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Ein Bild von einer Frau

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02.03.2002
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Ein Bild von einer Frau

Er trat zurück und ließ sein Auge wohlgefällig über sein Werk streichen. Sie würde begeistert sein. Ein verirrter seitlicher Sonnenstrahl traf, als sei er Teil einer faszinierend arrangierten Effektshow, auf das mysteriös lächelnde Antlitz seiner Traumfrau und hob die Farben noch markanter hervor. Er hatte sie voller Absicht vor einem etwas diffusen, düsteren Hintergrund platziert, ihre Pose lasziv, weltentrückt, nachdenklich. Dabei trotzdem ihr erotisches Flair behaltend, der geschlitzte Rock zufällig soweit geöffnet, um einen neugierig machenden Blick auf die schlanken Fesseln, bis hin zu den wohlproportionierten Oberschenkeln zu gestatten. Das tiefe Dekollete demonstrierte, dass auch die obere Körperhälfte eines jeden Mannes Geschmack gerecht werden würde. In der dunklen Gasse hinter ihr waren die Umrisse zweier dick vermummter Gestalten mehr zu erahnen, denn deutlich zu sehen. Trotzdem entstand ein Eindruck von Kälte und Zwielichtigkeit, über die sie als unangreifbar strahlende Göttin triumphierte. Der Lichtstrahl, es musste ein Reflex von irgendwo draußen sein, wirkte wie ein Punktstrahler, der ausschließlich auf das Gesicht fokussiert war.

„Das blendet.“
„Aber es sieht aus wie ein Heiligenschein.“ Er sagte es sinnierend, ohne sich seines Gesprächspartners bewusst zu sein. „Erst dadurch wirkt mein Werk.“ Er trat einen Schritt zur Seite, um den Blickwinkel zu ändern. „Sie ist eine Heilige. Ich werde einen Punktstrahler installieren müssen.“ Er bewegte sich langsam, ständig die Position seines Kopfes ändernd, vor der Staffelei hin und her und ließ verklärten Blickes das Werk auf sich wirken.
„Hast du was mit den Ohren? E-s - b-l-e-n-d-e-t hab ich gesagt.“ Sie hob eine Hand und legte sie schützend vor ihre Augen. „Mal mir eine Sonnenbrille, dann bleib ich so stehen.“
Er war empört. „Weißt du eigentlich wie viele Stunden, nein, Tage ich gebraucht habe, um dich in genau dieser Pose zu malen? Welche Arbeit es war, dir mit meinem filigransten Pinsel Reflexe auf die Netzhaut zu zaubern? Und du nimmst jetzt deine Hände hoch, verdeckst alles und änderst obendrein auch noch deine Stellung.“
„Na und? Weißt du eigentlich, wie ätzend diese beschissenen, filigran gezauberten Reflexe sich auf meiner Netzhaut anfühlen?“ Ihr Tonfall hatte, ihn imitierend, den gleichen meckerig näselnden Klang angenommen, in den er bei seinen Vorwürfen verfallen war.
„Weißt du, dass diese Pose total unnatürlich ist und ich einen Krampf nach dem nächsten bekommen hab?“ Sie streckte, massierte sich und schüttelte demonstrativ ihre Arme und Beine. Nun waren ihre Beine gar nicht mehr zu sehen.
„Halt, bleib stehen! Nicht bewegen!“ Seine Stimme war verzweifelt, seine Hände, noch immer den Pinsel haltend, wirbelten hilflos durch die Luft. Er war ratlos, wie er dem Treiben seiner Protagonistin Einhalt bieten könnte. „Jetzt sind deine Beine gänzlich bedeckt. Soviel Arbeit - das ich nicht fair.“
„Nicht fair? Gut so, alter Sack! Warum willst du mich auch so aussehen lassen? Nur damit ein paar Spanner soviel von meinem Bein sehen können, dass sie vor lauter Geilheit vergessen deine Schmierereien zu kritisieren?“ Sie lachte kurz und laut auf. „Den Junkies hinter mir gibst du dicke Mäntel und mich stellst du hier in die Eiseskälte, malst mir n Schlitz ins Kleid und legst meine Titten frei. Fuck you, du hirnloser Egozentriker.“
„Was hast du denn für einen Umgangston?“ Er schüttelte den Kopf. „Du sprichst wie eine Hure.“
„Genau so, wie du mich gemalt hast, du Trottel. Jetzt mal mir endlich n Mantel, Dreckskälte hier. Die Sonnenbrille kannst du abhaken, oder haste das schon selber gecheckt?“
Er bemerkte erst jetzt, dass der Sonnenstrahl nicht mehr auf das Bild fiel. „Naja, jetzt ist sowieso alles hinüber, dann kann ich dir auch einen Mantel malen.“ Er resignierte.
„Na also. Dann lass auch noch die Junkies ne Fliege machen, oder mach n paar schnuckelige, geile, gut aussehende Geldsäcke draus.“ Sie grinste, warf ihm eine Kusshand hin und stellte sich in Positur, damit er Hand anlegen könne. Die beiden dunklen Gestalten, eben noch lieblos von ihr als Junkies bezeichnet, empörten sich nicht, sondern traten aus dem Halbdunkel nach vorn und nickten zustimmend.

