hörte die Schüsse und das Getrampel der Stiefel an sich vorbeiziehen.
Nach einer Weile stieß ein Soldat ihn leicht mit dem Fuß an und bedeutete ihm sich aufzusetzen. Der Soldat schnitt die Fesseln durch und Ulrich stand auf.
Das Schießen hatte mittlerweile aufgehört und er sah die Soldaten sich bereits wieder dem Baum nähern. Einen seiner ehemaligen Bewacher führten zwei Soldaten zwischen sich, Ulrich konnte aber nicht erkennen welcher der drei es war, da er kein Gesicht mehr hatte. Die anderen Beiden wurden von jeweils zwei Soldaten an den Füßen hinterhergezogen. Die Hemden waren ihnen über den Kopf gerutscht und Ulrich sah die von Kugeleinschlägen gemusterten Oberkörper.
Die Soldaten brachten Ulrich in die Stadt. Er saß auf der Ladefläche und wollte nicht die vor seinen Füßen liegenden Toten und den Gefangenen mit dem zerschossenen Gesicht sehen und so starrte er mit zur Seite gedrehtem Kopf in den hinter ihnen aufsteigenden Staub, der sein gesamtes Sichtfeld einnahm und alles hinter ihm verhüllte. Ihm wurde leicht schwindelig, wie beim Starren in die Heckwelle eines Schiffes, wenn man auf die Reling gestützt nach unten schaut und das Drehen und Wirbeln des Wassers in seiner immer gleichen, ständig sich verändernden Weise den Hineinstarrenden bannt und abstößt.
In der Stadt fuhren sie auf dreckigen Straßen zu dem größten Gebäude in Sichtweite, welches mit seiner Fassade aus Ziegeln zwischen den kleinen, lehmfarbenen Häusern herausstach. Vor dem Gebäude befand sich ein hölzernes Gerüst, an welchem lang und schlaff, mit zur Seite geneigten Köpfen und Stricken um den Hälsen, die Körper seiner Entführer hingen.
Ein Soldat führte Ulrich an den Gehenkten vorbei in das Ziegelgebäude. Innen war es angenehm kühl. Die Absätze des Soldaten klackerten auf dem steinernen Boden und Ulrich war erstaunt darüber, wie fremd ihm der Klang von gemauerten Räumen in dieser kurzen Zeit geworden war.
Der Soldat brachte ihn in ein Büro. Dort nahm Ulrich Platz und wartete.
Nach einer Weile kam ein älterer Mann mit grauem, aber vollem Haar herein. Er war in Zivil gekleidet und es war der erste weiße Mann, den Ulrich seit seiner Ankunft in Afrika sah. In Begleitung des Alten war ein junger, zackiger Soldat in hervorragend sitzender Uniform und mit einem Blick, aus dem das Selbstvertrauen sprach, dass die schneidige Erscheinung seinem Besitzer verlieh.
„Sprechen sie Deutsch?“ fragte der Alte mit niederländischem Akzent.
„Wie kommen sie darauf, dass ich Deutscher bin?“ fragte Ulrich verblüfft.
„Das sind sie doch, oder?“
„Ja, sicher. Aber woher wissen sie das?“
Der Alte lächelte müde. „Ich habe doch Augen im Kopf. Unser junger Freund hier hat ein paar Fragen an sie. Ich bin nur Dolmetscher.“
Der junge Soldat schaute mit missmutigem Blick dem Gespräch zu und unterbrach jetzt den Alten. Der Alte übersetzte die Fragen des Soldaten und Ulrichs Antworten.
Er erzählte, dass er mit Freunden auf einer in einem Sturm gesunkenen Yacht gewesen sei, mit ihm als einzig Überlebendem. Von seiner Ankunft in Afrika an schilderte er alles wahrheitsgetreu.
Der Soldat verlor schnell das Interesse an Ulrich und bald fand er sich mit dem Alten auf der Straße wieder. Die Gehenkten baumelten im Wind. Unter ihren Füßen waren Pfützen aus Kot und Urin. Auch die zwei Erschossenen und der Gefangene mit dem zerschossenen Gesicht hingen jetzt hier. Aus dem Hosenbein des Letzteren tropfte eine braune Brühe. Als Ulrich und der Alte vorbeigingen, zappelte der Gehenkte. Der Strick hatte seinen Hals zusammengeschnürt und in die Länge gezogen, aber durch eine Schusswunde in seinem Hals zog er pfeifend die Luft ein und aus.
„Mein Gott, der lebt ja noch“, sagte Ulrich.
„Ja“, sagte der Alte. „Sie hängen die immer so auf, dass nicht das Genick bricht, damit es länger dauert, bis sie hinüber sind. Bei den Dünnen dauert es eine Weile, bis sie sich mit dem eigenen Gewicht erwürgt haben. Fiese Sache, das hier mit der Schusswunde. Das kann eine Weile dauern.“ Er führte Ulrich fort.

Der Alte arbeitete in einer Art Hotel oder Pension und er führte Ulrich in das Zimmer, welches er dort bewohnte. Er erklärte Ulrich in welcher Stadt und in welchem Land sie sich befanden, aber Ulrich wollte es gar nicht wissen und ließ die fremd klingenden Namen gleich ins Vergessen fallen. Auch der Geschichte von Regierungstruppen und Aufständischen hörte er nicht zu, verstand nur so viel, dass seine Entführer gehofft hatten, ein Lösegeld für ihn zu erhalten, aber aufgrund politischer Umschwünge die Situation falsch eingeschätzt hatten.
Während der Alte aus verschiedenen Dosen Essen herausprockelte und auf einem Zweiplattenkocher brutzelte, streckte Ulrich sich auf einer kleinen Ottomane aus und hob nur gelegentlich den Oberkörper, um einen Schluck von dem eiskalten Dosenbier zu nehmen, welches der Alte ihm in die Hand gedrückt hatte.
Der Alte war tatsächlich Niederländer und Ulrich gab sich alle Mühe, den Namen so schnell zu vergessen, wie alle anderen Informationen, die diesem seltsamen Traum, in dem er sich seit einiger Zeit befand, Gestalt und Schärfe verleihen könnten. Er wollte auch nicht wissen, welches Datum es war und wie lange er bereits träumte. Der Traum war manchmal ein Alptraum, aber oft auch sehr angenehm und was gab es schöneres, als hungrig, durstig und müde auf einer Ottomane zu liegen, mit einem kalten Bier in der Hand, dem Geruch von Essen in der Luft und dabei dem Geplauder eines netten alten Mannes zu lauschen?
Er fühlte sich so wohl, wie selten zuvor und niemals hatte ein Bier ihm so gut geschmeckt. Ja, es war gut, diesen Abstand zu haben zu sich selbst und zu allem anderen, sich zu betrachten wie in einem Film, wenn das Bier dadurch besser schmeckte und er die Gegenwart eines alten Mannes genoss, wie früher nicht einmal die Nähe einer Angebeteten.
Ja, so ging es ihm gut.
Der Alte erzählte aus seinem Leben und Ulrich lauschte den Worten wie Regen, der beständig in einer warmen Sommernacht niederrauscht, wenn man im Trockenen liegt und durch geöffnete Fenster und Türen dieses ruhige und doch so lebendige Konzert hört und dadurch ein Drang nach Taten geweckt wird, der in Einklang steht mit einem so tief gefühlten Frieden, dass die Taten gerne bereit sind, bis zum nächsten Tag zu warten und deshalb den Frieden nicht stören, sondern ihn mit dem goldenen Schein der Erwartung zukünftigen Geschehens grundieren.

