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Ein Date mit dem Figurentheater

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06.08.2005
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Ein Date mit dem Figurentheater

Ich bin viel zu spät dran und hetze zum Treffpunkt. Warum musste ich auch den neuen Rock anziehen, der eine Handbreit über dem Knöchel endet? Das hat natürlich eine Diskussion ausgelöst:
"Da musst du dich rasieren!", hat die prüde Jungfrau bestimmt. "So kannst du nicht aus dem Haus."
"Das seh ich gar nicht ein!" Natürlich ließ die Rebellin sich das nicht bieten. "Beine rasieren, nur weil frau das tut? Ich bin stolz auf meine Härchen!" Ich weiß ja, sie hält sie für ein Zeichen von Potenz, besonders, nachdem wir gehört haben, dass Frauen mit Haaren an den Beinen gut im Bett sein sollen. Allerdings war das in den Siebzigern! Nach einigem Hin und Her schlichtete ich den Streit mit dem Kompromiss, genau bis zwei Zentimeter über dem Rocksaum zu rasieren. Für die prüde Jungfrau war der Schein gewahrt, die Rebellin freute sich über den waagerechten Rasur-Limes, und ich konnte endlich los.

Da sitzt der Mann im Cafe und wartet. Er lächelt mich mit seinen großen grauen Augen an, und wir freuen uns, ihn zu sehen.
"Wie süß er lächelt!" Teeny ist begeistert. "Nur schade, dass er die Haare nicht offen trägt!" Teeny ist mit ihrem Geschmack der Männer auch in den Siebzigern steckengeblieben, bei dunklen Wallehaaren und Rauschebart ist sie hin und weg, besonders, wenn derjenige noch einen Parka trägt. Seit sie den Mann einmal mit offenen Haaren erblickt hat, ist es um sie geschehen. Für mich bedeutet das eine Menge Arbeit, denn jeder Blick, jedes Wort muss erst meine Zensur passieren. Hilfe vom Aufpasser ist kaum zu erwarten; er kommt nicht mehr oft zum Zuge, weil er bei jedem Auftritt übertreibt. Früher hat er uns allen Angst gemacht mit seinen Sprüchen wie: "Bei dir ist Hopfen und Malz verloren!" oder "Keiner mag dich!" Aber inzwischen ist die versammelte Truppe ein eher lustiges Team, das ihn nicht mehr ernst nimmt, und so kommt er nur noch, wenn es uns wirklich schlecht geht.

Wir bestellen Getränke und sind bald mitten im Gespräch. Auf meine Frage nach seinem Segelboot erklärt mir der Mann die Minimierung des Strömungswiderstandes am Kiel, und ich höre aufmerksam zu. Der Mann sprüht vor Kompetenz, und ich nehme seine Informationen auf.
"Und mit Fluid ist das Wasser gemeint, das der Bewegung Widerstand entgegensetzt?" Eine klügere Frage fällt mir gerade nicht ein, aber auch diese soll meine Intelligenz und Aufmerksamkeit beweisen.
"Genau!" Wieder lächelt der Mann, bevor er seinen geistigen Faden aufnimmt.
"Er hat wieder gelächelt! Wie süß!" Verzückt sorgt Teeny für unsere entsprechende Mimik, bevor ich abwägen konnte, ob das jetzt angebracht ist. Okay, es ist angemessen, entscheide ich im Nachhinein. Nichts, wofür wir uns schämen müssen.

"So wird das doch nie was!", schimpft innerlich Twen, "Wenn du alles kontrollierst, merkt der doch nie, dass du auf ihn stehst." Die prüde Jungfrau und ich zucken gleichzeitig zusammen.
"Das soll er auch nicht!" Und überhaupt, stehe ich wirklich auf ihn?
"Auf jeden Fall solltest du mehr Haut zeigen!", fährt Twen jetzt weiter fort. "Das Minikleid zum Beispiel ..." Ich stelle mir im Geist die entsprechende Rasur-Diskussion vor und rolle mit den Augen.
"... oder ein tiefer Ausschnitt mit Push up ..."Twens Körperbild von uns entspricht seit den Neunzigern nicht mehr dem tatsächlichen. Mit der allgemeinen Gewichtszunahme verfüge ich inzwischen über eine beachtliche Oberweite, allerdings auch über ein gesteigertes Gedächtnis der Haut, die jede Bewegung des Oberkörpers sofort in Knitterfalten im Dekolletee festhält. Ich seufze leise und versuche, dem Gespräch weiter zu folgen. Inzwischen geht es um den Unterschied zwischen Druckwiderstand und Reibungswiderstand.

