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Ein Freund
Ein Freund
Erik war schon länger da drin als ich. Sie hatten ihn da rein gesteckt, nachdem sie ihm einen Hirntumor operativ entfernt hatten, und nun kam er sich vor, wie ein Bekloppter, in diesem kleinen Raum, mit den verschlossenen Fenstern und dem harten Bett. Doch er war nicht verrückt, bei ihm lief alles nur ein wenig langsamer, er war bei vollem psychischen Bewusstsein, und er war ein echt cleverer Kerl.
Als ich ihm das erste Mal begegnete, schaute ich ihm nicht ins Gesicht, denn er sah fürchterlich elend aus, und es schmerzte ihn anzusehen, ich war schon immer schwach gewesen, wenn es darum ging, eines anderen Menschen Leid mitanzusehen..
Auf seinem kahlrasierten Kopf, prangte eine riesige hellrote Narbe, und seine Gesichtsfarbe glich der einer Leiche. Er war so dünn, dass es schien, als würde der sanfteste Händedruck seine Knochen zersplittern lassen. Im ersten Moment schüchterte sein Anblick mich ein, doch dieser große, schlaksige, verloren wirkende Riese kam auf mich zu, und begrüßte mich herzlich, und erzählte mir, was ihm widerfahren war.
Er hatte eine selten freundliche Art, war offen, und zeigte auch Verständnis für meine Situation. Die langsame Art, wie er sich bewegte, und die Art wie er sprach, schienen der Grund zu sein, warum ihn die anderen Leute mieden.
Ich hingegen, schätzte seine Fähigkeit mit Menschen zu reden, und sie auch als solche zu behandeln, innerhalb kürzester Zeit wurde mir klar, dass hinter diesem Mitleid, und wohl auch furchterregenden Anblick dieses zerbrechlichen Wesens, ein durch und durch ehrlicher, und herzlicher Mensch steckte.
Doch wenn du in so einen Laden gesteckt wirst, bekommst du unfreiwillig den Stempel „BESCHEUERT“ aufgedrückt, denn es interessiert die Leute draußen nicht, was wirklich in deinem Schädel vorgeht.
Die meiste Zeit saß er einfach im Raum, und wartete bis es Essen oder seine Medikamente gab, immer wieder warf er kurze Blicke auf die viel zu laut tickende Uhr an der kahlen weißen Wand gegenüber seines Bettes. Der ganze Tagesablauf war geplant, es war zutiefst langweilig und zermürbend.
Im Zimmer waren noch drei andere Jungs. Der eine war ein verwöhnter Bonze, der magersüchtig war, der eine war dick, und schwitzte ständig, ich glaube er war klaustrophobisch, und der andere war halt ich, ich bekam öfters Panikattacken, kam mir von uns dreien aber trotzdem als der Normalste vor, da ich irgendwie versuchte das Beste aus der Situation zu machen, und mich nicht abzuschotten.. Meist beschäftigte ich mich nur mit Erik, er mochte genau wie ich das Gitarrespielen, wurde aber so mit Chemie vollgepumpt, dass seine Finger nicht mal einen einfachen Griff hinbekamen, so sehr zitterten sie, und das machte ihn rasend vor Wut.
Ich spielte ihm also öfters was vor, ich glaube ohne Musik wären wir da drinnen eingegangen, und er saß einfach da und hörte zu. Allein die Tatsache, dass er mich verstand, und die gleichen Interessen hatte wie ich, ließ mich die unendlich zu scheinenden Sekunden, Minuten, Tage da drinnen etwas einfacher überstehen. Sein größter Wunsch, war es mal wieder mit einer Frau zu schlafen, oder sich wenigstens einen runterzuholen, doch auch das machte ihm die Chemie in seinem Körper zu Nichte. Also redeten wir halt oft über Frauen und über Sex, und das tat gut, sowohl mir als auch ihm, die anderen im Zimmer unterhielten sich meist über Autos oder Sport, das waren echte Langweiler, das kann ich sagen.
Er zeigte mir ein Foto, von seiner Freundin, die er wohl über alles liebte, doch er war sich sicher und machte sich nichts vor, denn er wusste sie war nicht stark genug, um zu ihm zu halten, sie kam ihn nicht einmal besuchen.