 

Hallo Odysseus,
ehrlich gesagt, lässt mich die Geschichte ziemlich ratlos zurück, denn ich hab keine Ahnung, worauf Du hinauswillst. Es ist kein roter Faden erkennbar, eher eine Aneinanderreihung von Assoziationen und Szenen, die nichtd miteinander zu tun haben. Worauf wolltest Du denn hinaus? Du fängst mit Ulrich und Andrea an, die aber keine Bedeutung für den Fortlauf der Geschichte hat. Du beschreibst, wie sie aussieht und dann verschwindet sie auch schon und taucht nicht wieder auf. Ulrich steicht nach dem Aufwachen über den Holzboden.Hm. Komische Geste. Warum tut er das? Ist der gerade neu lackiert? Dann holt er das Gewehr raus. An sich keine schlechte Idee, aber dann verlierst Du Dich wieder in endlosen Details über seinen Gefühlszustand. Der Vergleich mit dem Kaffee ist gut, aber zu lang. Dann kommt der Schwimmer u. das Schwimmbad und ich steig aus. Gut, ich weiß jetzt, dass U. ein Typ ist, der sich nur in Extremsituationen spürt. Aber es passiert nichts. Stattdessen wird endlos beschrieben, wie die Frau gegenüber sich vorm Spiegel dreht. Aber der Faden wird auch nicht weiter gesponnen. Plötzlich wirft er die Waffe aufs Bett, ohne ersichtlichen Grund, wie es scheint und es löst sich ein Schuss. Vorher hat er aber noch Angst davor und geht ganz behutsam mit der Waffe um. Dann plötzlich nicht mehr. Warum, erschließt sich mir nicht. Erst nachdem er eine Menge Zeit damit verbracht hat, im Dunkeln die Wand abzutasten, schreit jemand, als er den Toten entdeckt. Vorher haben aber alle aus den Fenstern geguckt. Nur die Frau des Toten offenbar nicht.
Dann kommt Teil II, U. ist auf einem Frachter. Hat er als Matrose angeheuert? Oder Passagier? Man weiß es nicht. Alle verständigen sich an Bord, nur er versteht niemanden u. das interessiert ihn auch nicht. Keiner der Männer bekommt ein Gesicht, es finden keine Dialoge statt, über die ich mir ein Bild machen könnte. Stattdessen denkt er darüber nach, wie er sich am Besten im Meer versenken könnte. Dann seine Träume und Ängste vorm Meer, den weißen Hai, bis zu einer detaillierten Urlaubsbeschreibung am Great Barrier Rief. Du schweifst zu sehr ab, ich kann der story nicht mehr folgen. Gut, Du willst seine Angst vor Wasser zeigen, aber das ist entschieden zu lang, auch die Sätze. Ich fühl mich da als Leser überladen. Und nun passiert endlich was! Das Schiff sinkt. Hier hättest Du ausbauen können, aber das handelst Du in zwei Sätzen ab. Dann sinkt das Rettungsboot im Morgengrauen. Das ist schön beschrieben. Aber gleich darauf ist es plötzlich dunkel und die Sterne leuchten. Zwischendurch ist aber nichts passiert, außer, dass ihn ein Nichtschwimmer unter Wasser gedrückt hat. Dann bleibt er tagelang im Wasser, man weiß nicht, wie lange. Er scheint das auch ganz gut wegzustecken, denn er hat keine Angst, Erschöpfung, Verzweiflung. Er treibt auf einem 30-40Liter Kanister. Müsste der nicht untergehen?
Teil III wirkt dann völlig absurd auf mich. Immernoch keine Erschöpfung, 2 Tage später wird er gleich für die Feldarbeit eingespannt. Auch hier hat er keinerlei Interesse, sich mit den Leuten zu verständigen. Erst am Schluss kommt ein kleiner Dialog, eine Affäre mit einer Frau, die ihn an seine Tante erinnert, aber auch hier bekommt niemand ein Gesicht. Dann folgt endloses Gemetzel und plötzlich trinkt er ein Bier und fühlt sich wohl. Soll das zeigen, dass ihn die Situation erregt hat?
Lieber Odysseus, leider ist die Geschichte sehr überladen. Vielleicht solltest Du sie in mehrere Geschichten aufteilen und die einzelnen Szenen mehr ausbauen. Du hast durchaus ein paar schöne Bilder drin, aber mir fehlt hier ein Bezug. Erst ist er mit seiner Freundin zusammen, erschießt jemanden, und irgendwann ist er in Afrika. Da erschließt sich mir das "Warum" zu wenig, sorry. Trotzdem noch schöne Pfingsten wünscht Chai

 

Hallo Chai,

schön, dass du bis zum Ende meiner Geschichte durchgehalten hast, obwohl das Lesen für dich offensichtlich kein Genuss war.

Du kritisierst die Konstruktion der Geschichte und den Stil und da dies grundsätzliche Belange einer Geschichte sind, hole ich bei meiner Antwort ein wenig aus.

Zunächst sollte diese Geschichte ein Roman werden, war von daher in der Form breiter angelegt als eine Kurzgeschichte. Als Roman hat der Stoff für mich nicht funktioniert und so habe ich ihn im Laufe der Jahre immer weiter eingedampft und in eine Form gebracht, die ich am ehesten als Novelle bezeichen würde.
Ich weiß nicht, wie streng die Regeln hier im Forum bezüglich der Form sind, aber ich habe es gewagt, meine Erzählung hier zu posten, obwohl ich selber sie nicht unbedingt als Kurzgeschichte bezeichnen würde. Die Rückmeldung hier ist mir halt sehr wichtig.

ehrlich gesagt, lässt mich die Geschichte ziemlich ratlos zurück, denn ich hab keine Ahnung, worauf Du hinauswillst. Es ist kein roter Faden erkennbar

Der rote Faden ist Ulrich. Die Geschichte beschäftigt sich mit seinem Innenleben. Ich wollte einen Menschen darstellen, der unentschlossen ist und kaum fähig, innige Beziehungen zu seinen Mitmenschen aufzubauen und der selbst durch extreme äußere Umstände sich im Inneren nicht ändert.

Die Geschichte ist in weiten Teilen nicht darauf angelegt durch den Plot zu fesseln, sondern durch die Sprache. Aber was nützen die besten Ideen, wenn sie beim Leser nicht zünden. Und da dich die Abschweifungen vom Plot und die langen Sätze stören, hat es bei dir leider nicht funktioniert.

leider ist die Geschichte sehr überladen. Vielleicht solltest Du sie in mehrere Geschichten aufteilen und die einzelnen Szenen mehr ausbauen.

Das wäre technisch sicherlich machbar, aber das wären dann andere Geschichten, zu denen ich keinen Bezug hätte.

Vielen Dank für deine ausführliche Rückmeldung und ich hoffe, auch du hattest schöne Pfingsten.

Odysseus

 

Hallo Odysseus,
ich glaube, das Problem besteht darin, dass eben kein Plot vorhanden ist, bzw. die Szenen sich nicht aufeinander beziehen. Ich weiß, das war Dir nicht so wichtig, aber ich denke, die meisten Leser bleiben an einer Geschichte kleben, wenn Fragen aufgeworfen werden, die zum Schluss gelöst werden. Ansonsten ist es eher wie ein Tagebucheintrag, wo sich ein Erlebnis ans nächste reiht, ohne dass ein Zusammenhang besteht. Ich habe auch Deine erste Geschichte gelesen, da ist es ähnlich und wurde von einigen hier beanstandet. Die erste Geschichte hat mir bis zur Hälfte sehr gut gefallen. Die Charaktere waren sehr plastisch und die Story mit der Leiche sehr spannend. Aber dann ebbt es ab, weil wieder was Neues passiert, und ich mich irgendwann frage, wohin es gehen soll. Und das war hier eben auch so. Wenn Du bestimmten Personen ( Andrea\ die Frau am Fenster) eine so detaillierte Beschreibung widmest, gehe ich davon aus, dass sie für den Verlauf der Geschichte von Bedeutung sind, aber es kommen immer wieder neue Personen, die dann auch im Nichts verschwinden. Spannend wird es für mich in dem Moment, wo etwas passiert, das sich langsam löst. In Deiner ersten Geschichte hätte das z.B. der Jacob sein können, der dann vielleicht irgendwas mit dem Mord zu tun hat oder so.
Ich hoffe, ich konnte mich Dir ein wenig verständlich machen. Das ist jetzt natürlich nur ein Leseeindruck, aber ich denke, dass es hilft, dem Prot eine Aufgabe zu geben, die er im Laufe der Geschichte zu lösen hat, damit ich als Leser mitfiebern und mich identifizieren kann. Du kennst den Ulrich, aber ich kenn ihn nicht, also müsstest Du ihn mir irgendwie nahe bringen. Bin gespannt, was Du draus machst.
Liebe Grüße, Chai

 

Hallo Odysseus,

je länger ein Text ist, desto mehr muss er dem Leser bieten. Das ist wie ein Geschäft. Eine kurze Geschichte: Ich gebe dem Autoren fünf Minuten meiner Zeit, aber dafür verlange ich auch nicht allzu viel. Eine lange Geschichte: Für eine Stunde Lesezeit möchte ich hingegen wirklich etwas geboten bekommen.

Deine Geschichte ist bei weitem zu lang, für das wenige, das sie dem Leser bietet. Ich meine damit Durchschnittsleser wie mich. Sicher wird es Leute geben, die auch Deine Geschichte mit Faszination lesen, aber das sind wahrscheinlich Sonderfälle.

Es gibt meiner Beobachtung nach zwei maßgebliche Konstruktionsformen, die eine Geschichte für Leser interessant machen. Erstens die Darstellung eines radikalen Konflikts. Das trifft wahrscheinlich auf alle oder die meisten Geschichten und Romane der "seriösen" Literatur zu. Zweitens die Darstellung von Wunsch-Welten. Das würde dann pornografische Literatur betreffen oder reine Gewaltliteratur, also eben Geschichten, die der Bedürfnisbefriedigung dienen.

