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Ein bisschen Freude

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24.10.2017
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Ein bisschen Freude

Die Zeit steht still zwischen Winter und Frühling. Verschwunden ist die glitzernde Decke aus Schnee und Eis, die rot-goldenen Tage des Herbstes sind vergessen, und kein Hoffnungsschimmer, kein Traum von milder Luft und frischem Grün macht die Leere und Kälte erträglich. Die Sonne ist unendlich fern. Nackt und aufgerissen frösteln die Äcker und Wiesen, deren mattes Grün von Lachen schmutzig-weißen Schnees unterbrochen wird; das schwarze Gestrüpp der Bäume duckt sich starr und tot unter dem bleichen, unbarmherzigen Himmel.

Das trübe Licht des Tages verglimmt; hinter den Hügeln erwacht unmerklich die Nacht. Georg zieht frierend die Schultern hoch und richtet den Blick bang nach vorne. Sein Weg führt nun ein gutes Stück durch den Wald; er sollte seinen Schritt beschleunigen, denn der Pfad ist schmal und holperig, im Finstern gerät man leicht ins Stolpern. Und hört man nicht ab und zu von zwielichtigen Gestalten, die nach dem Markttag irgendwo im Dunkeln lauern und es auf die Börse der Heimkehrenden abgesehen haben? Eine gute Stunde und er erreicht seinen Hof. Doch keine Wärme erfüllt ihn bei diesem Gedanken. Es erwartet ihn kein Lachen, kein gutes Wort. Nur Pflicht. Freude und Frohsinn scheinen ihm unerreichbar wie der Mond. Fast schämt er sich für das sich selbst kaum eingestandene Vergnügen, das ihm der Tag auf dem Markt beschert. Er strafft sich und seine Beine greifen zügiger aus. Zu seiner Rechten beginnt eine dichte Tannenschonung deren weiches Grün ein wenig Farbe in das braun-grauen Zwielicht zaubert. Es ist fühlbar kälter geworden.

Der Hauch der Nacht weckt Leonore. Sie räkelt sich verschlafen in ihrem weichen Lager aus dürrem Laub und Tannennadeln unter den dichten, jungen Fichten. Kein Lichtstrahl durchdringt das schützende Geäst, dennoch weiß sie, wie weit die Dämmerung fortgeschritten ist. Sie setzt sich auf und lauscht. Schritte nähern sich. Der betörende Duft eines warmen menschlichen Wesens. Er ist allein. Das ist gut; manchmal sehnt sie sich danach, mit jemand zu reden. Sie empfindet die Einsamkeit neben einem nagenden Schuldgefühl als das Schlimmste in ihrem Dasein, das beherrscht wird von einer unbezähmbaren Gier nach Leben. Sie hat es längst aufgegeben dagegen zu kämpfen. Leonore ordnet ihre dichten, braunen Locken. Ihr Kleid ist grün wie ihre Behausung. Sie tritt auf den Weg.

Georg schrickt aus seinem dumpfen Sinnen.

„Guten Abend,“ sagt sie. „Ich glaube, wir haben den gleichen Weg.“
Georg starrt sie überrascht an, er hat diesen Wald oft genug durchquert, um zu wissen, dass diesen Pfad kein anderer kreuzt.
„Guten Abend. – Mir scheint, du kommst geradewegs aus dem Dickicht?“
Leonore lächelt. „Wer weiß? Jedenfalls bin ich hier, nicht wahr? Ist es nicht schön, dass es immer wieder Dinge gibt, von denen wir zuvor nicht gewußt haben?“
„Das hängt davon ab,“ entgegnet er, „ob es etwas Gutes ist. Und das ist es meistens nicht.“

Die Kälte nistet sich zwischen seinen Schultern ein und umgibt ihn wie ein eisiger Mantel; ein unbestimmtes Grauen erfüllt ihn. Der Wald wächst zu einer bedrohlichen Düsternis, behaust von unheimlichem Getier. Georg schüttelt die Furcht ab, hat er nicht oft genug trotzig die Gefahr gesucht, ihr höhnisch sein Leben geboten, nur um der Öde zu entfliehen, die seine Tage erfüllen? Vielleicht ist es gut, nicht allein durch diesen trostlosen Abend zu wandern. Mit zusammengezogenen Brauen mustert er die Fremde. Sie ist beinahe so groß wie er, schlank, aus dem schmalen ebenmäßigen Antlitz glitzern graue Augen, seltsam flirrend und unruhig wie Wellen auf einem unergründlichen Fluß.

