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Ein einsamer Krieger

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19.11.2002
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Ein einsamer Krieger

Es war Ende April 1945, als ich vom Band gerollt bin.
Man hatte gesagt, ich sei der Beste. Ich bin ein Strumgeschütz, hatte man mir gesagt.
Meine Herstellung war sehr hastig gewesen, und nun stand ich ich auch auf einem
Eisenbahnwaggon und wurde zur Front gefahren.
Unterwegs kamen mir andere Panzer entgegen, auch Sturmgeschütze wie ich eines bin.
Sie sahen fertig aus, waren beschädigt, sie sahen sofort das ich neu war.
"Du wirst auch bald eingemacht, wirst schon sehen!" meinte ein Panther - Panzer zu mir.
Er hatte keine Ketten mehr.
Ich freute mich schon auf meinen Einsatz, ich wollte es allen zeigen, was ich bin.
Meine Kanone ist eine der berüchtigten 8,8 cm Geschütze.
Ich wollte so schnell es ging nach Vorn, wo der Feind war.
Immer nur davon hören. Ich wollte endlich Action.
Nach zwei Tagen lud man mich von dem Waggon ab, und da fuhr man das erste Mal mit mir.
Vom Verladebahnhof zu einer Bereitstellung.
Es war Nacht, und es hat geregnet. Mein einzelner Scheinwerfer hat meiner Besatzung den Weg geleuchtet, ich habe sie sicher und trocken dort hin gebracht, wohin sie mich haben wollten.
Dann wurde ich aufmunitioniert und nochmal betankt.
Als der Morgen graute ging es los.
Überall wurden Motoren angelassen, auch meiner, ein 650 PS starker Maybach - Dieselmotor.
Ein Wummern und dröhnen hing in der Luft. Kommandos wurden gebrüllt.
Abwehrstellung beziehen hieß der Befehl.
Man fuhr mit mir allein zu einem Waldstück.
Als wir ankamen, parkte man mich dicht hinter dem Waldrand und legte abgerissene Äste und Zweige auf mich, um mich zu tarnen.
Dann warteten wir, die Besatzung und ich.
Drei tage vergingen, noch immer war kein Feind gekommen, und ich hatte noch nie aus meiner Kanone schießen dürfen. Ich wußte noch nicht einmal, ob sie überhaupt funktionierte.
Das machte mich schon nervös.
Meine besatzung schien auch nervös gewesen zu sein.
Ich glaube, es wa um den dritten Mai herum, als plötzlich ´meine Leute sagten, das jetzt Schluss ist. Jeder soll sich alleine durchschlagen. Es hätte eh keinen Zweck mehr. Alle waren sich einig.
Ich war wie vor den Kopf gestoßen.
Sie hatten doch mich!
Was sollte denn das? Ich bin ein Sturmgeschütz!
Sie gruben mit dem Spaten, der zu meiner Ausstattung gehörte ein Loch, in das sie ihre Waffen hinein schmissen. Sie zogen Mützen ab und warfen sie hinterher, rissen die Schulterstücke, Abzeichen und Kragenspiegel von den Uniformen.
Die wollten desertieren! Ich schrie, doch keiner hörte mich.
Und dann liefen sie weg, jeder in eine andere Richtung, nachdem sie das Loch wieder zu gebuddelt hatten.
Nur der Kommandant blieb noch bei mir.
Vielleicht wollte er weiterkämpfen.
Ich schöpfte plötzlich Hoffnung.
Doch warum hatte er auch seine Abzeichen und sein Eisernes Kreuz weg geworfen?
Und dann wußte ich, warum er noch bei mir blieb.
Er riss mir hinten die Motorraumklappe auf, zückte plötzlich sein Seitengewehr und schnitt mir hinten alle Schläuche und Kabel durch.
Mein Treibstoff lief aus, lief auf den Waldboden und versickerte.
Das tat weh, ich schrie, doch er reagierte nicht.
Er kletterte in meinen Kampfraum und entlüftete meine Rohrbremse.
Wenn ich jetzt schießen würde, würde die Kanone beim Rückstoß ungebremst in den Kampfraum donnern und mich innen kaputt machen.
Und dann stopfte er mir dicke Steine vorn ins Kanonenrohr, um es zu blockieren.
Er ging noch einmal um mich herum, und dann rannte er plötzlich in den Wald und davon.
Ich stand nun allein dort, getarnt mit Ästen und Zweigen hinter dem Waldrand.
Ob sie doch noch zurückkommen würden?
Gegen Abend wartete ich noch immer, die Zeit wollte einfach nicht umgehen.