Deine Geschichte streift zwar beide Bereiche ein wenig, aber Du bietest weder genug radikalen Konflikt noch genug Bedürfnisbefriedigung, um mich als Leser zu fesseln.

Der erste Abschnitt beschreibt Ullrich bei seinen Gewehrreflexionen, und das ist an Langeweile kaum zu überbieten. Wo ist der radikale Konflikt? Wo ist der Moment, der einen Riss zeigt, zwischen Ullrich und der Welt? Alles was passiert, ist ein bisschen Herumgespiele mit einem Gewehr in einem Zimmer.

Was glaubst Du, sollte den Leser daran faszinieren? Aus der Perspektive des Waffenkenners ist dieser Teil außerdem suspekt, wenig glaubhaft. Gewehre können in Deutschland nicht einfach "nach dem Krieg behalten" werden. Klar darf man Waffen erben, aber ohne Sachkundeprüfung darf man sie nicht behalten. Und an der Wand darf ein Gewehr ebenfalls nicht hängen. Okay das sind ja nur Regeln. Aber es geht weiter: Eine Waffe löst keinen Schuss aus, wenn sie auf ein Bett geworfen wird.

Überhaupt ist das ein Mythos. Selbst wenn eine Waffe (Gewehr/ Pistole) auf den Boden fällt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Schuss löst extrem gering. Waffen wurden/ werden in allen Kriegen und auf der Jagd härtesten Beanspruchungen ausgesetzt. Würden die jedesmal losgehen, wenn sie einen Schlag erhalten, hätte man das sicher schon bemerkt und korrigiert. Das Ganze ist ein reiner Hollywood-Mythos.

Dann ein letzter Punkt: Die Sprache. Ich finde das ist alles schon ganz okay. Aber von wirklich guter oder eleganter Sprache ist der Text noch ein ganzes Stück entfernt. Du schreibst, Du willst durch die Sprache fesseln, dazu kann ich nur sagen, dass Dir da ein wenig Distanz zu Deinen aktuellen Fähigkeiten fehlt. Wenn Du geschliffene oder hochverfeinerte Sprache lesen willst, dann schau Dir Joseph Roth an (Hiob) oder Franzen (Die Korrekturen) oder Kafka (In der Strafkolonie).

Gruß Achillus

 

Hallo Chai, hallo Achillus,

nun habe ich zwei Rückmeldungen, die in die gleiche Richtung gehen, nämlich dass meine Geschichte sprachlich und von der Erzählstruktur her nicht gelungen ist. Somit könnte ich die Geschichte getrost entsorgen, zumal ich davon ausgehe, dass andere Wortkrieger ev. angefangen, aber nicht bis zum Ende durchgehalten haben, da sie ihnen auch nicht gefallen hat. Zumindest schliesse ich dies aus den wenigen Rückmeldungen. Eine kurze Geschichte liest man vielleicht noch durch, eine längere aber nicht. Deshalb auch hier noch einmal mein aufrichtiger Dank an euch beide fürs Lesen und Kommentieren.

Allerdings hat eure grundsätzliche Kritik mich auch stutzig gemacht. Vorneweg möchte ich klarstellen, dass es mir nicht darum geht meine Geschichte zu verteidigen. Wenn sie schlecht ist, entsorge ich sie gerne. Dafür bin ich schließlich hier. Wenig ist so peinlich wie jemand, der Stuss produziert hat und versucht diesen zu rechtfertigen und Kritik an seinem Stuss zum Problem des Kritikers erklärt. Und ich glaube auch, dass es objektive Kriterien für gute und nicht so gute Literatur gibt, also nicht nur Geschmackssache ist, ob ein Werk gefällt oder nicht.

Allerdings sausen mir seit euren Kritiken zwei von mir erlebte Situationen durch den Kopf.
Einmal nahm eine Freundin, die wissen wollte, warum ich tausende Seiten Proust lese, diesen zur Hand und gab mir ihn mir wenig später kopfschüttelnd zurück mit dem Kommentar: "Jetzt versucht der schon seit 10 Seiten zu telefonieren und hat es immer noch nicht geschafft."
Ein anderes Mal schwärmte ich vor Studenten der Amerikanistik von Hemingways Short-Story "Big Two-Heartes River" und war perplex angesichts der Reaktion, welche man zusammenfassen kann mit: "Was soll daran interessant sein, wenn jemand zeltet und Forellen fischt?'"

Nun will ich mich nicht mit diesen zwei Meistern vergleichen, aber eure Kritik:


dann verlierst Du Dich wieder in endlosen Details über seinen Gefühlszustand

Aber es passiert nichts. Stattdessen wird endlos beschrieben, wie die Frau gegenüber sich vorm Spiegel dreht

Der erste Abschnitt beschreibt Ullrich bei seinen Gewehrreflexionen, und das ist an Langeweile kaum zu überbieten. Wo ist der radikale Konflikt? Wo ist der Moment, der einen Riss zeigt, zwischen Ullrich und der Welt? Alles was passiert, ist ein bisschen Herumgespiele mit einem Gewehr in einem Zimmer.

Was glaubst Du, sollte den Leser daran faszinieren?


hat bei mir die Erinnerung getriggert und ich frage mich, ob es zwei Arten von Lesern gibt: Die, die sich eher für das Innenleben der Prots interessieren und jene, welche eher handlungsorientiert lesen.
Dies ist selbstverständlich eine starke Vereinfachung.

Warum gehe ich so auf diesen Aspekt des unterschiedlichen Lesens ein? Ein handlungsorientierter Leser kann meine Geschichte bis auf wenige Szenen gar nicht gut finden. Wenn nun aber ein anders interessierter Leser meine Geschichte verreißt, wird für mich deutlicher, wie sehr und wo ich daneben liege.

Ich hoffe, ich habe euch mit dieser langen Ausführung nicht ebenso gelangweilt wie mit meiner Geschichte, aber ich habe gar nicht den Kopf frei für Detailkritik, bevor ich diese grundsätzlichen Gedanken losgeworden bin.

Ich hoffe, ihr könnt mit meinen Gedanken etwas anfangen.

Viele Grüße

Odysseus

 
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Hallo Odysseus,

grundsätzlich ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, wenn der Autor seine Geschichte verteidigt. Das sehe ich auch in diesem Fall so. Schließlich wirst Du Dir ja etwas beim Schreiben gedacht haben. Deshalb fragte ich ja nach, was genau Du erwartest. Wovon soll der Leser fasziniert sein?

Du schreibst, dass Du eine Geschichte über das Innenleben Deines Protagonisten entwickeln wolltest. Dagegen ist nichts zu sagen. Doch es bleibt bei der gleichen Problematik: Was macht das Innenleben eines Protagonisten interessant?

Der Leser wird schließlich nicht gleich vor Ehrfurcht erstarren, weil er Deiner Figur beim Denken zuschauen kann. Hast Du schon mal den Spruch gehört: Auf die Handlungen eines Menschen kommt es nicht an, wichtig ist, was und wie er denkt. Nein? Ich auch nicht. Denken ist Probehandeln. Gedanken sind billig zu haben. Wir denken Tag für Tag tausende Gedanken, die meisten davon sind trivialer Schwachsinn. Was macht die Gedanken Deines Protagonisten denn nun so aufregend, dass man ihnen eine Geschichte widmen sollte?

Dass sich durch die Präsenz einer Waffe die Atmosphäre in der Wohnung verändert mag ja noch halbwegs als erwähnenswerte Phantasie durchgehen, aber die meisten dieser Gedanken von Ulrich sind doch furchtbar trivial, oder nicht?

Auch der Kaffee regte ihn manchmal angenehm an und er überwand eine Müdigkeit nach dem Essen oder kam bei einer Party spät abends nochmal in Fahrt, zuweilen jedoch wirkte der Kaffee unangenehm und er war weiterhin schlapp, dabei jedoch auch noch unkonzentriert und es fühlte sich an als liefe eine Saite durch seinen Kopf, von einem Ohr zum anderen und als sei diese Saite zu stark angespannt und jeder der vorbeigehe, zupfe einmal kurz.

Alle Achtung! Der Kaffee regte ihn also manchmal angenehm an.

Ich verstehe den Mechanismus dieser Illusion durchaus. Man schreibt etwas und ohne die Reibung mit Kritikern von außen kommt es einem vor wie pures Gold. Diesen blinden Fleck muss man als Autor eben überwinden. Das ist für uns alle irre schwierig.

Wie finde ich ein Thema von Belang?

