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Ein Freundschaftsdienst
Works war in Eile.
Er war kein Mann, der schnell in Panik verfiel, der Anwalt war bekannt als ruhiger und ausgeglichener Zeitgenosse. Übereiltes Handeln oder hektische Betriebsamkeit waren ihm fremd. Und doch raste er mit 120 Stundenkilometer über eine Landstraße bei erlaubten 80. Er schaltete hastig und die wenigen Fahrzeuge, die er in dieser nachtschwarzen Dunkelheit auf seinem Weg traf, überholte er in hohem Tempo.
Er war Anwalt der Familie Valentin – Arthur und seiner reizenden Frau Becky. Arthur seinerseits war Inhaber einer sehr gut laufenden Firma, die sich auf den Im- und Export von Kleidung spezialisiert hatte. Dass der Betrieb so florierte, das war auch ein Verdienst von Victor Works. Er war zu Valentin gekommen, da befand sich die Firma in einer schwierigen Lage. Arthur Valentin hatte einen Prozess am Hals wegen Umgehens von Zollbeschränkungen. Und es hatte ganz und gar nicht gut ausgesehen damals. Zwar war die Handlungsweise Valentins gang und gäbe zu der Zeit, doch sie war illegal und die Justiz hatte vor, an ihm ein Exempel zu statuieren.
Works holte ihn mit Pauken und Trompeten heraus und sorgte durch den Medienrummel, den er verursachte sogar noch für einen kostenlosen Batzen Werbung.
Valentin war begeistert. Er engagierte den jungen Anwalt auf der Stelle für ein ordentliches Sümmchen Jahresgehalt als Familienanwalt und hatte seitdem keinen Anlass, diesen Schritt auch nur einmal zu bereuen. Umgekehrt war es ebenso, Works war zufrieden mit seiner Arbeit und die beiden Männer waren schon seit einigen Jahren befreundet.
Works musste abbremsen. Aus der Finsternis kam ihm ein Wagen entgegen, der es mindestens ebenso eilig hatte wie er selbst. Er sah ihn schon von ferne kommen, denn es war eine ebene Landschaft, die er durchfuhr. Als das Fahrzeug ihn blendete und trotzdem nicht auf Abblendlicht umschaltete, trat Works ein wenig auf das Bremspedal. Ohne sich um sein Gegenüber zu scheren, fuhr der Wagen noch immer stur mit eingeschalteten Scheinwerfern und Works gab Lichthupe, während er immer langsamer fuhr. Endlich bemerkte der andere seinen Fehler und blendete ab. Works beschleunigte und merkte erst jetzt, dass er zitterte.
Es war keine acht Stunden her, da hatte ihn der Anruf erreicht. Der Anruf, dessentwegen er so in Aufruhr war. Er hatte gearbeitet in seinem Büro in der Villa Valentins. Schon als das Telefon klingelte, hatte er ein ungutes Gefühl gehabt. Und als er diese Stimme gehört hatte, diese blecherne gruslige Stimme, da wusste er, dass ein Unglück geschehen war.
Arthur Valentin sei entführt worden, teilte ihm die Stimme tonlos mit. Es gehe ihm gut, sein Zustand sei den Umständen entsprechend.
Die Entführer verlangten eine Summe in gebrauchten, nicht nummerierten Scheinen. Keine Polizei, betonte die Stimme, sonst sei sein Arbeitgeber sofort tot. Er solle das Geld besorgen und auf weitere Anweisungen am Nachmittag warten.
Works war vollkommen aufgelöst gewesen. Sein Arbeitgeber und Freund befand sich in Lebensgefahr.
Er berichtete Becky Valentin von dem Anruf.
Mit ihr hatte er seit etwa einem Jahr ein Verhältnis. Ohne es zu wollen war er in diese Affäre geschliddert und er hatte vor, die Beziehung zu ihr zu lösen. Er wollte es ihr in den nächsten Tagen beichten. Er hätte Schluss gemacht, sie hätten sich im guten getrennt. Doch er glaubte, sie ahnte schon etwas und wüsste, was er vorhatte.
Dann kam diese Entführung dazwischen. Auch Becky Valentin war entsetzt. Natürlich ließ Victor nichts von seiner Absicht verlauten, Becky zu verlassen. Vielmehr tröstete er sie und versuchte sie wieder aufzurichten.
Beide waren sich darin einig, den Entführern zu folgen und die Polizei auf gar keinen Fall hinzuzuziehen. Sie würden alles dafür tun, Arthur Valentin lebendig und gesund zurückzuerhalten.
Die größte Schwierigkeit bestand darin in der kurzen Zeit so viel Geld zu besorgen. Es war eine nicht eben kleine Summe, und ohne Verdacht zu erregen soviel abzuheben, dazu bedurfte es eine Menge Geschick. Doch es gelang ihnen.
Als die Stimme am Nachmittag nochmals anrief, hatten sie das erforderliche Kleingeld beisammen. Diesmal wollte die Stimme Becky sprechen und fragte sie, ob sie das Geld hätten. Als Becky bejahte, verlangte sie wieder Victor an den Apparat. Ihm teilte der Entführer mit was sie weiter zu tun hätten.
Es war jetzt kurz vor Mitternacht und er musste nahe seinem Ziel sein. Eine Anhöhe, darauf ein Motel, hatte die Stimme gesagt, dort würde er an der Rezeption neue Anweisungen erhalten.
