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Ein Ende
Mara war ein sehr vorbildlicher Mensch, die Götter meinten es gut mit ihr.
So wie es für Bürger mit Magiebegabung Pflicht war, gehörte sie dem Orden an und lebte im Kloster.
Der Beginn und das Ende ihres Tages wurden durch ein Gebet gekennzeichnet. Den Großteil ihrer Zeit verbrachte sie damit, ihre besonderen Fähigkeiten einzusetzen, um den Bürgern in der Stadt zu helfen.
Ihr Leben bestand aus guten Taten, Frömmigkeit und einer tiefen inneren Zufriedenheit.
Dies war nicht immer so gewesen. Über die Zeit, bevor sie dem Orden beigetreten war, gab es…interessante Gerüchte.
Über ein zorniges, halbstarkes Mädchen, das gefährliche Zaubersprüche kannte. Über ein Mädchen, dass oft gesehen wurde, wie es mit einer Bande Jugendlicher umherzog und Unruhe verbreitete.
Doch inzwischen war die junge Frau ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft geworden. Ihre Gutmütigkeit und Friedfertigkeit war allgemein bekannt. Keiner ihrer näheren Bekannten hätten vermutet, dass sie überhaupt fähig wäre, zornig zu sein.
Umso trauriger war es, dass dieser Zustand nun zu einem jähen Ende kommen musste.
„Es tut mir leid, aber ich muss dich von deinem Status als Ordensmitglied entheben.“ – Pater Martinus war der Vorstand des Klosters und hatte Mara gerade zu sich ins Büro bestellt. Es war noch dunkel draußen. Viel zu früh, als dass es sich um eine alltägliche Angelegenheit handeln konnte.
„Wie…wie meint ihr das Pater, habe ich irgendwas falsch gemacht?“ – Die Magierin war vor fünf Minuten erst aufgestanden. Das konnte doch nur ein Albtraum sein!
„Nein, nein, überhaupt nicht. Es liegt am Krieg. Bürger, deren Blutslinie Verbindung zum Feindesland hat, dürfen nicht mehr für die Krone arbeiten und dieser unterstehen wir leider. Es ist unglücklicherweise aufgekommen, dass deine Großeltern väterlicherseits von dort abstammen, tut mir leid.“
Tut mir leid. Die Worte hallten durch Maras Kopf. Sie erschienen ihr viel zu leicht daher gesagt, als dass sie dem scheußlichen Gefühl von Schwere gerecht werden konnten, das sich in ihrer Brust ausbreitete.
„Danke, Pater.“, sagte sie tonlos und ging hinaus. Maras Kopf spielte die Szene immer wieder innerlich ab, während ihr Körper sich scheinbar allein um alles kümmerte. Sie wusste nicht wie es geschehen war, aber eine halbe Stunde später marschierte sie in gewöhnlicher Kleidung und einem Beutel voll Proviant und Geld aus dem Kloster.
Der Pater hatte gedrängt, dass es schnell gehen musste. Kein langer Abschied. Es war gerade noch genug Zeit, um ihren wichtigsten Freunden und Kollegen Lebewohl zu sagen.
Die junge Frau verstand es einfach nicht. Wollten die Götter sie testen? Sie bestrafen? Hatte sie immer noch nicht genug für ihre Fehler von damals gebüßt? Die Fehler, derentwegen sie ins Kloster gegangen war.
Die Gerüchte, die man sich erzählte, stimmten. Sie war eine zornige Jugendliche gewesen, die nichts Anderes wollte, als sich an Schwächeren zu vergehen. Was die Wenigsten wussten, war, dass sie auch eine Schwester gehabt hatte. Lilia, ungefähr ein Jahr jünger als sie.
Zu jener Zeit hatte diese den Fehler gemacht hatte, sich in einem von Maras Wutanfällen ihr in den Weg zu stellen.
Das Ergebnis war sehr unschön gewesen, die Heilmagier konnten sie gerade noch retten. An dem Tag hatte die junge Mara wahrhaft begriffen, was Reue bedeutete. Selbst jetzt noch stiegen ihr allein von der Erinnerung, die Tränen in die Augen.
Was die Geschichte noch schlimmer machte, war der Fakt, dass sich Mara nie entschuldigen konnte. Kaum war sie wieder auf den Beinen, lief ihre Schwester von zuhause weg, als Verabschiedung nur eine schnell gekritzelte Notiz: „Sucht nicht nach mir.“
Dem Wunsch waren ihre Eltern natürlich nicht nachgekommen, trotzdem hatten sie sie nie wiedergesehen. Und an all dem war nur Mara schuld.
