Ein gefährliches Spiel
Sie saßen sich in Virginies Zimmer an einen rechteckigen Tisch gegenüber. Ihre Augen reflektierten das schwache Licht, das von den fünf Kerzen zwischen ihnen abgegeben wurde. Die Mädchen waren aufgeregt, es war das erste Mal, dass sie es gemeinsam ausprobierten sollten.
»Du musst keine Angst haben.« versuchte Virginie ihre Freundin zu beruhigen.
»Die Regeln sind einfach. Ich wiederhole sie noch einmal dann können wir anfangen. Du darfst dich auf keinen Fall umdrehen, egal was passiert. Alle Fragen, die den Tod betreffen sollte man auch nicht stellen. Und, ganz wichtig, frage niemals wo sich der Geist befindet.«
»Okey, ich hab's verstanden, können wir jetzt anfangen?« sagte ihre Freundin genervt. Die beiden Mädchen reichten sich gegenseitig die Hände und sagten gemeinsam den Spruch auf, den sie von einer Schulkameradin genannt bekommen hatten:
»Wir glauben an den Geist und beginnen die Beschwörung.« Sie ließen sich los und rückten nervös auf ihren Stühlen umher, bis sie eine bequeme Position gefunden hatten. Augenblicklich stellte sich bei den Mädchen ein seltsames Gefühl ein. Ob es an dem gedimmten Licht oder an dem Wissen etwas übernatürliches, vielleicht sogar gefährliches zu tun lag, wussten sie nicht.
»Gut, wir können jetzt eine Frage stellen.«, sagte Virginie mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Sie wollte nicht, dass Anika mitbekam wie unwohl sie sich fühlte und wie unheimlich ihr zumute war. Virginie hatte dieses seltsame „Spiel“ bereits einige Male ausprobiert und nie hatte es funktioniert und doch blieb eine Restunsicherheit zurück, ob denn nicht doch ein Wesen aus einer anderen Welt den Zugang zu dem kleinen Zimmer gefunden haben könnte. Nach längerem Überlegen stellten sie dem Geist die ersten Fragen. Es war nichts von besonderer Bedeutung, sondern nur belanglose Themen, wie der Name des nächsten Freundes oder wann die nächste unangekündigte Leistungskontrolle geschrieben wird. Beide Mädchen starrten gespannt auf das Glas, das sich in der Mitte eines Kreises aus Buchstaben befand, in dessen Zentrum ein Pentagramm gezeichnet war. Sie ließen ihre Zeigefinger am Rand des Glases ruhen, doch es wollte sich einfach nicht bewegen. Geduldig verharrten sie in ihrer Position, doch es rührte sich keinen Millimeter.
»Vielleicht kann es uns der Geist nicht sagen.«, mutmaßte Virginie.
»Versuchen wir etwas anderes.« schlug Anika vor. »Wo befindet sich Nadine?«, fragte sie in die Stille des Raumes. Doch neben dieser schlichten Frage, beschäftigte sie sich in Wirklichkeit mit einer ganz anderen. Unaufhörlich musste sie an die Frage denken, wo sich der Geist befinden mochte und plötzlich änderte sich alles. Sie spürten, wie etwas Kaltes in ihre Körper drang und nach kurzer Zeit wieder verließ, als hätte etwas sie gescannt. Ein Schauer durchlief ihre Körper und hinterließ bei den Mädchen eine Gänsehaut. Anika hörte, wie aus dem Nichts, Wasser plätschern.
»Sag mal hörst du das auch?« fragte sie.
»Nein, was denn?« antwortete Virginie irritiert. Sie ignorierten das seltsame Gefühl und Anika dachte, sie habe sich das Tropfen nur eingebildet. Ohne sich gegenseitig ihre Angst einzugestehen, wiederholten sie ihre ursprüngliche Frage. Doch dann schreckte Virginie hoch.
»Oh mein Gott, was war denn das?« rief sie entgeistert.
»Was war was?« fragte nun Anika nicht minder irritiert als ihre Freundin zuvor.
»Da ist eben etwas ganz laut von draußen gegen den Rollladen gekracht. Hast du das etwa nicht gehört?«
Ihre Freundin schüttelte erschrocken den Kopf. Mit einem Mal zerriss ein neues Geräusch die Stille. Unter dem Tisch waren plötzlich schwere Schritte zu hören, als ob Jemand eine Steintreppe hinauf schreitet. Beide Mädchen sahen sich verängstigt an und ergriffen die Hände der anderen. Ohne lange zu überlegen, riefen sie den Spruch, der den Fluch beenden sollte.
»Wir beenden die Beschwörung.« In dem Moment, in dem der Spruch über ihre Lippen gekommen war, fiel Anikas Rucksack, der an eines der Tischbeine gelehnt war, um. Sofort sprang Virginie auf und machte das Licht an. Sie löschten die Kerzen, doch das Adrenalin war nach wie vor in ihren Adern und sie brauchten eine Weile, um sich zu beruhigen. Minutenlang sprachen sie über das eben Geschehene und versuchten sich durch Witze von dem Erlebten abzulenken. Als sie sich wieder halbwegs beruhigt hatten, begannen sie sich mit anderen Dingen abzulenken, was ihnen einigermaßen gut gelang, bis Anika den Furby aus der Schrankwand nahm. Sie drehte das sprechende Plüschtier um, um es zu aktivieren. Doch das, was es zu sagen hatte, versetze den beiden den nächsten Schlag.
Es sagte: »Das war nicht nett, mach das nie wieder!« Anika schmiss den Furby schockiert auf das Bett, Übelkeit machte sich in ihnen breit und sie waren beide den Tränen nahe.
Noch an diesem Abend riefen sie die Freundin an, die ihnen die Regeln erklärt hatte und trafen sich mit ihr, um ihr diese unglaubliche Geschichte zu erzählen. Bis zum heutigen Tag hat keine von beiden je wieder dieses seltsame „Spiel“ ausprobiert. Doch noch bis heute überkommt sie jedes Mal eine eigenartige Kälte, wenn sie mit jemanden über dieses Erlebnis sprechen.