Ich glaube, die Gedanken und Handlungen des Protagonisten müssen ihn in einer existentiellen Krise oder zumindest in einem Konflikt zeigen. Wenn Dein Ullrich an Opa und Oma denkt, hat das für den Durchschnittsleser keine Bedeutung, denn es gibt da nicht die geringste emotionale Regung in Deiner Figur, keine Freude, keinen Schmerz, nichts, das beim Leser die Spiegelneuronen des Mitgefühls aktivieren würde.

Etwas später in Deiner Geschichte gibt es durchaus greifbare Handlung. Aber alles, was Dein Protagonist tut, bleibt befremdlich unmotiviert. Es fällt sehr schwer, sich mit dieser Figur zu identifizieren, nachzuspüren, was angeblich in ihr vorgehen soll.

Und dieses ständige Schildern von Denkvorgängen, die für die Story keine Relevanz besitzen, das ist Gift für die Geschichte, glaube ich. Überhaupt würde ich Dir mal die Lektüre von Jimmy´s Geschichten hier im Forum empfehlen. Da bekommst Du einen Eindruck dafür, wie sich das Innenleben einer Figur in ihren Handlungen ausdrückt. Denn auf die Handlungen kommt es eben an. Was die Menschen sich so Tag für Tag zurechtspinnen, sagt wenig über ihren Charakter aus. Wir kommunizieren mit dem Universum nicht über unsere Gedanken, sondern über unsere Taten, aber ich wiederhole mich.

Gruß Achillus

 
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Hmmm, ich will dir mal bisschen beistehen, Mister Odysseus, ich sag mal einfach, dass ich das Innenleben dieses Protagonisten durchaus interessant fand/finde. Gerade und besonders am Anfang. Der moderne Mensch kennt doch dieses Gefühl, dass irgendetwas fehlt, innerlich irgendetwas ins Ungleichgewicht geraten ist und nur durch externe Veränderung behebbar erscheint.

Ich wollte die ganze Zeit schon was schreiben und dich willkommen heißen (mach ich jetzt auch einfach mal), weil es mir halt so ganz anders ging als Chai und Achillus. ich fand viele Stellen und Passagen übrigens auch sprachlich sehr schön.
Allerdings gibt es auch Stellen, wo du den Fokus verloren hast und dadurch zu langatmig wurdest. Weiter hinten gibts ein Beispiel dafür. Gibt aber noch mehr solcher Stellen aus meiner Sicht, nur habe ich mir da nicht mehr die Mühe gemacht, die rauszusuchen. Ist ja auch nur ein Beispiel für das, was ich meine.

Das würde ich dir generell raten, dir zu überlegen, was dir an deiner Geschichte denn genau wichtig ist und dann noch mal mit dem Kamm durchzugehen und das, was zu üppig und zu redundant blüht, zu kappen.


Jetzt aber, was gefiel mir an der Denkweise des Protagonisten? Es ist die Ambivalenz in ihm, die du schilderst. Natürlich ist er keine Figur, mit der man sich identifizieren könnte. Wer will das schon tun, wenn es eine solch passive Gestalt ist. Er wirkt wie ein vergeistigter Adrenalinjunkie, der eine Art von Bedrohung benötigt, um zu bemerken, dass er am Leben ist. Er sucht Sinn, krampfhaft, obwohl er doch einfach tun und leben könnte, wonach ihm der Kopf steht, er scheint nicht arm zu sein, hat eine Freundin, die ihn mag, eine hübsche sogar, was will der eigentlich mehr. Aber irgendetwas in ihm selbst, eine Schwermut, ein Überdruss an allem, machen es ihm schwer, sein Leben einfach zu leben. Und das, diese Schwere und Verdrießlichkeit, die schilderst du sehr schön. Gerade in diesem Bild von dem Gewehr in dem Zimmer, das irgendetwas in Gang setzen könnte. Man weiß aber nie genau, was es sein wird. Und gerade in dem Bild von diesem übersensibilisierten Kaffeetrinker, der jede einzelne Reaktion auf eine Tasse Kaffee für sich registriert.

Das hier ist für mich eine der zentralen Stellen des Beginns. Den Satz vor diesem zitierten Abschnitt könntest du übrigens entsprechend kürzen oder zurechtschneidern. Der ist völlig redundant. Aber ansonsten ist das für mich eine wirklich wichtige Stelle und ich find sie auch toll beschrieben.

Gelegentlich lud er es und stellte es dann so geladen in die Ecke, wie an diesem Samstagnachmittag.
Noch niemals hatte er einen Schuss mit der Waffe abgegeben und das hatte er auch nicht vor. Jedoch fühlte er durch das geladene Gewehr in der Wohnung alles verändert. Nichts war so, wie es ohne die geladene Waffe war. Plötzlich hatte alles Bedeutung. Es war wie eine Veränderung in der Luft, die nicht sicht- oder greifbar war und kaum zu benennen, die er aber deutlich spürte. Er fühlte sich in diesen Momenten erregt und angespannt.
Am ehesten konnte er diesen Zustand mit dem Rausch nach etlichen Tassen Kaffee vergleichen. Auch der Kaffee regte ihn manchmal angenehm an und er überwand eine Müdigkeit nach dem Essen oder kam bei einer Party spät abends nochmal in Fahrt, zuweilen jedoch wirkte der Kaffee unangenehm und er war weiterhin schlapp, dabei jedoch auch noch unkonzentriert und es fühlte sich an KOMMA als liefe eine Saite durch seinen Kopf, von einem Ohr zum anderen KOMMA und als sei diese Saite zu stark angespannt und jeder KOMMA der vorbeigehe, zupfe einmal kurz.
So war es auch bei dem Gewehr: Manchmal war die Spannung gut und manchmal nicht. Leider wusste er dies nicht im Voraus und so konnte es sein, dass es seinen Tag rettete oder ihn vollends verdarb.
er - das Personalpronomen bezieht sich auf den Kaffee. Du willst aber, dass es sich auf Ulrich bezieht. Würd den Namen Ulrich einsetzen.
"Manchmal ...verdarb" - das würde ich radikal kürzen. Du hast es doch vorher schon erklärt.

Aber zum Inhalt: So ein Kerl braucht keinen Konflikt. Er ist sich selbst einer, weil er keinen hat. So empfinde ich diese Geschichte und diesen Mann. Und dann geschieht es ihm quasi Recht und er rauscht mit Volldampf und den Waffen seiner übersensiblen Beobachtung und mit all seinen Sinn- und Bedeutungsszenarien unfreiwillig in einen echten Konflikt. Den, dass er, ohne es zu wollen, einen Menschen tötet und daraufhin flieht und in einen immer tiefergreifenden Schlamassel gerät. Erst in den Konflikt auf dem Schiff bzw. im Wasser. Danach dann in Afrika. Und hier erst setzt meine Kritik an. Mir kommt das vor, als hättest du arg viel gewollt und in Gang gebracht. Kommt mir überambitioniert vor, weil eine krasse Handlung die nächste jagt. Man könnte überlegen, ob man wirklich all die Ereignisse braucht, um dein Ziel, deine Prämisse, zu bebildern. ich weiß das nicht genau, es kam mir nur echt reichlich vor. Was mir aber fehlt, ist eine stringente erzählerische und erzählte Schlussfolgerung, die sich aus der Ausgangssituation ergibt. Am Ende hast du die zwar schon gemacht, wenn du schreibst:

Der Alte erzählte aus seinem Leben und Ulrich lauschte den Worten wie Regen, der beständig in einer warmen Sommernacht niederrauscht, wenn man im Trockenen liegt und durch geöffnete Fenster und Türen dieses ruhige und doch so lebendige Konzert hört und dadurch ein Drang nach Taten geweckt wird, der in Einklang steht mit einem so tief gefühlten Frieden, dass die Taten gerne bereit sind, bis zum nächsten Tag zu warten und deshalb den Frieden nicht stören, sondern ihn mit dem goldenen Schein der Erwartung zukünftigen Geschehens grundieren.
Da ist Ulrich dann bei sich. Nichts zerrt und ziept mehr an ihm. Nichts ist ambivalent, sondern im Einklang. Aber es braucht halt schon arg lang und mit vielen erzählten Nebenausbuchtungen, bis du hierhin gerätst. Insofern finde ich die Schlussfolgerung nachvollziehbar, aber eben nicht wirklich stringent.

Nur ein Beispiel wie versprochen für Nebenflüsse, die mir kürzbar erscheinen: das Räsonnement über sein Einziehen in Frauenwohnungen zum Beispiel. Man hat seine Ambivalenz, und dass er fremdes Leben lebt, schon ganz gut wahrgenommen. Da brauchst du diesen Ausflug aus meiner Sicht doch nicht, der stört nur, weil er noch einmal erkärt, was man wahrgenommen hat.
Gibt noch mehr solche Stellen. Ist jetzt nur ein Beispiel.