„Du bist traurig.“ stellt sie fest. „Warum? Ist es weil du allein bist?“
Irritiert von ihrer direkten Frage schüttelt er den Kopf.
„Dann weißt du nichts von Trauer. Nur der Einsame kennt sie. Für dich aber gibt es einen Ort, wo du willkommen bist.“ Ihre Stimme klingt dunkel und metallisch und verströmt fremde, unbeteiligte Schwermut wie eine Glocke, die zu einem Begräbnis ruft.
„Einsamkeit ist nicht das selbe wie allein sein,“ entfährt es ihm mürrisch. Er ist nicht in der Stimmung von fremdem Kummer zu erfahren.

Einige Zeit geht sie schweigend an seiner Seite. Sie hat sich heute einen heiteren Gefährten gewünscht, einen der sie mit lustigem Geplauder unterhält. Sie sehnt sich nach Heiterkeit und Lachen wie ein Wanderer in der Wüste nach einer Oase, wenngleich sie davon ausgeschlossen ist und das pulsierende Leben nur wie durch ein dickes Glas wahrnimmt. Früher hat es sie oft zu den Tanzvergnügen in die Dörfer gezogen, wo sie mit den übermütigen jungen Leute im Kreise wirbelte, und sich in seltenen kostbaren Augenblicken der Illusion hingab, an dem überschäumenden Vergnügen teil zu haben. Das wagt sie schon lange nicht mehr.

„Bist du in Moordorf zu Hause?“
Georg nickt. „Und du? Du bist nicht aus der Gegend?“
„Oh ja, aber nicht aus Moordorf. Übrigens, ich heiße Leonore.“
Georg murmelt seinen Namen.
„Was erwartet dich daheim Georg, das dich so wenig freut?“
Er hält die eigenartigen, wie Irrlichter in der Dämmerung leuchtenden Augen, nicht aus, und wendet den Blick ab.
„Schweigen, Verbitterung, Schuld – möglicherweise auch Hass,“ murmelt er gegen seinen Willen.
„Welche Schuld könntest du auf dich geladen haben? Du siehst nicht aus wie ein schlechter Mensch.“

Er versteht sich selbst nicht, warum er nach all den Jahren mit einer vollkommen fremden Person über sein Leben redet, das einzig durch seine Schuld, seinen Leichtsinn zerstört ist, und für ihn nur noch aus Buße und Trauer besteht. Wahrscheinlich sind es ihre Augen, die sich auf sein Gesicht heften und in seine Seele eindringen, während sie selbst nichts preis geben. Er empfindet sie wie das tröstliche, lockende, Wasser eines dunklen Flusses, das einen, der des Lebens müde ist, verleitet, sich in eine trügerische unheimliche Tiefe fallen zu lassen. Stockend drängen seine verborgenen Schmerzen ans Licht; wie er sein Lieblingspferd, diesen ungezähmten Hengst anspannte, lachend Klaras Protest in den Wind schlug, wie das Pferd erschreckt losstürmte, ihm die Zügel aus der Hand glitten bevor er auf den Kutschbock springen konnte, und der Wagen umkippte. Klara konnte seit diesem Unfall ihre Beine nicht mehr bewegen. Und nie würde sie ihm verzeihen. Alle Mühe, die er sich gab, alle Fürsorge nahm sie nur verächtlich hin. Sie hatte verlangt, dass alle Pferde verkauft wurden, mochte er mit Ochsen pflügen. Wenn er spät abends allein am Feuer sitzt, wuchern böse Gedanken wie giftiges Dorngestrüpp und reißen wieder und wieder die Wunden in seiner Seele auf. Ihr Bedürfnis, ihn zu beherrschen, ihm den Übermut, den Leichtsinn, diesen Teil seines Wesens, den sie nie gebilligt hatte, zu nehmen, ward es nicht durch diesen Zustand befriedigt? Er hatte sie enttäuscht, sie hatte nach mehr gestrebt, Wohlstand, ein größeres Anwesen. Sie verstand nicht, weshalb er an diesem alten Hof hing, störte sich an seinem mangelnden Ehrgeiz, seinem vertraulichen Umgang mit den Knechten, und seine kindliche Freude an den dörflichen Festen war ihr fremd. Sie war die schönste Frau, die er kannte, auch heute noch. In seiner Unerfahrenheit und Verliebtheit war für ihn Schönheit, Glück und Freude eins gewesen. Und bis zu dem verhängnisvollen Tag hatte er in der eitlen Gewissheit gelebt, Klara glücklich und fröhlich zu machen. Wie einfältig er gewesen war. - Und nun - kein Lachen wärmt sein Haus, über nichts mehr kann sie sich freuen. Hin und wieder glaubt er zu ersticken, und er schreit, ob es ihr denn helfe, wenn er sich umbringe. Doch auch diesen, manchmal recht tröstlich erscheinenden Ausweg verwehrt ihm sein Pflichtgefühl.

