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Ein Ausflug im Herbst
Eines sonnigen Nachmittags im Oktober beschlossen sie, die Aussichtsplattform in N. zu besuchen. Sie, das waren Carl und Eva, ein in die Jahre gekommenes, in einer Pflichtehe lebendes Paar. Pflichtehe – ein Ausdruck, den sie beide in Gedanken oft benutzten. Ihre Kinder waren aus dem Haus, lebten mit den Enkeln weit weg und einer wie der andere war zu bequem endlich die Scheidung einzureichen. Tagtägliche Grausamkeiten lösten die zärtlichen Gesten ab, Schweigen die langen Gespräche, und wer weiß, wann sie das letzte Mal intim gewesen waren. Doch jeder hatte sich arrangiert. Carl vertiefte sich in seine Holzarbeiten, während Eva sich auf das kleine Blumenbeet konzentrierte, welches ihre Einfahrt säumte. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten lief immer das Radio, da eines der wenigen Dinge, die sie noch verband, der gemeinsame Hass auf das Fernsehprogramm war. Oft dachte Eva darüber nach was schlimmer wäre – allein oder in der Gesellschaft ihres Ehemannes zu sterben. Sie kam nie zu einem eindeutigen Ergebnis.
An diesem Nachmittag nun, als Carl zeitungslesend über seinem 2- Uhr-Tee saß und Eva ein wenig döste, sagte der junge Mann im Radio: „So meine Lieben, wenn ihr heute noch nichts vor habt, dann packt die Sonnencreme ein, denn das beste Wetter bekommt ihr auf dem Berg in N.! Und für die unter euch, die sich eine Erfrischung gönnen wollen, das Aussichtscafé dort ist auch nur zu empfehlen! Lasst euch das nicht entgehen, Leute!“ Carl hob den Kopf. „Hast du das gehört?“, fragte er seine Frau. Eva erwachte aus ihrem Dämmerschlaf. Sie hatte eine Art, ihre Finger wie die Krallen einer Katze auszustrecken, wenn sie erwachte. Außer dieser Eigenart hatte Carl aber nie etwas Außergewöhnliches an ihr entdecken können. Sie war eine Frau wie jede andere, und aus dem Grund hatte er sie auch geheiratet. Doch nun, mit zunehmendem Alter machte er sich immer mehr Sorgen, ob es das schon gewesen sein sollte. Er hatte diese Phase schon einmal, kurz nach seiner Hochzeit, aber da hatte er sich auf das alltägliche Eheleben neben Eva gefreut. Sie bot ihm Halt und das gute Gefühl von eintöniger Sicherheit. „Was sagtest du?“ Evas Stimme war überraschend tief für eine Frau, das kam, wie Carl wusste, vom Alkoholmissbrauch, den sie schon seit Jahren vor ihm geheimzuhalten versuchte. „Im Radio erzählten sie gerade etwas von einer Aussichtsplattform in N., wo es heute ganz schön sein soll. Möchtest du dorthin fahren?“ Eva überlegt einen Moment. Ihren warmen Platz auf dem Sofa einzutauschen gegen den unbequemen Stuhl in einem Café, zwischen lauter anderen alternden Leuten, das klang nicht gerade überzeugend. „Nun gut, von mir aus“, antwortete sie letztendlich. Sie war gespannt, was Carl ihr erzählen wollte, wenn er sich nicht mehr hinter seiner Zeitung verstecken konnte. Er war der mit Abstand uninteressanteste Mann, den sie je gekannt hatte. „Gut“, sagte Carl, „in einer Viertelstunde fahren wir los.“
Später saßen beide im Auto und glitten über die Landstraße nach N. Die Felder draußen verwandelten sich in Hügel und endlich tauchte das Ortsschild mit dem Namen des kleinen Bergdorfs auf, in dem sich die Liftstation befand. Die Aussichtsplattform konnte nur durch die Seilbahn erreicht werden. Es war ein wunderschöner Herbsttag und die gelb- und orangegefärbten Blätter hingen von keinem Lufthauch bewegt vor dem strahlend blauen Himmel. Carl parkte den Wagen und gemeinsam gingen sie hinüber zu der kleinen Liftstation.