Also, was soll ich sagen, ein ungewöhnlicher, passiver Protagonist, der aus seiner psychischen Vedrießlichkeit in echte Not gerät und dadurch irgendwann zur Ruhe kommt. Sprachlich durchaus schön, aber mit paar buckligen Ausreißern. :D Und mit ein bisschen viel Speck um die gelungenen Erzählknochen.
So sehe ich das.

Anbei noch. Was du mit Achillus Einwand zu dem Gewehr machst, keine Ahnung, wie man dir da raushelfen könnte. Aber du solltest dir jedenfalls was einfallen lassen. Achillus wirkt da schon sehr überzeugend. Bessere Ausgangssituation schaffen? Vielleicht kann man ja so ein Gewehr entsichern, wenn man es nicht von der Wand, sondern aus einem Versteck geholt hat? Damit die Spannung im Zimmer steigt, weil es ja auch noch was Verbotenes ist? Ob sich aber auch dann ein Schuss lösen kann? Ich weiß das nicht, vielleicht hilft Achillus dir da weiter. Oder du überlegst eine völlig neue Ausgangssituation.

Jedenfalls wollte ich mal sagen, dass mir deine Geschichte durchaus gefällt, gerade am Anfang und ich mit der Befindlichkeit des Protagonisten ewas anfangen und einen roten Faden erkennen konnte. Trotzdem - da gibt es noch eine Menge Arbeit. Zum Beispiel, Überflüssiges rauszustreichen, Bilder und Formulierungen zu überprüfen und vor allem, sich selbst Rechenschaft darüber abzulegen, was für den "Beweiszweck", den du angestellt hast, ich bin mal frech, dass existentielle Bedrohung den Menschen erst zu einem zu einem zufriedenen oder gar glücklichen Menschen macht, nötog ist. Und ob der Beweiszweck überhaupt so laufen soll.

Ach, es ist spät Ich bin müde. Wer weiß, ob das noch verständlich ist, was ich hier schreibe. Frag einfach nach, falls ich schrottig argumentiert habe.
Ich wünsch dir was.

Viele Grüße von Novak

 

Ich fasse es nicht. Eben habe ich ausführlich auf einzelne Punkte eurer Kritik geantwortet, dann habe ich kurz ohne neuen Tab was gegoogelt und jetzt ist alles weg.
Sorry, das kann mit meiner Antwort jetzt etwas dauern.

Odysseus

 

Hallo Chai,

Wenn Du bestimmten Personen ( Andrea\ die Frau am Fenster) eine so detaillierte Beschreibung widmest, gehe ich davon aus, dass sie für den Verlauf der Geschichte von Bedeutung sind

Natürlich sollte jede Person eine Bedeutung für die Geschichte haben. Aber das heißt nicht, dass sie den Plot vorantreiben muss, oder überhaupt weiterhin in Erscheinung tritt. Durch den Auftritt Andreas z.B. verrate ich viel über Ulrich.

er dachte, wie hübsch sie doch war und als sie wenig später ging, war er froh.

das ist eine harte Aussage über eine Freundin. Vor allem, da Ulrich ja nichts vorhat, von dem Andrea ihn abhält, sondern alleine nichts mit sich anzufangen weiß.

Hallo Achillus,

Wo ist der Moment, der einen Riss zeigt, zwischen Ullrich und der Welt?

Ich dachte, mit dem Schuss hätte ich einen gewaltigen Riss in Ulrichs Leben erzeugt. Darum dreht sich ja die ganze Geschichte. Wenn du das nicht so siehst, kann die Geschichte für dich eigentlich keine Bedeutung gewinnen.

Aus der Perspektive des Waffenkenners ist dieser Teil außerdem suspekt, wenig glaubhaft. Gewehre können in Deutschland nicht einfach "nach dem Krieg behalten" werden. Klar darf man Waffen erben, aber ohne Sachkundeprüfung darf man sie nicht behalten. Und an der Wand darf ein Gewehr ebenfalls nicht hängen. Okay das sind ja nur Regeln. Aber es geht weiter: Eine Waffe löst keinen Schuss aus, wenn sie auf ein Bett geworfen wird.

Überhaupt ist das ein Mythos. Selbst wenn eine Waffe (Gewehr/ Pistole) auf den Boden fällt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Schuss löst extrem gering. Waffen wurden/ werden in allen Kriegen und auf der Jagd härtesten Beanspruchungen ausgesetzt. Würden die jedesmal losgehen, wenn sie einen Schlag erhalten, hätte man das sicher schon bemerkt und korrigiert. Das Ganze ist ein reiner Hollywood-Mythos.


Da muss ich dir widersprechen: Nach dem 2. Weltkrieg wurden jede Menge Gewehre unter Dielen und in Kellern etc. versteckt. Das war natürlich illegal, wurde aber trotzdem gemacht.
Auch das sich ein Schuss löst, ist bei einer entsicherten Waffe realistisch. Ich habe selber idiotischerweise fast mir bzw. einem neben mir sitzendem Freund in den Fuß geschossen, als ich eine Schrotflinte ungesichert im Schoß hielt und versehentlich den Abzug berührt habe.

von wirklich guter oder eleganter Sprache ist der Text noch ein ganzes Stück entfernt. Du schreibst, Du willst durch die Sprache fesseln, dazu kann ich nur sagen, dass Dir da ein wenig Distanz zu Deinen aktuellen Fähigkeiten fehlt

Diesen Vorwurf finde ich unfair. Schließlich behaupte ich nicht, meine Sprache sei vollendet, sondern ich schildere nur mein Ziel. Mit deiner Argumentation kann man jedem in diesem Forum vorwerfen, er oder sie überschätze seine/ihre Fähigkeiten, da wir alle versuchen, gute Geschichten zu schreiben, es aber nur den wenigsten von uns gelingt.

Hast Du schon mal den Spruch gehört: Auf die Handlungen eines Menschen kommt es nicht an, wichtig ist, was und wie er denkt. Nein? Ich auch nicht

Doch habe ich. Robert Musil hat einmal gesagt: "Nicht die Tat bestimmt den Charakter des Menschen, sondern umgekehrt." Aber Musil war ja auch nicht für sein Actionwriting bekannt :)

Zu deinen Überlegungen bzgl. Identifikation mit Ulrich und die Notwendigkeit von Handlung, schau bitte in den Kommentar von Novak, der sehr schön dargelegt hat, worum es mir ging.

"Show, don't tell!" und das Eisbergmodell halte ich beide für absolut notwendiges Handwerkszeug/Wissen eines jeden Schreibenden. Aber es gibt auch Geschichten, da gehört das "Gelaber" einfach dazu. Für mich ist diese Geschichte auch der Versuch, einmal andere Wege zu gehen. Bei der Niederschrift habe ich mir keinerlei Zwang angetan und alles aufgeschrieben, was mir gerade einfiel. Was ihr hier vor euch seht, ist schon um fast die Hälfte gekürzt. (Jetzt seit ihr aber froh, nicht die ursprüngliche Version vorgestellt bekommen zu haben :)


Hallo Novak,

vielen Dank für deinen Willkommensgruß und die freundlichen Worte!

Du hast besser als ich es könnte, auf den Punkt gebracht, worum es mir in der Geschichte geht. Deine Kritik kann ich auch gut nachvollziehen. Allerdings fällt es mir nach all den bereits vorgenommenen Kürzungen schwer, das Messer weiter anzusetzen.

Nur ein Beispiel wie versprochen für Nebenflüsse, die mir kürzbar erscheinen: das Räsonnement über sein Einziehen in Frauenwohnungen zum Beispiel. Man hat seine Ambivalenz, und dass er fremdes Leben lebt, schon ganz gut wahrgenommen. Da brauchst du diesen Ausflug aus meiner Sicht doch nicht, der stört nur, weil er noch einmal erkärt, was man wahrgenommen hat.
Gibt noch mehr solche Stellen. Ist jetzt nur ein Beispiel.

Ich werde die Kritik erst einmal setzen lassen und dann versuchen, den einen oder anderen Nebenfluss oder Sumpf trocken zu legen. Falls du mir noch mehr solche Stellen wie die o.g. aufzeigen könntest, wäre ich dir dankbar.

Danach dann in Afrika. Und hier erst setzt meine Kritik an. Mir kommt das vor, als hättest du arg viel gewollt und in Gang gebracht. Kommt mir überambitioniert vor, weil eine krasse Handlung die nächste jagt. Man könnte überlegen, ob man wirklich all die Ereignisse braucht, um dein Ziel, deine Prämisse, zu bebildern. ich weiß das nicht genau, es kam mir nur echt reichlich vor. Was mir aber fehlt, ist eine stringente erzählerische und erzählte Schlussfolgerung, die sich aus der Ausgangssituation ergibt

Der letzte Teil gefällt auch mir am wenigsten. Allerdings habe ich bisher keine Idee, wie ich die Geschichte zu einem anderen Ende bringen könnte.