Nach seinem Bericht, schweigen sie einige Zeit.

„Wie lange willst du dich noch quälen?“ fragt sie schließlich ein wenig ratlos. „Hast du keinen Gott, dessen Wille durch diesen Unfall geschah? Und der vielleicht nicht nur dich, sondern auch sie prüfen will? Glaubst du nicht, er hat dir längst vergeben? Weshalb versuchst du nicht endlich, dir selbst zu verzeihen? Ein neues, schöneres Leben zu führen?“

Die rätselhaften Augen leuchten und flirren seltsam in der Dunkelheit. Er versinkt in dem blassen Antlitz und hat das Gefühl, in ein bewegtes, eisiges Gewässer zu stürzen. Erschrocken versucht er, einen klaren Gedanken zu fassen und wird gewahr, dass ihm seine vertraute Last entgleitet, der wilde, unheimliche Fluß zwingt ihn, sie los zu lassen. Wie Balsam berühren ihre Worte seine Seele. Seine Schuld hört auf, ihn zu Boden zu drücken. Die eiserne Tür, hinter der er sich ohne Hoffnung vergraben hat, ist aufgestoßen. Gedanken, die er sich nie erlaubt hat, scheinen natürlich und richtig. Er würde aufhören immerzu zu büßen, würde ins Leben zurückkehren. Er fühlt sich leicht und frei. Er sieht Freuden, die er nur zu greifen braucht, und die er sich all die Jahre versagte, der kleine Sohn der Nachbarn, der ihn gerne besucht, ein Abend mit alten Freunden, die er so lange gemieden hatte, wieder ein Pferd, ein Ritt über die Felder, ein Bad im Fluß an einem heißen Sonntag. Allein die Vorstellung macht ihn froh.

Inzwischen ist es völlig finster geworden. Er ahnt mehr den Pfad, als dass er ihn sieht. Leonore aber schreitet ruhig und sicher aus, sie kennt jeden Stein, oder sie sieht im Dunkeln wie eine Katze. Kurz vor dem Waldrand teilt sich der Weg, eine Richtung führt nach Moordorf, die andere nach Wiesenbach. Georg bleibt stehen. Er hat die Kälte vergessen. Das Blut braust in seinen Adern. Er fühlt sich lebendig wie schon lange nicht. Leonore spürt es und ein leiser Triumph erfüllt sie.

„Wahrscheinlich wohnst du in Wiesenbach. Ich begleite dich bis zum Ortsrand,“ erbietet er sich.
Leonore lächelt und entblößt nur wenig ihre scharfen, weißen Zähne.
„Ich danke dir.“

Sie ist zufrieden mit sich. Sie hat ihm in der letzte Stunde seines Lebens Hoffnung und Freude geschenkt, sie hat ihn lebendig gemacht. Das ist viel besser, als nur die Heiterkeit der Menschen zu sehen, die sie vergeblich in ihren Gefühlen sucht Er ist beinahe glücklich. Sie wird ihm einen schmerzlosen Tod bereiten.

 

Hallo niebla,

und willkommen hier.

Bei der Formatierung deines Textes ist einiges schief gegangen. Hast du den Text nach dem Posten nochmal geprüft?

Zum Beispiel hier fehlt etwas und ist eine Leerzeile zu viel:

trostlosen Abend zu wandern. Mit zusammengeht

genen Brauen mustert er die Fremde.

