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Ein furchtbarer Tag

Seniors
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24.08.2003
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Ein furchtbarer Tag

Ich stehe morgens auf. Das tue ich immer.
Aber an diesem Tag ist es anders als sonst. Ich habe einen Kater von dem ganzen Wein gestern Abend. Meine Zunge ist pelzig, und in meinem Kopf sitzt ein kleiner Gnom, der geduldig einen Schraubenzieher in meinen Hirnstamm bohrt.
Ich versuche also, meine Augen zu öffnen. Ich wundere mich kurz, warum da schwarze Striche vor der Welt sind, und stelle nach intensivem Nachdenken fest, dass es meine Wimpern sind.
Ich taumele ins Badezimmer und stoße mir die Hüfte am metallenen Treppengeländer. Schmerzwellen schießen durch meinen Unterkörper und verbünden sich fröhlich mit denen in meinem Kopf. Sie feiern zusammen eine Party.
Niemand sollte am Tag nach Mittsommer so früh wach sein! Und schon gar nicht, wenn er diesen Mittsommer Geburtstag hat.
Ich erinnere mich schemenhaft an Flaschen mit goldgelbem Inhalt. Meine größte Schwäche in dieser Welt ist die Zuneigung zum süßen Honigwein.
Der kleine, hässliche Gnom in meinem Kopf geht nicht weg, auch nicht, als ich einen halben Liter eiskaltes Wasser darüberschütte. Meine Augen sind immer noch nicht auf, also schminke ich sie, wenn sie sowieso schon geschlossen sind.
Natürlich rutsche ich mit dem Kajalstift ab und piekse mich in den Augenwinkel. Au, das tut weh!
Aber auch dieser Schmerz vermag mich nicht zu wecken.
Als ich schon halb die Treppe runter bin, fällt mir auf, dass ich vergessen habe, mich anzuziehen. Also wanke ich die Treppe wieder herauf und schlüpfe in einige Kleider, die ich mir in weiser Vorraussicht schon am gestrigen Morgen zurechtgelegt hatte.
Ich hatte natürlich nicht daran gedacht, die Hose so herum hinzulegen, dass sich der Knopf vorne befindet. Also wieder raus mit den Beinen, und die Hose anders herum noch mal angezogen.
Dieses Mal taumele ich voll angezogen zur Treppe. Ich schwanke auf sie zu, stolpere über irgendetwas Schreiendes und falle kopfüber die letzten Stufen entlang.
Unten angekommen, bleibe ich erst einmal liegen. Ich hoffe, ich habe mir mindestens das Genick gebrochen, sonst geht dieser verdammte Tag noch weiter!
Meine Mutter kommt angelaufen. "Schatz, hast du dir was getan?"
Ich stelle mich tot. Sie kniet sich neben mich und fühlt den Puls am Hals, versucht es dann noch einmal am Handgelenk.
Ich öffne das rechte Auge und sehe direkt auf die Katze. Sie guckt mich traurig an.
"Bnchbrdchgstlprtktz?" frage ich.
Die Katze guckt noch viel trauriger.
"Tschldgng" knurre ich und stelle mich weiter tot.
Aber meine Mutter muss irgendwie mitgekriegt haben, dass ich noch lebe. Manchmal ist sie schlauer als ich.
"Jetzt komm, raff dich auf und iss dein Frühstück!"
Essen? Mein Gott, allein bei dem Gedanken wird mir schlecht.
Der Kobold mit dem Schraubenzieher benutzt ihn als Haltestange, als ich mich aufsetze. Eine Schmerzwelle schießt durch meinen Kopf, als das Gewicht des kleinen Viechs ihn tiefer in mein armes Gehirn treibt.
Meine Mutter zerrt mich am Ärmel in die Küche und plaziert mich auf einem Stuhl.
"Wie lange warst du auf der Party gestern?" fragt sie streng.
"Bsngfrfnfrmrgns" sage ich stolz.
"Bis fünf Uhr morgens?" fragt sie entsetzt.
"Chhbgbrtstgvrdmmt!" Sämtliche Vokale scheinen aus meinem Wortschatz verschwunden zu sein.
"Wllkff"
Sie stellt mir eine Kaffeetasse hin, deren Inhalt ich mir frontal ins Gesicht schütte. Der Kaffee ist schon kalt, aber das hilft auch nichts.
"Dein Pullover! Du musst dir wohl etwas anderes anziehen!"
Ich stehe auf, wobei der Stuhl umfällt, und wanke die Treppe wieder hoch. Oben stolpere ich noch über einen Stuhl und über meinen kleinen, angeheirateten Halbbruder.
Letzteres Hindernis ist zu schwer, um es umzurennen. Mein kleiner, schmächtiger und ziemlich hässlicher Bruder klatscht gegen die Wand, und ich lande frontal auf dem Fußboden. Der Fußboden ist ziemlich hart.
Mein kleiner Bruder redet irgendwie auf mich ein. Ich ignoriere ihn und kuschele mich an den Fußboden.
Irgendwie hat der Gnom wohl einen fatalen Fehler gemacht, denn plötzlich ist mir furchtbar schlecht.
Ich will aber nicht kotzen!
Ich stehe wieder auf, lasse den kleinen Bruder an der Wand kleben und gehe in mein Zimmer. Dort ziehe ich den Pullover mit dem Kaffeefleck aus.
Das plötzliche Brennen auf meiner Haut verrät mir, dass der Kaffee doch nicht ganz so kalt war, wie er mir vorgekommen ist.
Spontat gehe ich zur Tür und drehe mehrmals den Schlüssel herum. Dann gehe ich zurück zum Bett und ziehe mir die Decke über den Kopf.

