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Ein fremdes Lächeln
Ein fremdes Lächeln
Die CD und die anderen Unterlagen halte ich in einer schwarzen Mappe unter den Arm geklemmt. Ich meine, Thomas hätte auch warten können, bis ich wieder im Büro bin. Aber er wollte zu Hause arbeiten und ich wollte sie ihm lieber bringen, als daß er sie abholt. Mir ist aufgefallen, daß er, immer wenn er bei uns ist, Julia so seltsam ansieht.
So sieht ein Mann kein elfjähriges Mädchen an, so, wie er es tut.
Er hatte vorgeschlagen, ich solle Julia doch mitbringen und wir könnten dann zusammen frühstücken. Ich gehe allein. Nie würde ich Julia freiwillig diesen Blicken aussetzen.
Bald stehe ich vor seinem Haus. Es ist klein, weiß und hat einen blühenden Vorgarten. Die Sonne läßt die Farben der Blüten leuchten. Das Dach glänzt wie rotes Glas, die grünen Läden wie Smaragd.
Alles ist still.
Ich drücke den Klingelknopf rechts neben dem Eingang. Kein Geräusch, keine Schritte. Niemand öffnet. Ich bemerke einen Spalt, die Tür ist nur angelehnt.
Es öffnet sich ein heller Flur. Die Tür am Ende steht offen und Sonnenlicht flutet von dort herein. Thomas erscheint und winkt mir zu. „Komm rein, wir haben den Tisch gedeckt. Alles ist vorbereitet.“
Mir ist seltsam. Die Stille, dieses Licht. Alles wirkt ruhig und friedlich, aber ich fühle mich alarmiert.
Ich gehe durch den Flur, Thomas lächelt. Er nimmt mir die schwarze Mappe ab, und ich betrete den Raum.
Alles ist weiß, die Wände, die Möbel, die Vorhänge an den Fenstern, die den Blick auf die Blütenpracht des Gartens freigeben. Auch im Raum sind überall Blumen. Sie stehen auf Sockeln angerichtet überall im Raum.
In der Mitte der runde Tisch ist für Drei gedeckt.
Thomas tritt zu mir und macht eine einladende Geste. „Nimm Platz, wir sind gleich fertig.“
Die Tür zu einem Nebenraum steht offen. Von dort höre ich Geschirr klappern und Gläser klingen.
Eine Bewegung läßt mich aufmerksam werden und im selben Moment eine Stimme: „Dein Gast ist schon da! Wie schön, dann sollten wir uns zu Tisch begeben.“
Ich verliere den Boden unter den Füßen.
Ich schaue in Julias fremdes Lächeln. Sie trägt ein Tablett herein und stellt es auf den Tisch. Lähmung. Das Entsetzen kommt nicht schnell. Mein Inneres ist leer. Seltsam aber unaufhörlich erfüllt mich eine gnadenlose Verzweiflung. Ich schreie nicht. Ich will, aber es geht nicht. Ich bewege mich nicht. Eine Macht hält mich in ihren Klauen. Ich will zu meinem Kind. „Julia!“ Leise schwingt ihr Name durch den Raum. Sie lächelt immer noch und scheint nicht zu verstehen.
Thomas tritt vor. „Es ist nicht Julia.“ Thomas hat es nicht gesagt und doch kommen diese Worte von ihm. Auch er lächelt. Ich will zu meinem Kind. Ich werde gehalten.
„Eine Kopie! Nicht Julia!“ Wieder Worte, die nicht gesprochen wurden.
„Wer ist Julia? Wer ist echt?“ Mein Kind ist einmalig. Niemand hat das Recht es neu zu schaffen.
Ich drohe zu zerbrechen. Endlich löst sich ein Ton aus meinem Innern. Ich schreie ihren Namen. Nebel ziehen durch mein Bewußtsein. Der Raum verschwimmt.
Ich spüre eine Berührung, ein Streicheln an der Wange, vertraut und zärtlich. Ich spüre Luft und Frische.
Ein Traum! Die Erkenntnis zieht durch mein Bewußtsein, wie tröstende Medizin.
Ich werde ruhiger und schaue in das besorgte Gesicht meines Mannes. Ich erkenne die vertraute Umgebung, das Bett, den Schrank, die Bilder. Fahles Mondlicht schimmert durch die Ritzen am Fenster.
Gott sei Dank!
