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Ein gebrauchter Tag

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30.12.2002
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Ein gebrauchter Tag

Manchmal wäre es besser, morgens gar nicht erst aufzustehen.
Es gibt diese Tage, in denen von Anfang an der Wurm steckt. Kennt wohl irgendwie jeder. Gebrauchte Tage.

Gestern war für mich so ein Tag.
Es begann damit, dass mein Wecker nicht klingelte.
Obwohl ich ihn gestellt hatte, ehrlich!

Irgendwie bin ich dann doch wach geworden, allerdings zu spät.
Und wenn ich etwas hasse, dann sind es diese überstüzten, kaffeelosen, „Wasser- ins-Gesicht-spritzen, und Zähne putze ich im Büro“- Aufbrüche in einen Arbeitstag.

Natürlich fand ich meinen Autoschlüssel erst nach hektischer Suche und unter Ausstoßung wüstester Schimpfkanonaden in der Küche, wo ich ihn nie hinlege.

Ich brauche nicht zu erwähnen, dass mein Auto erst ansprang, als die Batterie schon fast leer war.
Kennen Sie das „Lippenstift-Gesetz“?
Eigentlich sind grundsätzlich alle Ampeln rot, wenn man es eilig hat.
Braucht man aber einmal im Leben eine rote Ampel, um sich die Lippen anzumalen, hat man konstant „grüne Welle“. Haben Sie schon einmal versucht, während der Fahrt einen Lippenstift zu benutzen? Können Sie vergessen, es geht nicht! Es wackelt einfach zu sehr.
Und dieses Gesetz griff unbarmherzig. Wütend warf ich irgendwann das Schminkutensil auf die Rückbank. Klar, dass die nächste Ampel rot war.
Und klar, dass mein Arm zu kurz war, es wieder hervor zu angeln!
Und die Rotphase war natürlich zu knapp, um schnell auszusteigen, und den Lippenstift zu holen.

Dass an meinem Arbeitsplatz mal wieder kein Parkplatz frei war, ist ja schon normal, es regte mich nicht einmal mehr auf.

Als ich dann endlich im absoluten Halteverbot einen BMW-Fahrer im Kampf um den Parkplatz besiegte, zeigte mir meine Armbanduhr an, dass ich bereits zwanzig Minuten zu spät dran war. Wütend sprang ich aus dem Auto, knallte die Tür ins Schloss und rannte zum Haupteingang. Atemlos erreichte ich den Fahrstuhl, und nach Luft ringend drückte ich mit letzter Kraft auf den Anforderungsknopf. Da blieb mein Blick an einem Schild hängen, das an der Fahrstuhltür angebracht war: „Fahrstuhl außer Betrieb“.
Verzweifelt drehte ich mich um, schluckte aufkeimende Tränen des Zornes herunter und ging zum Treppenhaus. Ich arbeite im zwölften Stockwerk, das nur nebenbei.

Mit zusammengebissenen Zähnen sprintete ich die Treppen hoch, bis fast in den zweiten Stock. Da verließ mich bereits meine Kondition, und meine Beine waren wie aus Wackelpudding. Ab dem achten Stockwerk schmerzte jeder Atemzug.
Mühsam zog ich mich am Geländer hoch, immer langsamer wurde mein Schritt.
Mit hervorquellenden Augen, völlig außer Atem erreichte ich die Stechuhr, und führte meine Karte ein.
Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Wand, und versuchte, in so etwas wie einen Atemrhythmus zu kommen.
Nach einer halben Ewigkeit gelang es mit, die Sterne zu verscheuchen, die um meinen Kopf herumschwirrten, und ich trat ins Büro ein. Kopfschüttelnd musterten mich meine drei Arbeitskolleginnen, mit denen ich meinen Wirkungsbereich teilte. „Guten Morgen,“ schnaufte ich, und bekam prompt einen Hustenanfall. Schnell huschte ich an meinen Schreibtisch, wo ich mich hinter Aktenbergen versteckte.
Wollen Sie hören, wie mein Tag weiterverlief?
Als ich meinen PC einschaltete, fuhr er hoch, um gleich darauf abzustürzen. Systemabsturz, alle Daten der letzten Tage, die ich leichtsinniger Weise noch nicht gesichert hatte, waren weg. Unwiderruflich.

Bei dem Versuch, das CD-Laufwerk manuell zu öffnen, brach ich mir meinen Lieblingsfingernagel ab.

Der Kaffee, den mir eine mitfühlende Kollegin brachte, landete auf meinem Rock.

Als ich widerrechtlich ein Privatgespräch mit meiner besten Freundin Annemarie führte, um mich auszuheulen, stand plötzlich mein Chef hinter mir.

Mittags gab es in der Kantine Grützwurst, etwas ungeheuerlicheres kann ich mir nicht vorstellen. Also trank ich ein Wasser, ist ja auch besser für die Linie.

Am Nachmittag hatte ich viel zu kopieren, das Papier war in dem Moment verbraucht, als ich den Kopierraum betrat. Neues Papier gab es im ersten Stock, der Fahrstuhl war noch immer defekt!

Schließlich ließ mein Chef mich die Zeit nacharbeiten, die ich zu spät gekommen war.
Deshalb waren auch die Geschäfte bereits geschlossen, als ich endlich gehen durfte, und ich konnte nichts mehr einkaufen.

Mein Auto stand nicht mehr im absoluten Halteverbot, es war abgeschleppt worden!
Ich konnte es erst am nächsten Morgen auslösen!

Mit Bus und Bahn schlug ich mich mit dem Mut der Verzweifelten nach Hause durch , wo ich dann vor meiner Wohnungstür einen Weinkrampf erlitt, weil mein Haustürschlüssel in meinem Auto im Handschuhfach schlummerte.

Die Nachbarin mit dem Ersatzschlüssel war nicht zu Hause, und da ich im zweiten Stockwerk wohne, kam auch keine Fensterkletterei in Frage.

Aus der Telefonzelle zwei Strassen weiter rief ich den Schlüssel-Notdienst an.
Knappe zwei Stunden später kam Hilfe in Gestalt eines freundlichen jungen Mannes, der meine Wohnungstür demolierte. Gegen die Bezahlung einer restlos überteuerten Rechnung in Höhe von einhundert Euro für drei Minuten Arbeit gewährte er mir dann auch Einlass.

In meinem Kühlschrank verstarb eine einzelne Tomate, und mit knurrendem Magen legte ich mich mit einer Flasche Rotwein, die ich noch auf dem Balkon stehen hatte, ins Bett.

Also, wenn morgen auch wieder so ein Tag sein sollte, wie heute, dann stehe ich morgen gar nicht erst auf!

 

...nur schade, dass man das vorher nicht weiß :D

Ein Tag, wie aus dem Leben gegriffen. Hat mich herrlich amüsiert.

Einzig:

Als ich meinen PC einschaltete, fuhr er hoch um gleich darauf abzustürzen. Systemabsturz, alle Daten, die ich leichtsinniger Weise noch nicht gesichert hatte, waren weg. Unwiderruflich.
Wenn der Rechner gleich nach dem Einschalten abstürtzt, hattest du nicht viel Zeit, Daten einzugeben.. ich würde den Absturz um eine halbe Stunde verzögern, dann passts :)

amüsiert : lucutus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo lucutus, danke für deine Kritik. Das mit den Daten meinte ich anders, und habe es entsprechend editiert. Ich freue mich, dass du dich amüsiert hast!
Gruß - barkai

 

Ahhhhh! Ich bin erleuchtet :)

Wenn ichs jetzt richtig verstanden hab, meinst du, daß die Festplatte im Arsch ist, und von den letzten Daten der letzten Tage kein Backup auf CD gebrannt wurde.
Wenn du das noch erwähnst, ists eindeutig und ich bin ich glücklich :D
Mein Vorschlag:

Als ich meinen PC einschaltete, fuhr er hoch um gleich darauf abzustürzen. Festplatte über'n Jordan, alle Daten der letzten Tage, die ich leichtsinniger Weise noch nicht auf CD gesichert hatte, waren weg.
oder so ähnlich.
Wie gesagt, nur nen Vorschlag, der auch phantasielose Menschen wie mich den Absatz verstehen läßt :D

begriffsstutzig ;) lucutus

 

Hallo barkai,


Lieblingsfingernagel - das Wort des Monats!
Auch sonst eine unterhaltsame Geschichte, da freut man sich, wie gut doch der eigene Tag verlaufen ist, selbst wenn es ein schlechter war.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Na bitte! Wenigstens Rotwein hattest du noch.

Eine wirklich nette Geschichte. Ich kam aus dem Schmunzeln nicht mehr raus.

 

Hallo Ihr Woltochinon, hallo Rita, ich habe mich sehr über eure netten Kritiken gefreut. Und ich wünsche euch einen Tag, der um längen besser verläuft, als der o. g.
tschüss - barkai

 

ach ja, diese netten tage immer...
meistens läuft alles schief, was schief laufen kann.

ich finds gut, dass du den leser direkt ansprichst. mir kommt es so vor, als ob meine freundin mir das alles erzählt. ich weiß dann immer nicht, ob ich heulen oder lachen soll.
aber deine geschichte ist lustig und locker geschrieben. gefällt mir.

bye und tschö

 

Es begann damit, dass mein Wecker nicht klingelte.
:D

Hallo Barkai!

Ja, diese Tage gibts immer mal wieder, nur das es dann meist nicht besonders lustig ist... Dein Text allerdings ist locker und leicht gechrieben, angenehm zu lesen, witzig formuliert, macht Spass. Vielleicht sollte man nach einem solchen Tag immer automatisch den nächsten im Bett verbringen, profilaktisch quasi...;)

schöne Grüße, Anne

 

@moonshadow:Danke dir für deine Kritik. Schön, wenn du das Gefühl hattest, deine Freundin würde dir etwas erzählen. Weißt du, genau das habe ich beim Schreiben auch so empfunden. Ist schon seltsam....
einen schönen Tag, morgen! bye - barkai

@Maus: ich hatte heute gerade wieder so einen Tag zu fassen! Ich werde morgen prophylaktisch den Tag im Bett verbringen! :D

 

Loool das ist wirklich ein schei... Tag :D

Was mich kurz im Lesefluss einhalten ließ da ich mein gehirn von "Lesen/Spaß" auf "Lesen/überlegen" schalten musste:

Am Nachmittag hatte ich viel zu kopieren, das Papier war in dem Moment verbraucht, als ich den Kopierraum betrat. Neues Papier gab es im ersten Stock, der Fahrstuhl war noch immer defekt!


Da musste ich erst mal wieder überlegen wo Deine Protagonisten denn arbeitet, da ich erst dachte: Erster Stock, das ist doch nicht soo hoch das man nen Fahrstuhl braucht, aber sie muss ja vom zwölften runter und wieder hoch laufen (seit wann wechseln denn eigentlich Bürokräfte das Papier im Kopierer selbst aus ?). Da habe ich komischerweise erst mal beim lesen gehangen.

Aber ansonsten eine gute Story mit einem hohen Unterhaltungswert :)

Gute N8

Jaddi

 

Hatte heute wieder so einen Tag zu fassen.
Ich bleibe morgen im Bett!
cu - barkai

 

Hallo barkai!

Sehr gut geschrieben, und sehr witzig, aber der Schluss gefält mir nicht ganz:
Diese Portion Pech bekommt man für gewöhnlich in einem Zeitzaum von mehreren Monaten vom Schicksal serviert. Aber so viel Pech an einem einzigen Tag? - Gut, kann sein. So ein Tag passiert einem einmal im ganzen Leben, vielleicht auch alle zehn Jahre. Aber dein Schlusssatz sugeriert, dass bei dir solche Tage relativ häufig vorkommen, und das glaube ich einfach nicht, jedenfalls nicht in dieser Intensität.