Und in allerschönster Regelmäßigkeit höre ich draußen die Stimme meiner Mutter, die sich darüber beschwert, dass Kinder auch mit neununddreißig Jahren noch genauso kindisch sind wie mit zehn.

 

Hallo vita,
bei deiner Geschichte habe ich mehrmals laut gelacht. Ich war zwar noch nie betrunken oder hatte einen Kater, aber nach deiner Beschreibung kann ich es mir gut vorstellen. Besonders gut fand ich den kleinen Kobold mit dem Schraubenzieher.
Bei dem Kajalstift war ich ganz überrascht, dass es sich offensichtlich um ein Mädchen oder eine junge Frau handelt, ich hatte mir die ganze Zeit einen jungen Mann vorgestellt. Den letzten Abschnitt mit dem explodierenden Prozessor usw. hättest du dir sparen können, es passt nicht so richtig. Und mit dem Hinweis "Schule gehen" hast du die Leser bewusst hinters Licht geführt, oder ist dein Protagonist Lehrer?
Aber bei aller Kritik, ich fand deine Geschichte gut!
Herzliche Grüße! Marion

 

lehrerin, ja :) und wohnt bei ihrer mutter
das sollte man da aber eigentlich rauslesen können

 

Hallo vita!
Diese Story ist wirklich super - mit einer Einschränkung: Wie Marion schon sagte, solltest Du die letzten beiden "Gags" herausnehmen, sie passen so überhaupt nicht zu den anderen, letztlich durch den Suff selbst verschuldeten Missgeschicken - es sei denn, der Prozessor hielt die "Fahne" nicht aus ;)

Lass halt z.B. die Mutter an der verschlossenen Tür rütteln und dann ihren wiederum für die Geschichte wichtigen letzten Satz bringen ...

Ansonsten kann ich nur mit der Protagonistin fühlen, es erinnert mich irgendwie an den jeweiligen Tag nach unseren Lübecker Studentenfeten ... *aua* ... vor allem, als der Gnom sich an seinem Schraubenzieher festhielt beim Aufstehen, musste ich spontan denken "Ach daher kam das damals" *ggg*

so long
SaltyCat

 

Moin vita,

Du hast den Kater der jungen Frau ganz gut und auch recht pointiert beschrieben, insofern hat mich dein Text gut unterhalten.
Das Problem ist nur, daß es solche Texte (Kater nach Party) wirklich zuhauf gibt und deiner sich abgesehen von der Pointe in nichts von ihnen unterscheidet. Du hast sämtliche Klischees benutzt (Kaffe verschütten, gegen Möbel rennen etc) und bringst eigentlich kaum neue Aspekte. Daher war dein Text zwar recht unterhaltsam, aber mMn leider nichts besonderes.

Ich hoffe, ich habe mir mindestens das Genick gebrochen, sonst schicken die mich allen Ernstes noch zur Schule.
Das gibt in Zusammenhang mit dem letzten Satz keinen rechten Sinn. Entweder, deine Protagonistin ist ziemlich oft sitzen geblieben oder Lehrerin. Beides wird nicht aus dem Text ersichtlich.
Das Problem ist, sobald du andeutest, daß sie Lehrerin ist, fällt die Pointe flach, da die Überraschung fehlt. Darum würde ich vorschlagen, auf den Beruf zu verzichten und diesen Satz einfach zu streichen.

Letzteres Hindernis ist zu schwer, um es umzurennen. Mein kleiner hässlicher Bruder klatscht gegen die Wand
Versteh ich nicht.
Der Bruder ist zu schwer, um umgerannt zu werden, aber leicht genug, um gegen die Wand getreten zu werden? Irgendwie wirkt dieser Satz auf mich nicht stimmig.