Er nahm es nur noch am Rande zur Kenntnis, während er sein Ich ablegte und erneut in künstlerische Meditation versank. Diesmal inspiriert und angeleitet von seiner eigenen Schöpfung.
Welch grandioses Zusammenspiel! Welche Verbundenheit! Muse küsst Künstler und Künstler küsst Muse. Alle ordneten sich unter: der Pinsel, die Farben, die Staffelei, die Leinwand, das Licht. Heute wurde es nicht Nacht, heute wurde Nichts, alles blieb so, dass es optimal war. Ein Dialog der Gefühle und Emotionen setzte ein. Wirbelsturm der Wahrheiten. Die Protagonistin schälte sich Schicht für Schicht aus gesellschaftlichen Mustern heraus, legte sie ordentlich zusammen und zur Seite, befreite sich von zugedachten Vorurteilen, sexistischen Schemata, welche gleichfalls geordnet in Schubladen verbracht wurden und entblößte ihr Ego, und er tat es ihr nach.
Nachdem die Sonne zweimal nicht untergegangen war, erklärte sich sein Werk dem Ende nah.
„Nun hast du MICH gemalt und nicht mein Bild. Danke.“ Sie schien glücklich, strich an seiner statt melancholisch über den Pinsel, der gerade den letzten Farbimpuls neben sie auf die Leinwand gebannt hatte und verharrte müde, befriedigt und bewegungslos. Er sank erschöpft zusammen. Es war vollbracht!


Sie stand vor dem Bild, dass er ihr versprochen hatte und sah sich als Mensch. Es war nicht die äußerliche Ähnlichkeit, die berührte. Der hoch geschlossene Kragen, der knielange enge Rock, der schwere Schmuck, darauf bezogen hätte es ein Foto sein können oder ein Spiegel. Es steckte mehr in dem Bild. „Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ein Bild Seele zeigen kann.“ flüsterte sie und wand sich ihm zu, während die Frau auf dem Bild zustimmend nickte und dem Künstler mysteriös lächelnd ein Augenzwinkern schenkte.

 

Hallo querkopp!

Gut geschrieben, die Geschichte. Hat mir gefallen. Vor allem das überraschende Ende hast du gut hingekriegt. War irgendwie witzig.

Grüße, Michael :)

 

Die Geschichte ist gut, keine Frage. Von Anfang hat mich jedoch gestört, dass das Werk des Künstlers zum Leben erwacht. Hat mich in der Ausgangssituation ein wenig an Pinoccio erinnert. Ich bin nicht so für Kunstwerke, die machen, was sie wollen *fg* Was du daraus aber gemacht hast, das Ende, das war genial und darum hat mir deine Geschichte dann doch mehr als nur gut gefallen.

Lieben Gruß,

Mario

 

hey querkopp
gute story. hast dich genau an die maxime von novalis gehalten:

"Der Mensch ist Bild", hat der Surrealismus sich zu eigen gemacht. Aber auch das Umgekehrte ist wahr: Das Bild verkörpert sich im Menschen.
stand in einem link von frederick und ich habe es zufällig gelesen :)
hat dich inspiriert (?) hast es sehr wörtlich genommen, was der qualität jedoch nicht abträglich ist.
cu bigmica

 

Hallo Michael, Mario D. und bigmica

Danke fürs Lesen und kommentieren.
Das mit Novalis stimmt übrigens ;)
Gruß vom querkopp

 

Hallo querkopp,

ein wenig steckt wohl auch „Das Bild des Dorian Gray“ in der Idee der Geschichte. Sie ist aber eigenständig geschrieben, mit einem prima Schluß, man liest sie einfach gerne.

Tschüß... Woltochinon

 

Hi querkopp,

die Geschichte fand ich richtig klasse. Was zum meckern habe ich nicht gefunden ;).

Ich fand die Idee sehr spannend. Selbst wenn Du sie den Satz „Nun hast du MICH gemalt und nicht mein Bild. Danke.“, was ich so für die Kernaussage halte, nicht hättest sagen lassen, wäre die Absicht offensichtlich gewesen.

Die Idee selber halte ich nicht für surreal. Siegfried Lenz hat das in seinem Buch "Das Feuerschiff" ebenfalls verwendet: "Man liebt einen Menschen nur dann wirklich, wenn man sich kein Bild von ihm macht". Das hast Du dadurch dass Du es wörtlich genommen hast sehr schön und deutlich umgesetzt und wahrscheinlich kann diese wörtliche Umsetzung als surreales Element bezeichnet werden.

