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Ein Blick in die Seele

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09.01.2004
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Ein Blick in die Seele

Alex gähnte ausgiebig und streckte sich soweit der Autositz das zuließ. Er war trotz besseren Wissens viel zu lange auf Arbeit geblieben und mittlerweile hundemüde. Zweimal hatte ihn der Sekundenschlaf schon übermannt und das heruntergekurbelte Fenster und die laute Musik halfen nur wenig. Er hätte einfach früher Schluß machen müssen. Läuft ja nicht weg der Mist, dachte er.
Ziemlich unkonzentriert fuhr er die Hauptstraße entlang und hatte seine Augen schon eine ganze Weile auf den Mann gerichtet, bevor sein Verstand das Hindernis registrierte. Alex kniff die Augen zusammen und lehnte sich leicht vor.
''Was zum ...''
Für einen Augenblick wußte er nicht was er machen sollte. In einhundert Metern Entfernung stand mitten auf der Straße ein Mann und machte keinerlei Anstalten sich zu bewegen. Ohne das er es gemerkt hatte, war er auf die Bremse gegangen und rollte langsam aus. Sein Wagen kam zwanzig Meter vor dem Fremden zum Stehen, der die ganze Zeit in seine Richtung gestarrt hatte.
Noch immer keine Bewegung.
Alex überlegte, ob er einfach vorbeifahren sollte, als ein Schlag das Auto traf. Erst nach einigen Augenblicken begriff er, daß er den Fuß von der Kupplung genommen hatte, ohne den Gang herauszunehmen.
''Oh Mann, du bist wirklich müde.''
Er seufzte tief und blickte wieder hoch.
''Na wenn du schon mal stehst ...'' sagte er sich leise. Vielleicht brauchte der Typ ja wirklich Hilfe.
Er stieg langsam aus und ging auf den Mann zu. Im Näherkommen sah er, daß die Person ziemlich abgerissene Klamotten trug. Jeans und T-Shirt waren wohl seit Ewigkeiten nicht mehr gewaschen worden. Das fettige, schwarze Haar und das unrasierte Gesicht verstärkten den Eindruck der Verwahrlosung, aber was nicht zu dem Bild passte, waren die Augen. Hellwach und schon fast übernatürlichen weiß, leuchteten sie aus den tiefen Augenhöhlen. Ein verschlafener, gleichgültiger Blick aus blutunterlaufenen Augen hätte besser zu dem Rest gepasst.
Alex hielt ein paar Meter Abstand und musterte seinen Gegenüber. Der Blick hatte etwas komisches an sich und das Dauerlächeln war entnervend. Nach ein paar Sekunden zuckte er die Schultern und hob die Arme leicht mit den Handflächen nach außen. Die universelle Geste für 'Und was jetzt?'
''Kann ich ihnen helfen?'' fragte er.
Das Lächeln des Mannes wurde noch etwas breiter.
''Vielleicht ... wissen Sie warum wir hier sind?''
Alex verzog das Gesicht. Was sollte denn der Mist? Spinnt der?
''Ja, ich habe angehalten und sie stehen einfach da. Deswegen sind wir hier.'' antwortete er leicht verärgert. Der Typ hatte eindeutig ein Problem, allerdings konnte und wollte Alex ihm nicht dabei helfen.
''Warum leben Sie? Denken Sie jemals darüber nach? Sind sie glücklich mit dem was sie tun?'' fragte der Mann, jetzt schon grinsend.
''Ähm ... wie heißen Sie?'' fragte Alex.
''Michael.''
''Okay, Michael ... also ich würde ja wirklich wahnsinnig gerne mit Ihnen philosophieren, aber es ist schon spät, ich hatte einen langen Tag und möchte nach Hause. Ich glaube, ich fahre dann einfach mal weiter, während sie gemütlich auf der Straße stehenbleiben.'' sagte Alex und drehte sich herum.
''Bitte bleiben Sie.''
''Guten Nacht!''
''Sie werden ihr Auto nicht lebend erreichen.''
Alex erstarrte mitten in der Bewegung. Er war hellwach. Nach ein paar Sekunden drehte er sich wieder um. Er rechnete damit eine Pistole auf sich gerichtet zu sehen, aber der Mann, Michael, hatte sich kein bischen bewegt. Er grinste immer noch breit.
''Verdammter Psycho!'' sagte Alex wütend und wollte sich gerade wegdrehen, als sich der Gesichtsausdruck von Michael veränderte. Das Grinsen nahm diabolische Züge an, während er die Arme leicht anhob.
