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Ein besserer Mensch

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04.08.2001
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Ein besserer Mensch

Der Tag, an dem Ansbert Berlinghausen einen guten Vorsatz fasste, zeigte sich bis zum Abend hin in einem trüben, regnerischen Gewand. Die Zeit über, die er auf Arbeit in seinem Büro zubrachte, machte ihm der Regen nicht viel aus; als es zum Feierabend ging jedoch, musste er etwas tun. Von Zeit zu Zeit brachen Schauer los mit einer Intensität, als hätte Gott selbst die Schleusen des Himmels geöffnet und nun seine Freude daran, wie die Menschen dort unten hasteten, um ja nicht nass zu werden.
Obwohl Berlinghausen der Inhaber des Taxiunternehmens war, in dem er arbeitete, einem Betrieb mit 62 Fahrzeugen und 86 Angestellten, obwohl er also die Mittel dazu hätte, trockenen Fußes nach Hause zu gelangen, musste er doch bangen. Heute morgen war er zu spät gewesen, schlecht, wenn man abends einen kippt und das eigene Weib ist unfähig, einen rechtzeitig zu wecken. Also war er mit hochrotem Kopf und einer Standarte, die noch in zehn Jahren von sich reden machen würde, hier angerauscht und hatte krampfhaft einen Parkplatz für seinen Volvo gesucht. Das Parkhaus gleich nebenan war natürlich voll gewesen, und als er auf der Straße ein passendes Plätzchen gefunden hatte, war er mindestens 15 Minuten Fußmarsch von seinem Büro entfernt.
Else saß zu Hause und wartete, die Abendgarderobe lag bereit und sobald er fertig war, in den Smoking gezwängt und die Fliege um den Hals, ging es weiter zu einem Empfang der Vereinigten Verkehrsträger des Landes. Alles vom Feinsten – Essen, Trinken und die Leute. Und was das Wichtigste und der entscheidende Grund für Berlinghausens unbedingtes Erscheinen war, es waren wirklich dicke Aufträge zu vergeben. Wer weiterkommen wollte mit seinem Unternehmen in dieser Branche, wer wahrhaft ehrgeizig war, wer den Erfolg wollte, der musste sich hier zeigen. Und da sein Haus mindestens 45 Autominuten außerhalb der Stadt lag, hieß es, sich zu beeilen.
Also war er gehetzt und ziemlich sauer, als er aus dem Gebäude trat. Es regnete in Strömen, es würde keine zwanzig Sekunden dauern, bis er durch wäre bis auf die Haut und die paar Leute, die unterwegs waren, hasteten an ihm vorbei mit gesenkten Köpfen.
Er schlug den Mantelkragen hoch und holte Luft. Nebenan lag ein Modegeschäft, dorthinein konnte er es schaffen und mit etwas Glück führten sie dort Regeschirme.
Als er drüben war, japste er und musste verschnaufen. Keine Anstrengungen mehr gewöhnt, dachte er, 104 Kilogramm verteilt auf einen Meter dreiundsiebzig. Er schloss die Tür und sah sich um.
Er hatte Glück; als er den Knirps bezahlte, fiel ihm der seltsame Man auf. Oder war es eine Frau? Die Gestalt stand draußen im Regen und starrte durch das Schaufenster hinein. Sie trug einen weißen Trenchcoat, der jetzt allerdings feucht und grau war, den Kragen hochgeschlagen, so dass sein Gesicht kaum zu erkennen war. Die obere Gesichtshälfte war größtenteils verdeckt von einer Baseballkappe – tief ins Gesicht gezogen – und einer Sonnenbrille! So stand die Gestalt unbeweglich vor dem Fenster, die Hände vergraben in den Taschen des Mantels und irgendwie stoisch, fand Berlinghausen. Der Regen, wie er in dicken Tropfen auf die Kleidung des Fremden prasselte, schien ihm nichts auszumachen. Berlinghausen hatte das Gefühl, dass er von dem Fremden angestarrt wurde, dass dieser Mann – oder die Frau, was auch immer – nur wegen ihm da draußen stand.
Er bezahlte den Schirm und verließ den Laden. Der Verkehr auf der Straße hatte keinen Deut nachgelassen, obwohl es nicht so aussah, als wollte der Regen in den nächsten Monaten aufhören.
Er spannte den Schirm auf und machte sich auf den Weg. Dazu musste er an dem Unbekannten vorbei, der noch immer an derselben Stelle stand, sich nun aber umgedreht hatte und somit zur Fahrbahn gewandt stand. Berlinghausen erwartete fast, er werde angesprochen, als er mit klopfendem Herzen vorbeihuschte. Als er auf gleicher Höhe mit der Person war, konnte er sie für einen kurzen Moment atmen hören – schwer und rasselnd. Er musste sich zwingen, nicht nach hinten zu schauen, aber das Gefühl ließ ihn nicht los, dass ihm hinterher gestarrt wurde.
In Gedanken versuchte er abzuschätzen, wie lange er brauchen würde bis Else und er endlich fortkommen würden. Sie mussten mindestens zwei Fahrstunden einplanen, der Empfang fand in der Hauptstadt statt. Es würde knapp werden. Beeilung, mahnte er sich.
Er versuchte, so gut wie möglich, die Pfützen zu umgehen, den Gestalten, die ihm entgegenkamen, auszuweichen und dabei strammen Schrittes zu eilen. Wenn er das Tempo hielt, hatte er zu Hause noch Zeit für ein, zwei Whiskys. Ein Gedanke, der ihn aufmunterte.
Als er sich umschaute, sah er, wie die vermummte Gestalt hinter ihm versuchte, mit ihm Schritt zu halten. Vor Schreck wäre er um ein Haar gegen einen dicken, schnaufenden Mann gelaufen.
Der Fremde folgte ihm in etwa zwanzig Meter Entfernung.
Scheiße, dachte er bei sich. Scheiße, was soll das? Der Kerl da hinten war unzweifelhaft hinter ihm her. Oder bildete er sich das ein? Er war ihm aufgelauert vor seinem Büro, hatte gewartet, bis Berlinghausen herausgekommen war und nun hatte er sich an ihn angehängt.
Warum?!
Und was sollte er tun? Das Auto war mindestens noch zehn Minuten Fußweg entfernt. Er hatte also noch ein gutes Stück Weg vor sich, auf dem allerhand passieren konnte.
Eine Telefonzelle tauchte auf dem Bürgersteig auf, eine einzelne, weiße Zelle. Ohne groß zu überlegen schloss er kurzerhand den Schirm und betrat den Glaskasten.
