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Ein ganz normaler Versuch, einen Freitagabend zu verbringen

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06.03.2003
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Ein ganz normaler Versuch, einen Freitagabend zu verbringen

Ein ganz normaler Versuch, einen Freitagabend zu verbringen!

Anne, die Gastgeberin, Jean-Paul kannte sie von früher aus seiner Studentenzeit, hatte sich große Mühe gegeben. Er machte ihr keinen Vorwurf. Wie käme er dazu. Seine Erwartungen an die Party waren nicht groß gewesen. Er wollte es einfach mal wieder versuchen. Und es war so gekommen, wie er es schon so oft erlebt hatte. Entweder waren die Frauen, und darauf kam es ihm an, mit ihrem Freund oder gar mit ihrem Ehemann gekommen oder, und das war fast noch schlimmer, sie waren hässlich. Nein, es war noch nicht einmal eine Typfrage, das hätte ihn nicht verwundert, das wäre normal gewesen; die wenigen Frauen, die ihm auf seine direkte Nachfrage von Anne als ungebunden bezeichnet worden waren, waren dick, und das alleine reichte für ihn aus, sie unattraktiv zu finden. Auch wenn es ungerecht war, so zu denken, manche würden es sogar arrogant nennen, dachte er, es war eben so. Vor allem diese beiden Frauen gerade, erinnerte er sich mit Schaudern an die letzten fünf Minuten zurück, sie hatten ihm und damit seiner Laune den Rest und damit auch den Anlass für seinen kurz entschlossenen Aufbruch gegeben. Hatten sie sich doch direkt neben ihn gestellt und durch ein extra laut geführtes Gespräch über die politische Weltlage, oder ging es um Kunst, überlegte er, egal, jedenfalls hatten sie versucht, seine Aufmerksamkeit zu erregen, und schon der Gedanke daran, dass diese beiden, freundlich ausgedrückt, stämmigen Frauen, glaubten, dass er sich für sie interessieren könnte, war abstoßend für ihn. Wieso haben solche Frauen ein so großes Selbstbewusstsein, fragte er sich, während er jetzt an der Straße stand und sich Gedanken machte, was er mit diesem Freitagabend weiter anstellen wollte. Kurz beschlich ihn ein schlechtes Gewissen, weil er sich von Anne nicht verabschiedet hatte, das gehörte sich nicht. Andererseits kannte er Anne und sie ihn so gut, dass er davon ausgehen durfte, dass sie ihn verstehen würde, es war nicht seine Aufgabe, ihre Gäste zu unterhalten. Wahrscheinlich wollte sie auch sein Mitleid zu der langweilige Party nicht. Jean-Paul wusste, dass Anne wusste, dass er wusste, dass nicht sie als Gastgeberin sondern die Gäste selbst für die Langeweile verantwortlich waren. Er fasste den Entschluss, sie morgen anzurufen und damit waren die Themen Party und schlechtes Gewissen für ihn abgehakt. Dann winkte er eines der vorbeifahrenden Taxen heran. Kurz spielte er mit dem Gedanken, sich von dem Taxifahrer, der bemerkenswerterweise derselbe wir auf der Hinfahrt war, nach Hause fahren zu lassen, dann aber gab er als Fahrziel eine Diskothekengegend an, wofür waren sonst die fünf Biere gut, überlegte er.
"Und, laufen die Geschäfte immer noch?" spielte Jean-Paul auf das Gespräch von vorhin an, es mochten drei Stunden vergangen sein, seit der Fahrer ihn von zuhause abgeholt und zu Anne´s Party gefahren hatte.
"Ja, es läuft ganz gut, ich kann nicht klagen. Regen ist gut fürs Geschäft", sagte der Fahrer und lächelte dabei.
"Das freut mich."
Jean-Paul lauschte dem Geräusch des Scheibenwischers, der beim Mercedes typischerweise allein seine Arbeit verrichtete und kramte schon mal das Geld, das er gleich dem Fahrer geben wollte, hervor. Die Fahrt dauerte nur einige Minuten.
"Viel Spaß", gab ihm der Fahrer beim Aussteigen mit auf den Weg.
"Danke", sagte Jean-Paul ein wenig verblüfft über die guten Wünsche des Fahrers, für die er sich auch sofort revanchierte: "Gute Geschäfte noch."
