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Ein Frühlingstag
Katja ging die Straße entlang. Die mittlerweile schon kräftige Frühlingssonne schimmerte durch die Zweige der Platanen und blitzte immer wieder zwischen den hohen Häusern der Ringstraße hindurch. Sie ging langsam.Es fehlte ihr die Kraft zum schnellen, festen Gang, wie es sonst ihre Art war. Die Schritte fielen ihr schwer und ihre Füße schmerzten in den hohen Schuhen. Die Luft war kühl und sie atmete sie gerne ein, Ihr Mantel war nun fast schon zu warm für diese Tageszeit und sie öffnete ihn. Der leichte Wind zog an ihrem Rock vorbei zu ihrer Bluse. Sie genoss das Gefühl für einen Moment. Dann waren sie jedoch wieder da, die schweren Gedanken, vor denen sie seit Wochen ständig auf der Flucht war. Und sie war so müde des Fliehens. Ihr Blick fiel auf eine Parkbank unter einer der Platanen, gleich neben einem bunt geschmückten Osterbrunnen. „Ostern“, dachte sie, „das Fest des Frühlingserwachens, des Lebens...“. Sie hielt inne und entschied sich, auf der Bank eine kurze Rast zu machen. Niemand erwartete sie, die Termine für heute waren erledigt und was sollte sie schon mit dem restlichen Urlaubstag anfangen, den sie sich hatte nehmen müssen, da er sonst verfallen wäre.
Sie setzte sich. Das Holz der Bank war kühl, fast zu kühl. Sie machte sich Sorgen, dass sie sich vielleicht wieder einen dieser Infekte einfachen könnte, für die sie so anfällig war. Nun, kurz würde es schon gehen. Der Brunnen plätscherte leise vor sich hin und sie schloss die Augen. Die Strahlen der Sonne wärmten ihr Gesicht und sie spürte, wie ihre Schultern sich entspannen wollten. Sie gab nach und lehnte sich zurück.
„Guten Tag!“ Eine kleine Stimme riss sie jäh aus der Entspannung. Sie öffnete hastig ihre Augen. Neben ihr stand eine kleine alter Frau in gebückter Haltung, die nun wie selbstverständlich ihren Rollator neben die Bank drapierte und sich langsam auf diese sinken ließ. Es war kaum Platz genug für beide Frauen auf dieser Bank, weshalb Katja irritiert etwas zur Seite rückte. „Ein schöner Tag, nicht wahr, junge Frau?“ sprach die Alte sie an. „Ja“ gab sie zurück, „das ist er wohl“. Eine Weile saßen sie so da und schwiegen. „Warum sitzen sie hier?“ ergriff die Dame erneut das Wort. Es war Katja unangenehm, in ihrer kurzen Atempause gestört worden zu sein. Sie wollte sich nicht unterhalten, schon gar nicht aus reiner Höflichkeit mit einer älteren Dame. „Nun“, hob sie an, „ich muss sowieso nun weiter.“ Sie griff den Henkel ihrer Tasche und setzte gerade an, aufzustehen, als die Dame antwortete: „Wohin?“
Verdutzt ob der unerwarteten Nachfrage hielt Katja inne. Was sollte sie sagen – sie musste nicht gehen – wollte doch nur alleine sein. Aber dies, es gebot ihr ihre Höflichkeit, konnte sie nun nicht sagen. Irritiert löste sie den Griff ihrer Hand nach der Tasche. Sei suchte nach einer Ausrede.
Die Dame kam ihr zuvor: „Ja, sicher“ kicherte sie beinah, „Sie haben bestimmt eine Verabredung mit ihrem Liebsten! Lassen Sie ihn ruhig etwas warten, so haben wir es früher mit den jungen Männern gerne gehalten. Das war unser Stolz! Und es erhält die Vorfreude!“ Die Alte grinste und kicherte wieder in einer Art, die Katja nicht von so alten Menschen gewohnt war. Sie war verwirrt und es wollte ihr keine entschuldigende Antwort über die Lippen kommen, die sie dieser Situation entkomme lassen konnte. Sie schwieg und blieb sitzen.
