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Ein angenehmes Leben

Joh

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28.07.2003
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Ein angenehmes Leben

Ein angenehmes Leben

War es nicht ein angenehmes Leben, das Marion und ich führen durften? Wir hatten ein kleines Häuschen, das für unsere Bedürfnisse vollkommen genügte, auch wenn es sehr einfach eingerichtet war. Für uns reichte es. Die meiste Zeit verbrachten wir auf der kleinen Bank vor unserem Haus, blickten in die Ferne und schwiegen. Wovon hätten wir auch erzählen sollen? Wir haben beide keine Erinnerung mehr an das, was vorher gewesen war.
Ist denn vorher etwas gewesen?

Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich vor diesem Haus erwachte. Damit beginnt das, was wir beide Vergangenheit nennen. Ich erwachte und sah Marion neben mir liegen. Damals hieß sie noch nicht Marion. Wir wussten unsere Namen nicht mehr und auch nicht, wie wir hierher gelangt waren. „Wo bin ich?“, fragte ich, aber Marion konnte keine Antwort geben. Bis heute gibt es keine Antwort auf diese Frage.

Ich mag unsere Umgebung nicht besonders. Überall liegt feiner, gelber Sand, ab und zu giftgrüne Büsche, die lieblos in den Boden gesteckt wurden. Aber ich will mich nicht beklagen. Jeden Morgen finden wir vor unserem Haus genügend Nahrung, um überleben zu können. Das Leben ist einfach, aber es genügt mir. Am Anfang suchten wir noch nach einem Ausweg, aber das war sinnlos.

„Wie heißt Du?“, fragte ich Marion. Sie zuckte nur mit den Schultern. Dann sagte sie: „Marion vielleicht, und Du?“ Ich nahm den erstbesten Namen, der mir einfiel. „Klaus“, sagte ich. Unsere Namen sind so falsch oder richtig wie das Leben, das wir führen.

Eines Tages gingen wir gemeinsam durch den gelben Sand und suchten nach etwas, dass uns vielleicht bekannt vorkommen würde. Es gab nichts. Nur diesen Sand und die giftgrünen Büsche. Irgendwann stießen wir auf das, was wir die Barriere nennen. Vor uns schien der gelbe Sand bis zur Unendlichkeit zu reichen, aber wir konnten keinen Schritt mehr vorwärts gehen. Es war, als wären wir auf eine Glaswand gestoßen, die sich vor uns bis in den Himmel erhob. Aber die Barriere ist nicht aus Glas, da ist nichts, was sich fest oder kalt anfühlt. Wir können nur nicht weitergehen. Manchmal glaube ich, dass diese Barriere nur in unseren Köpfen existiert und man den festen Willen aufbringen muss, den Weg weiter zu gehen, um die Barriere zu überwinden. Aber wenn ich die Grenze erreiche, kann ich nur daran denken, dass es nicht mehr weitergeht.

Wir folgten vorsichtig der unsichtbaren Barriere, die uns in einiger Entfernung um unser Haus herumführte. Seit dem ersten Mal bin ich sehr oft diesen Weg gegangen, allein oder mit Marion. Es sind immer rund dreihundert Schritte, die wir gehen können. Ein perfektes Quadrat und unser Haus steht genau in dessen Mitte.

„Wie kannst Du Dich nur mit unserer Situation zufrieden geben?“, schreit mich Marion manchmal an. „Was sollen wir denn tun?“, antworte ich. Dann schweigen wir wieder. Sie weiß, dass ich Recht habe und es keinen Ausweg gibt.

Meistens sitzen wir auf der kleinen Bank vor unserem Haus und starren in die Unendlichkeit. „Hast Du sie gesehen“ flüstert Marion und ich nicke stumm. Manchmal können wir sie sehen. Wir nennen sie „unsere Versorger“. Ab und zu tauchen in der Ferne undeutlich ihre schemenhaften Köpfe auf und riesige Augen, die uns beobachten. Sie sehen nicht aus wie Menschen, sie haben überhaupt nichts menschliches an sich. Aber sie beobachten uns – und sorgen dafür, dass wir am Morgen genügend Nahrung vor unserem Haus finden.