Bei "Druck" und "Reibung" schweife ich weiter ab. Ich betrachte die großen, grauen Augen, deren Blick ich jetzt gern auf mir spüren würde. Doch der Mann ist so damit beschäftigt, mich intellektuell zu beeindrucken. Oder geht es gar nicht um mich? Vielleicht fühlt er sich selbst besser, wenn er sich so reden hört.
"Willst du nicht mal einen Zahn zulegen?", schlägt das wilde Weib vor. "Ich meine, Teeny ist ja mit Blicken und zufälligen Berührungen voll zufrieden, aber ich hätte schon mal gern wieder geilen, triebhaften Sex."
Sofort geht der Tumult los. Die lauteste Stimme ist die von der prüden Jungfrau, die Einhalt gebietet. Sie ist die typische Gegenspielerin des wilden Weibes und hält nichts von Hingabe. Sie ist auch beim Sex bemüht, alles sauber und hygienisch zu halten und bloß nicht die Kontrolle zu verlieren. "Sex ist keine Option", vermittelt sie mit harter Stimme, "denkt mal an unsere merkwürdige Beinrasur."
"Als ob mich das kümmern würde ..." lacht das wilde Weib nur und entwickelt Fantasien von dem Mann auf dem Tisch, mitten im Café, verschwitzt und ausgepowert.

Jetzt ist auch noch das innere Kind aufgewacht. Sorgsam beäugt es den Mann, und ich bin froh, dass er keine Ähnlichkeit mit den Bedrohern von früher aufweist. Das habe ich natürlich von Anfang an ausgeschlossen. Trotzdem scheint es nicht beeindruckt:
"Der ist doof!"
"Warum das denn?" Auf die Antwort bin ich wirklich gespannt.
"Der sieht uns nicht." Ich staune. Da stimmt sogar Twen zu:
"Der zeigt uns doch dauernd, wie toll er ist. Das kann ich gar nicht gebrauchen. Der sollte uns lieber sagen, wie toll wir sind. " Ich grinse, doch Twen ereifert sich weiter: "Hat der uns irgendwas gefragt, Interesse gezeigt?"
Leider hat sie recht. Und auf die Dauer ist es ermüdend.

So bin ich auch nicht traurig, als der Mann schließlich auf die Uhr schaut und bedauernd sagt, dass er langsam gehen muss. Viel zu schnell kommt mein Nicken und "Okay!" Nur Teeny besteht noch auf einer Umarmung zum Abschied und wird sicher weiter von dem Mann träumen.
Ich selbst höre mich nochmal um im Figurentheater, und die Stimmung ist ganz in Ordnung. Ich ruhe in mir, kein Persönlichkeitsanteil fühlt sich vernachlässigt, ich habe also gut moderiert. Von Ferne höre ich den Aufpasser murmeln: "Keiner mag dich!", doch die Stimmen der anderen zählen mehr, besonders die eine, die ich noch einmal laut wiederhole: "Nach dem Date ist vor dem Date! Also, auf ein Neues!"

 

Hallo Elisha,

Teeny, prüde Jungfrau, wildes Weib, Twen, das innere Kind .... hey, die kenne ich doch alle? Muss ja wohl eine 'zufällige' Namensgleichheit sein, denn auf Männerhaare wie beschrieben steht mein Twen nicht (aber es ist verdammt viel Wiedererkennungswert in deiner Story!). Äußerst nett zu lesen ... kann aber unter anderem auch am Herkunftsjahrzehnt liegen :-).

Viele Grüße,
hat Spaß gemacht,

Eva

 

Hallo Ellisha,

gern gelesen als jung 68-er, der - ohne Lehrer zu sein, nicht mal Germanistik studiert hat - eine Flüchtigkeit anzeigt

Da sitzt der Mann im Cafe und wartet.
Im Kaffe?, würden wir fragen. Mit accent aigu sagen wir dann Café ...

und einem Vorschlag

So bin ich auch nicht traurig, als der Mann schließlich auf die Uhr schaut und bedauernd sagt, dass er langsam gehen muss.
Besser vllt. bei der indirekten Rede Konjuntiv I
"gehen müsse".

Dann sollten wir die Adressen austauschen, doch zuvor die Frage: Parka oder doch Kampfjacke?

Gern gelesen vom

Friedel,
der noch schöne Pfingsten wünscht

 
Zuletzt bearbeitet:

@Eva

Das war ja wohl ein Rekord! Kaum gepostet, schon ein Kommentar! :bounce:
Und schön, dass sie dir gefallen hat. Hat dein Teeny denn auch eine Marotte? *g*
Ich dachte mir schon, dass die Geschichte was für Frauen in meiner Altersklasse ist (für Friedel: sei).

Umso erstaunter war ich dann:
@Friedrichard
Jung-68ger finde ich toll. Oder spricht da mein Teeny? Und natürlich: Parka, das Original. Oder vllt noch ein Duffle-Coat. :D (Das war jetzt Geheimsprache für die jungen Spunde)

Das Café habe ich verbessert, den Aufpasser verschärft (aus eigenem Antrieb) und noch Kleinigkeiten geändert , aber den Konjunktiv lasse ich lieber. Du hast natürlich recht, dass es korrekter wäre, aber die Erzählerin spricht ja eh Umgangssprache:

bei Wallehaaren und Rauschebart ist sie hin und weg
Da passt das besser, finde ich.

Danke euch beiden für die Kommentare.