''Ich möchte Ihnen etwas zeigen, mein Freund.'' sagte er mit einer ganz und gar unfreundschaftlichen Stimme.
Nichts schien zu passieren. Nach ein paar Sekunden merkte Alex jedoch, daß es begann, kälter zu werden.
''Was soll das?'' murmelte er zu sich selbst und seine Augen weiteten sich als sein Atem zu einer kleinen Dampfwolke kondensierte. Es war eine laue Sommernacht!
Mit einem gewaltigen Schrei entlud der Wahnsinnige vor ihm die aufgestaute Energie und es gab nur eine Sache, die noch lauter war: das explosive Geräusch hinter ihm, mit dem die Autos in einer irrsinnigen Geschwindigkeit in die Luft geschleudert wurden. Wie Konfetti hoben die rechts und links parkenden Fahrzeuge in einer Kettenreaktion ab.
Es sah einfach atemberaubend aus.
Einen Sinn für das Dramatische hat der Mann, dachte Alex und wunderte sich sofort über seinen eigenen Gedanken. Irgendwie wußte er nicht so genau, was er überhaupt denken sollte. Er folgte den fliegenden Geschoßen mit den Augen, während sein Verstand die Flugbahn analysierte. Als er das ungefähre Ende der Kurve gefunden hatte, weiteten sich seine Augen noch mehr, falls das überhaupt möglich war.
Für einen kurzen Augenblick spielte er alle Optionen durch. In ein paar Sekunden würde es Autos regnen. Keine Chance wegzulaufen. Es gab überhaupt nur eine Möglichkeit.
Mit einem wahren Kampfschrei sprintete er nach vorne auf den Verrückten zu.
Er sah mehrere von den Autos wie Steine senkrecht zu Boden fallen, während gleichzeitig die Luft um ihn herum nochmals drastisch abkühlte.
Eine psychokinetische Schockwelle traf ihn und schleuderte ihn weit durch die Luft. Die volle Ladung aus Haß, Aggression und Wut hatte nicht nur körperliche Auswirkung sondern bohrte sich auch tief in seine Seele.
Die Sekunden seines Falles wurden zu einer Ewigkeit in der Hölle. Alles um ihn herum wurde langsamer bis die Zeit fast still zu stehen schien, während in seinem Kopf die Gedanken rasten. Alle schlechten Erinnerungen wurden gnadenlos herausgezerrt aus dem Dunkeln und er erlebte alles noch einmal. Sogar mehr als das. Die wütenden Gedanken, die ihn ausweideten, vermischten sich mit den seinen und offenbarten sich ihm genauso, wie sie sich an ihm bereicherten.
Und dann verstand er es.
Die Zeit kehrte zurück und er schlug mit äußerster Brutalität auf. Wäre noch Luft in seinen Lungen gewesen, dann wäre sie spätestens jetzt herausgetrieben worden. Sein linker Arm wurde zerschmettert und mehrere Rippen brachen. Beim Überschlagen verdrehte sich sein Knie und knackte mit einem bösartigen Geräusch. Es war ein Wunder, das sein Kopf beim Aufprall nicht einfach zerplatzte wie eine reife Melone.
Es wurde schwarz um ihn und er sah nur noch blitzende Lichter in der Dunkelheit, die im Takt mit den tausenden Nadeln zu sein schienen, die in seiner ganzen linken Seite wüteten. Er schnappte verzweifelt nach Luft und erst nach langem Ringen schaffte er es, trotz der Schmerzen in seiner Brust einzuatmen.
Das Gesicht von Michael kam in seine Sicht, aber Alex brauchte eine Weile, um es zu erkennen. Immer wieder driftete er in die Dunkelheit ab.
Michael betrachtete ihn schweigend. Alex sah die Mischung aus Hoffnung und grenzenloser Wut in seinen Augen. Er versuchte etwas zu sagen, aber es ging nicht.
Verdammt! Er mußte es ihm nur sagen, mehr nicht. Das er es lassen sollte, warum er es lassen sollte, warum er es nicht zu tun brauchte. Er müßte es einfach nur sagen, und der Bann wäre gebrochen.
Er konnte es nicht. Nur ein Stöhnen kam über seine Lippen.
So lag er da, schmerzerfüllt, und sah die Hoffnung in Michael's Augen.
Eine Ewigkeit lang starrten sich beide an, dann verlosch der Funken der Hoffnung und es wurde wieder kalt um Alex.
Das letzte was er sah, war das Bedauern in Michael's Augen.
War da nicht sogar eine Träne zu sehen?

