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Ein Freund des Vaters
Die Äste krachten unter ihren Füßen und sie konnte kaum sehen worauf sie trat. Aber Rebecca ließ sich von ihrer Idee nicht abbringen und lockte Daniel unbeirrt immer weiter in den Wald hinein. Nur noch ganz leise hörte sie im Hintergrund die ferne Party, die sie verlassen hatten.
„Ich weiß nich´, Becci, vielleicht sollten wir doch besser zurück.“
„So´n Quatsch! Mach dir mal nich´ in die Hose und komm´ weiter!“, zischte sie zurück.
Rebecca ging forsch voran. Es war zwar Vollmond, aber im dichten Geäst des nächtlichen Waldes konnte sie dennoch nicht viel erkennen. Plötzlich hörte sie irgendeinen Laut und blieb kurz stehen. War das ein Tier? Vielleicht ein Uhu? Keine Ahnung, aber dann war es wieder ruhig und ihre Entschlossenheit kehrte zurück. Sie hatte sich dieses Abenteuer fest für diesen Abend vorgenommen und jetzt zog sie es auch durch. Dazu musste sie nur Daniel immer wieder ermutigen. Na wenn der wüsste, was ihn erwartete.
„Wir sind doch schon längst mitten im Naturschutzgebiet! Hier dürfen wir eigentlich gar nicht hin!“, sagte er vorwurfsvoll.
„Ey, seit wann kümmerst du dich um so´n paar Schilder?“
„Ich mein´ ja nur. Wenn das rauskommt, dürfen wir da nie wieder feiern!“ Seine kindliche Besorgtheit fand sie unglaublich niedlich.
„Ach was. Das kriegt doch keiner mit. Die anderen sind alle am Feiern und Trinken. Niemand hat bemerkt, dass wir weg sind. Außerdem sind wir gleich da!“ Ob Daniel etwas ahnte?
„Was soll´n das sein, was du mir unbedingt zeigen willst? Und woher weißt du denn, dass es da vorne ist? Warst du etwa schon mal hier?“
Nein, Daniel ahnte ganz bestimmt überhaupt nichts.
„Alter, wenn du weiter so viel laberst, dann wird man uns wirklich noch finden und wegen Ruhestörung einbuchten. Wart´s einfach ab, du wirst es schon noch seh´n.“
Wieder ein paar Schritte weiter atmete Rebecca zufrieden durch. Durch die vielen kleinen Äste hindurch konnte sie in ein paar Meter Entfernung das Ziel erkennen.
„Komm jetzt, wir haben es fast geschafft!“
So kurz vor dem Ziel hielt Rebecca nichts mehr. Die letzten Schritte sprang sie durch den Wald und stand schließlich vor einer wunderbaren Aussicht. Ein kleiner See, in dem das Wasser ganz ruhig da lag und auf dem sich der Mond und die Sterne spigelten. Der perfekte Ort für ihr Vorhaben. Jetzt erreichte auch Daniel das Ufer.
„Krasse Aussicht! Ich wusste gar nicht, dass hier noch´n See ist!“, sagte er und Rebecca grinste ihn an. Im Mondschein konnte sie seinen süßen Gesichtsausdruck viel besser sehen.
„Das ist es aber nicht, was ich dir zeigen wollte!“, sagte Rebecca. „Mach deine Augen zu!“
Daniel tat verwundert, was sie wollte und wartete einen Moment.
„Jetzt kannst du sie wieder öffnen!“
„Wow, ich krieg zu viel!“, sagte er, als er Rebecca im Bikini vor sich sah. Sie grinste ihn mit ihren breiten Lippen und großen Augen an.
„Da..Da..Das wolltest du mir zeigen?“, stammelte Daniel und bemerkte, wie süße Aufregung in ihm aufschoss.
„Hab´ ich dir zu viel versprochen!“
„Gar nicht. Nein wirklich nicht!“ Durch die Unsicherheit in seiner Stimme fand Rebecca ihn noch niedlicher.
Sie ging einen Schritt auf den See zu, drehte sich wieder zu ihm um und gab ihm ein Zeichen, er solle folgen.