Siehe hier:

nach mehr gestrebt, Wohlstand, ein größeres

Anwesen. Sie verstand nicht,


Und da wir gerade dabei sind:
Sie tritt auf den Weg.

Der Wanderer, schrickt aus seinem dumpfen Sinnen.

„Guten Abend,“ sagt sie. „Ich glaube, wir haben den gleichen Weg.“

Georg starrt sie überrascht an, er hat diesen Wald oft genug durchquert, um zu wissen, dass diesen Pfad kein anderer kreuzt.

„Guten Abend. – Mir scheint, du kommst geradewegs aus dem Dickicht?“

Die Leerzeilen hier sind alle überflüssig.

„Du bist traurig.“ stellt sie fest.
„Du bist traurig“, stellt sie fest.

Der Wanderer, (KEIN KOMMA)schrickt aus seinem dumpfen Sinnen.
Dann habe ich noch den doppelten Titel im Text entfernt. Der fettgeschriebene ganz oben genügt. :)

Beste Grüße,
GoMusic

 

Hallo GoMusic,

vielen Dank für Deine Hinweise!
Ich tue mich noch ein bisschen schwer . . .

Liebe Grüße
niebla

 

Hallo niebla,

ich hab deine Geschichte aufmerksam gelesen. Ich glaub, du fabulierst ganz gerne, an einem eingeschränkten Wortschatz leidest du auf jeden Fall nicht:).
Drei Sachen sind mir aufgefallen:
1. Ich würde gleich zu Beginn den Mann beim Namen, also Georg, nennen. Wenn du ihn erst "Wanderer" nennst und dann erst im fünften Absatz plötzlich mit seinem Namen um die Ecke kommst, wirkt das komisch. Also entweder nur Georg oder nur Wanderer. Wenn du einen Namen für ihn hast, nenn ihn doch gleich von Anfang an so.
2. Beizeiten benutzt du sehr altertümliche Worte, z.B. hier:

Nachdem er geendigt hat, schweigen sie einige Zeit.

Das wirkt so krampfhaft für meinen Geschmack. Ich würd da frisch von der Leber schreiben. Für meinen Geschmack ist alles besser als "geendigt."
Vielleicht: "Nachdem er fertig ist/ zu Ende erzählt hat, schweigen sie eine Weile."

3. hast du wie gesagt einen großen Wortschatz, aber manchmal übertreibst du es. Im ersten Absatz zähl ich z.B. sieben Farbworte. Ebenso sind die vielen Adjektive manchmal gar nicht nötig. Und dann der erste Satz. Müsste es nicht heißen: Die Zeit steht still zwischen Herbst und Frühling? Zwischen Winter und Frühling kommt doch eigentlich nichts.

Viel Spaß noch beim Schreiben!

 

Hallo Kayoschi,

über Deine Rückmeldung habe ich mich sehr gefreut. Vielen Dank!
ich werde die Geschichte noch mal durchgehen und Deine Hinweise berücksichtigen.

Herzliche Grüße
Niebla

 

Hallo Kayoschi,

du hast recht, in dem Bestreben, ein Bild der Umgebung und Stimmung zu vermitteln, in der sich Georg befindet, habe ich sehr viele Adjektive verwendet.
Der erste Satz "Die Zeit steht still zwischen Winter und Frühling" sollte ausdrücken, dass der Winter
eigentlich vorbei ist, aber dennoch kein Frühling.
Da dies so nicht rüber kommt, folge ich Deinem Vorschlag.

Herzliche Grüße
niebla

 

Hallo niebla,

ja gerne. Das mit Georg hast du ja schon eingefügt. Mir fällt auch ein neuer Titel ein, der passen könnte: "Dämmerschoppen" :). Naja, mal gucken. Vieles sind ja auch nur Vorschläge, die man umsetzen kann, aber nicht muss. Wobei das mit dem Namen ist dann schon eher objektiv unschön. Und auch bei Adjektiven hab ich noch nie ein Buch gelesen, wo ich dachte: Hier jetzt mal bittschön mehr davon.
Gruß, kayoschi

 

Hallo kayoschi,

mit "Dämmerschoppen" kann ich mich nicht anfreunden. Muss mir noch mal Gedanken machen!
Einstweilen lieben Dank und schönes Wochenende!

Grüße
niebla

 

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