Stille.
Die Geräusche, als er den Hörer abnahm und zum Schein eine Nummer wählte, erschienen ihm dagegen unnatürlich laut. Zitternd hielt er den Hörer an sein Ohr und lauschte sinnloserweise dem Freizeichen. Er wollte sich nicht umdrehen, und doch versuchte er zu erspähen, was auf der Straße vor sich ging. Er konnte aus den Augenwinkeln kaum etwas erkennen.
Nach zwei Minuten hängte er ein und verließ die Zelle.
Der Regen prasselte, der Fremde war nirgends zu sehen. Berlinghausen verfluchte sich selbst und seine Angst, und machte sich schleunigst auf den Weg zu seinem Auto.
Keine fünf Minuten darauf öffnete er die Tür seines Volvo S80 und schüttelte den neuerworbenen Schirm aus. Erleichtert wollte er sich ins Auto setzen, als er keine zehn Meter von sich am Fahrbahnrand die unheimliche Gestalt stehen sah.
„Scheiße, verdammt!“ Diesmal dachte er es nicht nur, er fluchte laut. Panisch sprang er in den Wagen und startete ihn.
Als er hektisch aus der Parklücke stieß, konnte er es nur um ein Haar verhindern, mit einem zitronengelben Smart zusammen zu stoßen, der nach einem Ausweichmanöver mit verärgertem Hupen davonfuhr.
Er reihte sich ein und zwang sich, etwas ruhiger zu werden. Vielleicht handelte es sich um einen Streich eines seiner Angestellten. Taxifahrer waren bekanntermaßen für jeden Unsinn zu haben, und sie hatte die Zeit solchen Scheiß auszuhecken. Er traute ihnen alles zu.
Soweit er in das Gesicht des Fremden hatte blicken können, war es ihm nicht bekannt vorgekommen, allerdings war er sich ja nicht einmal sicher, ob es sich nun um einen Mann oder um eine Frau handelte.
Ihm fiel der Fahrer ein, den er erst gestern vormittag entlassen hatte. Den Namen hatte er sich nicht gemerkt, der Mann war gerade vierzehn Tage im Betrieb. Sie hatten eine kleine Auseinandersetzung wegen der Einteilung der Dienste gehabt, nichts Ernstes, Berlinghausen hatte das schon öfter erlebt. Als der Fahrer dann aber etwas von Affentheater gemurmelt hatte, war er ausgeflippt. Er hatte vor versammelter Mannschaft einen seiner gefürchteten Wutausbrüche bekommen, alle hatten die Köpfe eingezogen, weil sie die und ihre schnelle Verpuffung kannten. Nur der Neue nicht, der hatte dagestanden und seinen Brötchengeber genauso frech angegrinst wie vor der Tirade. War bis dahin alles nur Spaß gewesen, sah Berlinghausen jetzt rot. In die atemlose Stille hinein sprach er dem Aufmüpfigen die fristlose Kündigung aus, drehte sich grußlos um, verschwand in seinem Büro und leitete alles Notwendige ein.
Das Herz raste ihm immer noch, wenn er an diesen Vorfall dachte. Sollte der Angestellte etwas mit dem Fremden zu tun haben?
Er sah in den Rückspiegel. Der Regen hatte jetzt etwas nachgelassen, dafür begann es dunkel zu werden. Er verließ eben die Stadt und weder waren Fahrzeuge hinter ihm, noch kamen ihm welche entgegen. Nachdem er einige einzeln stehende Häuser hinter sich gelassen hatte, führte die Straße durch einen dichten Nadelwald. Er schaltete das Licht ein.
Offensichtlich hatte er seinen Verfolger abgeschüttelt, der hatte nicht damit gerechnet, dass er so flink in seinen Wagen kam. Aber das Problem bestand weiterhin: Wer ließ ihn verfolgen und warum?
Ein Wagen kam ihm auf gerader Strecke entgegen und es dauerte einige Zeit, ehe der Fahrer abblendete. Seine Augen schmerzten und Berlinghausen fluchte. Hatte er soviel auf dem Kerbholz, dass man versuchen könnte, ihn zu töten? War er von Feinden umgeben, die ihm nur Böses wollten?
Das Fahrzeug fuhr endlich an ihm vorbei und er konnte wieder aufblenden. Im selben Moment flammte hinter ihm ein Scheinwerfer auf und Berlinghausen wusste sofort, wer in diesem Gefährt saß. Er fragte sich, ob der Fahrer immer noch seine Sonnenbrille und die Baseballkappe trug, ob er den Kragen noch immer hochgeschlagen hatte.
Er war wie von Angst gelähmt. Das Auto hinter ihm blendete einfach nicht ab, das Licht stach in den Augen, doch er wagte nicht, den Spiegel zu verstellen.
Er gab Gas. Der Volvo schoss nach vorn und der Abstand zu seinem Verfolger wurde größer. Das gab ihm Mut und er trat das Gaspedal noch weiter durch. Es schien zu klappen, er fuhr davon. Berlinghausen musste lachen.
Noch bevor er die Einfahrt in den Wald bewusst wahrgenommen hatte, bremste er schon scharf ab und riss das Lenkrad herum. Er fuhr in den Wald hinein, und als er einige Meter den holprigen Weg mit tanzendem Lichtkegel entlanggefahren war, konnte er im Rückspiegel seinen Jäger vorbeifahren sehen.
Er hielt an und löschte das Licht. Dann saß er nur da und wartete mit klopfendem Herzen, dass etwas passierte.
Der sich abkühlende Motor knackte, der Regen trommelte nur noch leise aufs Dach. Ansonsten war alles still.
Er musste an Yago denken, den schönen, braungebrannten Yuppie Yago. Mitte zwanzig und schon Geliebter einer Millionärsgattin, das war doch etwas. Einer Millionärsgattin zwar, der man jedes einzelne ihrer fünfzig Jahre ansah, einer mit Hängetitten und Fettbeuteln an den Oberarmen, aber mit Schminke und Kosmetika im Gesicht, das den Wert eines Kleinwagens übersteigen dürfte, drei Kreditkarten in der Tasche und somit die Mittel, sie zwei gut über den Winter zu bringen. Yago, der Geliebte seiner Frau, hätte schon ein Motiv, ihm etwas anzutun. Das Geld in der Ehe der Berlinghausens lag auf seiner Seite, die Anteile am Unternehmen, die Lebensversicherungen, die Häuser und Mietwohnungen. Else hatte praktisch nichts, dafür hatte er gesorgt. Trotzdem hatte sie in letzter Zeit einige Male durchblicken lassen, sich von ihm scheiden lassen zu wollen. Das übliche Gewäsch, Berlinghausen konnte es kaum mehr ertragen. Sie könne die dauernden Erniedrigungen von ihm nicht mehr erdulden, ihm liege nichts mehr an ihr, ihre Ehe sei eine Farce. Natürlich war sie das, schon seit Jahren. Doch nicht nur von seiner Seite. Im übrigen lebte er so ganz gut, mit wem zum Beispiel sollte er denn zu einem Empfang wie dem heutigen erscheinen? Mit Sylvia etwa?