Sich dem Kloster anzuschließen, war ihr Weg zu versuchen zumindest ein bisschen wieder gut zu machen. Sicherstellen, dass so etwas wenigstens nicht noch einmal passierte.
Täglich dachte die Magierin an ihre Schwester, ob sie wohl noch lebte und wie sie inzwischen aussah. Würde sie sie überhaupt erkennen?
Diese Fragen und die Erinnerung daran jeden Tag wieder aufleben zu lassen, war auch ein wichtiger Teil um auf den Pfad des Göttlichen zurückzukehren. Mit einem Angriff auf ein Familienmitglied hatte sie auch in den Augen der Götter eine äußerst schlimme Tat begangen. Alle guten Taten und Gebete, die Mara in den Jahren verrichtet hatte, sollten dazu dienen sie von diesem schrecklichen Fehler reinzuwaschen und natürlich ebenso sicherstellen, dass sie nie wieder in einen solchen Zorn verfiel.
Und es hatte alles wunderbar gewirkt! Mara war ein neuer Mensch. Ein Mensch von dem sich niemand vorstellen konnte, dass er überhaupt zornig werden konnte. Darauf war sie sehr stolz.
Sie hatte doch alles richtiggemacht. Wieso also meinten es die Götter plötzlich nicht mehr gut mit ihr?
Sie war noch nicht weit vom Kloster entfernt. Langsam wachte die Stadt um sie herum auf. Es war noch sehr früh, aber viele Menschen mussten eben schon mit ihrem Tagewerk anfangen.
Mara hatte mit ihrer Arbeit schon einigen Bürgern der Stadt geholfen und war allerseits beliebt. Von allen Seiten erntete sie wohlgemeinte Blicke und Grüße. Sie wussten noch nicht, was los war. Ein bitterer Geschmack breitete sich in Maras Mund aus. Sie versuchte niemanden in die Augen zu sehen und ging weiter.
„Bitte warte doch Mara!“ – Die Stimme allein sorgte dafür, dass ihr übel wurde. Bitte doch nicht ausgerechnet jetzt. Schwester Selyse meinte es zwar nur gut, war aber, wie ein politischer Kollege der Magierin es gerne ausdrückte, unglücklicherweise eine Meisterin dabei immer die falschen Worte zu wählen. Mara war ihr bei der kurzen Verabschiedung bewusst aus dem Weg gegangen.
Wie es zu erwarten war, musste Selyse bekunden, wie Leid ihr alles tat und wie ungerecht die Welt doch sei. Mara versuchte sich bei jeder Gelegenheit wegzudrehen, aber Selyse ließ es nicht zu. Mara meinte physisch zu spüren wie das Mitleid der Kollegin an ihren Nerven zehrte. Doch dann sagte die Nonne in ihrem Redeschwall noch etwas Anderes:
„Aber weißt du, wenn ich ehrlich bin, ich hatte das Gefühl, dass du in letzter Zeit die Sakramente vernachlässigt hast. Bitte verstehe das nicht falsch, natürlich hast du sie physisch durchgeführt, aber ich denke, dein Kopf war nicht richtig dabei, verstehst du, was ich meine?“
„Entschuldigung, WAS!?“ – Das zweite Wort kam sehr laut aus Maras Mund.
Die Magierin wollte ihren Ohren nicht trauen. Sie spürte wie ihr Blut in Wallung geriet. Sie hatte gerade ihre komplette Existenz verloren und Selyse hielt es für den richtigen Zeitpunkt, sie zu belehren?
„Nun ja, vielleicht hat es ja einen Grund, dass dir so etwas passiert ist. Die Götter wollen dich einfach auf den richtigen Weg zurückführen.“
Auf den richtigen Weg…bei den Göttern…das darf doch nicht wahr sein.
„Hör mal, du kannst doch sowas nicht…, wie gemein kann, arrgh…!?“.
Die Worte reichten nicht aus, um Maras Zorn gerecht zu werden. In ihr hatte sich, seit sie heute Morgen die schrecklichen Nachrichten erhalten hatte, eine riesige Anspannung aufgebaut, die nach draußen musste. Die Magierin würde sonst platzen
Es fühlte sich ganz natürlich an. Der Erdzauber war mit ein paar schnellen Silben gesprochen und traf die vorlaute Nonne völlig unvermutet. Sie wurde zu Boden gerissen. Davon würde sie sicher ein paar blaue Flecken davontragen.