Er kam auf sie zu: „Ich glaub´, Becci, ich muss dir auch was zeigen!“
Hastig zog er seine Klamotten aus und folgte Rebecca, die schon mit den Füßen im Wasser stand. Es war gar nicht kalt. Sie umarmten und küssten sich. Sie gingen einen Schritt tiefer ins Wasser. Er umtastete ihre weiche Haut, die im fahlen Licht des Mondes aufregend glänzte. Rebecca hatte ihre Augen geschlossen, ergriff Daniels Hände und führte sie an ihrem Körper entlang. Daniel spürte sein Herz schlagen und hatte das Gefühl, es würde gleich aus seiner Brust herausspringen.
Dann plötzlich ein lautes Knacken. Daniel wurde aus der süßen Vorstellung gerissen und fuhr hoch. „Was war das denn?“
Rebecca öffnete die Augen, ärgerlich über diese unnötige Unterbrechung.
„Mann, wir sind mitten im Wald. Da knackt halt mal was! Komm, lass uns weiter machen!“
Aber Daniel war nicht mehr in Stimmung zu kriegen.
„Aber ich höre Stimmen. Da spricht doch wer!“
Beide standen bis zu den Hüften in der flüssigen schwarzen Masse und lauschten. Tatsächlich, jetzt hörte auch Rebecca Stimmen. Von der Party? Nein, die war viel zu weit weg. War ihnen jemand gefolgt?
Daniel ließ Rebecca los und sah in das Dunkel. Auch Rebecca ließ von ihm ab und stützte ihre Arme in die Hüfte.
„Da hinten, was ist das denn?“, fragte Daniel ängstlich und zeigte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Da flogen zwei Lichter durch die Nacht, wie zwei kleine weiße Kugeln. Nein, wie Taschenlampen! Sie fuhren hin und her, wer auch immer sie trug, musste sich den Weg nach und nach freikämpfen.
„Mist!“, sagte Rebecca und ging zurück zum Ufer, wo ihre Klamotten lagen. Kaum waren sie angekommen, kam eines der Lichter am Ufer an und blendete sie.
„Soso, wen haben wir denn da? Darf ich mal fragen, was ihr hier verloren habt?“, sagte eine tiefe Männerstimme.
Die beiden zogen sich in aller Eile an. Das Licht der Taschenlampe blendete sie. Dann stellte sich Rebecca schweigend und mit ernster Miene davor. Daniel machte es ihr nach. Mit den Armen verdeckten sie die Helligkeit. Keiner sagte etwas.
„Dann ist es wohl besser, wenn ihr beide mal mitkommt“, sagte der Mann und ging wieder in die Richtung, von der er gekommen war. Daniel und Rebecca warfen sich einen Blick zu. „So ein blöder Mist!“
Schon von Weitem konnten sie das blaue Licht erkennen, das in regelmäßigen Abständen durch den Wald huschte. Zurück am Grillplatz bestätigte sich ihre stille Vermutung. Zwei Polizeiwagen standen hier und die Beamten redeten mit den Jugendlichen.
„Was ist denn hier los!“, fragte Rebecca und erfuhr im nächsten Moment von einem Freund, dass die Polizei wegen Ruhestörung gekommen war. „Na ja, euch haben wir irgendwie nicht mehr gefunden und dann wurdet ihr gesucht!“, schloss er seine Erklärung ab.
Rebecca und Daniel guckten sich wieder an. Nur weil andere zu laut waren, wurden sie gefunden. Verdammte Idioten.
„Na also für euch beide ist die Party jetzt erst mal vorbei. Wir fahren euch nach Hause“, verkündete der Beamte, der sie am Teich erwischt hatte.
Im Sreifenwagen fuhren sie durch die nächtliche Stadt. „Wir treffen uns nächsten Samstag wieder. Da ist zwar kein Vollmond mehr, aber wir finden schon einen Ort, an dem wir ungestört sind!“, flüsterte Rebecca Daniel zu und der nickte. Dann waren sie bei Rebeccas Haus.
„Ich schaffe das auch alleine!“, sagte Rebecca zu dem Polizisten, als sie aus dem Wagen stiegen und hoffte, so zu vermeiden, dass ihre Eltern die Polizei sahen.