Ich stehe vor dem großen dunklen Haus. Eine Wolke hat sich vor den Mond geschoben. Hinter einem Fenster brennt Licht. Es ist kein helles Licht, nur ein Schimmer. Ich schaue mich um. Die Straße ist hell. Laternen beleuchten das nasse Pflaster. Die Fassaden der Häuser reflektieren den Schein. In den Schatten müssen die Eingänge sein. Nur das große Haus liegt im Dunkel. Wie ein düsterer schwarzer Schemen ragt es empor.
Ich trete näher. Ich habe Angst, aber es geht um Julia.
Die beiden mächtigen Flügel der Eingangstür hängen an riesigen, eisernen Angeln. Das schwarze Holz ist mit sonderbaren, geschmiedeten Ornamenten verziert. Flügel, Klauen, Fratzen. Bedroht mich die Tür? Als ich meine Hand nach dem Ring des Türklopfers ausstrecke, öffnen sich beide Flügel unter leisem Ächzen nach innen. Sie geben den Blick frei in eine dunkle Halle, in der die Schatten zu leben scheinen. Ich fürchte mich, aber ich trete ein. Mich umfängt Dunkelheit, die lebt, sich bewegt, schwingt und bebt. Ich spüre es. Dunkle Nebel ziehen entlang den Wänden aus rohem Stein. Schwarz ist nicht einfach nur schwarz.
An der rückwärtigen Wand, jeweils zur Rechten und zur Linken, schwingen sich zwei mächtige Treppen zu einer Galerie hinauf. Über einer der zahlreichen Türen brennt schwach die einzige Lichtquelle. Meine Schritte machen kein Geräusch. Die Stufen sind aus Stein aber kein Klacken, Schaben oder Schleifen zieht durch den Raum.
Alles ist still.
Ich gehe an Türen vorbei. Jede einzelne weckt in mir ein anderes Gefühl der Angst oder des Unwohlseins. Ich gehe weiter. Jetzt stehe ich unter der Lampe, die von oben auf mich herunterstrahlt, mich zu durchleuchten scheint. Ein Wächter, der bis in die Seele schauen kann.
Ich greife nach der Klinke, doch die Tür ist verschlossen. Mit der Faust hämmere ich gegen das stabile Holz. Der Schall meiner Schläge klingt dumpf, wie durch Watte und erreicht kaum mein Ohr.
Der Griff bewegt sich und der Durchgang öffnet sich mit leisem Knarren. Innen ist es dunkel. Doch nicht so dunkel, wie in der Halle. Die Tür bewegt sich weiter. Am Ende der Halle scheint ein Licht zu sein. Nach und nach gibt die Tür den Weg zur Gänze frei. Aus dem tiefen Raum tritt eine kleine Person, gekleidet mit einem roten Mantel. Sie bedeutet mir, zu folgen. Zögernd setze ich einen Schritt vor den anderen. Die Person winkt. Ich soll mich beeilen. Ich bin nicht schnell genug. Die Person wendet sich um uns schaut mich an........ Julia.
Die Panik läßt die Welt um mich her zu einem Wirbel werden. Ich stemme mich dagegen. Julia. Ich schreie, will nach ihr greifen. Eine weitere Gestalt schiebt sich zwischen uns. Es ist.... Julia und eine Dritte. Ich drohe, in einen Wahnsinn zu kippen. Ich schreie, presse die Hände vor mein Gesicht. Ich schlage um mich, werde gepackt. Ich wehre mich. Dann die Stimme, vertraut, sanft, besorgt. Der Wirbel läßt nach. Ich gleite aus einem Druck heraus, der mich gefangenhielt. Alles wird langsam klar. Ich spüre eine Hand an meiner Schulter, zärtliches Streicheln. Ich öffne meine Augen, bin wieder da. Mein Mann lächelt. „Du hast geträumt.“ Worte, die Erleichterung in meine Seele strömen lassen.
„Ein schlimmer Traum. Es ging wieder um Julia.“ Ich spreche ganz leise. So, als könnte eine laute Stimme böse Geister wecken.
„Wo ist Julia?“ Mein Mann sieht mich verständnislos an. „Sie ist in ihrem Zimmer. Wo sollte sie denn sonst mitten in der Nacht sein?“ Wir hören tapsige Schritte und schauen zur Tür. Dort steht Julia in ihrem grünen Schlafanzug mit den bunten Blüten darauf und reibt sich die Augen. „Ich muß mal zur Toilette.“ Ich lächle sie an. „Natürlich, Schatz. Und dann schlaf schön weiter.“
Sie bleibt in der Tür stehen und schaut verständnislos. „Können Sie mir sagen, wo das Bad ist?“