Deine Geschichte hat viele ungewöhnliche Formulierungen, die ihr viel Farbe verleihen: "Ausstoßung wüstester Schimpfkanonaden", "Lippenstift-Gesetz", "Lieblingsfingernagel", "Grützwurst", "verstarb eine einzelne Tomate" - Lauter geniale und witzige Konstrukte, die mir sehr gefallen.

Die Sache mit dem PC-Absturz wurde ja schon besprochen. Ich habe verstanden was gemeint war, aber es war irgendwie unglücklich formuliert.

Danke für diese Geschichte! Wann gibt es mehr?


Liebe Grüße
Hubert

 

Hallo Hubert, danke für deine Kritik.
Natürlich sind solche Tage eher die Ausnahme, aber wenn man schon eine Geschichte daraus macht, muß man es ein bißchen auf die Spitze treiben, oder?
Ich bemühe mich um Nachschub, dir einen schönen Abend!
Einen netten Gruß, barkai

 

Aloah auch,
wollte mich nur mal der positiven Kritik anschließen: Hat Spaß gemacht, die Geschichte zu lesen. Sehr schöner Erzählstil mit z.T. schön trockenem Humor gewürzt. :cool:

 

Hallo Barbara,

nachdem wir gestern einen so netten Abend verbracht haben, mußte ich doch auch mal was von Dir lesen und dies ist die erste Deiner Geschichten, an der ich hängenblieb. Ich schwöre, es wird nicht die Letzte sein.

Ich habe sehr gelacht! Es gibt solche Tage, wer weiß das nicht....

Schon allein den Titel fand ich genial! Allein die Vorstellung, dass man einen Secondhand - Tag verwenden muß, den jemand anderer schon abgenutzt hat, ist Klasse.

Was mir allerdings aufgefallen ist, ist, dass sich noch kleinere Rechtschreib - bzw. Flüchtigkeitsfehler in dem Text befinden. Vielleicht änderst Du die noch?

"diese überstützten (überstürzten), Kaffeelosen (kaffeelosen)"

"Kennen sie das „Lippenstift-Gesetz“? (Sie groß, als Anrede, oder?)"

"Und dieses Gesetzt (Gesetz) griff unbarmherzig"

"das Schminkutensil auf die Rückbank. Klar, dass die nächste Ampel rot war. Und klar, dass mein Arm zu kurz war, ihn (es, das Utensil) wieder hervor zu angeln!"

"zeigte mir meine Armbanduhr an, das (dass) ich bereits zwanzig Minuten zu spät dran war."

"Als ich meinen PC einschaltete, fuhr er hoch (Komma!)um gleich darauf abzustürzen"

Ich freue mich auf weitere Geschichten von Dir.

Liebe Grüße
Barbara

 

Das war mal wieder eine der seltenen, weil wirklich humorvollen Geschichten der letzten Zeit, die ich, dank Dir, das Vergnügen hatte zu lesen. Schreib weiter so gut.

Tschüss!

P.S.: Deine Story 'Die fromme Helene' ist Dir auch hervorragend gelungen.

 

@ al-dente:
Hallo Barbara, ich fand es auch sehr schön, euch alle gestern Abend in "Fleisch und Blut" kennenzulernen.
Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, meine Flüchtigkeitsfehler aufzuspüren.Ich werde mich sofort daran machen, sie zu verbessern!
Ich freue mich sehr, dass dir meine Geschichte ein bisschen kleine Geschichte dir Spaß gemacht hat.

@ Marcus:
Schamlvoll errötned bedanke ich mich bei dir für deine nette Kritik!
Auch dir noch einen schönen Tag!
Barbara
Einen schönen Tag wünscht dir Barbara

 

Eigentlich ist ja schon alles gesagt, was man zu deiner Geschichte sagen kann. Dannoch wollte ich dir zu der einfach nur guten Geschichte gratuliren. Sie ist sehr witzig aber dennoch geht sie nicht an der Realität vorbei.:D

 

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