„Ich möchte mich nur vergewissern, dass Ihre Eltern auch zu Hause sind“, sagte er mit ruhiger Stimme.
Nach dem Klingeln wurde es im Haus heller, dann öffnete sich die Tür. Rebecca traute sich kaum, nach oben zu gucken. Als sie es schließlich tat, erkannte sie ihren Vater.
„Sind sie Herr Schuster?“
„Ja, warum?“
„Wir möchten Ihre Tochter nach Hause bringen. Sie hat Ihnen einiges zu erzählen.“
Mit diesen Worten verabschiedete er sich und ging zurück zum Wagen.
„Na dann komm mal rein!“, sagte ihr Vater.
Rebecca ging schweigend an ihm vorbei und flüchtete in die Küche. Nach diesem Schock brauchte sie jetzt erst einmal etwas zu trinken. Sie kam am Wohnzimmer vorbei, in dem ihre Mutter saß. Auch sie hatte ihre Tochter an diesem Abend wohl nicht so früh zurückerwartet. Sie erhob sich aus dem Sofa und folgte ihr in die Küche.
„Was ist denn los?“, fragte sie Rebecca.
„Rebecca ist gerade von einem Streifenwagen nach Hause gebracht worden. Da hat sie uns bestimmt noch ein paar Dinge zu erzählen“, sagte ihr Vater.
Mit einem Glas Cola in der Hand fühlte sie sich schon ein bisschen sicherer. Vielleicht würde die halbe Wahrheit reichen.
„Na ja was soll ich sagen? Wir haben halt da am Grillplatz gefeiert, waren n´bisschen laut und irgend so´n dummer Nachbar hat dann gleich die Bullerei gerufen. Wusste gar nicht, dass da überhaupt Leute wohnen.“
„Das ist ja wirklich eine Frechheit. Die sollen die Jugendlichen doch auch mal ihren Spaß haben lassen. Ich meine, wozu haben wir denn diese Grillhütte, wenn man sie nicht richtig nutzen darf?“, sagte ihre Mutter und Rebecca freute sich, dass ihr Plan aufzugehen schien.
„Ja eben! Und dann gleich zwei Streifenwagen. Na ja, jetzt ist die Party eben vorbei.“
„Na beruhige dich erst einmal. Möchtest du denn noch etwas essen?“ Die fürsorgliche Naivität ihrer Mutter machte Rebecca schon fast wieder wild.
„Nee danke, wir hab´n ganz gut gegessen bevor die Polente kam.“ Sie standen in der übertrieben sauberen Küche, die fast krankenhaussteril zu sein schien. Rebecca fand es ungemütlich. Niemand sagte etwas. Draußen war es stockfinster. Die Fenster waren eine einzige schwarze Fläche, die Rebecca an die Oberfläche des Sees erinnerte.
„Und jetzt fährt die Polizei alle Gäste nach Hause? Das ist ja ein Service“, meinte ihr Vater plötzlich.
„Ja, anscheindend haben die nichts anderes zu tun!“
„Also das glaube ich nicht, Rebecca. Die fahren doch nicht alle Gäste nach Hause, nur weil sie zu laut waren. Ich glaube eher, dass ihr noch mehr ausgeheckt habt als die anderen. Willst du uns nicht sagen, was da wirklich war? Guck dich doch mal an: du bist ja ganz dreckig und nass.“
Jetzt brauchte sie eine schnelle Entscheidung. Aber ihren Eltern von ihrem eigentlichen Plan erzählen? Undenkbar.
„Wir wissen eben wie man feiert. Da war nichts Anderes.“
„Rebecca, wenn man von der Polizei nach Hause gefahren wird, dann hat das seine Gründe.“
„Aber da war nix Anderes! Wir waren einfach nur zu laut. Ihr könnt mir ruhig mal was glauben!“
„Rebecca, wir glauben dir das leider nicht und wenn du uns nicht sagen willst, was wirklich war, dann müssen wir eben entsprechend handeln. Nächstes Wochenende bleibst du zu Hause. Dann sind wir ganz sicher, dass du nichts anstellst!“, entschied ihr Vater.