Aber der schöne Yago, der die Anzüge, die er anhatte, spazieren zu führen schien, der ehrgeizige Junganwalt, den Berlinghausen vor zwei Jahren selbst engagiert hatte, der würde sich nicht mit dieser Frau zufrieden geben, nicht mit diesem Alter und diesem Aussehen. Und für die anfallenden Millionen konnte man schon einen Killer bezahlen.
Ihn fröstelte.
Wenn wir schon mal dabei sind, dachte er grimmig, wie wär’s dann mit diesem Bullen Alex, dem ungehobelten, grobschlächtigen Mann von Sylvia. Schließlich ist niemand glücklich darüber, Hörner aufgesetzt zu bekommen, und gerade mit Sylvia war er nun schon fast ein halbes Jahr zusammen.
Andererseits hätte es ihn gewundert, wenn dieser gefühllose Berufsboxer mit dem Aussehen eines Rambo in seinen schwersten Stunden schon jetzt hinter das Verhältnis seiner Frau mit dem Taxiunternehmer, bei der sie als Sekretärin arbeitete, gekommen wäre. Berlinghausen bezweifelte außerdem, dass er die notwendige Intelligenz aufbrachte, einen Killer anzuheuern.
Er hatte sich immer schon, seit er Sylvia eingestellt hatte, gefragt, wie sie an diesen Mann geraten war.
Vorsichtig schaute er sich um. Keine Bewegung war auszumachen. Dann und wann sah er ein Fahrzeug auf der Straße vorbeihuschen, doch sonst war alles ruhig. Er ließ den Motor an, wendete vorsichtig und fuhr dann zurück zur Straße. Fast behutsam rollte er auf den Asphalt.
Langsam steuerte er Richtung Heimat, Else würde schon warten. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es höchste Zeit wurde, wenn sie noch pünktlich auf den Empfang kommen wollten. Auch wenn er seine Frau betrog nach Strich und Faden, auch wenn sie ihn ebenso ungerührt Hörner aufsetzte zusammen mit diesem Gockel, so waren sie beide doch peinlich darauf bedacht, den Schein zu wahren und die Fassade nicht reißen zu lassen. Ordnung musste sein.
Er gab Gas und ließ den Volvo brummen.
Zwanzig Minuten noch bis zu seinem Haus, schätzte er. An einem Ortseingangsschild bremste er herunter und fuhr mit gezügeltem Tempo durch das Dorf. Die nächste Ortschaft schon sah ihn ungebremst vorbeirasen.
Er machte sich seine Gedanken über den Spinner und seinen Scherz. Doch wie es aussah, war der Spuk vorbei, weit und breit war kein Scheinwerfer eines Autos zu sehen. In der nächsten Ortschaft bremste er aus reiner Gewohnheit herunter und fuhr mit der vorgeschriebenen Geschwindigkeit weiter. Diese Gegend hier war ein bekannter Standort für Radarfallen der Polizei.
Ein Wagen kam ihm entgegen, der ebenso langsam fuhr wie er. Berlinghausen musste lächeln, beinahe hätte er im Vorbeifahren gegrüßt, wie ein alter Bekannter. Im letzten Augenblick sah er, dass der Fahrer des entgegenkommenden Wagens ein Basecape trug und eine Sonnenbrille.
Entsetzt und ungläubig starrte er dem Fahrzeug im Rückspiegel nach und sah eben noch vor einer Kurve, dass es in eine Einfahrt bog, zurückstieß und wendete.
Das kann nicht sein, stöhnte er, das ist unmöglich!
Kleine Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn, als er seinem Blick im Rückspiegel begegnete, sah er die Panik in seinen Augen.
Das Auto näherte sich unaufhaltsam und binnen Kurzem fuhr es nur wenige Meter hinter Berlinghausen.
Beruhige dich, sagte er zu sich. Atme tief durch und überlege genau, was zu tun ist. Auf keinen Fall jetzt nach Hause fahren!
Er war jetzt etwa zehn Minuten von seinem Heim entfernt. Zehn Minuten Fahrt und er hätte diesem Verrückten gezeigt, wo er wohnte und wo seine verwundbarste Stelle war. Also bog er an einer Ampelkreuzung – an der letzten Kreuzung vor seinem Heimatort – in die entgegengesetzte, in die falsche Richtung.
Er zwang sich, streng rational und analytisch vorzugehen. Er wusste nicht, wer ihn verfolgte, dass er verfolgt wurde, war eindeutig. Er hatte die Person nicht erkant und wusste auch nicht, wem sie ähnlich hätte sehen können. Wenn er sich also nicht auf das dünne Eis der Spekulationen begeben wollte, so musste er das Wer zunächst beiseite lassen. Wandte er sich also dem Warum zu. Wer aus seinem Bekannten- oder Freundeskreis hatte ein Interesse daran, ihm auf diese Art und Weise zu schaden? Nächster Punkt: Wie lange würde diese Verfolgungsjagd dauern und was passierte, wenn sie beendet war? Was, wenn er jetzt anhielte und aus dem Wagen stiege?
Vor einigen Jahren hatte er der Steuer wegen einen ganzen Teil seines Kapitals in Mietwohnungen gesteckt. Er hatte mehrere Häuser gekauft, von Grund auf saniert und schließlich vermietet. Da gab es dann und wann schon Reibereien mit Bewohnern, die ihre Miete nicht oder nicht in voller Höhe zahlen wollten. Gut möglich, dass einer von denen durchgedreht war. Die Mittel, die Berlinghausen in dieser Sache eingesetzt hatte, waren sicher nicht fein gewesen, konnten es gar nicht sein. Man kommt nicht weit mit Samthandschuhen, dachte er fast entschuldigend bei sich. Oder hatte einer seiner Mitbewerber Panik bekommen? Die Branche war ein hartes Pflaster, man kämpfte mit allen Mitteln um Aufträge.