Als plötzlich eine Gruppe Panzer auf dem Feld vor dem Waldstück auftauchte.
Ich sah die weißen Sterne auf ihren Türmen und wußte sofort, das es Amerikaner waren!
Und ich konnte nichts tun, ich konnte sie nicht abschießen.
Ich hätte sie alle abgeschossen, wenn ich nur gekonnt hätte.
Sie sahen mich nicht und fuhren weiter.
So ging dann wenig später die Sonne unter.
Es wurde schnell dunkel, als noch Regenwolken aufzogen.
Es regnete auf mich herunter, ich wurde nass, und sie hatten meine Turmluke nicht geschlosen.
Und ich wurde innen ganz nass.
Überall drang das Wasser in mich ein, ich spürte die Nässe überall.
Es war furchtbar kalt.
Ich stand da und konnte nicht weg, konnte nichts tun.
Aus langeweile fing ich an, meine Munition zu zählen.
Zwölf Schuss Sprengmunition. Zwölf Schuss Panzerbrechende Munition.
Tausend Schuss 7,63 mm sMG Munition für mein Maschinengewehr.
So verzogen sich im laufe der Nacht die Wolken, und die Sterne kamen durch.
Tausend Schuss 7,63 mm sMG Munition.
1,2,3,4,5,6,7,8,.....
Irgendwann dämmerte ein neuer Tag.
Ich wartete und hoffte, das meine Besatzung doch noch wiederkommt.
Und zählte.
1,2,3,4,5,6,.....
Ich kam immer auf tausend Schuss 7,63 mm sMG Munition.
Die Tage vergingen.
Ich verlor langsam die Hoffnung.
Wochen verstrichen, und war noch immer allein.
Ich zählte immer wieder durch.
Was hätte ich sonst machen sollen?
Eines Tages passierte etwas neues.
Eine Maus kroch durch die offnene Luke in meinen Kampfraum.
Innen war ich voller Schmutz und Laub.
Und sie baute in mir ihr Nest und bekam Kleine.
Ich sah sie, wie sie geboren wurden, wie sie jeden Tag wuchsen und wie sie das erste Mal ihre Augen öffneten. Wie sie von ihrer Mutter gesäugt wurden.
Das Wunder des Lebens. Irgendwie war das schön.
Und ich freute mich, das ich an diesem Wunder teilhaben konnte.
Eines Tages waren sie verschwunden, und ich war wieder allein.
Traurig vergingen die Tage und Wochen.
1,2,3,4,5,6,7,8,9,..... Tausend Schuss 7,63 mm sMG Munition.
Zwölf Schuss Sprengmunition.
Es wurde Herbst, und Blätter fielen in meinen Kampfraum.
Und eines Tages kam ein Igel zu mir und baute sich in mir sein Nest.
Er hielt bei mir seinen Winterschlaf. Ich passte auf ihn auf, bei mir war er sicher.
Ich bin doch ein Sturmgeschütz!
Im Frühling wchte er auf und kroch aus seinem Versteck.
Ein paar Tage lang war er noch in meine Nähe, bis er eine Igeldame kennenlernte.
Da war ich wieder allein.
1,2,3,4,5,6,7,8,9,.....
Im März baute sich eine Amsel ihr Nest in meinem Kanonenrohr.
Das muss man sich mal vorstellen! In meiner Kanone brütete das Pärchen seine 4 Eier aus, und es schlüpften Junge.
Und ich begann nachzudenken.
Über den Sinn des Lebens.
Ich hatte bisher nicht viel vom Leben mitbekommen.
Wie denn auch?
Ich war gebaut worden um eine Waffe zu sein, um andere Panzer so wie mich zu zerstören, und um Menschen zu töten.
Aber man hat mir nichts vom Leben erzählt.
Auch Menschen werden geboren. Haben Eltern. Auch sie werden klein und Nackt geboren, von einer Mutter gestillt, vom Vater umsorgt, so wie bei der Maus und bei dem Amselpärchen.
Die Beiden wechselten sich ab, einer blieb immer treu am Nest, während der andere Futter holte.
Die Kleinen hatten immer großen Hunger.
Das war das Leben.
Menschenkinder und Vogelkinder. Kleine Mäuse.
Ich wurde gebaut um zu töten.
Eigentlich hätte mir das alles total abgehen sollen.
Ich bestehe nur aus Stahl, habe eigentlich kein Herz.
Doch ich fühle da doch etwas in mir.
Ich war und bin teil des Lebens geworden. Man suchte in mir zuflucht, zog in mir Junge auf.
Eigentlich hätte ich Angst und schrecken verbreiten müssen.
Aber ich werde von diesen Lebewesen nicht gefürchtet. Die kennen keinen Krieg, wissen nichts von meiner Funktion und haben demnach auch keine Angst.

