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Ein Adagio bleibt für uns

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01.11.2021
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Ein Adagio bleibt für uns

Die in regelmäßigem Abstand aufflackernden Lichter, die ihm aus den Tiefen des U-Bahntunnels entgegen schossen, leuchteten fast wie gefährliche Blitze auf und schmerzten ähnlich wie gleißende Sonnenstrahlen in den Augen. Sie ließen ihn aus seinem Sekundenschlaf aufschrecken und sprangen ihn förmlich aus der Dunkelheit heraus an. Dabei wusste er, dass diese auch nach dem nächsten Eintauchen in die Dunkelheit wieder aufzucken würden, wenn sie sich dem nächsten U-Bahnhof näherten. Moritz hatte gehofft, trotz der wiederkehrenden Einschläge durch die Lichtgeschosse nach seiner kräfteraubenden Spätschicht in der Klinik einfach auf der ganzen Strecke Kopf und Körper auszuschalten. Er schielte sehnsüchtig auf die digitale Anzeige, die wie eine Erlösung über allen unter der Decke des Waggons thronte und zuverlässig die nächste Station anzeigte. Nachdem Moritz vergeblich drei Mal bis fünf gezählt hatte, merkte er, wie sein rechtes Bein anfing nervös zu wippen, es machte sich selbstständig. Nach einer gefühlten Ewigkeit sprang die Anzeige um. Die Bahn kam quietschend zum Stehen und Moritz bahnte sich seinen Weg zum Ausgang.

Im Flur brannte kein Licht und auch im Wohnzimmer schien alles still zu sein. Moritz legte den Wohnungsschlüssel in die Keramikschale, die rechts neben der Tür auf einer dunkelbraunen Holzkommode stand und alle ihre Schlüssel aufbewahrte. Er hielt einen Moment inne, bevor er seine etwas zu große Cordjacke an den Haken an der linken Wand hängte. Er wunderte sich, denn Elenas Jacke hing dort auch. Sie war also doch da. Er hörte den gedämpften Lärm der Straße. Ein Fenster musste irgendwo offenstehen. Moritz ließ seinen Rucksack an der Türschwelle des Schlafzimmers zu Boden gleiten. Er streckte sich, atmete erleichtert aus und ging in Richtung Wohnzimmer, welches am anderen Ende des Flures lag. Als er die Wohnzimmertür öffnete, war es keineswegs dunkel, denn die Lichter der Straße und zwei auf dem Klavier stehende Kerzen tauchten den Raum in einen besonderen Schein. Elena stand, ihre Ellenbogen auf die Fensterbank gestützt, am offenen Fenster, schwenkte in der linken Hand ein Rotweinglas und rauchte. Ihre vollen, hellbraunen Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden und bis auf ein grünlich schimmerndes, kurzes Top und eine enganliegende Unterhose hatte sie nichts Weiteres an. Die Beine überkreuzt, blickte sie über die Hausdächer, nahm einen Zug von der Zigarette und blies den Rauch in den Abendhimmel. Moritz stellte sich zu ihr ans Fenster, umarmte sie von hinten und drückte sie an sich. Nachdem sie seine Hände auf ihrem Bauch gespürt hatte, ließ sie ihren Kopf auf seine Schulter fallen und lächelte, wobei sie ihre Augen geschlossen hielt. Moritz gab ihr einen Kuss auf die Wange und beugte sich vor. „Nicht zu kalt?“ Elena schüttelte leicht lächelnd den Kopf. „Angenehm.“ Moritz strich ihr eine übriggebliebene Strähne aus der Stirn und versuchte ihren Blick zu erreichen. „Wie war dein Tag?“ Elena zuckte mit den Achseln und seufzte. „Anstrengend…Prof. van Haake hat mich regelrecht durch die Stunde gepeitscht.“ Moritz schüttelte den Kopf. „Die kann es auch echt nicht lassen, oder?“
Elena lächelte schmal. „Sie muss so sein, sonst schaffe ich es nicht.“ Moritz seufzte nur und so schauten sie zusammen hinaus und schwiegen eine Weile. Dabei standen über ihnen am Abendhimmel die Sterne, die im Vergleich zu den aufheulenden Motoren eine tiefe Ruhe ausstrahlten. Die leuchtenden Himmelskörper, die so unendlich weit weg erschienen, wirkten dabei wie die Notenschrift einer uralten Melodie, wie eine in perfekter Harmonie stehende musikalische Passage, wohingegen der Verkehrslärm wie ein verstimmter Posaunenchor dröhnte. Elena stellte das Weinglas ab und strich mit ihrer Hand über Moritz Wange. „Und wie war dein Tag?“ Moritz atmete schwer aus, sagte aber nichts, löste langsam die Umarmung und drehte sich zum Raum hin um. „Ist noch Wein da?“ Elena nickte und zeigte auf das Klavier. „Halbe Flasche noch.“ Moritz holte sich aus dem alten Schrank mit Glasschiebetüren, den er günstig bei einer Haushaltsauflösung ergattert hatte, ein Weinglas, ging hinüber zum Klavier und schenkte sich ein. Dabei nahm er die Noten, die ausgebreitet auf den Tasten lagen, in seine freie Hand und drehte sich zu Elena um. „Was spielst du vor? Bach?“ Moritz blätterte langsam durch die Noten, bevor er aufschaute, um ihren Blick einzufangen. „Welches Stück ist es?“„Du kennst es bestimmt.“„Ich glaube nicht. Willst du spielen?“ Elena nahm einen letzten Zug von ihrer Zigarette, bevor sie sich vorbeugte, um diese im Aschenbecher auszudrücken, der auf einem kleinen Sofatisch mitten im Raum stand. „Ein anderes Mal, ja?“ Elena trat auf Moritz zu, nahm ihm die Noten aus der Hand, legte diese zurück auf das Klavier und zog ihn zu sich. „Morgen…vielleicht. Lass uns was von dir hören.“ Moritz nickte, ging hinüber zu seinem CD Spieler, der neben der Tür auf einem kleinen Tischchen stand, zog die Klappe hoch und legte eine seiner Lieblings CDs hinein. Als er sich wieder in Richtung Fenster drehte, sah er gerade noch, wie Elena zu den ersten Akkorden von Nick Caves „O Children“ ihr Top über den Kopf zog und in die Ecke warf.

