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Ein gefährlicher Traumjob!
Bailo Mops war von Beruf Wasserrutschen-Tester. Ein Traumjob, würde man allgemein annehmen. Jedoch war diese Arbeit harte Knochenjob, wie das folgende Beispiel eindrücklich zeigen sollte.
An einem kalten und grauen Januarmorgen begab sich Bailo zum Hallenbad Mühlwiesen, einer etwas heruntergekommene Einrichtung in einem tristen Vorort von Bumsdorf. Mit seinem beigen 96er Volvo 900 parkte er auf dem verlassenen Parkfeld. Bailo bevorzugte es, sich für das Testen jeweils Randzeiten auszusuchen, so dass nicht allzu viele Besucher vor Ort waren. Bei diesem Hallenbad spielte der Zeitpunkt wohl keine Rolle - es war rund um die Uhr schlecht besucht.
Er stieg aus dem Wagen und stapfte durch den grauen Matsch in Richtung Eingang. Da er etwas früh dran war, stand er noch circa zehn Minuten vor verschlossenen Türen. Wie immer hatte er seinen Aktenkoffer dabei, in welchem er diverse Messgeräte, einen Taschenrechner, UV-Lampe, Badehose, Handtuch, einen Notizblock und eine .45er Magnum mitführte.
Um 9:07 war es endlich soweit, und ein mies gelauntes Weib trat von innen an die Glastür heran. Sie hantierte mit dem Schlüssel herum und öffnete schliesslich.
«Morgen», sagte sie muffig.
«Einen wunderschönen guten Morgen, die Dame», erwiderte Bailo freundlich und fuhr fort, «wo finde ich denn die Herrenumkleide?»
"Da lang! Können Sie lesen?!", meinte die Angestellte, während sie ihm den Rücken zukehrte und davon lief. Bailo blieb ganz cool, nahm seinen Notizblock hervor und machte die ersten Notizen: "Angestellte ungepflegt sowie unhöflich." Zu seiner Berufung gehörte nicht nur das Testen der Rutschen! Nein, es war das ganze Paket einer Einrichtung, welches er prüfen musste, schliesslich ist für den Kunden der Gesamteindruck wichtig!
Doch bevor er sich zur Herrenumkleide begeben konnte, musste er die Zahlstelle passieren, wo er wiederum auf die Angestellte traf: "Sooo, hier sind wir also wieder. Einmal einen Eintritt für einen diplomierten Wasserrutschen-Tester!"
"3 Euro... ob mit oder ohne Diplom", sagte die Frau gelangweilt.
"Bitteschön."
Bailo begab sich in die Umkleide. Es roch nach einer Mischung aus Chlor und Rattenurin. Eine flackernde Leuchtstoffröhre tauchte den Raum in ein grünliches Licht. Einige der Schliessfächer waren von Rost befallen, und unter dem Spülbecken lag eine verwesende Leiche. "Hier ist wohl schon länger nicht mehr geputzt worden", dachte Bailo, während er sich entkleidete. Kurz darauf betrat er in seinen roten Badehosen den Duschraum, wo bereits die nächste Enttäuschung auf ihn wartete. Zwar verfügten die veralteten Duschen über eine Mischgarnitur, doch es spielte keine Rolle, auf welche Seite man diese drehte: Es kam nur kaltes Wasser heraus, welches zudem modrig roch.
Nass und frierend konnte Bailo nun endlich den Schwimmbereich betreten. Dort angekommen bespielte bereits der nächste Geruch seine Nase: Es roch nach frischem Kot! Bailo notierte umgehen und begann bereits seine vierte A4-Seite zu bekritzeln: "Beim Betreten des Badebereich riecht es nach Kot. Ursprung des Gestanks nicht identifiziert." Nun erhaschte er einen ersten Blick auf die ungefähr 1200 Meter lange Wasserrutsche, welche zum Teil im Outdooren verlief. Aber wie Bailo immer wieder zu sagen pflegte: "Das Vergnügen kommt am Ende!" Als nächstes musste er seinen Popo auf das Testing vorbereiten, den ein richtiger Profi geht niemals ohne die entsprechende Aufwärmphase auf eine Testfahrt. Er salbte diesen mit Vaseline ein und machte ungefähr 30 Squats. Doch wieder stach im dieser bissige Kotgeruch in den Kopf und er erblickte jetzt den Ursprung dieser Ausdünstung: Ein paar Schweine hatten sich in der Ecke des Schimmbads eingenistet und es sich dort gemütlich gemacht. Von daher rührte auch der strenge Geruch. Bailo war verständlicherweise angeekelt, wollte sich nun aber dennoch auf seine Kernaufgabe fokussieren. Er watschelte zur Treppe, die zum Start der Rutschbahn führte. Es handelte sich dabei um eine Wendeltreppe aus Metall. Einige Stufen fehlten, doch das machte Bailo nichts aus, da er extrem sportlich war und es kein Problem für ihn war, zwei Stufen auf einmal zu nehmen. Die Wendeltreppe führte durch ein Loch im Dach nach draussen, wo sich auch der Einstieg zur Rutsche befand. Eine etwas eigensinnige Konstruktion, wie Bailo fand. Doch man musste heutzutage innovativ sein, um noch Badegäste anzulocken.
Endlich war er oben angekommen. Die Metallkonstruktion schaukelte im kalten Wind. So ganz wohl war es Bailo nicht. Doch Furcht war etwas, das sich ein Wasserrutschentester nicht leisten konnte. Nun stand er also da, vor dieser Röhre. Das hinunterstürzende Wasser zog seinen Geist bereits in seinen Bann. Er entschied sich, den Sprung zu wagen, doch zuerst musste er noch seine Badehose ausziehen, weil nur so die maximale Geschwindigkeit erreichen konnte. Nun befand er sich im Kanal, nackt und auf sich alleine gestellt. Es war ein Ritt durch die Höhle, ihm wurde kalt und warm, zwischendurch hatte er das Gefühl, dass er von äusseren Kräften diesen Kanal hinuntergepresst wurde. Circa in der Hälfte verlor er beinahe das Bewusstsein und er fühlte nur noch eine dumpfe Atemnot, dass Wasser kam von allen Seiten und er glitt einfach nur weiter und weiter. Bailo wollte nur noch, dass er aus diesem dunklen Kanal entfliehen konnte - er wollte leben. Nun befand er sich im letzten Drittel. Die Kräfte, die ihn hinunterspülten wurden immer intensiver und er sah plötzlich ein Licht am Ende des Tunnels. Ihn übermahnte ein Glücksgefühl doch seine Sinne waren immer noch vernebelt. "Es ist ein Junge!", rief die Hebamme in den Entbindungsraum. Die Menge tobte, und die schwitzende Mutter lächelte erschöpft, während ihr Ehemann ihre Hand hielt und ebenfalls kitschig dreinschaute. Ein Reporter der Lokalzeitung schoss noch kurz ein Foto.
Doch was war passiert? Bailo war beim Testen der Rutsche gestorben und wurde als Junge wiedergeboren! Aus irgendeinem Grund führte die Rutsche durch ein Loch in der Wand nach draussen, wo sie in ungefähr zwölf Metern über dem Boden einfach aufhörte. Wie ein Geschoss pfiff der nackte Bailo durch die eiskalte Luft und krachte schliesslich kopfvoran durch die Windschutzscheibe seines Volvos, der auf dem Parkfeld stand. Er war sofort tot.
Ironischerweise betrat er die Welt so, wie er sie verlassen hatte: Nackt, frierend, glitschig und schreiend. Der ewige Zyklus des Lebens.
Ende