Es war jetzt vielleicht ein, anderthalb Jahre her, da war ein Wettbewerb ausgeschrieben worden, zum Aufbau eines Behindertenfahrdienstes. Berlinghausen bot mit und kannte per Zufall den Verantwortlichen des Landkreises für diese Ausschreibung. Durch ihn hatte er unter der Hand erfahren, dass im Auswahlprozess nur noch ein Bewerber vor ihm lag. Es war ein ehemaliger Schulkamerad, was die Sache zusätzlich pikant machte. Es war dann ein Leichtes gewesen, durch den Bekannten Gerüchte über seinen Rivalen in Umlauf zu bringen, die dann letztlich bewirkten, dass Berlinghausen den Zuschlag zur Ausstattung des Fahrdienstes bekam. Es hatte dann Monate nach diesen Geschehnissen eine Aussprache auf einer Benefizparty zwischen ihm und dem Schulkameraden gegeben, der ahnte etwas, konnte aber nichts beweisen und es waren böse Worte gefallen. Hatte der ehemalige Schulfreund ihm damals nicht sogar gedroht?
Das Gelände wurde jetzt immer einsamer, seit mehreren Kilometern schon war ihnen kein Fahrzeug mehr entgegengekommen. Die Dunkelheit wurde nur unterbrochen durch seinen und den Scheinwerfer des Wagens hinter ihm. Es hätte Mitternacht sein können und sie beiden die einzigen Menschen auf der Welt.
Der Besitzer des Grundstückes in seiner Nachbarschaft fiel ihm ein. Sie beiden lagen in einem Jahre währenden Clinch um die Einleitung des Regenwassers in die Kanalisation und die Entsorgung des anfallenden Laubes und der Gartenabfälle. Seit sie im Streit darüber lagen, hatten sie kein vernünftiges Wort mehr miteinander geredet.
Ein Parkplatz tauchte am Straßenrand auf, menschenleer, von zwei einsamen Straßenlaternen beleuchtet und trotzdem düster wie ein Friedhof. Kein Fahrzeug war hier geparkt, nur einer dieser hässlichen Imbisswagen stand verlassen in der Mitte, umrahmt von einigen verlorenen Stapelstühlen.
Berlinghausen bog ein und fuhr vorsichtig und vorschriftgerecht auf den Parkplatz. Bevor er bremste, setzte er den Blinker, schaltete einen Gang runter und schlug das Lenkrad ein. Das Klick-Klick des Blinkers würde ihm lange in Erinnerung bleiben.
Er wendete den Volvo und blieb dann abwartend am äußersten Ende des Platzes stehen und beobachtete gespannt, was sein Widersacher tat.
Der andere Wagen, jetzt konnte er erkennen, dass es sich um einen dunklen Benz handelte, bog ebenso bedachtsam wie er selbst ein und fuhr auf ihn zu. Langsam kam das Fahrzeug über den leeren Platz gerollt – lauernd und bedrohlich. Dann stoppte er, keine zwanzig Schritt entfernt.
So standen sich die beiden Gefährte gegenüber und schienen sich gegenseitig anzustarren.
Für einige Augenblicke war es totenstill auf dem Platz, nur der Motor tickerte leise, die Zeit schien sich zu dehnen, der Regen hatte aufgehört. Dann unterbrach Berlinghausen die Ruhe, indem er seine Autotür öffnete. Er ließ sie offen stehen, stieg aber nicht aus, quasi eine einladende Geste an den Anderen.
Er konnte die Gestalt in dem anderen Wagen nur schemenhaft erkennen, offensichtlich hatte sie noch immer den Kragen des Mantels hochgeschlagen und auch die Baseballkappe auf dem Kopf. Sie bewegte sich keinen Zentimeter und Berlinghausen fragte sich, mit wem er es zu tun hatte.
Er hatte wirklich keine Ahnung, was er tun sollte. Sie standen sich nun beide gegenüber, belauerten sich und warteten auf den Schritt des jeweils anderen. Dann öffnete sich die Fahrertür des Benz und schwerfällig, langsam erst beide Beine, schließlich ohne Hast der Körper, stieg die Person aus dem Wagen. Berlinghausen stockte das Herz.
Dann stand sein Jäger neben dem Auto und er konnte ihn das erste Mal in Ruhe betrachten. Er hatte noch immer die Sonnenbrille auf, in dieser Situation war das geradezu surreal. Mit leicht gespreizten Beinen und angewinkelten Armen machte er den Eindruck des einsamen Rächers kurz vor seinem Ziel. Das da vorne war kein Mensch, nicht im üblichen Sinne. Berlinghausen hatte eben beschlossen, seinen Verfolger als eine metaphysische Person zu betrachten. Das würde die Sache leichter machen. Müsste er Gewissensbisse haben? Nein, beschied er, er hatte einen Termin.
Sein Peiniger kam jetzt träge, mit schweren Schritten auf ihn zu gestapft. Dabei öffnete er langsam seinen Mantel und griff mit der rechten Hand in die linke Innentasche.
Berlinghausen fiel ganz kurz ein Erlebnis aus seiner frühen Jugend ein. Er hatte an einem Gedichtwettbewerb teilgenommen und aus 254 Einsendungen erreichten seine Reime den ersten Preis. Allerdings stammte dieses Gedicht nicht von ihm, er hatte es einem Freund gestohlen. Er selbst hatte nie viel Talent gehabt zum dichten.
Irgendwie hatte er jetzt ein schlechtes Gewissen deswegen. All die langen Jahre hatte er nicht mehr daran gedacht, jetzt, in diesem Moment, kam es ihm wieder zu Bewusstsein.
Bis auf zehn Schritte war sein Gegner herangekommen und stoisch nestelte er noch immer an seinem Mantel herum. Als er eine Bewegung machte, die Hand aus der Innentasche zu ziehen, gab Berlinghausen Gas, dass der Motor aufheulte.
Er legte den Gang ein und ließ die Kupplung springen. Der Wagen schoss nach vorn und fast augenblicklich hatte er die verdutzte Gestalt erfasst und in die Luft gewirbelt. Mit lautem Krachen schlug der Körper auf dem Dach auf und wurde nach hinten weggeschleudert.
Berlinghausen bremste, stieg mit zitternden Gliedern aus und lehnte sich erschöpft gegen das Fahrzeug. Hatte er eben einen Menschen überfahren oder einen Traum? Er blickte nach oben und atmete tief durch. Die Wolken hatten sich verzogen und nun funkelten die Sterne eiskalt vom Himmel.
Er drehte sich um und schaute zu dem Fremden. Der Körper lag reglos in einer Pfütze. Offensichtlich war sein Verfolger tot, diesen Aufprall konnte kaum jemand überlebt haben.
Berlinghausen stieg zurück in seinen Volvo und fuhr hastig vom Parkplatz herunter auf die Straße in Richtung seines Heimatortes. Es war noch immer nirgends jemand anderes zu sehen.
Mit dem Vorsatz, sich möglichst keine Feinde mehr zu machen in seinem Leben, raste er ins Dunkel davon.