Wenn es hell wird, ohne das eine Sonne zu sehen wäre, verlassen wir das Haus und setzen uns auf die Bank. Wenn es dunkel wird, gehen wir in unser Haus und schlafen. Wir nennen dies Tag und Nacht. Den Dingen einen Namen zu geben, hilft uns, nicht verrückt zu werden.

Ich weiß nicht, was die Versorger von uns wollen. Sie scheinen uns nur zu beobachten. Sie sehen uns und wir sehen sie.

Manchmal finden wir am Morgen vor unserem Haus auch Dinge, die nicht zum Essen sind. Ich frage Marion, aber sie kann mir nicht sagen, was wir damit machen sollen. Es sind merkwürdige Geräte mit vielen Knöpfen und blinkenden Lichtern. Wir lassen sie liegen und am nächsten Morgen sind sie wieder verschwunden.

Eines Morgens fanden wir einen Mann vor unserem Haus. „Wer bist Du?“, fragte Marion. Der Mann sagte zögernd: „Klaus!“
„Das kann nicht sein“, rief ich, „mein Name ist auch Klaus.“
„Jetzt nicht mehr“, antwortete Klaus.

Ich habe keinen Namen mehr. Ich lebe auch nicht mehr im Haus. Marion hat entschieden, mit dem neuen Mann die Nächte im Haus zu verbringen. Für mich sei kein Platz mehr, sagen beide.
In der Nacht gehe ich zur Barriere und warte darauf, dass es wieder Tag wird.

 
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Eine nette Geschichte, auch, wenn ich sie nicht ganz begreifen kann. Es hat etwas Robinson ähnliches dieses Neuentdecken der Welt. Die Geschichte hat auch etwas Revolutionäres, ein Umstoßen der Weltordnung, das plötzlich Menschen in Glasglocken gefangen sind. Und Tiere sie versorgen? Und die Einführung des neuen "Klaus" ist eine fiese Sache, selbst das bisschen Ordnung, was sich im Laufe der Geschichte gebildet hat noch umzustoßen, brutal genial!
Jedenfalls ist die Geschichte wirklich seltsam und nett zu lesen, auch, wenn man zu blöd ist sie zu verstehen.;)

 

@ popla,

Du hast die Geschichte doch sehr gut verstanden! Allerdings würde ich Glasglocke (da ja rund) durch Terrarium ersetzen. kicher
Vielen Dank für Deine Kritik

Joh

 

Hi Joh,

Du hast die Geschichte recht flott geschrieben, bist Dir aber zuweilen nicht ganz einig, ob Du Dich in der Gegenwart oder Vergangenheit oder noch davor befindest.

Dann steht an einer Stelle "ohne dass", da muss das "dass" ein Doppel-s bekommen.

Zum Inhalt: Irgendwie kam mir das bekannt vor. Es ist eine Abwandlung des Motivs "Entführt von Außerirdischen für Experimente" verknüpft mit "Keine Erinnerung". Das ist auch schon alles. Es plätschert dahin, bis der andere Typ auftaucht. Und dann ist auch schon Schluss. Ich finde, dass man dieses Motiv durchaus für eine bildhafte Geschichte gebrauchen kann, aber dazu müsste man es weiter ausbauen. In der vorliegenden Form kann ich der Geschichte leider nicht viel abgewinnen. Vielleicht liegt das daran, dass es keinen Konflikt gibt. Es bahnt sich einer an, als der andere Klaus auftaucht, aber dann erfolgt sofort der Rückzug des ersten und die Sache ist erledigt. Vermutlich finden die seltsamen Wesen das ziemlich langweilig. Ich finde es ein wenig platt.

Fazit: Flott geschrieben, aber inhaltlich flach.