Das Amselpaar verließ mich im frühsommer, als die jungen flügge waren und ihre eigenen Wege gehen konnten. Ich habe gesehen, das die beiden Amseln sich lieben.
Auch das ist das Leben, Liebe.
Ich habe sie nie zuvor erfahren, nur Krieg und Angst.

Es wurde Herbst, und dann Winter.
Ich hatte drei mal in dieser Zeit Mäuse in mir.
Sie bauten sich hinten im Munitionsbunker ihre Nester, dort war es noch trocken.
Ich war froh, das sie sich wohl fühlten.

Es folgten viele Winter, ich habe irgendwann aufgehört, sie zu zählen.
Ich sah, wie hinten am andrern Ende des Felds Häuser gebaut wurden.
Ich sah sie langsam wachsen, und dann kaman Autos und Menschen.
Ich kannte nur Menschen, die Soldaten waren, und habe auch seit so langer Zeit keine mehr gesehen.
Der Krieg scheint vorbei zu sein, ich habe nichts mehr gesehen oder gehört.
Es ist mir auch egal, und ich wäre froh, das wenn ich wüßte das Frieden ist.
Denn Frieden ist für mich das Leben.
Ich lebe in Frieden, kann man so sagen.

Aber ich werde älter.
Ich verroste, sinke langsam in den Boden ein mit meinem Gewicht.
Ein paar Monate später brach auf der linken Seite eine Laufrollenaufhängung durch.
Sie war verrostet, und hat dann wohl meinem Gewicht nachgegeben.
Mein Motor ist völlig verdreckt.
Rost ist übrigend überall an und in mir.
Die Kunstlederbezüge der Sitze sind verfallen, die Stopfwolle haben sich die Mäsue zum Nestbau geholt. Ich habe jetzt ständig welche in mir, eine ganze Kolonie.
Ich bin ein Haus für sie geworden.
Und ich bin froh darüber.

Es vergingen Sommer und Winter, neue Häuser kamen zu den alten hinzu, ich sah seltsame Autos auf der Straße, die sie neu gebaut hatten.
Aber keine Panzer mehr.
Es scheint kein Krieg mehr zu sein.
Definitiv nicht.

Ich bin zugewachsen. Auch vor mir sind Bäume hochgewachsen, ich sehe nun kaum noch etwas.
Büsche, Sträucher überall um mich herum.
Ich weiß gar nicht, wieviel Zeit vergangen war.
Ich habe aufgehört, die Tage zu zählen, die Wochen, die Monate.
Es müssen viele gewesen sein.