Gefällt mir sehr gut!

MFG lunaluna

 

@ Querkopp

Woltochinon hat völlig recht: Diese Geschichte zieht einen in seinen Bann, man liest sie einfach gerne. Ich glaube, du hattest ziemlich viel Spaß und Freude beim Schreiben, oder täusch ich mich?

Mir ist aufgefallen, dass du eine sehr lebendige Sprache benutzt - wirkt auf mich sehr stilvoll.

„Na und? Weißt du eigentlich, wie ätzend diese beschissenen, filigran gezauberten Reflexe sich auf meiner Netzhaut anfühlen?“

Schönes Spiel mit Dualitäten!
_____

Zu Nörgeln habe ich - bedauerlicherweise - nichts. :D

Gruß
Liz

 

Hallo an alle drei, freue mich sehr, dass euch die Geschichte so gut gefällt.

@Woltochinon,
an Dorian Gray habe ich beim Schreiben nicht gedacht, aber ich verstehe, dass du Analogien siehst.

@lunaluna
wäre schade, wenn sie von der Jury nicht als surreal anerkannt würde :heul: Lege hiermit vorsorglich mein Veto gegen deine Beteiligung als Jurymitglied ein.

@liz
du täuschst dich nicht, hatte ich. Habe eigentlich immer Spaß beim Schreiben von Kurzgeschichten, tue es ja freiwillig. Denke, dir geht es nicht anders.

Gruß vom querkopp

 

hi querkopp nochmal :-)

was ich meinte, war eigentlich, dass die Geschichte dadurch surreal wird, dass du es schaffst, eine Idee, die nicht surreal ist, auf eine Art umzusetzen, die die Geschichte nicht mehr in der (eigentlichen)Realität stattfinden lässt.
Wobei es hier echt schwierig wird, die Worte "Realität", und [Realität] "darstellen"/ "abbilden" richtig einzusetzen. Was jetzt aber ein eigenes Kapitel wäre das zu erläutern.
:confused: ...Ich glaube ich muss lernen mich verständlicher auszudrücken. Damit warte ich aber noch ein bisschen, weil ich das hier gleich jetzt abschicken möchte.

Soweit ich das beurteilen kann ist Deine Geschichte sehr surreal :-)

MFG lunaluna

 

Hallo querkopp,

bezüglich der Frage, ob deine Geschichte nun surreal ist oder nicht, hast du eine echt harte Nuss zum Knacken abgeliefert. Ich bin da unsicher, aber fachlich auch nicht gut genug, um es dir auseinander zu setzen. Mein Gefühl und mehr hab ich hier nicht anzubieten, sagt mir, dass nur sehr schwache surreale
Momente enthalten sind. (keine Sorge ich werd garantiert nicht Jurybestandteil ;))
Was ich aber sofort und mit allen Konsequenzen unterschreiben kann, ist, dass deine Geschichte feinfühlig und hintergründig ist und auf fast idealisierende Weise darstellt, was einen guten Maler ausmacht bzw. ausmachen sollte. Das ist gelungen geschrieben.
Die Stimmung, die du in dieser Geschichte entstehen läßt, nimmt gefangen.
Also eine deiner gelungenen Geschichten Maris, aber in letzter Zeit bist du ja schon zum Serientäter geworden.

Gruß lakita

 

Hi lunaluna,
;) :kuss: ...ein wunderbarer, surrealer Beitrag

Hi Elvi,
als Jurymitglied bist du abgelehnt, als Kritiker (dabei beziehe ich mich auf den zweiten Teil deines Beitrages) herzlichst willkommen. Ich bewundere deine klare, analytische Art, die zu hundert Prozent zur richtigen Bewertung meiner Geschichte geführt hat. :D

Gruß
Maris

 

Hallo querkopp!

Eine wirklich schöne Geschichte, die ich doch auch zu den wirklich surrealen einreihe, auch wenn ich mir anfangs nicht so ganz sicher war.

Der Maler muß die Frau wirklich lieben, daß sie so zu ihm bzw. aus ihm spricht - das finde ich besonders schön und denke, das ist auch das Surrealistische an Deiner Geschichte.
Auch, daß er es so schnell verstanden hat, finde ich schön...;)

Und ich hab einen Fehler gefunden...:D

"zu den wohlproportionierten Oberschenkel" - Oberschenkeln

Alles liebe
Susi

 

Danke Häferl.

...dachte eigentlich, es sei keiner drin :mad:
Den Fehler hab ich wohl gemacht, weil ich mir zu intensiv vorgestellt habe, was ich gerade schreibe. Da kann man schon mal ein n vergessen :D

lieber Gruß
Maris

 

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