Uwe

 
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Ähm, muss man die Geschichten kennen? Ich kenne sie beide nicht, daher habe ich auch nicht auf irgendwelche Fremdphantasien zurückgegriffen (Ich lese kein SF).
Welche Zeitform liegt denn noch vor der Vergangenheit? Habe ich da in der Schule etwas verpasst? (Tschuldigung, aber der Wechsel zwischen den Zeiten ist beabsichtigt - ich weiß, kann jeder sagen) Eigentlich sollte hier nur das Verhältnis "Mensch hält Reptil" umgekehrt werden (eine Art surrealistisches Bild in mir), bei dem das erste "Männchen" wegen seiner Passivität durch ein anderes ersetzt wird, aber hat wohl nicht funktioniert. Ich wusste wirklich nicht, dass es eine ähnliche Geschichte schon gibt, deshalb finde ich den indirekten Vorwurf des Plagiats auch ein wenig unfair.

Joh :heul:

 

Moment, ich habe Dir keineswegs vorgeworfen, dass die Geschichte ein Plagiat ist. Mein Problem ist, dass ich (offenbar im Gegensatz zu Dir) schon hunderte (SF-)Kurzgeschichten gelesen habe und diese Motive eben häufig auftauchen und deswegen für mich nicht mehr interessant ist. Es hatten einfach viele Leute vor Dir die gleiche Idee, was Dir nicht vorzuwerfen ist. Es ist eine klassische Rollentausch-Idee. Eigentlich ein Thema, dem nichts neues mehr abzugewinnen ist, ungefähr seitdem Douglas Adams erklärt hat, dass die Mäuse ja hoch komplizierte Experimente mit uns Menschen machen ;)

Welche Zeitform vor der Vergangenheit liegt? Die vollendete Vergangenheit, Plusquamperfekt: "Ich kotzte das Klo voll. Ich hatte wohl zuviel gesoffen." Klaro? :cool:

Die Zeitwechsel sind Absicht? Wieso?
Ich blicke nicht durch. Selbst wenn der erste Abschnitt eine Rückblende ist relativ zum Haupthandlungsstrang, den Du in der Gegenwart erzählst, dann ist das nicht konsistent. Das solltest Du nochmal durchschauen, so wirkt es einfach wie ein Fehler.

Uwe

 

Vielen Dank Uwe,

ich hatte es wirklich als Plagiatsvorwurf angesehen, entschuldige. Die Geschichte ist ganz neu und einer der Schnellschüsse, die ich bei anderen immer kritisiere!
Ich muss sie noch einmal neu ordnen und umändern, damit eine Geschichte daraus wird. Wobei ich mir allerdings nach Deiner Kritik nicht sicher bin, ob sich diese Arbeit lohnt, wenn dieser Rollenwechsel schon so abgegriffen ist.
Allerdings habe ich auch schon von anderer Stelle eine andere Meinung gehört (wahrscheinlich auch keine SF-Leserin), ich weiß also wirklich nicht, was ich mit dieser Idee machen soll? Paperkorb oder neu schreiben?

Ein ratloser

Joh

 
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Gute Frage ;)

Ich würde auf jeden Fall die Zeitformen überarbeiten, dann liest sie sich besser und nicht zuletzt lernst Du was dadurch. Die inhaltliche Kritik ist ja davon unabhängig.

Versuch einfach bei der nächsten Geschichte, eine ungewöhnlichere Idee umzusetzen (hehe, leicht gesagt...).

Oder lies doch mal ein paar klassische SF-Kurzgeschichten!
Auf Flohmärkten oder bei ebay gibt es ältere Anthologien im Taschenbuch-Format zu Spottpreisen. Oder frag jemanden, den Du kennst, oder geh in eine Bücherei. Meiner Meinung nach sollte man, wenn man Phantastik schreibt (und das tust Du) einen möglichst umfassenden Überblick über das Genre haben, und da gehört SF auf jeden Fall dazu. Auf dem Stundenplan des jungen Schriftstellers steht mehr Lesen als Schreiben... ;)

Uwe

 

:) Na ja, eigentlich komme ich ja mehr aus dem Märchen- und Satiregenre - aber manchmal möchte ich dann doch auch etwas anderes probieren.