In der ganzen Zeit, machte sich meines Erachtens keine Besserung an Eriks Zustand bemerkbar, er wandelte abends durch die Gänge wie ein Geist, und weinte. Er konnte all die Dinge nicht mehr machen, die er so gerne mochte, und diese Tatsache brachte in ihm einen Selbsthass auf, der ihn zu zerstören schien. Manchmal schlug er sich auf den Kopf, oder auf die Finger, weil er wollte, das beides wieder funktionierte wie zuvor, und ich musste ihn meist davon abhalten, das er sich ernsthaft verletzte.
Dann gaben sie ihm so ein neues Medikament, und es schien zu wirken, seine Hände wurden ruhiger, und einmal rief er mir Abend leise zu „Es klappt, ich glaube es nicht, ich habe einen hochbekommen, ich bin wieder ein verdammter Mann, hörst du?“, und ich freute mich für ihn, das gab seinem Selbstbewusstsein wohl wieder einen Schub nach vorne.
Mit der Zeit und einer großen Menge Medikamente, schien sich Erik wirklich besser zu fühlen, seine Motorik und seine Reaktionsfähigkeit machten Fortschritte, und er schien sich selbst auch wieder positiver gegenüberzustehen.
Aber was, wenn diese Pillen nicht auf Dauer halfen, wenn er Schäden davontragen würde, ich machte mir Sorgen, doch sprach diese nicht vor ihm aus, ich konnte seine Hoffnung nicht zerstören. Doch er war Realist, und wusste selber, dass alles auch wieder den Bach runter gehen könnte, doch im Moment zählte diese Befürchtung für ihn nicht.
Einmal, ein paar Wochen nachdem sie mit der neuen medikamentösen Therapie begonnen hatten, spielte er wieder Gitarre, und er war gut, wenn er auch noch nicht vollständig wieder gesund war. Die Zeit seiner Besserung war ziemlich düster für mich, da ich darunter litt, und mich selber schlechter fühlte. Ich hätte mich freuen sollen, doch im Gegenteil, ich hatte Angst, er würde irgendwann nach Hause gehen dürfen, und mich hier allein zurücklassen.
Umso härter traf es mich, als er mir einen Monat später erzählte, er werde wahrscheinlich entlassen, denn wen hatte ich dann, der mich verstand oder mir zuhörte?. Im ersten Moment,
reagierte ich ziemlich egoistisch, und ich schämte mich dafür, denn ich hätte mich freuen sollen, der Kerl hatte so viel einstecken müssen, und jetzt ging es für ihn endlich bergauf.
Ich umarmte ihn, doch war irgendwie ziemlich traurig, da ich selbst noch keine Hoffnung auf eine Entlassung hatte, und mir die Zeit mit diesen anderen halbtoten Seelen hier drinnen einfach nicht vorstellen konnte.
Dann an einem Montag war es soweit, er konnte nach Hause gehen. Das schien außer mir niemanden zu interessieren, doch die anderen waren eh unwichtig, die verkrochen sich in ihre eigenen kleinen Welten und kapselten sich immer mehr ab, ich schwor mir, nie so zu werden.
Erik verabschiedete sich von den Ärzten, und seine Eltern kamen ihn abholen.
Außer mir, war sonst wohl niemand von den Jungs daran interessiert, ihn zu verabschieden.
Wir machten es kurz, tauschten Adressen aus, und versprachen uns, mal zusammen Musik zu machen. Von beiden Seiten kam ein schlichtes „Danke“, und wir wussten wofür es war, und dass es ausreichte.
Vier Wochen später kam auch ich raus, nachdem ich enorme Fortschritte gemacht hatte, und stellte mich der Außenwelt.
Heute, ein paar Jahre danach, stehe ich nun hier auf einem Konzert von Eriks Band, und genieße die Musik, die er macht. Seine schwarze buschige Mähne wirbelt durch die Luft, während er auf der Bühne mit seiner Gitarre herumspringt, und sie verdeckt die Narbe auf seinem Kopf, und ich weiß nicht, ob ich weiter so gut klarkommen werde, doch ich glaube, Erik ist glücklich.
[ 23.06.2002, 00:06: Beitrag editiert von: Stillsearchin ]