ENDE

 

Hallo Hanniball,

ich fürchte fast, in SPANNUNG schaut zur Zeit kaum einer rein ...

Du beschreibst in deiner Geschichte eine Situation, in die wohl keiner gerne kommen wird. Ein Mann wird verfolgt, weiß aber nicht, von wem und warum. Als Ausgangsposition nicht schlecht, aber man könnte daraus vielleicht mehr machen.

In deiner Geschichte überlegt der Protagonist, wer der Verfolger sein könnte, und dabei kommen ihm allerlei Leute und Begebenheiten in den Sinn. Du reihst dann kurze Episoden aneinander, die meiner Ansicht nach die Story aber eher bremsen als voran bringen und fast ein bisschen wie Füllmaterial wirken. Und am Ende verrätst du dann nicht, wer der Kerl denn nun war ...
Mir war das insgesamt ehrlich gesagt ein bisschen zu dünn.

Mir hätte es besser gefallen, wenn du die Verfolgung an sich spannender, packender gestaltet hättest und die Rückblenden bzw. Überlegungen etwas dosierter eingesetzt hättest. Der Showdown am Ende wirkt dann demgegenüber ein wenig überzogen und aufgesetzt.

Noch ein paar Einzelanmerkungen:

„als es zum Feierabend ging jedoch, musste er etwas tun.“
>>> unschöne Formulierung in meinen Augen

„Obwohl Berlinghausen der Inhaber des Taxiunternehmens war, in dem er arbeitete, einem Betrieb mit 62 Fahrzeugen und 86 Angestellten,“
>>> Dass er im eigenen Unternehmen arbeitet, ist ja eigentlich klar, insofern würde ich diesen Zusatz streichen

„Es regnete in Strömen, es würde keine zwanzig Sekunden dauern, bis er durch wäre bis auf die Haut und die paar Leute, die unterwegs waren, hasteten an ihm vorbei mit gesenkten Köpfen.“
>>> Der erste und der zweite Satzteil haben eigentlich nichts miteinander zu tun. Ich würde das „und“ rausnehmen und zwei Sätze daraus machen.

„So stand die Gestalt unbeweglich vor dem Fenster, die Hände vergraben in den Taschen des Mantels und irgendwie stoisch, fand Berlinghausen.“
>>> „unbeweglich und irgendwie stoisch“ gehört zusammen, aber so, wie du es formuliert hast, ist das auf den ersten Blick schwer zu erkennen; so könnte sich das „stoisch“ auf die Hände beziehen: „Die Hände vergraben ... und irgendwie stoisch“

„War er von Feinden umgeben, die ihm nur Böses wollten?“
>>> passt als Gedankengang für einen erwachsenen Mann irgendwie nicht, finde ich, klingt etwas naiv; das würde ich eher einem Kind zutrauen

„Er war wie von Angst gelähmt.“
>>> Wieso denn „wie“?
Er war vor Angst gelähmt.

„Er zwang sich, streng rational und analytisch vorzugehen.“
>>> Dass er das kann, ist für mich zu diesem Zeitpunkt der Geschichte schwer nachzuvollziehen

„Langsam kam das Fahrzeug über den leeren Platz gerollt“
>>> unschöne Formulierung;
„langsam rollte das Fahrzeug...“

„Bis auf zehn Schritte war sein Gegner herangekommen und stoisch nestelte er noch immer an seinem Mantel herum.“
>>> Auch hier fehlt mir die Verbindung zwischen den beiden Sätzen, die ein „und“ rechtfertigen würde. Besser zwei Sätze.

„Die Wolken hatten sich verzogen und nun funkelten die Sterne eiskalt vom Himmel.“
>>> Kann das sein? Es hat doch die ganze Zeit geregnet, und wenn es sich derart eingeregnet hat, ist es doch eher unwahrscheinlich, dass es dann so plötzlich aufklart.

Dass dein Protagonist am Ende nicht genauer nachschaut, wer der Kerl denn nun war, hab ich irgendwie nicht verstanden. Wieso hat er denn den Fremden bzw. dessen Auto nicht nach Papieren durchsucht?

Ich hoffe, du kannst mit meinen Anmerkungen was anfangen.

Viele Grüße
Christian

 

Hallo Hanniball,
Dein Schreibstil ist flüssig und gut lesbar. Einige kleine Holpereien sind mir aufgefallen aber criss hat so viel geschrieben, daß ich einfach annehme, er wies bereits darauf hin.
Keine Frage, die Geschichte hat Spannung. Leider ist sie mir aber wegen der vielen Eventualitäten und Erklärungen möglicher Rachegründe streckenweise verlorengegangen.
Die Spannung siegte aber und ich war bis zum Ende gespannt.
Ich dachte, es sei die Freundin, die mit ihm Schluss machen wollte, zögerlich war und einen günstigen Moment abwartete.
Dann kam die Enttäuschung.
Ich war gespannt und bin in ein Loch gefallen.
Schade und total unbefriedigend.

LG
Manfred

 

Hallo criss, hi Dreimeier!

Scheint tatsächlich nicht viel los zu sein, hier.
Freut mich, dass ihr trotzdem reingeschaut habt.

Driss, für dich ist die Story zu dünn und nicht ausreichend und niemand sagt, wer der Täter ist. Dasselbe beklagt Dreimeier.
Ich hatte erwartet, dass die Story nicht so funktioniert, wie ich mir das vorgestellt hatte. An und für sich hatte ich gemeint, eine spannende Ausgangssituation gefunden zu haben. Damit stimmen wir wohl größtenteils überein. Das weitere ergab sich fast von selbst. Ich denke es ist nicht sehr spannend, die Jagd nur an sich darzustellen, was ich falschmachte, ist wohl, dass es mir nicht gelang, die Geschichte mit den einzelnen Episoden zu verbinden. Also eher etwas handwerkliches.
Der Täter, ja. Es ist mir klar, dass es unbefriedigend ist, gar keinen Täter zu nennen, allerdings glaube ich, dass es fast ebenso unbefriedigend ist, einen ganz bestimmten zu zeigen. Die Spannung kann einfach nicht adäquat abgebaut werden.
Also entschied ich mich dafür, den Verfolger metaphysisch als schlechtes Gewissen Berlinghausens zu sehen und ihn eben wegfahren zu lassen, ohne nachzuschauen. Dass das nicht überzeugend rüberkam, ist sicher meinem fehlenden handwerklichen Geschick zu verdanken. Aber ich arbeite dran.:D

Vielen Dank also ihr beiden, ihr habt mir große Freude gemacht!

(criss, was ist mit deiner Fleischerlehre? Habe ich mich aufgerafft, eine Geschichte zu kommentieren, da ist sie nicht mehr da!)

Viele Grüße von hier aus!

 

Hm, Metaphysik und Spannungsgeschichten passen vielleicht nicht so ganz zusammen, Hanniball. Dürfte jedenfalls nicht so leicht sein, sich auf dieser Ebene zu bewegen und trotzdem Spannung zu erzeugen.

Für meinen Geschmack fehlt den Episoden nicht nur die Verbindung zur Geschichte, die Episoden nehmen auch einen zu breiten Rahmen ein.

Mir fällt der Film "The Game" von David Fincher ein, vielleicht kennst du den. Da überlegt der Protagonist auch, was oder wer hinter den Ereignissen steckt. Als Zuschauer will man das natürlich auch wissen. Aber das alleine sorgt nicht für die Spannung - zu dem Miträtseln kommt auch, dass die Verfolgung mit einigem Tempo und immer wieder überraschenden Momenten abläuft. Die Mischung macht es, ich würde aber den Schwerpunkt nicht auf die Überlegungen bzw. die "Randepisoden" legen. ;)

Es ist mir klar, dass es unbefriedigend ist, gar keinen Täter zu nennen, allerdings glaube ich, dass es fast ebenso unbefriedigend ist, einen ganz bestimmten zu zeigen. Die Spannung kann einfach nicht adäquat abgebaut werden.
Da kann ich nicht ganz zustimmen. Wieso sollte es unbefriedigend sein, wenn es letztlich einer von denen ist, die der Protagonist verdächtigt hat?
Die bessere Alternative wäre für mich aber, dass es jemand ist, den er zwar kennt, an den er aber niemals gedacht hätte. Evtl. könntest du diesen "Jemand" zu Beginn der Geschichte einbauen.

"Fleischerlehre" hab ich übrigens zwecks Überarbeitung rausgenommen, weil ich befürchtet habe, dass die Geschichte nach der Überarbeitung nicht nochmal gelesen wird.
Ich werde sie demnächst in einer überarbeiteten Fassung wieder reinstellen.

 

Hallo Hanniball,

sodale, ich habe jetzt mal dein aktuellstes Werk gelesen.

Zunächst das Positive: die Geschiche ist völlig zurecht in der Rubrik Spannung, denn spannend fand ich sie allemal – in dem Sinne, daß ich unbedingt wissen wollte, wer denn nun den guten Berlinghausen da verfolgt. Damit – und auch mit den Rückblenden und Gedankengängen – hast du mich bei der Stange gehalten, so daß ich die Geschichte nicht einfach hätte weglegen können.
Dein Schreibstil hat mir auch überwiegend gut gefallen, wenn er sich auch an manchen Stellen etwas holprig gestaltete bzw. zu sehr in einen emotionsarmen Berichtsstil abdriftete.
Jedenfalls ließ sich sich die Geschichte gut und flüssig lesen.

Negativ sind mir vor allem zwei Aspekte aufgefallen: zunächst einmal die von mir bereits erwähnten Rückblenden. Grundsätzlich eine gute Idee, die bei solchen Geschichten auf jeden Fall funktionieren kann. Ich finde nur, du hast sie manchmal nicht ausreichend in die Handlung eingebunden; an einigen Stellen wurde ich unsanft aus der primären Verfolgung herausgerissen. Wenn du diese Stellen noch etwas geschmeidiger machst, würde das der Story deutlichen Auftrieb geben.

Das Ende hat auch mich enttäuscht zurückgelassen. Ich habe gelesen, bin deinen Rückblendungen und Vermutungen gefolgt und hatte damit gerechnet, entweder tatsächlich einen der potentiell Verdächtigen als Verfolger präsentiert zu bekommen oder jemand völlig Unerwarteten – einen kurzen Moment dachte ich sogar, daß es ein Irrtum ist, daß jemand eigentlich in guter Absicht hinter ihm herfährt und er diese Person versehentlich (meinetwegen auch wegen seines schlechten Gewissens) überfährt.
Aber gar niemanden zu präsentieren – dafür gehörst du mit dem Schlappen gehauen :D

Detailanmerkungen:

Die Zeit über, die er auf Arbeit in seinem Büro zubrachte, machte ihm der Regen nicht viel aus; als es zum Feierabend ging jedoch, musste er etwas tun.
Solche Sätze beispielsweise meine ich mit „holprigem“ Stil.
Wie wäre es mit: „In seinem Büro machte ihm der Regen nicht viel aus, aber als es dem Feierabend zuging, mußte er etwas tun.“

Obwohl Berlinghausen der Inhaber des Taxiunternehmens war, in dem er arbeitete, einem Betrieb mit 62 Fahrzeugen und 86 Angestellten, obwohl er also die Mittel dazu hätte, trockenen Fußes nach Hause zu gelangen,
Gelungener fände ich die Verwendung von Spiegelstrichen und die Streichung von „in dem er arbeitete“, da ich letzteres als fast schon tautologisch erachte:
„Obwohl Berlinghausen der Inhaber des Taxiunternehmens war – ein Betrieb mit 62 Fahrzeugen und 86 Angestellten – und also die Mittel dazu hatte, trockenen Fußes nach Hause zu gelangen...“

Heute morgen war er zu spät gewesen, schlecht, wenn man abends einen kippt und das eigene Weib ist unfähig, einen rechtzeitig zu wecken.
Auch hier wieder plädiere ich für die Verwendung von Spiegelstrichen oder alternativ einem Semikolon:
„Heute morgen war es zu spät gewesen – schlecht, wenn man abends einen kippt...“

und als er auf der Straße ein passendes Plätzchen gefunden hatte, war er mindestens 15 Minuten Fußmarsch von seinem Büro entfernt.
Tempus-Fehler: „... von seinem Büro entfernt gewesen.“

Und was das Wichtigste und der entscheidende Grund für Berlinghausens unbedingtes Erscheinen war, es waren wirklich dicke Aufträge zu vergeben.
Hm... das würde ich mit einem Spiegelstrich oder einem Doppelpunkt trennen.
„... Erscheinen war: es waren wirklich...“

und mit etwas Glück führten sie dort Regeschirme.
Regenschirme

Er hatte Glück; als er den Knirps bezahlte, fiel ihm der seltsame Man auf.
Das ist unglücklich formuliert; klingt, als bestünde sein Glück darin, daß ihm der seltsame Mann auffiel und nicht etwa, daß er tatsächlich einen Regenschirm erwerben konnte.

Sie trug einen weißen Trenchcoat, der jetzt allerdings feucht und grau war, den Kragen hochgeschlagen, so dass sein Gesicht kaum zu erkennen war.
Hm, du springst hier und danach einige Male zwischen „die Gestalt“, „der Fremde“ und „die Person“ hin und her. Gerade im zitierten Satz paßt es dann nicht mehr. Vielleicht kannst du das noch einheitlicher formulieren.

Er bezahlte den Schirm und verließ den Laden.
Den Schirm hat er bereits einige Zeilen zuvor bezahlt.

Und was sollte er tun? Das Auto war mindestens noch zehn Minuten Fußweg entfernt.
...
Keine fünf Minuten darauf öffnete er die Tür seines Volvo S80
Dazwischen liegt doch eigentlich nur das Betreten der Telefonzelle. Hat er einen Zeitsprung gemacht? :D

„Scheiße, verdammt!“ Diesmal dachte er es nicht nur, er fluchte laut. Panisch sprang er in den Wagen und startete ihn.
Unnötige und bremsende Erklärung. Die Textauszeichnung kennzeichnet es als gesprochene (und herzhaft fluchende) Worte.

Offensichtlich hatte er seinen Verfolger abgeschüttelt, der hatte nicht damit gerechnet, dass er so flink in seinen Wagen kam.
Klingt hakelig.
Vorschlag: „Offensichtlich hatte er seinen Verfolger abgeschüttelt, der ganz sicher/wohl nicht damit gerechnet hatte...“

Er war wie von Angst gelähmt.
Ich kenne das nur als „Er war vor Angst wie gelähmt.“

Er hielt an und löschte das Licht. Dann saß er nur da und wartete mit klopfendem Herzen, dass etwas passierte.
Der sich abkühlende Motor knackte, der Regen trommelte nur noch leise aufs Dach. Ansonsten war alles still.
Das fand ich sehr stimmungsvoll.

Im übrigen lebte er so ganz gut, mit wem zum Beispiel sollte er denn zu einem Empfang wie dem heutigen erscheinen? Mit Sylvia etwa?
Gut gefällt mir, wie du seine Liebhaberin hier einführst. Weniger gut der Satzbau.
Vorschlag: „Im übrigen lebte er so ganz gut. Wie wem sonst sollte er denn an ihrer Stelle zu einem Empfang wie dem heutigen erscheinen? Mit Sylvia etwa?“

Andererseits hätte es ihn gewundert, wenn dieser gefühllose Berufsboxer mit dem Aussehen eines Rambo in seinen schwersten Stunden
:D
Aber wenn er Boxer ist, warum dann Rambo und nicht Rocky?

Er wusste nicht, wer ihn verfolgte, dass er verfolgt wurde, war eindeutig.
Hier würde ein „aber“ gut tun.
„Er wusste nicht, wer ihn verfolgte, aber dass er verfolgt wurde, war eindeutig.“

Es war ein ehemaliger Schulkamerad... Es war dann ein Leichtes gewesen... Es hatte dann Monate nach diesen Geschehnissen...
Ich denke, diese gleichförmigen Satzanfänge waren von dir nicht als Stilmittel gedacht. Vielleicht änderst du ja den mittleren ab, dann würde es nicht so monoton klingen.

Berlinghausen bog ein und fuhr vorsichtig und vorschriftgerecht auf den Parkplatz. Bevor er bremste, setzte er den Blinker, schaltete einen Gang runter und schlug das Lenkrad ein.
Hm, das ist mir zu technisch formuliert, fast wie eine Anleitung aus der Fahrschule. Zumindest würde ich das „vorschriftgerecht“ in den Mülli schmeißen, das klingt furchtbar steril.

Langsam kam das Fahrzeug über den leeren Platz gerollt – lauernd und bedrohlich.
Die gute alte Christine :D

Sein Peiniger kam jetzt träge, mit schweren Schritten auf ihn zu gestapft. Dabei öffnete er langsam seinen Mantel und griff mit der rechten Hand in die linke Innentasche.
Berlinghausen fiel ganz kurz ein Erlebnis aus seiner frühen Jugend ein. Er hatte an einem Gedichtwettbewerb teilgenommen
:eek:
Um Himmels willen... er denkt in dieser Situation an einen Gedichtewettbewerb? Ich hatte damit gerechnet, daß er vielleicht einmal in einer ähnlichen Situation gewesen war, in der jemand eine Waffe zog. Halt irgendwas Dramatisches. Aber nicht ein Gedichtewettbewerb, nicht, wo die Handlung ihrem Höhepunkt entgegenstrebt.
Natürlich könnte es sein, daß er diesen verrückten Gedanken an seinen Jugendfehler in diesem Moment hat, aber m.E. paßt es an dieser Stelle nicht.

Soooo... damit muß auch gut sein. Ich hoffe, du hast keinen Herzkasper bei all den Bemerkungen meinerseits bekommen. Das meiste ist eh subjektiv, und wenn du die Dinge anders beurteilst, dann laß es stehen, wie es ist, aber trink wenigstens eine Tasse Kaffee für mich mit :)

Huch, Kurzfazit noch schnell auf den Weg: Ich hab die Story gern gelesen, weil sie trotz meiner Mecker spannend und flüssig zu lesen war. Nur das Ende... gib uns wenigstens den Gärtner oder so, aber gib uns jemanden :)

Gruß,
Somebody

 

Hi somebody!

Da hast du dir also gerade diese Story vorgenommen. Ich muss sagen, sie ist nicht mein liebstes Kind, aber immerhin eines von mir, und also muss ich zu ihr stehen.
Am Anfang stand das Bild von dem verfolgten Menschen, der sich Gedanken machen muss, weshalb jemand ihm folgt. Davor stand die Idee eine Kriminalerzählung zu schreiben, ein Auftagswerk quasi. Schau dir mein Werk (?) an und dann sortiere aus, was im Auftrage geschrieben wurde, und du wirst sicher einen Qualitätsunterschied bemerken. Ich sage das nicht zur Entschuldigung, eher zur Erklärung.
Die Idee an sich fand ich ziemlich spannend, es ergibt sich aus der Konstellation, dass der Rezipient mitfiebert und eine Neugierde beziehungsweise eine gewisse Spannung entwickelt.
Die Rückblenden. Sie hätten tatsächlich funktionieren können, wenn du mir sagst, dass sie nicht in die Handlung eingebunden sind, dann wirst du Recht haben, ich hatte die Absicht, den Protagonisten zu charakterisieren über diese Szenen, quasi seine Gedanken wiedergeben. Genau das scheint mir nicht gelungen, wenn du sagst, dass du aus der Verfolgung herausgerissen wurdest, dann klingt das plausibel, ich kann damit etwas anfangen und kann es nachvollziehen.

Das Ende hat auch mich enttäuscht zurückgelassen

Tja, du scheinst nicht der einzige hier zu sein:D
Auch etwas, von dem ich mir vorgestellt hatte, dass es anders funktioniert. Ich hatte die Absicht, die Story in ein metaphysisches Fahrwasser zu lenken, weil mir schon klar ist, dass die Spannung niemals adäquat aufgelöst werden kann, ich muss praktisch die kleine schwarze Tür aufstoßen und zeigen, was dahinter ist.
Ich habe da gerade eine Phase durchzumachen, in der ich mich nicht recht entscheiden kann, ob ich die Stories anspruchsvoll oder unterhaltsam schreibe (am besten beides, ich weiß!).

Die zehn und die fünf Minuten Fußweg; ja, ich wusste im Moment des Aufschreibens, dass das aufstoßen wird. Du hast Recht, er hat nicht viel Fußmarsch zurückgelegt, das kommt nicht hin. Wenn man es nochmal liest, dann fällt es auf.

Einigen deiner Detailanmerkungen kann ich nicht zustimmen (den meisten schon), das sind dann rein subjektive Sachen.

Offensichtlich hatte er seinen Verfolger abgeschüttelt, der hatte nicht damit gerechnet, dass er so flink in seinen Wagen kam.

finde ich besser als das glatte

Offensichtlich hatte er seinen Verfolger abgeschüttelt, der ganz sicher nicht damit gerechnet hatte...

Verstehe mich bitte nicht falsch, die Wortwiederholungen hatte gehört dort natürlich nicht rein, ansonsten bin ich Fan eines Stils, der gediegen ist und ein wenig schnörkelig (hakelig?), ganz im Gegensatz zu modernen stromlinienförmigen flinken Stil. (natürlich auch eine subjektive Einschätzung)

Vielen Dank dann also für deine Mühe, hat mir geholfen, ich bin sicher, dass ich mich eines Tages (nicht heute und nicht morgen) dransetzen werde, um das Ding vollständig zu überarbeiten.

Viele Grüße von hier!

P.S. Solltest du dich zufälligerweise doch noch mal in meine Geschichtenliste verirren, dann nimm dir doch die "Ablösung" vor, die steht ewig schon hier drinnen.:D

 

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