„Aber Julius, nächstes Wochenende ist doch deine Geburtstagsfeier“, sagte ihre Mutter irritiert.
„Eben darum. Sie scheint ja gerne zu Feiern. Wenn bei uns schon mal etwas los ist, kann sie auch dabei sein!“
Diese typische Kurzschlussentscheidung ihres Vaters führte dazu, dass Rebecca am nächsten Samstag verärgert im heimischen Wohnzimmer saß. Ihre Eltern wuselten durch Wohnzimmer und Küche und waren mit den letzten Vorbereitungen beschäftigt. Eine Mischung aus Wut und Enttäuschung machte sich in ihr breit. Wie könnte sie ihrem Vater die Feier vermiesen?
„Möchtest du dir nicht doch noch etwas anziehen, das mehr zur Feierlichkeit des Abends passt?“, fragte ihre Mutter, aber Rebecca fand, dass eine abgetragene Jeans und ein komplett schwarzes Shirt die Feierlichkeit dieses Abends ganz gut darstellten.
Es klingelte an der Haustür und ihre Eltern sprangen zum Eingang. Rebecca hörte ein paar übertrieben freundliche Stimmen, die sich alle versicherten, wie schön es doch war, dass man sich mal wieder traf. Bei dem Geschleime wurde Rebecca schlecht. Dann kamen die Gestalten ins Wohnzimmer.
„Da ist ja auch die Tochter des Hauses!“, sagte der männliche Gast. „Sie sind doch sicher sehr stolz auf ihren Vater, nicht wahr?“, sagte er, als er ihr die Hand reichte. Die fühlte sich rau an, aber die seiner Begleitung noch mehr. „Ja, der ist wirklich ganz großartig“, gab Rebecca mit finsterer Miene zurück.
„Sie müssen entschuldigen, unsere Tochter ist heute ein bisschen auf Protest aus. Daher auch ihre Kleidung!“, zischte ihre Mutter den Gästen zu. Rebecca stand ganz kurz vor einem Mord.
„Ach das ist doch ganz normal in diesem Alter“, meinte der weibliche Gast. Die vier fingen ein kurzes Gespräch an, es klingelte wieder und wieder und bald war das Wohnzimmer voll mit diesen aalglatten Puppen.
Die einzige Hoffnung, die Rebecca noch blieb, war der Sekt. Ihr Vater hatte ihr zwar verboten – was wollte er ihr eigentlich noch alles verbieten? – davon zu trinken, aber im Getümmel merkte es niemand, wenn sie hin und wieder zugriff.
Sie sah, dass immer noch Leute dazukamen. Gerade kam ein großer Mann, der noch gar nicht so alt aussah. Wo war seine Frau? Im Gegensatz zu den anderen Gästen wirkte er nicht gerade erfreut. Pluspunkt. Dann stand er vor ihren Eltern.
„Hallo Julius!“, sagte er in einer Tonlage, die Rebecca nur aus einem Western kurz vor dem Showdown bekannt war.
„Hallo Manuel! Schön, dass du kommen konntest!“
Ihr Vater hielt ihm die Hand hin, aber er ignorierte sie. Der Mann schickte sich wirklich an, ihr Held des Abends zu werden. Stattdessen nahm er die Hand ihrer Mutter, küsste diese und schenkte ihr ein Lächeln. Na gut, wir machen alle mal einen Fehler.
„Na ob das schön ist werden wir ja noch sehen. Aber nach so vielen Jahren wurde es ja Zeit, dass man sich mal wieder trifft“, sagte er dabei. Manuel warf einen flüchtigen Blick durch das Wohnzimmer.
„Habt euch hier ja ganz hübsch eingerichtet“, meinte er dann.
„Danke, wir können uns nicht beklagen.“
„Nein, das könnt ihr wirklich nicht.“
„Nimm dir doch etwas zu trinken“, bot ihre Mutter ihm an.
Mit einem Nicken ließ er die beiden stehen. Rebecca sah, wie er zur Bar ging, sich einen Sekt nahm und diesen in einem Zug herunterstürzte. Ja, der Mann war ihr Held des Abends. Er nahm sich ein zweites Glas und schwebte durch das Wohnzimmer, so als würde er in einer anderen Dimension existieren. Man sah ihn nicht, er sah die anderen nicht.