Zuerst fühlte Mara ein Gefühl tiefer Befriedigung, doch schon Sekunden später kam ein Gefühl von tiefem Entsetzen. Was hatte sie gerade getan?
Fürs erste wirkte Selyse mehr geschockt als verletzt und starrte die Magierin nur mit aufgerissenen Augen an. Nicht glauben wollend, dass ihre Kollegin überhaupt so handeln konnte.
Mara war ebenfalls geschockt, sie sah die verletzte Frau vor sich und natürlich tauchte vor ihrem inneren Auge das Bild von Lilia auf.
Monster. So hatte sich Mara damals selbst innerlich immer wieder genannt, doch das letzte Mal war schon Jahre her. Sie hatte die Erinnerung daran schon vergessen. Jetzt tauchte es von selbst wieder auf. Mara fühlte sich elend.
Mit schnellen Schritten machte sie sich von Selyse fort, rannte fast schon. Sie wollte nur weg von alledem. Der Gedanke, bekannte Gesichter zu erblicken, bereitete ihr Übelkeit. Die Magierin musste irgendwohin, wo sie nicht so bekannt war.
Das Stadtbild änderte sich. Sie näherte sich dem Hafenviertel, die Straßen und Wände um sie herum wurden dreckiger und kaputter.
10 Jahre! Ganze 10 Jahre lang, war nichts dergleichen passiert. Sie war ein anderer Mensch. Sie konnte gar nicht mehr in dieses Verhalten zurückfallen. In diese selbstgerechte Wut. Oder so dachte sie noch bis eben.
Sie wollte schreien, kreischen, weinen. Ihr Körper schien von Emotionen überschwemmt zu werden. Ihr ganzes schönes geschütztes Leben hatte sie mit einem Schlag verloren.
Zuerst ihr zuhause, Freunde und ihre Arbeit. Sie dachte an die netten Leute, die sie regelmäßig durch ihre Tätigkeit getroffen hatte. All das verloren. Weg.
Naiv, wie sie war, glaubte sie, nicht mehr tiefer fallen zu können. Die Götter hatten sie da eines Besseren belehrt, dachte Mara bitter.
Die Straße um sie herum war leer. Sie wusste sowieso nicht wohin. Deshalb setzte sie sich mit ihrem Bündel an den Straßenrand.
Sie war wohl von Grund auf schlecht und konnte sich höchstens einige Zeit lang vormachen, besser zu sein. Letztendlich war sie wohl doch nur eine ältere Version ihres schlechtesten Selbst von damals.
An diesen Gedanken hing sie einige Zeit lang. Drehte sich darin im Kreis. Sie wusste, dass sie sich eigentlich einen Ort suchen sollte, an dem sie die Nacht verbringen konnte. Die Motivation dafür aufzubringen, schien ihr aber momentan unmöglich.
Die Sonne ging langsam unter. Mara fühlte die Kälte auf ihrer Haut, aber verspürte noch immer keine Kraft sich wegzubewegen.
Ewig hätte sie noch so dasitzen können. Es war die äußere Welt, die sie aus ihrer Trance herausriss.
„Lasst mich in Ruhe, es gehört euch nicht!“ – die Stimme, von kindlichem Trotz geprägt, gehörte zu einem jungen Mädchen. Sie tauchte plötzlich in Maras Blickfeld auf, rannte schnell vorbei. Die Magierin schätze die Kleine sechs Jahre alt – ihre Kleidung sah, wenn auch nicht teuer und momentan leicht verdreckt, doch recht ordentlich aus – nicht, was man sich in diesem Stadtteil erwarten würde.
Im nächsten Moment erschien der Grund, weshalb sich das Mädchen so hetzte.
Zwei Männer tauchten in der Straße auf. Groß, kräftig, mit Tattoos übersäht. Mara erkannte sie sofort als Mitglieder einer sehr einflussreichen Straßenbande.
Keiner der dreien bemerkte die Frau.
In dem Moment fiel der Magierin auch die Halskette auf, die das Mädchen fest umklammert in ihren Händen hielt. Ein großer Rubin war darin verarbeitet. Dahinter waren die beiden wahrscheinlich her.
Einer der beiden Männer machte einen Satz nach vorne und bekam so die Kleine zu packen. Sie schrie und kringelte sich wie ein Wurm, aber der Griff um sie blieb eisern.