So langsam verliere ich die Kraft. Ich sitze hier mit Fieber, wollte euch aber unbedingt antworten, auch um den Kopf für andere Fragen frei zu bekommen.

Hallo Maria,

ich habe dich nicht vergessen und werde so bald wie möglich auf deine Anregungen eingehen.

Viele Grüße

Odysseus

 

Im Gegenlicht sah Ulrich den Staub fallen.
Andrea stand auf und ging in die Küche. Ihre nackten Füße patschten auf dem Dielenboden.
Ulrich beugte sich aus dem Bett und fühlte mit der Hand über das warme Holz des Bodens. Die Dielen waren alt, die braune Farbschicht war abgelaufen und das Holz sah grau hervor.

Hallo,

dein Text ist sprachlich äußerst unpräzise, dazu ist er umständlich formuliert und vor allen Dingen krankt er an einem Erzähler, der nicht weiß, was er eigentlich erzählen soll.

Wenden wir uns mal konkreten Beispielen zu. Erster Satz: Im Gegenlicht sah Ulrich den Staub fallen. Fällt Staub? Ich finde das viel zu stark. Schwebt Staub nicht eher zu Boden? Du hast in diesem kleinen Absatz auch keine Ordnung: Andrea steht auf. Hat sie vorher gesessen? Nein, sie liegt neben ihm im Bett. Das erfahren wir aber erst einen Satz später. Das ist verwirrend und wirkt undurchdacht. Auch hat der erste Satz keine Verbindung zu der Szene, die folgt, er steht da isoliert herum.

Weiter: Die nackten Füße patschen. Wenn du elegant schreiben willst, solltest du auf diese Worte, wie patschen oder ähnliche, verzichten. Patschen klingt ungelenk, nicht literarisch, es klingt wie ein Wort, dass ich eher in einem Kinderbuch vermute. Mich haut es da schon raus. Da könnte jetzt sonstwas Krasses passieren, innerlich habe ich mich schon von der Ernsthaftigkeit des Textes verabschiedet.

Der Satz mit den Dielen ist redundant. Ersten "läuft" die Farbe nicht ab, die hat kein Mindesthaltbarkeitsdatum. Die ist höchstens spröde geworden und ist abgesprungen, abgeblättert oder Ähnliches: und das Holz darunter sieht auch nicht hervor, das scheint oder schimmert. Das ist sprachlich unpräzise, und in der Kombination mit dem Dickinson-Zitat, das du vorne an gestellt hast, erweckst du bei mir eine Erwartungshaltung deinem Text gegenüber, nach der ich mich schon nach dem ersten Absatz verabschieden muss.

Es gibt eine Geschichte von Andre Dubus, sie heißt, meine ich, "Der Eindringling", in dem es auch um eine Waffe geht. Sie erzählt auf drei Seiten mehr, als du auf dieser Länge. Die Länge wurde dir schon vorgeworfen - ich nehme an, sie ist so lang geworden, weil du etwas ziellos geschrieben hast. Ich kenne das selbst sehr gut. Man verliert die Herrschaft über den Text, und dann fordert er immer mehr Raum. So wirkt das Ganze auf mich, wenig stringent. Ich merke, und das ist offensichtlich, dass du hier besonders schön schreiben wolltest. Ich nenne das immer "schrecklich schön schreiben." Martin Amis sagte mal, wenn dir eine besonders tolle und schöne Stelle in deinem eigenen Text auffällt, dann nimm sie raus. Warum? Weil der Leser die Mühe merkt. Lieber knapp und präzise. Dein Erzähler, das ist auch seine Perspektive, die manchmal etwas unsauber ist, da schiebt sich der Autor vor den Erzähler, er wertet und verfasst Metaphern, die aber nicht dem Protagonisten entsprechen, die der Autor nutzt, um dem Leser zu zeigen, hier, ich bin auch noch da!

Achillus hat dir schon sehr viele gute Tips gegeben. Ich glaube, dass du über die sprachlichen Fähigkeiten durchaus verfügst, aber du musst oder solltest dich da zum Wohle deiner Geschichten drosseln und präziser werden. Mit der Konstruktion von Dramen würde ich mich auch mal beschäftigen, einfach um sich zu vergewissern, wie das funktioniert, wie bekomme ich einen Zug in meine Geschichte - das ist Handwerk. "Show, don't tell", ich bin da ein großer Verfechter von, weil du jede Situation entpacken musst, weil du dich anders mit deinen Figuren auseinandersetzen musst und sich der Autor vor allem vom eigenen Ego verabschiedet. Hier mal ein Link: https://litreactor.com/essays/chuck-palahniuk/nuts-and-bolts-“thought”-verbs

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Odysseus, ich noch mal ganz kurz zu etwas Fachlichem:

Auch das sich ein Schuss löst, ist bei einer entsicherten Waffe realistisch. Ich habe selber idiotischerweise fast mir bzw. einem neben mir sitzendem Freund in den Fuß geschossen, als ich eine Schrotflinte ungesichert im Schoß hielt und versehentlich den Abzug berührt habe.

Das ist Unsinn. Wer hat denn den Abzug berührt, als das Gewehr in Deiner Geschichte auf das Bett fiel? Zwischen "versehentlich leicht den Abzug berührt" und "fiel auf den Boden/ auf das Bett" liegen Welten. Ich sehe bei jedem Training eine geladene Waffe fallen (ist als Demo ein Trainingsbestandteil), weil es ein wichtiger Grundsatz ist, niemals zu versuchen, eine fallende Waffe aufzufangen. Eine Waffe die fällt, löst keinen Schuss aus. Zumindest ist die Wahrscheinlichkeit extrem gering.

Glaubst Du die Polizei würde einem Straftäter das Kommando geben: "Lassen Sie die Waffe fallen!", wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit bestünde, dass sich dabei ein Schuss löst?

Vom Mechanischen her ist es so, dass nur stark beschädigte Waffen einen Schuss auslösen würden, wenn sie auf den Boden fallen. Diese Beschädigung würde dem Schützen aber beim Handling der Waffe (reinigen, laden, Klappergeräusche etc.) auffallen.

Fazit: Sicher ist es vorgekommen und passiert auch manchmal heute noch, dass Waffen beim Zubodenfallen losgehen. Aber die Wahrscheinlichkeit ist extrem gering. Fallen sie auf ein Bett geht die Wahrscheinlichkeit gegen Null. Dass man das in Krimis und Western so häufig sieht, hat mit dem dramatischen Effekt zu tun und ist eine Erfindung der Filmemacher.

Gruß Achillus

Ergänzung: Schau doch mal dieses Video an, da schlägt jemand als Demo mit einem Hammer auf das Gewehr und es geht nicht los.

 

Hallo Maria,

vielen Dank, dass du, trotz deiner Schwierigkeiten mit meiner Geschichte, so weit gelesen hast.

Deine Verbesserungsvorschläge habe ich alle umgesetzt. Einzig

Tage, an deren Abend er sich schlecht fühlen würde
an deren Abenden

das ist meiner Meinung nach schon o.k.

Wie immer, ist jede Kritik förderlich, auch wenn man sie nicht umsetzt, aber sich dadurch der eigenen Position deutlicher wird.
Dein Vorschlag:

Hättest du nach dem Schuss noch die Dynamik gehalten, hättest du die Spannung richtig aufgebaut, indem er zB. Um das Haus schleicht, die Polizei beobachtet, wie der Tatort abgesperrt wird, er in der Klemme sitzt und nicht flüchten kann und so schnell wie möglich einen Plan machen muss, bevor die Polizisten ihn verdächten, da wäre ich gebannt vor dem Bildschirm gesessen und hätte über eine Empfehlung nachgedacht. In dieser Form überzeugt mich die Geschichte nicht und wenn ich beginne, Absätze zu überspringen, dann steige ich meistens auch aus.

hätte eine komplett andere Geschichte mit einem ganz anderen Prot zur Folge. Diese andere Geschichte hätte mit Sicherheit mehr Anklang gefunden und von daher ist deine Argumentation sehr schlüssig, aber es wäre eben nicht die Geschichte, die ich erzählen wollte.

Was bedeutet eigentlich :3?

Hallo jimmy und Achillus, eine Antwort folgt bald.