Ihr Vater ergriff das Wort und redete von Freundschaft, Gesundheit und davon, wie schön es doch sei, dass alle heute zusammen sind. Blabla. Während die Gäste danach klatschten und das Buffet stürmten, bewegte sich Mannuel wieder zum Sekt. Rebecca musste ihm zeigen, dass er Verbündete hatte. Sie steuerte in seine Richtung, aber gerade in diesem Moment schwenkte er zur Terrassentür, öffnete sie und verschwand. Rebecca folgte ihm kurzentschlossen.
Hier draußen war es am Abend kühler geworden. Der peinlich genau gepflegte Garten lag wie immer langweilig da. Vorne ein englischer Rasen, rechts und links ein paar Beete und Pflanzen und daran schloss sich das Ufer eines Sees an. Manuel saß am Ende eines Stegs und lehnte sich an einen Pfosten an, hatte rechts seinen Sekt und fuhr sich gerade mit der anderen Hand über sein Gesicht. Die Sonne stand schon tief.
Rebecca ging über den Rasen auf den Steg zu. Manuel bemerkte sie, sagte aber nichts. Er schaute wieder auf den Teich.
„Drinnen gibt´s jetzt was zu essen“, sagte sie vorsichtig.
„Deshalb bin ich draußen“, sagte er mürrisch. Dann guckte er sie wieder an.
„Du bist seine Tochter, richtig!“
„Ja, ich heiße Rebecca!“
„Rebecca“, flüsterte er vor sich hin und lachte in sich hinein.
„Siehst hübsch aus“, sagte er dann.
„Fang´ du nicht auch noch an!“
„Womit?“
„Mit meinen Klamotten.“
„Ach so. Sorry, das meinte ich nicht so. Ich finde tatsächlich, dass du hübsch aussiehst. Hast viel von deiner Mutter.“ Er sah wieder in die untergehende Sonne. „Willst du dich nicht setzen?“
„Meinst du nicht, dass ich dich störe?“
„Kann ich mir nicht vorstellen.“ Er deutete auf ihr Sektglas. „Immerhin scheinst du ja die gleichen Essgewohnheiten zu haben“.
Sie setzte sich neben ihn und lehnte sich an den anderen Pfosten.
„Du magst meinen Vater nicht besonders, was?“, sagte sie. Er schüttelte den Kopf.
„Gefällt mir. Ich mag ihn auch nicht!“, sagte sie.
„Warum bist du dann heute hier, wenn du ihn nicht magst.“
„Weil ich Hausarrest habe. Mein Vater hat mir verboten, zu meiner Party zu gehen.“
„Was hast du denn ausgefressen?“
Rebecca guckte unter sich. „Ich war bei einer Party letzte Woche. Da hinten, an einem der anderen Seen und ich bin mit einem Typen weggelaufen.“
„Ihr wolltet mal im See poppen?“, fragte er amüsiert. Ruckartig blickte sie auf.
„Na und? Wir sind doch jung!“
„Und das hat dein Vater mitbekommen?“
„Dummerweise war die Party zu laut und die sch…. Bullen sind gekommen. Außerdem waren wir in so nem Schutzgebiet für Tierchen.“
Manuel lachte. „Das ist unfair. Für die Tiere macht man extra ein Schutzgebiet und Menschen werden dabei gestört.“
„Tja, jetzt verschiebt sich die Sache wohl!“
Manuel schüttelte den Kopf. „Der Mann hat sich wirklich nicht geändert.“
Er weckte Rebeccas Neugier immer mehr.
„Woher kennst du denn meinen Vater?“
„Von früher. Aber das ist eine lange Geschichte.“
„Die Feier hier geht ja auch noch n´bisschen.“
Manuel sah sie nachdenklich an. Dann sah er wieder zum Wohnzimmer, wo noch immer gegessen wurde.
