Was ist neu

Ein Brief aus Bagdad

Mitglied
Beitritt
22.03.2003
Beiträge
2

Ein Brief aus Bagdad

Ein Brief aus Bagdad

Dear Mr. Bush, president
Ich bin zwar nur ein kleiner Junge aus Bagdad, trotzdem möchte ich Dir schreiben.
Denn ich finde es sehr unfair, daß Dich so viele einen Kriegsverbrecher nennen, der mit seinen Helfern vor ein internationales Kriegsverbrechertribunal gehört. Wo Du doch nur das Beste für uns willst.
Täglich bete ich zu Dir: Lieber Georg W. Bush, laß keine von Deinen Bomben auf mich fallen, damit ich Deine demokratische Freiheit, die Du uns versprochen hast, erleben kann. Dann werde ich wie Du ein großer Mann sein und handeln, wie es mir gefällt, und wenn die ganze Welt dagegen ist. Wie Batman werde ich gegen die Bösen, die immer die anderen sind, kämpfen, auch wenn dabei ganze Städte in Trümmer fallen und viele tausende sterben. Das ist die Sache wert, solange dabei keine Amerikaner fallen, jedenfalls keine Weißen. Um die Farbigen ist es ja nicht schade, die mögen mein Vater und seine zwei Brüder auch nicht.
Leider sind sie ums Leben gekommen. Doch sie sind selbst schuld. Warum mußten sie gegen Deine Soldaten kämpfen? Hätten sie als Amerikaner gekämpft, hätten sie es sicher einfacher gehabt. Sie hätten dann nur auf Knöpfchen drücken müssen, um mit einer Rakete viele böse Irakis zu töten, und wären so zu Helden geworden.
Weil sie aber für ihre Heimat gekämpft haben, sind sie Terroristen und keiner weint ihnen nach, außer natürlich meine Mammi und meine Schwestern. Doch die haben es nicht mehr erfahren, denn eine Streubombe hat sie gestern auf dem Markt getötet, zerfetzt, wie ein Fernsehreporter gesagt hat. Ob das weh tut? Sie brauchen nun keine Freiheit mehr.
Natürlich müßte ich um sie alle weinen, doch Du als großer Menschenkenner weißt, daß ich gar nicht erwarten kann, bis Deine Soldaten da sind und uns Kaugummi und Coca Cola bringen. Da werden wir schnell alles Schreckliche vergessen, die Bomben und Raketen, die Trümmer und die Toten. Wir werden Dir sehr dankbar sein und vielleicht sogar Christen werden.
Denn Du hast gezeigt, daß die echten Christen nicht die Feiglinge sind, die alles friedlich regeln wollen, sondern so wie Du. Du betest täglich und bekommst dann Deinen Marschbefehl von Gott. Das hat zwar unser Saddam Hussein auch von sich gesagt, doch sicher hat er zum falschen Gott gebetet. Außerdem hat er ihm keine Dollar gespendet.
Hoffentlich kommen bald Deine Soldaten und bringen uns Kultur und die schönen Hollywoodfilme, in denen fast nur geschossen und gekillt wird und tolle Autoverfolgungsjagden stattfinden.

Ich habe nur die eine Angst, daß Ihr, Du und Deine Leute, vielleicht nicht wißt, daß wir keine Indianer sind. Denn mit denen habt Ihr kein großes Federlesen gemacht. Hätten die nicht auch Freiheit und Demokratie verdient, noch dazu, wo ihr im gleichen Land lebt?
Dein ewig dankbarer Ali ibn Saud

Leider wird der Brief seinen Empfänger nicht erreichen, denn inzwischen ist auch Ali tot, getötet an einem amerikanischen Kontrollpunkt zusammen mit seinen Großeltern, beim Versuch, zu den amerikanischen Truppen zu fliehen. Nun ist Präsident Bush auch noch diesen Bewunderer los.

 

Hoi Rumpelstilzchen =)

Also, die Idee finde ich eigentlich recht gut, auch wenn solche ähnliche Briefe bereits existieren (bei uns in der Zeitung wurde z.B. einer abdedruckt, dann auch der aus den Kettenmails usw.)Zwar bin ich auch gegen diesen Krieg, aber ich finde es gerade etwas dick aufgetragen. Auch wenn keiner so wirklich weiss, was wirklich an den Medienberichten stimmt und wie verlässlich sie sind, ich denke, sie stimmen in etwa und solch eine Familie müsste schon recht vom Pech verfolgt werden (gut, das werden alle) dass gleich der Vater, seine Brüder, die Mutter, die Schwestern und dann noch "Ali" selbst umkommen. Soviel ich weiss hat dieser Krieg bis jetzt etwa 350 Opfer gefordert. Klar ist es möglich, aber es sieht ziemlich auf die Tränendrüsen gedrückt aus. Zudem hätte dieser Brief Bush sowieso nie erreicht, ob Ali jetzt überlebt hätte oder nicht, Bush liest die ja bekanntlicherweise nicht, falls man sie ihm überhaupt überriecht hätte.