Viele Grüße

Odysseus

 

Hallo jimmy,

gerne würde ich auf deinen Kommentar eingehen, aber deine Kritik ist so umfassend und grundsätzlich, dass ich nicht weiß, wie ich da mit dir in eine konstruktive Auseinandersetzung kommen soll.

Vielen Dank für den Link. Palahniuk erklärt dort in Kürze, wofür Sol Stein deutlich länger braucht.

Hallo Achillus,

auch dir vielen Dank für den Link. Jetzt muss ich entweder damit leben, dass dieser Teil meiner Geschichte den Waffenexperten unter den Lesern unplausibel erscheint, oder ich gestalte die Szene anders. Mir ist es wichtig, dass Ulrich die Waffe fortwirft, weil er von sich und er Situation angewidert ist. Hast du denn eine Idee für die Umgestaltung?

Viele Grüße

Odysseus

 

Hallo Odysseus,

ganz grundsätzlich scheint mir, dass Du es Dir mit Deinen Kritikern etwas zu leicht machst. Chai, Maria und Jimmy haben Dir eine Menge profunder Hinweise gegeben. Du scheinst Dir aber mehr Gedanken darüber zu machen, wie Du Deine Geschichte retten kannst, als darüber, wie Du lernst, besser zu schreiben. Das sind zwei verschiedene Dinge. Die Geschichte ist Murks. Keine schlimme Sache. Weißt Du, wie viele Geschichten ich letztlich als misslungen zu den Akten gelegt habe? Das ist doch völlig okay. Sie erfüllen doch einen wichtigen Zweck, wenn man die Fehler darin erkennt und es beim nächsten Mal ein bisschen besser macht.

Was das Gewehr betrifft, da wäre die plausibelste Variante, dass Ullrich gedankenverloren damit herumspielt und versehentlich an den Abzug kommt, so wie es Dir schon mal passiert ist. Vom Werfen wird ein Gewehr wie gesagt nur in den seltensten Fällen losgehen. Aber das Gewehr gehört zu den geringeren Problemen Deiner Story.

Jimmy zeigt Dir konkrete Stellen, wo Dein Text unpräzise ist, aber Du sagst, Du weißt nicht, wie Du Dich damit auseinandersetzen sollst. Verstehe ich nicht. Die Lösung lautet: Schreibe präziser. Das ist natürlich ernüchternd, wenn Du diesen riesigen gestrandeten Wal dieser Geschichte wieder flott machen willst. Aber darum geht es nicht. Konzentriere Dich nicht so sehr auf das Produkt, sondern auf den Prozess, das wäre meine Empfehlung.

Gruß Achillus

 

Hallo Achillus,

die Kürze meiner letzten Antwort hat wohl zu Missverständnissen geführt.

Du scheinst Dir aber mehr Gedanken darüber zu machen, wie Du Deine Geschichte retten kannst, als darüber, wie Du lernst, besser zu schreiben

Nicht ist mir wichtiger als zu lernen, besser zu schreiben. Ich weiß nur nicht, wie ich bei dieser Geschichte anfangen soll.

wenn Du diesen riesigen gestrandeten Wal dieser Geschichte wieder flott machen willst

Ich glaube eben nicht, dass ich diesen Wal noch einmal flott kriege. Eure Tipps, so mein Gefühl, zeigen mir wie ich aus dem Wal einen Haifisch machen könnte. Damit wäre die Geschichte wahrscheinlich besser, nur habe ich dazu noch gar keinen Bezug, weil das eben nicht eine Veränderung der bestehenden Geschichte wäre, sondern eine komplett andere. Mit dieser Geschichte habe ich in der Vergangenheit schon so lange rumgewurschtelt, dann habe ich sie mit dem hier Gelernten überarbeitet und hier eingestellt, um festzustellen, dass sie immer noch nicht gut ist. Mir fehlt da z.Z. die Kraft, diesen Wal noch mal ins Wasser zu schieben.

ganz grundsätzlich scheint mir, dass Du es Dir mit Deinen Kritikern etwas zu leicht machst. Chai, Maria und Jimmy haben Dir eine Menge profunder Hinweise gegeben

Ich bin auf alle Hinweise eingegangen, nur weiß ich aus o.g. Gründen oft nicht, wie ich sie umsetzen soll. Bei meiner ersten Geschichte ("Auf der Straße nach Red Lake") war das ganz anders. Auch dort hast du, gemeinsam mit anderen, der ersten Fassung wenig abgewinnen können. Dort fiel es mir überraschend leicht, die Anregungen aufzunehmen und eine fast völlig neue Geschichte daraus entstehen zu lassen.

Jimmy zeigt Dir konkrete Stellen, wo Dein Text unpräzise ist, aber Du sagst, Du weißt nicht, wie Du Dich damit auseinandersetzen sollst. Verstehe ich nicht. Die Lösung lautet: Schreibe präziser.

Leider hat Jimmy Stellen rausgesucht, bei denen ich präzise wusste, was ich wollte und das auch so umgesetzt habe, dass es für mich funktioniert.

Z.B. habe ich ganz bewusst im ersten Satz geschrieben, dass der Staub fällt. Wenn Staub schwebt, hat das eher etwas Leichtes, Positives, ich wollte aber eine Schwere ausdrücken, die zum Prot und seiner Situation passt. Kurz darauf erfahren wir, dass Ulrich im Bett liegt. Für mich fängt dieses Bild von jemandem, der tagsüber im Bett liegt und zusieht, wie der Staub fällt, sehr viel von seinem Charakter ein.

Konzentriere Dich nicht so sehr auf das Produkt, sondern auf den Prozess, das wäre meine Empfehlung.

Deswegen habe ich an die Geschichte innerlich auch schon einen Haken gemacht. Es tut mir auch leid, dass du und die anderen Kommentatoren sich so viel Mühe gegeben haben mit Tipps, aber dennoch keine Geschichte entstanden ist, mit der einer der Beteiligten zufrieden ist. Gelernt habe ich trotzdem eine Menge, nämlich darüber, was nicht funktioniert. Bei meiner nächsten Geschichte werde ich diese Fehler vor Augen haben und hoffentlich vermeiden.

Ich hoffe, Achillus und Jimmy, ich konnte euch vermitteln, wie viel mir an eurer Kritik liegt, auch wenn sie diesmal nicht zu handfesten Ergebnissen geführt hat.

Viele Grüße

Odysseus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Odysseus

Dein Ringen mit dem Text, mit den Einwänden, der Versuch, besser zu werden, das ist nach deiner letzten Antwort schon spürbar, ja, das Schreiben kann eine Qual sein.

Und manchmal gibt's halt auch einfach Texte, die sind (subjektiv) in den Sand gesetzt. Ich hab da auch einen, dessen Idee ich sehr mag, an dessen Überarbeitung ich aber einfach scheitere. Der liegt jetzt halt für eine Weile in der Schublade, vielleicht auch für immer. Ich denke, am wichtigsten ist, dass man viel und regelmässig schreibt. Üben halt.

Ich will dir aber keine gesalbten Worte schreiben, sondern einen konkreten Tipp an einem konkreten Beispiel geben, das mir bei deiner Antwort aufgefallen ist:

Z.B. habe ich ganz bewusst im ersten Satz geschrieben, dass der Staub fällt. Wenn Staub schwebt, hat das eher etwas Leichtes, Positives, ich wollte aber eine Schwere ausdrücken, die zum Prot und seiner Situation passt. Kurz darauf erfahren wir, dass Ulrich im Bett liegt. Für mich fängt dieses Bild von jemandem, der tagsüber im Bett liegt und zusieht, wie der Staub fällt, sehr viel von seinem Charakter ein.

Ja. Die Absicht ist klar. Aber da musst du meines Erachtens loslassen. Nur weil ein Satz gut durchdacht ist, heisst das noch lange nicht, dass er funktioniert.
Das ist ein Paradebeispiel. Ich kann das so gut nachvollziehen: Du hast eine abstrakte Idee (Schwere der Situation etc.). Du siehst dich nach einem Bild um, das dies zum Ausdruck bringt. Am besten was Unauffälliges, ein konkretes physisches Objekt. Was hat's da in diesem Zimmer? Staub. Also fällt der Staub, statt zu schweben. Ist doch eine originelle Lösung!

Ja. Aber der Leser nimmt das ganz anders wahr. Der ist von dieser Formulierung einfach irritiert, der weiss ja auch noch gar nichts von der Schwere der Situation. Die Formulierung ist zwar originell, aber führt halt zu einem schiefen Vergleich. Das Bild vom Staub eignet sich schlichtweg nicht, um das auszudrücken, was du willst, weil Staub nun mal nicht fällt. Du musst weitersuchen, da führt kein Weg dran vorbei. Du musst also nicht das "fallen" über Bord werfen (und durch "schweben" ersetzen), sondern du musst den Staub über Bord werfen! Vielleicht sieht er schwere Regentropfen fallen (ja, nicht originell, aber stimmig), vielleicht hat er Mühe, den Kopf zu heben, so tief ist er ins Kissen gesunken. Und manchmal gibt das Setting halt auch einfach keinen guten und naheliegenden Vergleich her.

Noch nie habe ich soviele Wörter über einen so kurzen Satz verloren. :) Ich hoffe, ich ärgere dich damit nicht, ich wollte nicht nochmal draufhauen, sondern hatte das Gefühl, dass du bei diesem Satz das Pferd von hinten aufzäumen willst, und hoffe, dass dir mein Kommentar für deine nächsten Texte weiterhilft.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Odysseus,

nach dem ersten Teil habe ich geschaut, wie viel da noch zu lesen ist, und bin ziemlich erschrocken, habe aber dann noch eine Weile durchgehalten. Aber nach dem Schiffsuntergang habe ich den Glauben verloren, dass da noch was Entscheidendes passiert. Also bin ich ausgestiegen.

Dieser erste Teil gefällt mir durchaus. Die Seelenzustände, denen dein Prota in kleinsten Verästelungen nachspürt, sind subtil formuliert. Sein verzweifeltes Warten darauf, dass etwas passiert, bei gleichzeitig gelähmten Antrieb, hat eine gewisse Sogkraft und produziert in mir den Wunsch, einzugreifen. Ich möchte dem Mann Beine machen. An Fantasie mangelt es ihm ja nicht. Die späteren Teile ( so weit ich eben gelesen habe) zeigen, dass es eher die ungeheure Fülle seiner Wünsche, Befürchtungen und Ängste ist, die ihn am Leben hindert. Manche Passagen muten mich tatsächlich kafkaesk an.

Aber der Plot! Es gibt für mich keinen erkennbaren. Einen gewissen Schlusspunkt sehe ich am Ende des ersten Teils, wo Ulrich durch die Folgen eines unbeabsichtigten Schusses in die Welt katapultiert wird.
Gott sei Dank, dachte ich hier, jetzt passiert endlich was, die Blase, in der der Prot lebt, ist geplatzt. Jetzt warten echte Abenteuer auf ihn. Welche das sind, muss ich gar nicht wissen.

Sprachlich hast du einiges drauf, du kannst präzise formulieren, aber die Gefahr der Monotonie ist leider gegenwärtig. Über die Bausteine einer modernen KG möchte ich mich nicht äußern. Das können hier im Forum andere besser als ich.

Freundliche Grüße
wieselmaus

 

Hallo Peeperkorn,

Noch nie habe ich soviele Wörter über einen so kurzen Satz verloren.

Ich hoffe, du weißt, worauf du dich da eingelassen hast: Das ist der erste Satz. Wenn wir in der Intesität weitermachen, haben wir noch ein bissl was vor uns :)

Und manchmal gibt's halt auch einfach Texte, die sind (subjektiv) in den Sand gesetzt. Ich hab da auch einen, dessen Idee ich sehr mag, an dessen Überarbeitung ich aber einfach scheitere. Der liegt jetzt halt für eine Weile in der Schublade, vielleicht auch für immer

So sehe ich auch das Schicksal meiner Geschichte. Geschrieben habe ich sie vor 13 Jahren, zwischendurch immer wieder überarbeitet und jetzt hatte ich sie nochmal intensiv überarbeitet und hier eingestellt, aber es passt halt immer noch nicht.

Es ist doch interessant, wie unterschiedlich Sprachempfinden ist. Ohne jetzt wieder Staub aufwirbeln zu wollen, der dann natürlich wieder fallen müsste :lol: Ich habe die Formulierung gar nicht als ungewöhnlich empfunden. Manchmal baut man ja so Formulierungen ein, von denen man merkt, dass sie ein bisschen grenzwertig für den einen oder die andere sein können. Hier habe ich einfach nur versucht, das Bild auszudrücken, welches ich im Kopf hatte, und die für mich treffendste Formulierung gewählt. Dass "fällt" in diesem Zusammenhang ungewöhnlich ist, oder einen Leser irritieren könnte, war mir gar nicht bewusst.
Aber deshalb bin ich ja schließlich hier. Was ich mir ausdenke ist schön und gut, solange ich mein einziger Leser bin.

Ich hoffe, ich ärgere dich damit nicht, ich wollte nicht nochmal draufhauen, sondern hatte das Gefühl, dass du bei diesem Satz das Pferd von hinten aufzäumen willst, und hoffe, dass dir mein Kommentar für deine nächsten Texte weiterhilft.

Natürlich ärgerst du mich nicht. Jede Meinung ist ein Mosaikstein eines nie zu vollendenden Bildes. Je mehr Steine, desto genauer ist das Bild. Und je genauer ich weiß, wo ich stehe, umso besser kann ich in Zukunft schreiben.

Diese Geschichte ist, wie gesagt, bereits 13 Jahre alt. Meine erste Geschichte war noch älter. In den letzten Tagen hatte ich wiederholt den Gedanken, dass ich mich mit diesen Geistern aus der Vergangenheit erst einmal auseinandersetzen muss, um mich neuem zuwenden zu können.


Hallo Wieselmaus,

nach dem ersten Teil habe ich geschaut, wie viel da noch zu lesen ist, und bin ziemlich erschrocken

tut mir leid, wenn ich dich mit dem Umfang der Geschichte erschreckt habe. Zumindest kann man meiner Geschichte nicht absprechen, dass sie bei ihren Lesern heftige Gefühle hervorruft :)

Aber nach dem Schiffsuntergang habe ich den Glauben verloren, dass da noch was Entscheidendes passiert. Also bin ich ausgestiegen.

Ich habe bereits von jemand anderem den Rat erhalten, die Geschichte nach einem überarbeiteten ersten Teil enden zu lassen. Bisher ist das die einzige konkrete Idee einer Überarbeitung, an die ich mich ev. wagen würde. Mal sehen.

Seit Achillus Vergleich mit einem gestrandeten Wal musste ich immer wieder an deinen Kommentar zu meiner ersten Geschichte denken:

das ist ein Ding! Erste Fassung, zweite Fassung. Erst nur Gräten, dann "Butter bei die Fische".

Erst nur Gräten, dann Fische mit Butter und nun ein Wal. Ich bin gespannt, was ich als nächstes fabriziere:)

Schön, dass dir meine sprachliche Gestaltung teilweise gefällt. Vielen Dank für die freundlichen Worte.

Herzliche Grüße

Odysseus

 

Hallo Odysseus,

puh, ich bin schwer beeindruckt von dieser ganzen Diskussion, von diesem ganzen Ringen um eine gute Geschichte! Und ich traue mich fast nicht, das Ganze zu kommentieren, da ich selbst wenig Ahnung vom Schreiben habe. Ich versuch es trotzdem:

Vielleicht solltest du noch einmal zeitlichen Abstand gewinnen. Und dann, wenn dir wieder danach ist, den Text recyclen. Die Beschreibung der Innenwelten finde ich sprachlich nicht schlecht.

Tja, dein Held, der Ulrich. Ich hab die Befürchtung, dass der sich ein paar Monate später wieder anfangen wird, zu langweilen. Ich geb ihm maximal 1 Jahr. Hat er denn etwas dazugelernt?

Kannst du Teil I-III noch deutlich weiter kürzen und dann einen neuen Teil IV anhängen?
Im Teil IV muss dein Odysseus, äh sorry Ulrich, die Kurve kriegen. Evtl. begegnet er einer neuen Figur, z.B. jemandem, dem er helfen kann. Daran kann er reifen, da kann er Buße tun, für das, was er in Teil I angerichtet hat. Das muss ja nicht zwingend eine Frau sein, aber vielleicht irgendeine Figur, von mir aus ein gezähmter Wolf, was weiß ich, ein Lebewesen, zu dem er eine Beziehung aufbauen kann. Denn er leidet ja nicht nur an der inneren Leere (first world problem), sondern auch daran, dass er niemanden hat bzw. von niemandem gebraucht wird.

Oder willst du lieber, dass es finster mit ihm weitergeht? Fremdenlegion, Drogen? Bitte nicht. Das wären meine momentanen Befürchtungen für deinen Helden.

Sorry, vielleicht gehen meine Überlegungen auch völlig an deinen künstlerischen Intentionen vorbei.

Formalkram:
"Geruch des menschlichen" -- Ich denke, Menschlichen müsste es heißen, also groß geschrieben.
"hört auf zu Paddeln" -- hier umgekehrt, paddeln klein schreiben
"Donnern war" -- wahr mit H
"das kann eine dauern" -- da fehlt das Wort Weile

Liebe Grüße, Anne

 

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