Joh

 
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Hallo Joh

Deine Geschcihte hat einen leicht emotionslosen und sterilen Unterton, den ich recht passend gewählt finde. Die Pointe gefällt mir. In diesem Sinne ist wohl jeder ersetzbar. Man findet sich ab, man ist zu gemütlich, sich aufzulehnen gegen einen negativen Umstand. Dann, wenn man auf einmal der Betroffene ist sieht man die Dinge anders. Dein Protagonist befasst sich hier zum ersten Mal mit dem Problem, der "Wand", die er eigentlich für sich bereits abgehakt hatte.

Das Problem was sich für mich ergibt liegt wohl bei Marion. Du charakterisierst keine sonderlichen Emotionen zwischen den beiden Protagonisten. Daher wäre es leicht denkbar, dass Klaus ohne großes Klagen "ausgemustert" wird. Dennoch ist Marion diejenige, die sich gegen das Prinzip auflehnen will. Später findet sie sich mit der neuen Situation ab. Keine Einwände, kein Zwang, keine Worte. Da frage ich mich als Leser: Warum? Warum hinterfragt sie nicht das Ganze nicht weiter, bzw. warum erfährt der Leser nichts davon. Den Gesinnungswandel müsstest du zumindest zum Erhalt der Logik auf irgendeine Art un Weise kompensieren.

Einschnitte im Stil sehe ich dort, wo "die Versorger" in die Handlung treten. Diese Stelle finde ich auch etwas flach gestaltet. Wie Uwe bereits erwähnte ist das ein Standardcharakter aus dem SF-Bereich, ich würde dem Namen sogar mal ein gewisses Klischee anhängen/unterstellen. Der Satz "Wir nennen sie „unsere Versorger“" assoziiert zudem, dass die Protagonisten sich viel unterhalten. Dies ist in der Charakteristik nicht der Fall. Es wird eher der Anschein erweckt, dass die beiden recht schweigsam sind, dass Auseinandersetzungg eher aus Schulterzucken, nicken oder kopfschütteln besteht.

Von der Athmosphäre her ein sehr schöner Text. Ausbaufähig ist er. Die Eigenschaften eines Terrariums lassen sich durchaus weiter ausarbeiten. Was mir noch etwas fehlt ist der Ausblick. Was passiert mit demjenigen, der unnütz geworden ist? Was ist der Plan der "Versorger"? Wollen sie ihn einfach dort zurücklassen wo er ist? Soll es eine Auseinandersetzung mit dem neuen Klaus geben?

Dies sind meine ersten Gedanken zum Text. Ich hoffe du kannst etwas damit anfangen.

Liebe Grüße, Frederik

Würde gerne mehr über deine Gedanken zur Intention hören, obgleich ich mir sicher bin, den Text verstanden zu haben.

 

Hallo Frederik,

vielen Dank für Deine Anmerkungen. Am Anfang war tatsächlich nur die Umkehrung des Bildes: riesige Geckos halten sich ein Menschenpaar, da das Männchen zu lethargisch ist, wird es einfach ersetzt. Das Weibchen nimmt das neue Männchen sofort an, das alte Männchen zieht sich in den hintersten Winkel zurück, um einen Streit zu vermeiden.
Man hat mir schon gesagt, dass ich am Anfang näher bei den Personen bleiben muss, ohne zu emotional zu werden, ich muss mehr Bilder bringen (vor allem zur Umgebung) und es geht nicht, dass gar keine Erinnerungen vorhanden sind, was mir auch einleuchtend erscheint.
Da für mich der Kern der Geschichte in der Lethargie des Ich-Erzählers lag, habe ich Marion vernachlässigt -sollte man mit Damen nicht tun, da hast Du recht.
Ich sehe jetzt auch, dass die Versorger schon SF-mäßig stark besetzt sind - ich weiß nicht, ob ich überhaupt eine Bezeichnung für sie finden muss.
Auf jeden Fall werde ich die Geschichte noch einmal überarbeiten, weil sie auch als Metapher gedeutet werden kann - da muss ich aber die Richtung noch etwas ändern.
Vielen Dank für die Hilfe

Joh

 

Gacker, das wäre ja eine ganz neue Ebene!
Mit dem "nicht erinnern" würde auch hinhauen - viele erinnern sich erst wieder an ihre Vergangenheit, wenn die Fotos davon in der Bild stehen. :-)))

 

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