Eva hatte schon immer Höhenangst gehabt und ihr Mann bemerkte ein vergnügtes Kribbeln im Bauch als er ihre nervösen Handbewegungen und unsicheren Schritte beim Einstieg in die Gondel registrierte. Mit einem Ruck setzte sich der Aufzug in Bewegung und das Paar schwebte Richtung Gipfel. Sie sah die ganze Zeit immer wieder aufgeregt aus dem kleinen Fenster und er machte ab und zu Bemerkungen wie: „schau nur, da unten ist unser Auto“, „mann, ist das hoch“ oder „wann die dieses Ding hier wohl zum letzten Mal gewartet haben?“, bis Eva so verstört war, dass sie die ganze restliche Zeit ihre Knie umklammert hielt und auf ihre kleinen weißen Stoffschuhe starrte. Oben angekommen entstiegen sie der Gondel und Carl war sehr gut aufgelegt.
Ein kleiner, schmutzig grau gepflasterter Weg führte bis zum kahlen Gipfel hinaus, wo ein flacher Bau mit allseitiger Verglasung die Aufschrift „Café „Zur schönen Aussicht“ trug. Vor dem Eingang standen ein paar ältere Herren und bliesen blauen Pfeifenrauch in die saubere Herbstluft. Sie trugen ausgewaschene Hemden mit geschmacklosen Pullundern darüber. Ihre Gesichter waren vom jahrelangen Tabakkonsum gezeichnet und, wäre Eva in der Stimmung gewesen, hätte sie Carl „schau mal, Schildkröten“ zugeflüstert. Das Ehepaar betrat das Café und bekam einen der besseren Tische am Fenster, da trotz des guten Wetters nicht viele Gäste außer ihnen dort waren. Dennoch ließ sich die Kellnerin Zeit, und da Carls Blase nicht mehr die jüngste war, erhob er sich nach einer Weile des schweigenden Wartens und ging ins Bad.
Als er zurückkehrte, saß Eva vor einem Milchkaffee mit riesiger Sahnehaube, während auf seinem Platz eine winzige Tasse Espresso stand. Eva wusste genau, wie sehr er Espresso hasste und Sahne liebte, und er wusste auch, dass sie sich mit ihren Cholesterinwerten die Sahne nicht erlauben konnte. Außerdem war sie sich im Klaren darüber, dass Espresso bei ihm einen „durchschlagenden“ Effekt erzielte.
Dies alles wissend starrten sie sich eine Weile an, der eine verbissen, der andere vergnügt, bis Carl seinen Blick auf das Tässchen vor ihm senkte und mit verkniffener Wut Zucker hinein streute. So weit war es schon gekommen mit ihnen, aber was sollte das Nachdenken darüber, ändern konnte man ohnehin nichts mehr. Also trank er einfach seinen Espresso, obwohl er wusste, dass er dies in spätestens einer halben Stunde bereuen würde. Die Kellnerin schaute an ihrem Tisch vorbei und sie bestellten Torte, er ausdrücklich mit viel Sahne. Als der Kuchen endlich kam, hatte ihr Schweigen wieder einen Grund und es fühlte sich für beide sofort angenehmer an. Ab und zu blickte einer nach draußen auf die fantastische Aussicht und die nackten Bergspitzen. Das Ehepaar am Nachbartisch begann sich lauthals um eine Nebensächlichkeit zu streiten, bis die Kellnerin herbeieilte und um Ruhe bat. Eva beobachtete während der gesamten Auseinandersetzung den verzweifelten Gesichtsausdruck der Kinder, die zwischen ihren Eltern saßen. „Wir haben alles richtig gemacht“, ließ Eva mit verbissener Überzeugung beiläufig in Richtung Carl fallen, und der nickte und prostete ihr mit seinem Espresso zu. Sie zog sich zurück in die Stille und betrachtete die blassblauen Gipfel in der Ferne, dann wandte sie sich wieder dem Inneren des Cafés zu. Ihr Blick wanderte über die Tische und blieb an den Zeigern einer Wanduhr aus Holz hängen. Eva zählte die Sekunden, bis Carl aufstehen und sich gemessenen Schrittes aber mit unterschwelliger Eile, in Richtung Toilette bewegen würde.
Endlich war es soweit: Carl erhob sich, hielt mit schmerzverzerrtem Gesicht eine Hand auf den Bauch, warf seiner Frau einen wütenden Blick zu und verschwand. Dies war ein eindeutiger Sieg, beschloss sie, nach der Sache im Lift war sie geradezu verpflichtet gewesen ihm Paroli zu bieten. Eine stille Übereinkunft zwischen ihnen legte fest, dass man nie dem anderen Zorn für eine von dessen Grausamkeiten zeigen durfte. Diesen Triumph würde sie also seelenruhig auskosten können. Sie blickte zurück zu der jungen Familie, dorthin, wo die Erwachsenen sich böse anfunkelten und die Kinder mit gesenktem Blick traurig in ihren Eisbechern stocherten. Erbärmlich, dachte Eva, aber diese Eltern werden auch noch dahinter kommen, wie es gemacht wird.
Plötzlich durchschnitt ein Knall die Stille ihrer Gedanken. Sie blickte auf und sah Scherben von Geschirr und Glas, und dazwischen die Reste von Sahnetorte. Überall auf dem Boden war Rotwein verspritzt und besudelte die glänzende Linoleumfläche. Die Kellnerin stand in dem Chaos, mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund – ein furchtbar dämlicher, unvorteilhafter Anblick für ihr ansonsten angenehmes Gesicht, dachte sich Eva. Vor der Frau stand ein Mann, jedoch konnte man ihn nicht richtig erkennen, da er den anderen Gästen den Rücken zu wandte. Er war groß, dunkel und unauffällig gekleidet und hielt ein Messer auf sie gerichtet. „Ich sagte, sperren Sie die verdammte Tür ab!“, brüllte er die Kellnerin an und das ganze Restaurant starrte verstummt. Er hatte es anscheinend zuvor leise zu ihr gesagt und sie wollte nicht spuren – was für ein dummes, einfältiges Ding. Nun wankte sie zur Tür und sperrte ab. Draußen stand niemand mehr und rauchte, die Schildkröten hatten sich an einen Tisch in der Ecke zurückgezogen, von dem sie nun mit violett unterlaufenen Augen herüberstierten.
Der Mann drehte sich langsam zu den Gästen um und unter den Rändern seiner schwarzen Sonnenbrille glänzte das Fleisch weiß wie das einer Made, er war nur nicht so fett. „Keiner“, schnurrte es aus seiner Kehle mit rauchiger, jedoch nicht unsympathischer Stimme, „rührt sich vom Fleck.“ Keiner sah aus als wollte er Anstalten dazu machen. Als er sich zurück zum Tresen wandte, bemerkte Eva in der Drehung seines Körpers den Umriss eines Revolvers, der sich in der Tasche seines Kapuzenpullovers abzeichnete. „Mach mir 'nen Kaffee“, wies er die Kellnerin an, „und dann kehr das auf.“ Sie tat es, und während er seinen Kaffee schlürfte und sie auf Knien die Scherben zu seinen Füßen auffegte, betrachtete das Publikum im Café die Szenerie gespannt, wie als wären sie Zeugen eines gut inszenierten Stücks und nicht die Mahlzeit eines Geparden im Zoogehege. Der Koch kam aus der Küche und wurde sofort von der Bedienung dorthin zurückgedrängt. Eva begann sich zu amüsieren. Da passierte nach 30 Jahren Ehe endlich etwas, worüber man sich ernsthaft unterhalten konnte, und Carl hockte auf dem Klo – das war mal wieder typisch für ihn.
Sie betrachtete den Rücken des Mannes und ihre Stimme klang lauter als sie vermutet hatte durch die erdrückende Stille: „Was wollen Sie hier?“ Der Mann wandte sich langsam zu ihr um und konnte sie sofort als Urheber der Frage ausmachen. Nach einer kurzen Pause, während der die Anspannung so groß wurde, dass Eva am liebsten vor Vergnügen gekichert hätte, antwortete er. „Kennen Sie das Gefühl, wenn Ihnen die Hände gebunden sind, wenn Sie jemanden vor etwas bewahren wollen, es aber nicht können? Nein, vermutlich nicht, denn Sie sind nur eine durchschnittliche Hausfrau. Und Sie maßen sich an, mich zu fragen, was ich will! Ich kenne dieses Gefühl nur zu gut!“ Er redete sich in Rage und das blütenweiße Gesicht wurde rot, „Ich will Gerechtigkeit!“ Dann zog er blitzschnell seine Waffe, richtete sie auf die Kellnerin in der Küchentür und drückte ab. Mit einem Aufschrei ging sie zu Boden.
Totenstille senkte sich über das Café, als ihre Schreie endlich versiegten.
Eva sah Carls Gesicht vom Bad her zu ihrem Tisch spähen und sie schämte sich mehr denn je für ihn. Carl - der so hilflos war, mit seinem lächerlichen Strickpullover und den ergrauenden Haaren. Carl – den sie nur wegen seiner guten Arbeitsstelle geheiratet hatte, weil er eine gesicherte Zukunft versprach. Carl – der während der Momente, in denen sie intim gewesen waren, aussah wie ein kleiner Junge, so – lächerlich.
Sie wandte sich ab von dem Mann, der ihr so viele Stunden ihres Lebens so wenig bedeutet hatte und schaute lieber auf die große rote Lache, die sich unter der kleinen Gestalt in der weißen Schürze ausbreitete. An den Nachbartischen hörte sie Schluchzen und vermutete, dass die Kinder diese Gräueltat hatten mit ansehen müssen. Schade, dass die Bedienung nun tot war, da würde sie sich ihren Nachmittagsbrandy wohl alleine holen müssen.
Carl beobachtete von der Toilettentür aus, wie sich seine Frau erhob und zum Tresen schritt. Sie war vollkommen ruhig und zeigte keinerlei Interesse für den nervösen Mann, der mit noch erhobenem Revolver über der Toten stand. Während sie ihn passierte, ließ er die Waffe sinken, fuhr sich erschöpft durch die Haare und setzte sich mit einem Seufzer an die Bar. Eva stieg über die leblose Kellnerin und begann, Brandy und Eiswürfel in ein Glas zu füllen, sie trank ihn so am liebsten. Der Mann legte seine Pistole beinahe liebevoll auf die Bar und stützte seinen Kopf in die Hände. „Für mich bitte auch einen.“ Wortlos stellte ihm Eva den Brandy hin und begann, einen zweiten zu machen. Dann setzte sie sich neben ihn. Carl war fassungslos. Er hätte gern noch mehr gesehen, doch ein stechender Schmerz in seinen Eingeweiden zwang ihn zur Rückkehr in den gekachelten Ort der Erlösung. Eva und der Mann nippten schweigend an ihren Gläsern.
Nach einer Weile begannen die Männer in der Ecke zu flüstern, denn niemand hält Stille lange aus. Als klar wurde, dass sich die Situation vorerst nicht ändern würde, wurden Spielkarten heraus geholt. Die Eltern verteilten weiße Blätter und Wachsmalstifte an ihre Kinder und diese begannen, bunte Linien zu ziehen, die fettig glänzten wie die Lache auf dem Boden vor der Küchentür. Einer der anderen Männer schaffte gemeinsam mit dem Koch die tote Frau in der hinteren Teil der Küche wo keiner sie sehen konnte, nur der Fleck, von dem eine kleine Tropfspur wegführte, blieb. Immer, wenn die Gläser an der Bar sich leerten, füllte Eva auf. Sie machte sich keine Vorstellung darüber, was als nächstes geschehen würde sondern genoss den Ausnahmezustand. Da sie Hochprozentiges gewohnt war, blieb ihr Verstand genau so scharf wie im nüchternen Zustand, während der Fremde zunehmend betrunken wirkte.
Nach einer Weile nahm er die Sonnenbrille ab und der Anblick seiner roten, verquollenen Augen, die so verletzlich aussahen, überraschte sie. „Was denkst du, was ich als nächstes tun werde?“, fragte er plötzlich. Eva blickte ihn verwundert an. „Ich weiß nicht.“ Er lachte. „Ich bringe euch alle um. Keiner wird dieses Café lebend verlassen. Und ihr sitzt alle hier und wartet nur auf euren Tod! Das beste ist doch, ihr könnt einander dabei zusehen!“ Sein Lachanfall machte allen Anwesenden mehr als deutlich klar, wie ernst er es meinte.
Carl war gerade von seiner zweiten Sitzung auf der Toilette zurückgekehrt, als er Lärm aus dem Schankraum hörte.
Eine der Schildkröten aus der Ecke war aufgesprungen und mit einem Tempo, das man ihr gar nicht zugetraut hätte, zur Bar gestürmt, hatte nach dem Revolver gegriffen, ihn aber um Zentimeter verfehlt und war hingefallen. Der Mann sprang auf, packte die Waffe und richtete sie auf den am Boden Liegenden. „Du willst also der Erste sein?“ Die Schildkröte wimmerte etwas Unverständliches, was mit der Kugel aus der Mündung der Waffe und einem erneuten Knall jäh abriss. Alle saßen wie die Kaninchen vor der Schlange, nur Eva nutzte den Moment. Ihr war klar geworden, dass dieser Mann, egal welche Motive er für seine Tat hatte, kein Mensch sein konnte. Deshalb entschied sie sich, aus ihrer bisherigen Trance aufzutauchen und schlug dem Mann, der noch wie gebannt auf den Toten zu seinen Füßen starrte, die Waffe aus der Hand. Er fuhr herum und griff nach ihrem Hals. Sie entkam ihm und es begann eine Jagd um den Tresen. Ihr Ziel war das Messer, welches auf der anderen Seite lag, dort wo die Spülbecken waren. Genau als sie dort ankam, packte er ihre Haare und riss sie zurück. Evas Hand verfehlte das Messer und griff stattdessen in seine Schneide. Blut verschmierte dunkelrot die saubere Metalloberfläche der Bar. Alle sahen gebannt zu und der Mann lachte erneut. „Meine Damen und Herren, die Vorstellung ist noch lange nicht vorbei! Kinder, seht her! Ich zeige Ihnen nun: die Alte stirbt, und keiner hilft ihr!“ Evas Kopf wurde nach unten gedrückt. Glatt und friedlich lag das Wasser des Spülbeckens vor ihr. Es war tief, ihr Kopf würde genau hineinpassen. Mit einer kräftigen Bewegung tauchte er ein und Eva schloss die Augen. Sie konnte ihre Todesangst nicht länger vor sich verstecken und instinktiv fragte sie sich, wo Carl war. Er, der auch diesmal wieder den Moment verpasste, in dem er beweisen konnte, dass er ihr Mann war.
Plötzlich lockerte sich der Griff und sie spürte, wie jemand sie am Arm hochriss. Carl war da, er zog sie hinaus und hatte das Messer an den Hals des Mannes gelegt. Eva reagierte sofort. Gemeinsam mit Carl packte sie den Mann und, unter den Blicken aller Gäste, drückten sie ihn solange unter Wasser, bis keine Luftblasen mehr aufstiegen.
Später hörten Carl und Eva beim Frühstück einen Radiobeitrag über den Vorfall. Der Mann im Café war ein Witwer gewesen, dessen Frau Kellnerin in der „Schönen Aussicht“ war. Eines Tages war sie auf Arbeit ausgerutscht, hatte sich den Kopf angeschlagen und alle, Gäste und Personal, hatten ihr beim Sterben zugesehen, ohne dass auch nur einer geholfen hatte. Ihr Mann hatte erst am nächsten Tag von ihrem Tod erfahren. „Das arme Ding“, meinte Eva kopfschüttelnd und sah von ihrem Strickzeug auf. „Wen meinst du, den Mann?“, fragte Carl. Sie schaute aus dem Fenster, nach draußen, wo die Bäume ihre Blätter abschüttelten wie nasse Hunde das Wasser. Mit einer fließenden Bewegung stand sie auf, ging um das Sofa herum und knetete sanft seine Schultern. Er blickte auf zu ihr, und sie lächelte.