„Ich sitze gerne hier und füttere die Tauben“ sprach die Alte nun ohne Kichern aber voller Wärme. Katja blickte ums ich. Sie sah nicht eine Taube. Nicht einmal ein Spatz hatte sich an den Brunnen verirrt. Noch während sie sich suchend umsah, griff die Dame in die Tasche ihres Trenchcoats und zog raschelnd einen Gefrierbeutel daraus hervor. Darin sah Katja kleine Stücke von altem Brot und Gebäck. „Ich mach die Stücke immer sehr klein, die Lieben haben doch so kleine Kehlen, und keiner soll sich hier am Brunnen um einen Leckerbissen streiten müssen“.
Erst jetzt fiel Katja auf, dass die Dame, beschirmt von einem in die Jahre gekommenen Häkelhut eine schwarze Sonnenbrille trug. An ihrem Oberarm trug sie eine Binde in Gelb und Schwarz. Sie zuckte zusammen.
Die Hand der Alten öffnete mit krummen Fingernden Beutel, nahm ein paar Krumen und streute sie ungeschickt vor sich auf das Pflaster.
„Sehen Sie, die lieben Tiere freuen sich doch über etwas gutes Futter!“ Die Alte lächelte beglückt und setze an, den unsichtbaren Tieren noch eine Hand voll Krumen hinzuwerfen. „Wollen Sie auch mal?“ Unvermittelt hielt sie Katja die Tüte hin. Katja zuckte zusammen. Sie wusste nicht was sie sagen sollte. „Macht es Ihnen keine Freude, den lieben Tieren etwas zu geben?“ hakte die Alte nach und bewegte die Tüte vor Katja auffordernd.
„Äh, ich...“stammelte Katja verlegen, „ich weiß nicht, ich...“
„Oh, es tut mit Leid, wenn ich Sie so überfalle, junge Frau, Sie haben sicherlich besseres vor, als mit einer alten Frau wie mir die Tauben zu füttern.“ Mit diesen Worten legte sie die Tüte mit den Krumen in Ihren Schoß zurück und senkte den Kopf. Ihre Hand griff langsam in den Beutel und warf erneut Krumen auf den Platz. „Wohin wollten Sie nochmal gehen?“ Die Enttäuschung, die Katja in der Haltung der Alten gesehen hatte, war wieder verflogen und echtes Interesse schien hinter ihrer Frage zu stehen. „Ich wollte weiter gehen.“ gab Katja leise zur Antwort. „Wohin denn?“ Die Alte wandte den Kopf zu Katja.
Ja, wohin eigentlich? Sie wollte etwas antworten, aber ihr kam kein Ton über die Lippen.
Nach einem kurzen Moment des Schweigens streckte ihr die Dame erneut die Hand mit dem Beutel entgegen und hielt ihn vor sie. Katja war verwirrt, irritiert und es überkam sie eine große Traurigkeit. So nahm sie den Beutel behutsam und fischte ein paar Krumen heraus. Sie hielt sie kurz in ihrer Flachen Hand und rollte sich hin und her. Dann warf sie die Krumen nicht weit von sich auf das Pflaster.
„Ja, so ist es recht!“ Die Alte neben Ihr gluckste vor Glück und griff selbst erneut beherzt in ihre Tüte und warf die Krumen in einem hohen Bogen auf den Platz vor dem Brunnen. Sie kicherte dabei wieder in ihrer besonderen Art und Katja musste unwillkürlich lachen, laut lachen. Die Alte stimmte in Ihr Lachen ein. „Sehen Sie, junge Frau, wenn ich nicht weiß, wohin ich gehen soll, kann ich hier immer Rast machen und die Tauben füttern. Das ist ein guter Platz, um Tauben zu füttern!“
Katja blickte sich um. Sie sah noch immer keine Taube, noch nicht einmal einen Spatz, der sich hierher verirrt hatte. Sie lächelte, lehnte sich zurück, schloss die Augen, während ihr die Sonne in Gesicht schien. Sie horchte auf das leise Rascheln der Brotkrumen im Gefrierbeutel.