Eines Tages kam ein Kind zu mir in den Wald.
Ich schlief, als ich plötzlich spürte, wie jemand auf mich kletterte.
Und dann sah ich ihn.
Und ich hörte ihn rufen:" Geil, ein Panzer!"
Noch ein Junge kam hinzu.
Panzer? Ach so, der meinte ja mich.
Sie kletterten in mich, aber hielten es in dem Moder und Dreck nicht lange aus.
Sie kletterten noch auf mir herum, und liefen dann plötzlich weg.

Am nächsten Tag kam ein erwachsener mit dem einen Kind, das mich gefunden hatte.
"Florian, das ist ein alter Panzer aus dem zweiten Weltkrieg. Der steht schon fast 70 Jahre hier! Komisch, das den noch keiner gefunden hat!"
Ich glaubte mich verhört zu haben, aber da wiederholte es der Kleine nochmal
"70 Jahre!" Er war erstaunt, befühlte meinen verrosteten Stahl.
In den nächsten Tagen bekam ich oft Besuch.
Auch von Mänern in Uniform. Aber keine Soldaten, sondern Polizei.
Man räumte die Munition aus mir heraus und brachte sie weg.
Ich hatte sie ganz vergessen.
Sie gruben auch das Loch auf, in dem meine Besatzung ihre Waffen versteckt hatte.
Sie untersuchten mich, und am nächsten tag kam ein Kran.
Ich wurde zum ersten Mal seit wirklich 70 Jahren hier weggeholt.
Fahren kann ich ja nicht mehr.
Ich verließ den Wald, in dem ich 70 Jahre lang gestanden hatte.
Ich stand auf einem großen LKW, und viele Leute waren da.
Sie fotografierten mich, als ich weggefahren wurde.
Es hat sich sehr viel verändert, sah ich unterwegs.

Ich kam in eine Werkstatt, in der man mich in monatelanger Arbeit restaurierte.
Sie schliffen mir den Rost ab und lackierten mich neu.
Nur meine Kanone reparierten sie nicht. Das war mir auch recht.
Sie schweißten an mir herum, zogen mir die Ketten ab, rastaurierten sie und zogen sie mir wieder auf. Und dann kam ich in ein Museum.
Sie zogen mich auf eine freie Austellungsfläche in einer sauberen Halle und stellten ein Schild vor mich hin, auf dem " Sd.Kfz. 173 "Jagdtiger" Sturmgeschütz, Baujahr 1945" stand.
Dazu noch meine technischen Daten.
Jetzt war ich wieder ein Sturmgeschütz.
Der Tigerpanzer nebenan hat kurz mit mir gesprochen.
"Ich habe 23 Russische T 34 Panzer abgeschossen! Und du?"
Ich habe ihn nicht angelogen, und habe ihm gesagt, das ich noch nicht einmal auch nur einen Schuss abgefeuert hatte.
Da hat er nur gelacht und dann verächtlich weggeschaut.

Heute stehe ich noch immer hier in diesem Museum,
und ich sehne mich zurück nach meinem Wald,
wo ich gelernt habe, das das Leben für mich nicht aus Krieg und Töten besteht.

 

Hallo Benjamin,

eine außergewöhnliche Idee hast Du da gehabt, um Gedanken über Gewalt und Leben zu formulieren. Die Maus besiegt den Panzer, indem sie ihn vereinnahmt und zeigt, was Leben bedeutet. Besonders gefallen hat mir „Im März baute sich eine Amsel ihr Nest in meinem Kanonenrohr. Das muß man sich `mal vorstellen!“ Man hätte da sicher noch einiges vertiefen können, doch wie gesagt, eine ungewöhnliche Idee.
„Sie sahen fertig aus“ finde ich in diesem Zusammenhang etwas zweideutig, weil man noch die Fertigstellung des erzählenden Panzers im Kopf hat.
Es müßte wohl auch heißen: Nicht „immer nur davon hören.“ Der Panzer muß wissen, daß seine Kanone funktioniert, es gab sicher ein Probeschießen.

Tschüß... Woltochinon

 

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