Er war mittlerweile knapp 500 Kilometer am Stück gefahren, und nun wurde er langsam müde. Er würde es sich nie verzeihen können, wenn er zu spät zu dem Treffpunkt käme. Würde seinem Arbeitgeber etwas zustoßen, ihn würde die Schuld treffen. Er, der beste Freund hätte ihn dann auf dem Gewissen.
Er gab noch etwas Gas und sprach sich Mut zu. Er musste es schaffen, schon um Beckys Willen. Er hatte nie vorgehabt, die Ehe der beiden in Gefahr zu bringen. Noch heute schalt er sich einen Narren, weil er dieses Verhältnis begonnen hatte. Er nahm sich vor, sobald diese Sache ausgestanden war, mit Arthur Valentin zu reden und klar Schiff zu machen. Er würde ihm alles sagen und dann sollte sein Freund entscheiden, was passierte. Hauptsache, es herrschte Klarheit zwischen ihnen.
Solcherart erleichtert und der guten Vorsätze voll, fuhr Victor Works ein wenig lockerer die letzten Kilometer zu dem vereinbarten Treffpunkt.
Es war weit nach 1 Uhr als er dort ankam und es herrschte Totenstille auf dem Gelände des Motels. Works war hier schon einige Male vorbeigekommen, hatte sich aber nie sonderlich für diese Absteige interessiert.
Die Rezeption war noch besetzt, obwohl er vier Mal mit Nachdruck klingeln musste, bis jemand kam. Ein verschlafener alter Mann mit einem Schnauzer und Nickelbrille kam aus dem Hinterzimmer geschlurft,
„Ist eine Nachricht für mich hinterlassen worden“, fragte Works ohne Gruß.
„Häh?“ Der Portier verstand nicht. „Ich dachte, sie wollen ein Zimmer.“
„Eine Nachricht“, setzte Works ungeduldig nach, „eine Nachricht für Works.“
„Ah.“ Der Name schien dem alten Mann etwas zu sagen, denn sein Gesicht hellte sich auf.
Die Nachricht für Works lautete schlicht, er solle sich in Bungalow 8 melden, egal wie spät es sei. Er dankte dem Portier, holte den Koffer mit dem Geld aus dem Wagen und ging hinüber zu Bungalow 8.
Er klopfte und fast augenblicklich folgte das „Herein!“
Er trat ein und musste blinzeln, denn in dem Bungalow war es fast stockfinster. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, ertönte eine Stimme, eine ihm bekannte Stimme:
„Mein lieber, guter Victor, so schnell bist du gekommen.“
Es war...
„Arthur! Wie geht es dir? Geht es dir gut? Wo sind die Entführer?“
Works sollte glücklich sein, er sollte sich freuen. Doch das tat er nicht und das lag zu einem nicht geringen Anteil an dem, was er sah, als sich seine Augen langsam an das schummrige Licht gewöhnt hatten: Arthur Valentin saß in einem Sessel auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers. Auf einem Beistelltisch neben ihm stand eine Flasche guten Whiskys und ein Glas.
„Du bist frei“, fragte Works unsicher. „Hast du dich befreien können?“
Doch das wirklich verstörende für Victor Works war die Tatsache, dass Valentin eine Pistole in Händen hielt, eine Automatik mit Schalldämpfer.
„Was ist los“, fragte er. „Wozu bin ich herbestellt worden? Das Geld ist in diesem Koffer hier.“
„Das Geld“, meinte Valentin abwinkend. „Das Geld ist absolute Nebensache. Der einzige, um den es geht, bist du, mein lieber Victor.“
„Arthur, was hast du vor?“
Works ahnte, worauf es hinauslaufen würde, und es gefiel ihm ganz und gar nicht.
Valentin nahm einen Schluck Whisky und fuhr fort: „Ich habe mich in diesem Hotel unter einem fremden Namen eingetragen, als ich das Appartement anmietete, trug ich eine Perücke, einen falschen Bart und eine Brille. Alles ganz dezent, versteht sich, doch so, dass man mich auf keinen Fall wiedererkennen wird. Wenn ich in etwa zwanzig Minuten diesen Ort hier verlassen, werde ich dieselbe Verkleidung nutzen. Morgen früh wird man mich finden, also mich, Arthur Valentin, völlig verängstigt und verdreckt. Eben das Entführungsopfer, das aus der Gefangenschaft freigelassen wurde. Die Übergabe wird geklappt haben und ich bin frei.“
„Aber warum das Ganze“, fragte Works, indem er auf Valentin zuging.
„Bleib, wo du bist!“ warnte der ihn mit der Pistole winkend. „Du bist der Schlüssel, ganz allein du! Denkst du, ich schaue mir einfach so an, wie du mit meiner Frau poussierst? Glaubst du, ich lasse mir einfach so Hörner aufsetzen? Und gerade von dir, meinem angeblich besten Freund.“
Langsam hob Valentin die Pistole und zielte damit auf Works. Der wurde unruhig.
„Arthur ich wollte...“, versuchte er sich zu rechtfertigen, doch Valentin winkte ab.
„Morgen früh wird man deine Leiche finden, ein bedauerliches Opfer bei der Geldübergabe in einem Entführungsfall. Ich behalte das Geld, das für mich bezahlt wurde und kassiere obendrein noch die Versicherungssumme. Das Leben kann so schön sein, Victor.“
Works machte einen Satz auf Valentin zu, doch dieser murmelte leise: „Du bist nicht mehr mein Freund“ und drückte ab.
Ein leises Ploppen und Victor Works fiel tödlich getroffen zu Boden.
16.01.02