„Also gut. Ich erzähle dir die kurze Version. Früher waren dein Vater und ich sehr gute Freunde. Ich habe ihn sehr bewundert. Er war so ein Typ, der einfach mit allen gut konnte. Ganz egal wen er traf, alle fanden ihn sympathisch und wollten sich mit ihm umgeben. Ich war ganz anders. Ruhig, zurückhaltend und tüftelte gerne an Programmen herum. Irgendwann habe ich eine neue Methode zur Verschlüsselung von Daten gefunden.“
„Hey warte mal, genau das macht die Firma meines Vaters auch!“
„Und das ist kein Zufall. Ich holte meinen besten Kumpel Julius mit ins Boot. Ich schrieb die Software, er verkaufte sie an die Leute.“
„Aber er hat dich über´n Tisch gezogen!“
„Ja ich habe mich in ihm getäuscht. Er hat mich nur ausgenutzt. Mit der Zeit wollte er immer mehr haben. Mehr Geld, mehr Einfluss, mehr Anteile. Er bequatschte meine Mitarbeiter, bestach sie, verbot ihnen mit mir zu reden und irgendwann bemerkte ich, dass ich nichts mehr zu sagen hatte. Und das in meiner eigenen Firma! Ich gründete eine neue, aber es war schwer für mich, denn die meisten waren schon bei ihm Kunde.“
„Hört sich sehr nach meinem Vater an. Er ist wirklich ein mieses Arschloch!“ Rebecca dachte einen Moment nach. „Warum hast du vorhin die Hand meiner Mutter geküsst?“
„Weil wir mal ein Paar waren. Wir lernten uns kurz nach meiner Firmengründung kennen, wurden Freunde und waren bald zusammen.“ Manuel atmetete tief durch. „Ich dachte, wir würden für immer zusammen sein.“
Manuel erzählte nicht weiter. Er strich mit seinen Händen auf dem Holz des Stegs entlang.
„Aber es kam anders“, versuchte ihm Rebecca zu helfen.
„Ja es kam anders. Als sich Julius und ich wegen der Firma so richtig in den Haaren hatten, kam ich eines Abends in unsere WG und erwischte die beiden im Bett. Das ging schon Wochen so, alle haben es gewusst, nur mir hat keiner was gesagt.“
„Unglaublich! So etwas hätte ich ihnen niemals zugetraut. Du solltest meinem Vater mal so richtig eine in die Fresse hauen, damit er merkt, was die Leute von ihm halten! Und dann sag´ ihm schöne Grüße auch von mir!“
Manuel lachte. „Um ehrlich zu sein, habe ich es mir oft vorgenommen.“
„Mach´ es! Oder warum bist du hergekommen?“
„Die beiden haben mich eingeladen. Nach fast 20 Jahren kam plötzlich eine Einladung.“
„Na die trauen sich was! Dass du überhaupt gekommen bist!“
Manuel sah zum Horizont, hinter dem die letzten Sonnenstrahlen des Tages versanken.
„Es ist so lange her. Julius mag ein egoistisches Arschloch sein, aber wir sollten uns trotzdem wie vernünftige Menschen benehmen und uns aussprechen! Früher, vor diesem ganzen Quatsch, waren wir wirklich mal gute Freunde!“
Rebecca guckte zum Haus, dann sah sie wieder Manuel an.
„Läuft ganz gut mit eurer Aussprache!“
„Ja, irgendwie sind wir noch nicht ins Gespräch gekommen!“
Die beiden guckten auf den See. Inzwischen war die Sonne untergegangen und man konnte nur noch die Umrisse erkennen. Manuel trank seinen Sekt aus. Rebecca tat es ihm nach.
„Du solltest nicht hier bleiben!“, meinte er dann.
„Aber ich quatsche ganz gerne mit dir!“
„Nein, ich meine, du solltest doch zu deiner Party gehen.“
„Dann brauche ich gar nicht wieder zurück zu kommen. Mein Vater würde mich aufhängen.“
„Der muss gerade etwas sagen. Willst du auf jemanden wie den hören? Nimmt sich einfach immer alles, was er will ohne Rücksicht auf andere. Wenn er etwas sagt, hau ich ihm doch eine in die Fresse!“
Rebecca kicherte. Irgendwie stimmte es, was Manuel sagte. Ihr Vater hatte kein Recht, ihr solche Vorschriften zu machen. Sie stand auf. „Dann noch viel Erfolg mit deinem Anliegen!“
„Danke. Dir auch!“
Damit verschwand sie und ließ ihn am Teich sitzen.