Liebe Grüsse
Annina

 

Den guten Willen und die ehrenwerte Absicht sehe ich wohl, Rumpelstilzchen, allein: der Text ist sehr bieder und altbacken. Er ist bestenfalls dazu angetan, dass alle, die sowieso gegen den Krieg sind, beifällig nicken. Will man die Minderheit der Kriegsbefürworter in unserem Lande mit Literatur umstimmen, brauchte es andere stilistische Mittel. Welche? Frag mich nicht...

Gruß
Bobo

 

Erstaunlich nicht nur, daß mein Beitrag überhaupt aufmerksam gelesen wurde, sondern daß eine aktive Resonanz so schnell erfolgte. Bin richtig gerührt.
Natürlich habt Ihr in allem recht, liebe Aquila und Bobo:
1. Die Briefform ist uralt und ähnliche Briefe existieren sicher mehrfach ( z.B. Briefe an den lieben Gott, der diese Briefe sicher eher lesen würde als mr. president – der Sarkasmus darin und die Gleichsetzung waren gewollt). Doch wie ein fiktives Opfer sich bündig und schnell äußern lassen?
2. Natürlich habe ich mit den Opfern dick aufgetragen und auf die Tränendrüse gedrückt, da hatte ich schon selbst Bedenken. Aber ist das nicht erforderlich angesichts des Abgestumpftsein durch tägliche Sensationsmeldungen und der Berichte der Kriegsparteien, z.B. dass beim ersten Vorstoß der amerikanischen Panzer in das Zentrum Bagdads mehr als 3000 tote Irakis am Straßenrand zurückgeblieben seien. In mehr als einem Fall werden Bomben eine ganze Familie ausgelöscht haben. Die Realität ist oft krasser als die Fiktion, liebe Aquila.
3. Ganz sicher hätte Bush diesen Brief nie erhalten und auf keinen Fall ernst genommen, so wenig wie die wohlmeinenden Ratschläge ihn warnender Staatsmänner. Ist ja auch nur eine Fiktion und zeigt, wie sinnlos gegen Fanatismus jeglicher vernünftige Ratschlag ist.
4. Sicher ist der Text stilistisch sehr bieder und altbacken. Mein Bedenken war eher, dass die Diktion des fiktiven Briefes weit über den Horizont und die Ausdrucksfähigkeit eines Kindes in Bagdad hinausgeht, lieber Bodo.
5. Ich wollte ganz sicher nicht die Kriegsbefürworter umstimmen. Das wäre ein vergebliches Bemühen angesichts der politischen und wirtschaftlichen Interessen, die dahinterstehen. Ich wollte nur auf den Irrsinn derjenigen hinweisen, die glauben, mit Tod und Zerstörung Zuneigung bei den Opfern erkaufen, Begehren nach Freiheit und Demokratie erzeugen zu können. Das schlimmste ist, daß die Rechnung derjenigen, die auf Krieg setzen, aufgehen wird wie im Nachkriegsdeutschland, wo die Kinder die Kaugummis und die Männer die Zigarettenkippen der Besatzungssoldaten erbettelt und manche Frauen sich für Kaffee zu allem bereit gefunden haben, obwohl (oder weil ?) wenige Wochen vorher ihre Städte unter Bombenteppichen in Trümmer sanken, obgleich der Krieg schon entschieden war, und Hunderttausende unschuldiger Frauen und Kinder (s. nur Hamburg und Dresden), vielleicht ihre Angehörigen, elend umkamen. Wer denkt heute noch daran, wieviele Opfer die Freiheit, die man uns brachte und mit der schon viele nichts mehr anzufangen wissen, gekostet hat?

Ich wollte also lediglich meinem Herzen Luft machen und die Hilflosigkeit zum Ausdruck bringen in Person eines naiven Kindes, das noch glauben darf, gehört zu werden.
Also vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit, Eure Mühe und wohlmeinenden Einwände. Ich habe sie mir zu Herzen genommen.
Sei nicht traurig, lieber Bodo, dass Du keine stilistischen Mittel gegen Kriegsbefürworter weißt. Es gibt nämlich keine. Literatur – nicht dass ich mir anmaße, so etwas zu schreiben –
hat noch nie und wird nie Krieg verhindern.
Liebe Grüße Rumpelstilzchen

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom