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Ein göttliches Familiengeheimnis
Jupiter, der alte Schwerenöter und Herrscher des Olymp, hüpfte eines Tages fröhlich durch die Galaxis auf der Suche nach neuen Abenteuern. Das All war leerer, als er vermutet hatte und so freute er sich sehr, als er einem seltsamen Fabelwesen dreihunderttausend Meilen vom Mars entfernt begegnete. Das Gespräch mit diesem Wesen gestaltete sich für Jupiter unerwartet schwierig, es grunzte und blökte nur vor sich hin. Für Jupiter kein Problem, im Nu hatte er sich selbst in ein ähnliches Fabelwesen verwandelt und erfasste, was das andere ihm mitteilen wollte. Es langweilte ihn aber bald, immerzu sprach es: Wer bist du nur, du schöner Geselle. Ich möchte Dein krauses Haar mit Sonnenstaub noch krauseliger machen. Nicht nötig, dachte Jupiter, ist doch schon kraus genug. Er antwortete nicht, das Wesen ekelte ihn ein bisschen an, es roch unangenehm nach Marsmausstaub. Jupiter wandte sich ab und hüpfte in die nächste Milchstraße. Aber das Wesen war von Liebe und Leidenschaft entbrannt und folgte ihm, immer wieder dieselben Sätze blökend. Jupiter war inzwischen genervt und schleuderte seine mächtigen Pfeile gegen den Verfolger, aber die Pfeile verfehlten ihre Wirkung. Dann ließ er einen Feuerregen niederprasseln, aber auch der war völlig zwecklos, die Flammen verflüchtigten sich in alle Richtungen. Er hatte kurzzeitig vergessen, dass er im All war und dass dort keine Schwerkraft herrschte. Wie blöd, dachte der Herrscher des Olymp. Das Fabelwesen kam ihm immer näher, es stank entsetzlich, und da erwischte es endlich Jupiters linke Wade. Jupiter sträubte sich mit all seiner Kraft. Er zappelte und schlug um sich. Wenn ihn jetzt jemand aus dem Olymp sehen würde, wie peinlich wäre das. Ein Autoritätsverlust ohnegleichen. Plötzlich hatte sich das Wesen in einen zweiten Jupiter verwandelt, es benutzt meine Tricks, dachte der echte Jupiter und Panik überkam ihn wie eine Kuh beim Gebrüll des Hirtengottes. Und diese Panik steigerte sich noch, als er bemerkte, dass der zweite trotz seiner Verwandlung immer entsetzlicher nach Marsmausstaub stank. Das Wesen nutzte geschickt den Überraschungsmoment und umhüllte den um sich schlagenden Jupiter mit seinem krausen Haar, das deutlich länger als das echte Jupiterhaar war. Jupiters Widerstand war zwecklos. Ich habe Dir nichts getan, jammerte er. Ich bin nur so im All herumspaziert. Nimm endlich dein Maul von mir. Doch das Fabelwesen wiederholte nur seine zwei Sätze: Wer bist du nur, du schöner Geselle. Ich möchte Dein krauses Haar mit Sonnenstaub noch krauseliger machen. Dabei schlabberte es den Herrscher des Olymp ab wie ein liebestoller Bernhardiner. Jupiters Ekel war unbeschreiblich. Und dann biß das Monster seinen linken kleinen Finger ab. Einen solchen Schmerz hatte der Herrscher des Olymp noch nie gespürt. Er schrie wie wild, aber niemand hörte ihn. Schließlich ließ das Fabelwesen von ihm ab und verschwand in der Galaxis. Jupiter schämte sich, wie damals Callisto sich geschämt haben musste. Callisto, die schöne Nymphe, die sich gegen seine Umarmung heftig gewehrt hatte. Wie berauscht war er damals! Wie mächtig hatte er sich gefühlt! Und wie elend ging es ihm jetzt! Ich Armer! Er ließ den Gedanken fallen, die Erinnerung an Callisto wollte ihm keinen Trost geben. Seine Hand schmerzte weiterhin fürchterlich und obendrein roch sie widerwärtig. All seine Zauberkünste und all seine List verwandte er nun darauf, den linken kleinen Finger wiederherzustellen. Und nun kam noch die Angst vor seiner Gemahlin dazu. Wie würde sie auf neun Finger reagieren! Zehn Finger, das war eine unumstößliche Norm, seit Götter Gedenken. Der Herrscher des Olymp ohne linken Finger. Das wäre eine Schande für die gesamte Götterfamilie, niemand mehr könnte ihn achten, wie es ihm gebührte. Neptun würde so laut lachen, und dabei die Meere erbeben lassen. Unvorstellbar. Jupiter zitterte am ganzen Leib, er schwitzte, sein Kreislauf spielte verrückt. Mal war sein altes Göttergesicht blau, das Atmen fiel ihm schwer, mal rötete sich sein Gesicht vor Scham. Aber all seine Zauberkünste versagten, es gelang ihm nicht den schönen linken Finger wiederherzustellen und er kehrte mit nur neun Fingern zur Erde zurück. Juno merkte sofort, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Sein Gang war ungewohnt unsicher. Sie erblickte seine Hände und schrie ihn an. Was ist mit deinem linken Finger passiert? Willst Du Dich über mich lustig machen? Stimmt es wirklich, was die Wolken mir gestern zugeflüstert haben? Du hast Dir den linken Finger von einem Marsmonster abbeißen lassen? Was für eine Frechheit! Du traust Dich, so vor mich zu treten und eine solche Schande über die ganze Familie zu bringen. Verschwinde sofort und verstecke Dich fortan in den schwarzen Löchern des Alls, Du Nichtswürdiger. Zeus blieb keine Wahl, er verschwand und wurde seither nicht mehr gesehen. Manche behaupten, er hätte sich vor lauter Scham in eine Fruchtfliege verwandelt.
So wurde also der Göttervater vom Thron gestürzt. Lange war diese Geschichte ein strenges Geheimnis.