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Ein Besuch im Regen
Der Himmel ist bewölkt als ich das hüfthohe, schmiedeeiserne Tor aufschiebe und hindurch trete.
Kies knirscht unter meinen Schuhen und der Wind rauscht in den Kronen der großen Laubbäume.
Ich hab dich lange nicht besucht…
Das Gebäude mit seiner weißen Fassade ist ein Lichtfleck zwischen dem dunklen Grün der Hecken und dem Grau des Himmels.
Mein Weg führt mich die Gartenanlage entlang. Die Blumen in meinen Händen würden dir gefallen.
Nur eine kleine Aufmerksamkeit…
Ich weiß dass ich richtig bin, obwohl ich diesen Weg erst einmal gegangen bin.
Die Grabsteine wirken heute nicht mehr ganz so grauenhaft wie damals.
Meine Schritte sind langsam… aber nicht aus dem gleichen Grund wie vor ein paar Monaten, als wir dich zu Grabe getragen haben.
Sie sind langsam, weil ich mir bei jedem Schritt eine schöne Erinnerung an dich herbeirufe.
Wir haben uns kennen gelernt… wir waren Freunde… hatten so viel Spaß… so viel Vertrauen.
Ich habe dich kennen gelernt.
Den Menschen hinter dem lauten Lachen, dem hübschen Gesicht und der Ausgelassenheit eines Einundzwanzigjährigen, der keine Angst vor der Zukunft hat.
Den Poeten hinter dem Realisten, den Romantiker hinter dem harten Kerl… den Unsicheren hinter dem selbstbewussten jungen Mann…
Ich habe dich kennen gelernt.
Ich habe dich lieben gelernt.
Und ich habe dich verloren.
Ich bleibe stehen.
Keine tausende von Schritten würden jemals reichen für all das Schöne was ich mit dir erlebt habe, was uns verband.
Ich durfte weinen, ich durfte toben und ich durfte mich anlehnen…
So wie ich hinter deine Maske geschaut habe, durftest du hinter meine blicken.
Du durftest alles von mir sehen… und du warst so zärtlich dabei.
Ich wische eine Träne von meiner Wange und schüttle den Kopf.
Mein Versprechen kann ich also nicht halten. Ich trauere.
Noch immer…
Für immer…
Du fehlst mir. Und diese Worte sind keine Metapher.
Es fehlt ein Teil von mir.
Ich bin sechsundzwanzig und der, der meine zweite Hälfte war ist nicht mehr da.
Sechs Jahre mit dir waren zu kurz um alles zu sein. Es ist nicht fair!
Ich blicke auf den Grabstein unter dem mein Leben vergraben liegt.
Ich weiß noch, dass ich am liebsten mit dir in dieses sandige Grab gestiegen wäre…
Fort vom Licht das in den Augen brennt, flüchtend vor den grausamsten Nächten der Einsamkeit, die mich immer aufs Neue zerbrachen.
Mittlerweile gibt es wenigstens traumlose Nächte.
Und ich weiß nicht ob ich deshalb weinen oder erleichtert sein soll.
Ich habe Angst nicht mehr von dir zu träumen… das ist alles was ich noch von dir habe.
Der einzige Ort wo ich dich sehen, hören, berühren, riechen und schmecken kann.
Ich gehe in die Knie und lege die Blumen auf das Grab.
Die Inschrift auf dem Grabstein schmerzt.
Ein Tropfen Regenwasser fällt auf meinen Handrücken und ich erinnere mich an einen Tag im Sommer.
Du hast mich in den warmen Regen gezogen und gelacht.
Ich wollte mein Gesicht vor dem Wasser schützen aber du hast meine Hände weggezogen und mich geküsst.
Dann war mir der Regen egal. Das wusstest du genau…
Und dann hast du mich zu einem Eis eingeladen… Erdbeer und Zitrone.
Nun lächle ich doch, während sich der stärker werdende Regen mit meinen Tränen mischt.
Ich vermisse dich!
Ich vermisse dich für immer!
Und ich weiß nicht ob ich jemals wieder leben kann.
Ich existiere im Moment nur noch in Erinnerungen und dem was du zurückgelassen hast…
Das letzte Haus in dem ich sicher bin.
Im Moment will ich dort nie wieder raus!
Du würdest das nicht wollen. Aber die Alternative wäre, dir zu folgen.
…
Dachte ich mir… bei Diskussionen hast du meistens verloren.
Meine Hände streichen über die Blütenblätter, die nass werden und ich weiß, dass ich zu früh hierher gekommen bin.
Doch Menschen machen Fehler.
So wie ich… wie du… der Autofahrer in der Nacht als du nicht neben mir lagst.
Ich sinke in mir zusammen und weine so, wie schon gefühlte hundert Nächte lang.
Wir waren füreinander bestimmt.
Und nun muss ich sehen, wie ich überlebe. Ich kann nur hoffen, dass du nicht so leiden musst wie ich.
Ich fühle zwei warme Hände an meinen Schultern.
Er passt auf mich auf, weißt du?
Seit du weg bist achtet er auf mich. Obwohl er einen Freund, einen Bruder verloren hat.
„Wir kommen im Sommer wieder, was meinst du…“
Er zieht mich sanft auf die Beine und nimmt mich in den Arm.
Zwei Überbleibsel von etwas ganz Wunderbarem… aber eben nicht mehr ganz.
Ich klammere mich an seiner Jacke fest und wir gehen langsam zurück.
Ganz langsam.
Alles geht nur noch ganz langsam ohne dich…
...Doch es geht Schatz...
„Weißt du, worauf ich jetzt Lust hätte?“
Die Hand an meiner Schulter drückt mich aufmunternd ein wenig enger an den schützenden Körper.
„Nein, worauf denn?“
„Erdbeer- und Zitroneneis…“, schluchze ich und er lächelt.