 

die Geschichte enthält tatsächlich nichts bemerkenswert philosophisches. Schlage daher eine Verschiebung vor.

kulkanie, bist du damit einverstanden, dass ich deine Geschichte nach "Spannung" (als Auswahl) verschiebe?

 

Okay, einverstanden. Du bist der Moderator! ;)

Ich gebe zu, daß der philosophische Ansatz gut versteckt ist, vielleicht schon zu versteckt für eine Kategorie, die diesen Namen trägt. :) Ich habe auch nicht so recht gewußt, wo ich es am besten hinschiebe... da es mir aber um den philosophischen Aspekt ging, hatte ich mich so entschieden. Ich gebe aber ehrlich zu, daß mehr Rahmenhandlung als Philosophie enthalten ist. Habe also nichts einzuwenden gegen eine Verschiebung!

 

@maxy:

Der Aspekt ist gering und mit zuviel Rahmenhandlung verbunden, ich gebe es zu... aber ich wollte einfach ein paar Autos fliegen sehen, frage mich nicht warum. :D

Worum es geht? Um das Gefühl innerer Zerrissenheit. Wenn man erkennt, daß man Hilfe braucht. Wenn ein Teil diese Hilfe will und ein anderer nicht. Beides gehört zu der gleichen Person, das gleiche Ich und doch so verschieden. Wie kann das sein? Wie kann man es ändern? Keine Ahnung, Hilflosigkeit. Diese Hilflosigkeit erzeugt noch mehr Wut und vergrößert den Zwiespalt. Man tut denen weh, die man liebt, um ihnen zu zeigen, daß man ihre Hilfe braucht. Und man sieht, wie pervers man sich damit verhält und haßt sich nur noch mehr...

Das ist die Kernaussage, der Rest ist Rahmenhandlung. Hm, versteckt, ich weiß...

Man tut nicht nur Freunden sondern auch Fremden weh, wie in diesem Fall. Alex und Michael kennen sich ja nicht. Freunden allerdings weit mehr...

 

Hallo Kulkanie,

aus diesem Michael werde ich nicht schlau.

Einen Sinn für das Dramatische hat der Mann, dachte Alex ...
Das mag wohl cool klingen. Aber wenn ich neben jemandem stehen würde, der gerade mein Auto in die Luft gesprengt hat, hätte ich wohl weniger cool reagiert und mich einfach erschreckt. Das erscheint mir doch sehr gekünstelt.
Das Gesicht von Michael...
spätestens ab da habe ich nicht mehr verstanden, was passiert.

Versteh mich bitte nicht falsch: eigentlich gefällt mir die Geschichte. Sie ist spannend und interessant aufgebaut. Es bleiben aber für mich viele Fragen offen.

Beste Grüße
knagorny

 

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