An der Garderobe, die noch vor der Kasse der Disko war, gab er seine leichte Cordjacke ab und nahm gleich ein Bier von dort mit. Was er an dieser Disko mochte, war das Publikum, weil es älter war, und er sich hier mit seinen fast 31 Jahren nicht deplaziert fühlte. Wie jeden Freitag war der kleine Laden übervoll. Schon vor der Kasse hatte er Schwierigkeiten, ungehindert voran zu kommen. Nach der Kasse dann musste er einem riesigen, bärtigen Kerl Platz machen. Jean-Paul kam gar nicht erst in die Verlegenheit, auf Konfrontation zu gehen und ein Wegerecht für sich zu fordern und womöglich gar durchzusetzen. Die pure Masse gab dem Riesen recht und das wusste der auch. Und so wich Jean-Paul hinter einen Pfeiler aus und musste dann auch noch einige Typen, die sich in den Windschatten des Vollbartträgers gehängt hatten, vorbeilassen, bevor er wieder hinter dem Pfeiler hervortreten konnte. Als er gerade die ersten Schritte wieder vorwärts gekommen war, sah er, wie eine Frau ihm entgegen kam und er ließ auch ihr Raum, indem er sich soweit es möglich war an die Seite des Ganges, in dem links und rechts welche standen, stellte, eine andere Möglichkeit, ihr Platz zu machen, gab es nicht. Dabei war Jean-Paul penibel darauf bedacht, dass sie an ihm vorbeikommen konnte, ohne ihn berühren zu müssen. Es war nicht seine Art, ein Gedränge zu plumpen Annäherungsversuchen auszunutzen. Seine ganze Rücksichtnahme aber half nichts, denn die Frau erhielt einen Schubs und stolperte direkt in ihn hinein.
"Entschuldigung", sagte sie und machte einen genervten Gesichtsausdruck in die Richtung, wo der Schubs hergekommen sein musste, um deutlich zu machen, dass sie nicht freiwillig in seinen Armen gelandet war.
"Macht gar nichts", sagte er leise. Er unternahm bei der lauten Musik gar nicht erst den Versuch, dass sie ihn wirklich hören konnte. Er deutete die Worte nur mit den Lippen an und lächelte unaufdringlich, damit die junge Frau, auch wenn sie nicht gut in Lippenlesen war, was er nicht ernsthaft erwartete, sein Wohlwollen in jedem Fall erkennen könnte.
Der Weg zu seinem Ziel, der Tanzfläche, war nun für einige Meter ohne Hindernis und er machte drei schnelle Schritte, um diesen Raum zu nutzen und kam abermals zum Stehen. Er war an dem Engpass angekommen, der durch die Leute, die an der Kasse des Tresens auf ihre Getränkebestellungen warteten, verursacht wurde. Es führte von hier aus kein anderer Weg zur Tanzfläche, und da wollte Jean-Paul nun mal hin. Ganz genau beobachtete er den Menschenstrom, der ihm entgegen kam und sich durch dieses Nadelöhr schlängelte. Es galt einen günstigen Moment abzupassen, um eine Chance zum Fortkommen zu erhalten. Gerade als er sich zu seinem Vorstoß entschlossen hatte, kam ein Abräumer mit einem Tablett voll leerer Gläser und Flaschen und quetschte sich zum Tresen vor, so dass die Menschentraube sich umgruppierte und Jean-Paul nun, ohne dass er es nachvollziehen konnte, fast exakt in der Mitte stand und jetzt gänzlich ohne Handlungsspielraum war, er konnte sich weder vor noch zurück bewegen. Jean-Paul und die um ihn Herumstehenden warteten geduldig Schweißkörper an Schweißkörper ohne eine Spur von Aggression. Menschen in einer Disko scheinen ihre Berührungsängste zu verlieren, dachte er. Aber weil Jean-Paul sich auskannte und wusste, dass die Situation sich urplötzlich verändern konnte, hielt er weiter konzentriert Ausschau nach einer Möglichkeit, sich so schnell wie möglich aus dieser Zwangslage zu befreien.
