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Ein echtes Hundeleben
Nun zerr doch nicht so an mir! Ich weiß selbst, dass wir jetzt Gassi gehen. Man, was bist du wieder unentspannt! Warum hast du mich überhaupt aus dem Tierheim geholt, wenn dir meine Betreuung ein Organisationstalent abverlangt, wie einem gut gebuchten Supermodel, das gerade versehentlich Zwillinge bekommen hat? Jaaahaa, ich komm ja schon. Ich weiß, dass du nur zwanzig Minuten Zeit hast! Dass einfach alles in deinem Leben komplett durchgetaktet ist, wie der Workflow der Dr. Oetker-Produktionsstraße.
Wegen mir müsstest du nicht extra aus dem Büro kommen, damit ich mein Geschäft verrichten kann. Sorry, dass ich den Klodeckel nicht alleine hoch bekomme. Wenn du so nett wärest, das für mich zu erledigen, dann hätten wir beide etwas davon. Ich könnte ganz in Ruhe mein AA machen und du würdest einfach Abends abziehen. Ich müsste nicht wie die wildlebenden Straßenköter in irgendein Gebüsch kacken und du könntest deine Mittagspause dafür nutzen, wozu sie eigentlich einmal gedacht war: Zum erholen! Aber anstatt ihn zu senken, erhöhst du ja lieber deinen Blutdruck. Und das alles, weil du so tierlieb bist. Schon klar!
Ich habe mich ernsthaft gefragt, was wohl dein persönliches Motiv sein mag, mich zu unserem Zusammenleben zu zwingen, Vanessa. Ich meine: Natürlich könnte es mir schlechter gehen. Aber im Tierheim war´s okay, ganz ehrlich. Ich bin nicht so eine Diva wie du, bei der immer alles picobello sein muss. Bei der das Auto stets den Eindruck macht, als hätte man es vor fünf Minuten erst aus dem Werk abgeholt. Ich bin ein Minimalist. Mir reicht das einfache Leben. Nur Hektik, die kann ich nicht ertragen. Die aber verbreitest du permanent.
Aber so wirklich ausgesucht habe ich mir dich ja ohnehin nicht. Du bist einfach davon ausgegangen, dass ich gern mit dir und dem Rest deiner Familie Tisch und Bett teilen möchte, nicht wahr? Naja, ist halt das Schicksal von uns Hunden. Wir werden eher selten gefragt, was wir eigentlich wollen.
Apropos deine Familie: Ich bilde mir ja ein, dass Oliver, Stella und Timmy mindestens genauso unter dir zu leiden haben, wie ich es tue. Könnte das sein? Du steckst sie alle an mit deiner chronischen Rastlosigkeit. Man, was bist du unentspannt. Schrecklich!
Ich würde ja gern sagen: Vanessa, ich mag dich nicht! Aber ganz so einfach will ich es mir nicht machen. Manchmal, da bist du ja auch ganz anders. Weißt du noch am Freitag vor zwei Wochen, als wir zuerst unseren langen Spaziergang am Maschsee hatten und dann den ganzen Abend vor dem Kamin geschmust haben? Das hat mir wirklich was gegeben. Es hat mir gezeigt, dass es da noch eine andere, tiefsinnige Vanessa gibt. Eine, mit der man es sich gemütlich machen kann. Ich hätte das auch ein ganzes Wochenende so fortsetzen können. Aber du warst ja schon am Samstagmorgen wieder quengelig, hast alle durch die Gegend gescheucht, hattest dies auf dem Plan und jenes auf der Agenda.
Wenigstens bist du nicht so eine wie diese ganzen Nachbarsfrauen. Vanessa, meinst du ich merke nicht, wie wenig Lust du auf diese täglichen Zusammentreffen hast? Ohne mich wärst du davon verschont. Und im Wald spazieren gehen, das kann ein Mensch auch ohne dabei ein anderes Wesen an der Leine zu führen. Ich bekomme doch mit, wie du schon hunderte Meter vorher in dich hinein seufzt, wenn uns Frau Holten-Heinrich, die verschrobene Biologie-Lehrerin oder Oma Biernat mit ihren langweiligen Kötern entgegen kommen. Glaube nicht, ich habe allzu viel Lust, mich mit diesen einfach gestrickten Tölen abzugeben. Sie haben nichts, aber auch rein gar nichts an sich, was mich näher interessieren würde. Darin unterscheiden sie sich nicht von ihren Frauchen.
Aber sag doch mal. Ist es dir auch schon aufgefallen? Die symbiotische Beziehung mancher “Hundebesitzer” (Besitzer ausdrücklich in Anführungszeichen!) lässt sie quasi eins mit ihrem “Best Buddy” werden. Ich glaube, soweit wird es bei uns nicht kommen. Du bist mir viel zu anstrengend, um eine Symbiose mit dir einzugehen. Obwohl du ganz sicher die bestaussehendste Hundebesitzerin hier im Viertel bist. Nein, hässlich das bist du sicher nicht, Vanessa! Ganz im Gegenteil. Wenn ich ehrlich bin, bist du ein ziemlich heißer Feger. Aber hab´ ich denn ne Chance? Zum einen habe ich nicht das Gefühl, dass du mich als gleichberechtigtes Gegenüber wahrnimmst und zweitens ist Oliver mein bester Freund. Ich kann ihm doch nicht seine Frau ausspannen, die Mutter seiner Kinder! Klar hätte ich nichts dagegen, wenn zwischen uns ein wenig mehr laufen würde. Das sag ich dir ganz offen, Vanessa. Aber es geht nun mal nicht. Du würdest dich außerdem strafbar machen. Also weg mit dem Gedanken!
Oh jeeeh. Mir würd übel. Wahrscheinlich hörst du wieder nur “wuff, wuff, wuff”. Ich sagte: “Ach, die Frau Holten-Heinrich, grüße Sie”. Und: “Hallo Molly”. So wie jeden Mittag. Ein spannendes Leben sieht anders aus.