Jetzt war Manuel ganz alleine am Seeufer. Hinter ihm hörte er die Musik von der Feier und die Stimmen der vielen Gäste, die alle den großen Julius Schuster feierten. Wenn die wüssten! Aber Manuel war es Leid. All die Jahre hatte er an diese Sache gedacht, mit Hass und Wut auf Julius und Charlotte. Heute wollte er einen Schlusstrich unter die Sache ziehen und sie endlich vergessen. Aber immer wenn er aufstehen wollte, kamen ihm Zweifel. Diese ganze schicky-mickey Party da drinnen widerte ihn an. Wie sie sich alle gegenseitig beweiräucherten und sich hinter ihren aalglatten Rollen versteckten.
So blieb Manuel noch eine ganze Weile am See sitzen, rauchte zwischendurch eine Zigarette und versuchte, die aufgeblasene Gesellschaft hinter sich zu vergessen. Dann aber hörte er plötzlich, wie jemand die Terrassentür öffnete und die Gestalt Julius´ herauskam.
„Verdammter Mist, jetzt kommt der Typ zu mir!“, dachte sich Manuel und hätte sich gewünscht, dass Julius einfach bei seinen Gleichgesinnten geblieben wäre.
„Hey alter Partner, was machst du denn so alleine hier draußen?“, fragte Julius als er am Ende des Stegs ankam.
Manuel nervte seine Stimme jetzt schon. „Partner nennst du mich! Nachdem du mich damals aus meiner eigenen Firma rausgeworfen hast! Du findest das wohl lustig, oder?“
„Ach immer noch diese alte Geschichte. Es ist doch schon so lange her. Vergiss es und amüsiere dich mit uns!“
Manuel sprang auf. „Was soll ich? Du hast damals mein Leben zerstört und heute soll ich es einfach vergessen und mit dir feiern?“
„Ich hätte dein Leben zerstört! Immerhin hast du mich damals in deine Firma geholt, weil niemand deinen Kram kaufen wollte. Ich habe es an die Leute vertickt! Ohne mich wärest du gar nicht erfolgreich gewesen!“
„Erinnerst du dich nicht mehr? Du hast den Leuten verboten mit mir zu reden, hast mich vor ihnen beleidigt und ernidrigt. Ich konnte bald gar nicht mehr anders als auszusteigen.“
„Tja so ist das Geschäft. Wir sind halt nicht im Streichelzoo!“
„So hast du schon immer gedacht, Julius. Du hast dir schon immer genommen, was du wolltest und hast versucht alles um dich herum zu kontrollieren. Aber so kann man nicht mit den Menschen umgehen. Du bist ein egoistisches Arschloch!“
„Na na, ich kann ja verstehen, dass es dich noch immer ärgert, aber wie ich gehört habe, bist du inzwischen mit deiner neuen Firma auch recht erfolgreich. Also lass uns doch die alten Zeiten vergessen. Schwamm drüber!“
„Du verstehst es einfach nicht, Julius! Es gibt Dinge, die kann man nicht vergessen! Wie viele Leute hast du noch über den Tisch gezogen, nur damit der große Julius Schuster noch ein bisschen größer ist? Und du verstehst noch nicht einmal, dass du anderen damit schadest! Hast du mit Charlotte auch nur etwas angefangen, um mich zu treffen?“
„Hey lass Charlotte da raus! Du hast sie damals völlig vernachlässigt und ihr damit echt weh getan. Wir beide haben das auch nicht gewollt.“
„Ach so, ihr habt das also nicht gewollt, ja? Natürlich habt ihr es gewollt und ganz besonders du, weil du gewusst hast, dass du deinem Feind noch eins auswischen kannst!“
Jetzt kochte Julius über. Er griff nach Manuel, der wehrte sich und es entstand ein Gerangel.