Dabei ging es ihm gar nicht mal darum, der Enge zu entfliehen, die machte ihm für kurze Zeit nichts aus, hauptsächlich wollte er nicht nochmals nachgeben müssen. Wenn sich eine Lücke bot, wollte er sie als erster nutzen und die anderen, die ihm entgegen kamen, sollten warten müssen. Kann ja sein, dass das nicht dem Prinzip der Nächstenliebe entspricht, dachte er, kann ja sein, dass Nachgeben auch ein Zeichen von Stärke ist, dachte er weiter, vielleicht ist es auch gar nicht wichtig, respektiert zu werden, jetzt und hier aber will ich es. Und, Jean-Paul entdeckte eine Lücke und stieß mit Entschlossenheit durch sie hindurch. Hierzu zwängte er sich rechts, da wo die Tanzfläche lag, zwischen zwei ganz jungen Mädchen hindurch, die so gar nicht dem Altersschnitt hier entsprachen und wohl gemeinsam das Nachtleben erkundeten. Nein, ich war nicht unhöflich, sagte er gedanklich zu sich, die Lücke, die sie gelassen hatten, war groß genug, überlegte Jean-Paul noch, während er schon sein letztes Hindernis einzuschätzen versuchte, das sich dann unverhofft seiner Entschlossenheit fast widerstandslos beugte. Es war ein junger Mann, der so unsicher war und sich so Fehl am Platz fühlte, dass er Jean-Paul ohne Gegenwehr eher schon mit der Körpersprache dazu einladend, so interpretierte es Jean-Paul einfach mal, vorbeiziehen ließ.
Nun stand er, schneller als er es erhoffen konnte, direkt an der gut gefüllten Tanzfläche, die eingerahmt war durch an Pfeilern befestigte Bretter, die als Ablage für Getränke dienten. Diese Ablageflächen waren auch gleichzeitig ein Absperrung, hinter der die Leute um die Tanzfläche herum standen. Auf einer Seite war ein kleines Podest, auf dem Tische und Stühle standen, die alle besetzt waren. Und Jean-Paul hatte einen der besten Plätze an der Tanzfläche eingenommen, wie er fand. Seine Rückseite war geschützt durch einen Pfeiler, so dass er keinen Druck von hinten bekommen konnte, und schräg hinter ihm hatte sich der junge Mann plaziert, der ihm nicht in die Quere kommen würde. Wenn er das vorhätte, dann hätte er mich nicht vorbeiziehen lassen, dachte Jean-Paul. Sein Körpergewicht entzog er ein wenig der Schwerkraft, indem er sich mit seiner linken Schulter an den Pfeiler lehnte. Dabei belastete er nur ein Bein, das andere ließ er tun, was es wollte. Er musste jetzt nur noch darauf achten, dass keiner der Tänzer ihm auf dem Fuß tritt. Seinen gelungen Auftakt hier in dieser kleinen Disko feierte er, indem er seinen ersten Schluck aus der gut gekühlten Becksflasche nahm. Gleich mit seinem ersten Blick entdeckte er eine Tänzerin, die ihm gut gefiel.
"Hallo, warst Du nicht vorhin auch bei Anne auf der Party?" hörte er unvermittelt eine laute Stimme fragen.
Jean-Paul erkannte dieses durchdringende Organ sofort und zuckte zusammen, als er es vernahm. Es war eine von den stämmigen Frauen, die der Grund waren, warum er bei Anne abgehauen war. Als er nach rechts schaute, sah er auch noch die andere, wie sie gerade versuchte, ihren Körper halbwegs elegant zur Musik zu bewegen und dabei zu ihm rüberwinkte.
"Die Party war so langweilig", erklärte sie. Sie stand jetzt direkt neben ihm und kaute ihm fast das Ohr ab. "Da haben wir uns entschieden, hier noch mal reinzuschauen."
"Gute Idee", sagte er und er wusste, dass dieser Abend gelaufen war. Was war bloß aus der vielgerühmten Sensibilität der Frauen geworden?

 

Hi, die Geschichte gefällt mir. Erst habe ich mich gefragt, warum du so akribisch das Geschehen in der Disko beschreibst, bis dann, endlich, die beiden auen auftauchen. Der Kreis hat sich also wieder geschlossen.
Mich stört ein bißchen die ständige Nennung vom Namen(Jean Paul). Der Leser weiß doch längst wie er heißt und muß nicht dauernd daran erinnert werden. Das ist aber rein subjektiv, vielleicht geht das anderen Lesern nicht so. Freu mich auf deine nächste Geschichte.
Gruß

 

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