Die beiden versuchten fürs erste gar nicht ihr den Anhänger zu entreißen, sondern nahmen sie einfach als Ganzes mit. Ihre Schreie wurden von einer großen Hand aufgehalten.
Als sich der erste Mann umdrehte um zurück zu gehen, fiel sein Blick auf Mara. Die Magierin spürte wie ihr Herz für einen Moment aussetzte.
„Ich denke es ist schon spät, um als Lady alleine draußen zu sein. Willst du nicht nach Hause gehen?“ – er grinste gefährlich, während sein Kollege auf einmal ein Messer in der Hand hielt und damit herumspielte.
Geh weg, halte dich da raus. War Maras erster Gedanke. Sie hatte den Orden nicht mehr, niemand würde sie jetzt in so einer Situation unterstützen. Außerdem hatte sie ihre Magie professionell immer nur zum Heilen eingesetzt. Sicher reichte es um jemanden nieder zu werfen, der es nicht erwartet, aber jemanden der im Straßenkampf versiert war? Das war keine Situation, die sie alleine angehen sollte.
Der Blick des Mädchens ruhte inzwischen auch auf Mara. Ihre Stirn runzelte sich und ihre Augen hatten einen fragenden Gesichtsausdruck.
Mara hatte schon fest beschlossen einfach zu gehen. Doch dann packte sie auf einmal wilde Entschlossenheit. Sie sah sich gerade ewig ziellos durch die Stadt herumziehen, ewig nicht zu wissen, was sie tun sollte.
Sie musste ETWAS tun und anscheinend hatten die Götter beschlossen ihr eine Gelegenheit gegeben. Sie nach allem was heute schon geschehen war, noch einmal auf die Probe zu stellen.
Die Aufregung breitete sich in ihrem Körper aus. Mara wusste, dass sie ihre gesamte Konzentration brauchte, um gegen die beiden anzukommen. Ansonsten war es gut möglich, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte.
Vor einigen Minuten war es ihr noch unmöglich erschienen aus ihrer Senke aufzustehen. Jetzt war es ihr nicht einmal bewusst. Auf einmal stand sie in Position und begann ihre Formeln aufzusagen.
Die Bandenmitglieder erkannten sofort, was sie vorhatte, Magier gab es auch in der Unterwelt. Der Mann mit dem Messer sprintete ohne Zögern auf sie zu.
Der Anblick war erschreckend, doch ein Moment des Zweifels würden Mara alles kosten. Sie wusste das und ihre Konzentration blieb hervorragend. Die Waffe kam knapp eine Handbreite vor ihr zu stehen.
Die Männer waren versteinert…fürs erste. In ein paar Stunden würden sie sich erholen, aber bis dahin hatte Mara schon fest vor weit weg von hier zu sein.
Doch nun galt es sich um das Mädchen zu kümmern. Mara hob die Versteinerung rund um die Arme kurz auf und befreite sie aus dem Griff.
Die Kleine war verständlicherweise verstört. Sie brachte zuerst kein Wort heraus und zitterte. Mara umarmte sie einige Minuten lang.
Als sie den kleinen, schmächtigen Körper an sich drückte, durchströmte sie ein Gefühl der Euphorie. Diesem Mädchen hatte sie helfen können, obwohl sich ihr Leben auf den Kopf gestellt hatte. Ihre Fähigkeiten hatte sie immer noch, sie konnte noch immer Gutes tun.
In ihrem Kopf entstanden plötzlich tausende Ideen. Städte zu denen sie reisen könnte und wie sie sich dort Menschen helfen könnte. Sie wieder eine Zukunft vor sich.
Die Kleine kam langsam zu sich, auch wenn es immer noch schwierig war, verständliche Sätze aus ihr herauszubringen. Anscheinend waren sie und ihre Mutter noch nicht lange in der Stadt. Kein Wunder, dass sich die Straßenbande sie als Ziel ausgesucht hatten.
„Mama!“
Das Mädchen unterbrach sich selbst in seinem Redefluss, hechtete an Mara vorbei und sprang seiner Mutter in die Arme.
Die Magierin drehte sich um und hoffte gleich die ganze Geschichte zu erfahren. Doch bei dem Anblick, der sich ihr bot, erstarrte sie.
Tausend Fragen tauchten in ihrem Kopf auf, doch letztendlich brachte sie nur eines hervor:
„Schwester?“