„Du Idiot, du hast damals alles gehabt: eine großartige Idee, eine wunderbare Frau, eine glückliche Zukunft. Alle haben dich bewundert und ich hatte nichts! Das war eben unfair!“
„Ach so und deshalb durftest du mir das einfach alles wegnehmen, du Vollidiot?“
„Ich war eben neidisch auf dich!“
„Was?“ Manuel konnte nicht glauben, was er hörte. „Du warst neidisch auf mich?“
Dann rutschte er am Ende des Stegs ab, hielt sich aber noch an Julius fest und so landeten beide mit einem lauten Platschen im See.
Plötzliche Kälte. Beide merkten, wie sich ihre Kleidungen mit Wasser vollsaugten, schwer wurden und es sie nach unten zog, als hätte jemand Betonklötze an ihnen festgebunden. Sie kämpften sich an die Oberfläche, japsten nach Luft, paddelten, ruderten und versuchten, sich irgendwie über Wasser zu halten und an Land zu schwimmen.
Manuel erreichte zuerst das Ufer, kurz darauf Julius. Sie waren völlig außer Atem und noch immer unter Schock.
„Ich habe dich damals sehr für deinen Ehrgeiz und deine Selbstsicherheit bewundert“, fing Julius schließlich wieder an. „Du hast viel Zeit und Kraft in deine Arbeit gesteckt und was die anderen von dir dachten, hat dich immer kalt gelassen. Als du mich anstellen wolltest, wurde mir klar, dass ich etwas unternehmen muss, wenn ich nicht mein ganzes Leben als Klinkenputzer verbringen wollte. Also wollte ich mehr für die Firma tun, dafür aber auch mehr Beteiligung haben. Nur das führte schnell zu Streit.“
Julius guckte kurz zum Haus, dann wieder auf den ruhigen See. „Und als du dann Charlotte kennenlerntest, war es ganz vorbei. Ich liebte sie auch, aber von mir wollte sie nichts wissen. Bei mir hat sie sich immer nur über dich beschwert, weil dir die Software wichtiger war als sie. Irgendwann ergab sich dann eine Gelegenheit und dabei blieb es nicht. Und dann gab es kein zurück mehr. Es tut mir Leid, Manuel, das hat es damals schon, aber mit dir konnte man ja nicht mehr reden.“
„Ja ich weiß. Ich wollte mit euch nichts mehr zu tun haben. Ich war zu stolz um mich der Sache zu stellen. Aber es hat auch mir keine Ruhe gelassen.“
„Schwamm drüber?“, fragte Julius.
„Schwamm drüber!“, sagte Manuel und sie gaben sich ihre nassen und kalten Hände.
Plötzlich hörten sie erneut die Terrassentür und Charlotte kam herausgestürmt.
„Julius! Wo ist denn Rebecca?“, fragte sie aufgeregt.
Julius stand auf. „Ich dachte sie ist in ihrem Zimmer und schmollt!“
„Nein, da ist sie nicht, habe gerade nachgeguckt!“
Jetzt erhob sich auch Manuel. „Regt euch nicht auf, ich habe sie weggeschickt!“
„Was?“, riefen die beiden zusammen.
„Ja ich habe sie weggeschickt. Ich habe ihr gesagt, sie soll nicht auf Leute hören, die damals noch viel schlimmere Dinge gemacht haben.“
Charlotte verstand die Anspielung. „Manuel, die Sache damals“, fing sie an.
„Schon gut, wir waren alle keine Helden damals!“ Sie gaben sich die Hände und umarten sich.
„Igitt, ihr seid ja völlig nass! Seid ihr ins Wasser gefallen?“
„Ja wir haben uns ein bisschen abgekühlt“, erklärte Manuel.
Zusammen gingen sie zurück ins Haus. Gerade als sie im Wohnzimmer waren, hörten sie die Eingangstür. Kurz darauf standen Rebecca und ein Junge im Wohnzimmer.
„Wo kommst du denn her?“
„Von der Party. Ich bin ausgebüchst! Manuel hat gesagt, dass….“
„Ja ja, schon gut, hast du richtig gemacht!“
„Und wo kommt ihr her? Ihr seid ja total dreckig und nass!“, sagte Rebecca.
„Wir wissen eben, wie man feiert!“, sagte Julius und deutete auf ihre Begleitung.
„Das ist Daniel!“, erklärte sie.