Gruß, Elisha

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Elisha,

da bist du ja wieder mal. Wellcome back!

Ich hatte letztens ein Persönlichkeitscoaching durch meine Firma, da ging es genau darum. Lerne deine persönlichen Eigenschaften kennen, bediene dich ihrer Fähigkeiten, lasse die starken davon häufig und mit einem optimalen Timing auf die "Bühne" und pass auf, dass dir die schwachen nicht das Konzept versauen.

Und so in ein bisschen erinnert mich dein Text auch an Otto in seinen besten Zeiten: "Leber an Auge" ;-)

Das kommt bei mir unterhaltsam an, liest sich aber insgesamt wie eine kleine Fingerübung, etwas halbherzig vielleicht. Aus dem Thema ließe sich bestimmt mehr herausholen, und auch mehr Humor, denke ich.

Im Grunde genommen ist das ja die humorvolle Persönlichkeitsspaltung, die in uns allen irgendwie steckt, und viele unser gute und weniger guten Eigenschaften rangeln situationsbezogen um das Steuer.

In meiner Jungend waren es noch erstaunlich wenige, da stand meistens Kapitän "Leichtsinn" auf der Kommandobrücke und die Richtung hieß grundsätzlich "Vorwärts".

Bei dir geht es um eine Frau in den besten Jahren, die zu einem Date geht, und während diesem Treffen geht in ihr die Rangelei los. Ich hätte mir das viel dynamischer, chaotischer und temperamentvoller gewünscht, bei dir läuft das artig und gemächlich ab. Das ist mir halt zu wenig. Die Idee könnte einfach mehr Feuerwerk vertragen, was weiß ich.

Ich weiß ja nicht, ob du während der KG Abstinenz viel geschrieben hast, aber vielleicht musst du erst mal wieder ins Schreiben reinkommen?

War trotzdem nett zu lesen :-)

Rick

 
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Hallo Rick,

Ich hatte letztens ein Persönlichkeitscoaching durch meine Firma, da ging es genau darum ...
Und so in ein bisschen erinnert mich dein Text auch an Otto in seinen besten Zeiten: "Leber an Auge" ;-)
Schön, Leute mit demselben kulturellen Hintergrund zu finden. ;)

Seit Schulz von Thun das Konzept des inneren Teams in die Kommunikation eingebracht hat, fühle mich nicht mehr so allein mit meiner Wahrnehmung. Vorher war das eher so:
"Wie, zwei Seelen wohnen ach! in meiner Brust? Hunderte ..."

Aber das scheint ja nicht für alle so zu sein. Für ... ähm ... sagen wir mal Anwälte (hi, GD :) ) scheint das Konzept weniger vertraut zu sein. Deshalb war ich beim Einstellen auch überfordert mit der Kategorie. Seltsam? Romantik? Da für mich das systemische Erleben inzwischen Alltag ist, also diese.

Ich glaube, das ist das Schwierige: für Leute wie dich ist das Konzept vertraut, und die Reaktion :"So what?"
Für andere vllt eher verwirrend :"Was soll das denn?"

Und anders als bei Otto geht es mir um psychologische Stimmigkeit. Insgesamt habe ich mich gefreut, dass überhaupt Humor darin zu finden ist. Eine dramatische Variante wäre sicherlich ein Date mit einem dominanten Aufpasser, wie es dort angedeutet wird.

so kommt er nur noch, wenn es uns wirklich schlecht geht
Wäre vllt das was für Copywrite :Pfeif:

Und ich beantworte doch zwei zentrale Fragen der Männer beim Date:
1. Was geht bloß in der Frau vor? und
2. Wie kann ich sie für mich gewinnen?

... Der sollte uns lieber sagen, wie toll wir sind ... Hat der uns irgendwas gefragt, Interesse gezeigt?
Ist das nicht genug? ;)

Du hast recht mit der Pause: nach einer schweren Krankheit konnte ich eine Zeitlang gar nicht mehr schreiben, noch nicht einmal Tagebuch. Zum Glück liegt das jetzt hinter mir, und inzwischen bin ich wieder richtig drin. Durch Zufall (???) habe ich nämlich einen Vertrag für eine wöchentliche Veröffentlichung; das hat Dynamik gebracht.

Heute ist übrigens Cool http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?t=29995 drin, eine Geschichte, für die ich von Tserk mal 5 :rolleyes: erhalten habe, die aber anscheinend auch ohne (die leider inzwischen gelöschte) Originalgeschichte und sogar in der Schweiz funktioniert. Tja, Nick ...ähm ... Rick, fällt dir dazu vllt ein Witz ein? *g*
Da sieht man, wie unterschiedlich Geschichten aufgenommen werden.

Ich war auch in deinen Geschichten unterwegs, aber du hast überall so viele Kommentare, da fällt mir kein neuer Aspekt ein.
:deal: Aber warte, wenn du was Neues einstellst und ich das zeitnah mitbekomme ... :naughty:

Danke für das Willkommenheißen!

Gruß, Elisha

 

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