 

Hallo Vita,

deine Geschichte hat mir recht gut gefallen. Sie ist stilistisch relativ sauber, hat witzige Stellen und einige treffende Formulierungen/Metaphern. Laut lachen konnte ich allerdings nicht, was nicht einmal so sehr an dem schon ein wenig in die Jahre gekommenen Thema liegt, sondern einfach nur an meinem Geschmack für Humor.

Detailanmerkungen:

Meine Zunge ist pelzig, und in meinem Kopf sitzt ein kleiner Gnom, der geduldig einen Schraubenzieher in meinen Hirnstamm bohrt.
Der handwerkelnde Gnom hat mir gefallen.

Ich versuche also... Ich wundere mich... Ich taumele...
Diese drei aufeinanderfolgenden Sätze sind durch den Satzbau etwas eintönig. Vielleicht stellst du zumindest den mittleren etwas um oder formulierst ihn anders.

Schmerzwellen schießen durch meinen Unterkörper und verbünden sich fröhlich mit denen in meinem Kopf. Sie feiern zusammen eine Party.
:D

Der Pelz in meinem Kopf geht nicht weg, auch nicht, als ich einen halben Liter eiskaltes Wasser darüberschütte.
:eek:
Eine pelzige Zunge kenne ich, aber ein Pelz gleich im ganzen Schädel wäre mir neu. Ich fände es besser und eigentlich auch zwingend, wenn hier der Gnom mit dem Wasser zum Teufel gejagt werden soll.

Dieses Mal taumele ich voll angezogen zur Treppe. Ich fange an sie herunterzuwanken, stolpere über irgendetwas Schreiendes und falle sie kopfüber hinunter.
Hin und wieder gerät deine Schreibe allzu berichtend. Die Formulierung „Ich fange an...“ ist überflüssig genau, ein herzhaftes „Ich wanke sie hinunter...“ reicht vollkommen. Zudem würde ich das zweite „sie“ löschen und eher etwas in Richtung „... und falle die letzten Stufen kopfüber hinunter/hinab...“ schreiben.

Ich stelle mich tot. Sie kniet sich neben mich und fühlt den Puls am Hals, versucht es dann noch einmal am Handgelenk.
Ich öffne das rechte Auge und sehe direkt auf die Katze. Sie guckt mich traurig an.

Wieder eine Stelle, die mir ins Auge gefallen ist. Etwas abwechslungsreichere Satzanfänge würden die Zeilen „geschmeidiger“ machen. So klingt es arg berichtend, nicht so sehr erzählend.

"Bnchbrdchgstlpertktz?" frage ich.
Die Katze guckt noch viel trauriger.
:lol:
Das fand ich wirklich witzig!
Mir ist nur der schnuckelige Vokal aufgefallen, der sich da so verschmitzt an die Konsonanten kuschelt, und wenn ich dich recht verstanden habe, müßtest du da noch mal auf die „Entf“-Taste kloppen.

Ich ignoriere ihn und kuschele mich an den Fußboden.
Solche Formulierungen finde ich klasse. :thumbsup:

Spontat gehe ich zur Tür...
Spontan

Gruß,
Somebody

 

Hallo vita

Es ist zwar schon ein paar Jährchen her, seit ich den letzten Kater hatte, aber deine Story hat ihn mir schmerzlichst in Erinnerung gerufen.:mad:

Die Geschichte ist voll aus dem Leben gegriffen und ich versuche mir gerade vorzustellen, wie ein kleiner Bruder aussieht, der an der Wand klebt...
:D :D :D

...einfach wunderbar!!

Gruss, Michel

 

Ich weiss, dass es über dieses Thema schon etwa fünfzig Milliarden KGs gibt! Man muss doch nicht immer gleich das Rad neu erfinden, oder?

 

Ich nehme an, damit meinst du mich (bin der einzige, der das Thema angeschnitten hat).

Nein, neu erfinden muß man das Rad auf keinen Fall. Es ist völlig in Ordnung, auch über "abgegriffene" Themen zu schreiben (mache ich selbst ja auch - macht jeder).
Ich wollte dich damit auch gar nicht kritisieren. Deine Geschichte hat mir ja ganz gut gefallen - stilistisch und vom Humor her. Ich hätte sie aber vermutlich noch besser gefunden, wenn ich nicht schon ziemlich viele Texte diesen Themas gelesen hätte. Mehr habe ich damit gar nicht sagen wollen.

Kein Grund, pikiert zu reagieren - freu dich lieber, daß sich alle deine Leser hier unterhalten gefühlt und dir gute Tips gegeben haben :anstoss:

 

sorry, der Beitrag musste schnell gehen...
Und wenn irgendjemand über die Geschichte gelacht hat, dann war es die Sache wert!
(Das nächste Mal schreibe ich nicht in der Schulpause, versprochen!)

 

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