Es war, als würde man alles von sich abspülen. Es war, als würden Ängste, Zweifel und Erschöpfung aus allen Poren fallen und mitgetragen werden vom Schwall des Wassers. Das Rauschen einer Dusche hatte etwas Schöpferisches. Es schien fast so, als würden Sorgen zusammen mit Schweiß und Dreck in den Abfluss gespült werden. Alles floss ab. Die nasse Haut fühlte sich zart und weich an, sie gab dem Druck nach, wenn man sie berührte. Moritz liebte dieses Gefühl, sich frühmorgens Müdigkeit und Albträume vom Körper zu spülen. Er liebte es, nur sich selbst zu hören. Die vielen Tropfen, die aus dem Duschkopf auf ihn herunterprasselten, erschufen einen beweglichen Schutzraum, ließen die Welt draußen gedämpft zurück. Und so saßen sie gemeinsam, die Beine angezogen in der Dusche und schwiegen, um dem Rauschen des Wassers zu lauschen. Dabei hatten sie ihre Schultern an einander gepresst und Moritz wünschte sich, den ganzen Tag so zu sitzen, unter dem Strahl, bis ihre Haut aufgerieben und faltig werden würde. Er spürte Elenas Kopf, der auf seine Schulter gesunken war, der sich schwer anfühlte und doch merkte er, dass es ihn nicht störte. Moritz konnte ein kleines Lächeln auf ihren Lippen wahrnehmen, während er durch ihre Haare strich. Elena hatte versprochen, ihm noch vorzuspielen, bevor sein Dienst in der Klinik anfing. Ob sie das wirklich noch tun würde, wusste er nicht. Vielleicht vertröstete sie ihn wieder nur. Er hörte sie gerne spielen. Vor allem Bach. Sie liebte und fühlte die Musik, jede Phrase, jeden Klang eines Themas. Und er liebte es, ihr beim Spielen zuzuhören. Er stand während solcher Momente immer am selben Ort, angelehnt an die Fensterbank, an der tags zuvor auch Elena gestanden hatte, die Arme verschränkt, den Klängen lauschend. Er klatschte immer und dabei wusste er, dass es ihr unangenehm war, denn nachdem der letzte Ton verhallt war, wurde nicht viel gesprochen. Sie kam immer zu Moritz ans Fenster und schmiegte sich an ihn. Zusammen lauschten sie den Klängen nach, die langsam und immer leiser werdend den Raum verließen. Elena riss Moritz aus seinen Gedanken. „Du musst gleich los.“ „Ich weiß. Spielst du nicht mehr?“ Elena schüttelte den Kopf und versuchte ein Lächeln. Moritz nickte. Elena strich mit ihrer Hand über seine Wange und dabei spürte er, wie das Wasser ihre Fingerspitzen aufgeweicht hatte. „Ich komme mit. Habe einen Proberaum gebucht. Brauche die Zeit an der Uni.“ Moritz nickte erneut. „Dann sollten wir los.“ Elena beugte sich langsam zu ihm vor und flüsterte, „Moment noch.“ Und dann küsste sie ihn. Gefühlvoll spürte er ihre Lippen, die sich ganz sachte auf seine drückten. Er spürte diesen sanften, zarten Druck, der nicht nur seine Lippen, sondern seinen ganzen Körper durchfuhr. Der etwas in ihm weckte, was er nicht beschreiben konnte. Elena führte langsam ihre Lippen zu seiner Stirn und gab Moritz noch einen letzten Kuss, bevor sie aufstand, ihre nassen Haare zurückstrich und die Tür der Duschabtrennung öffnete. Moritz blieb noch einen Moment sitzen und schloss die Augen. Er versuchte den Zauber des Wassers festzuhalten, nicht ziehen zu lassen, auch wenn die magische Welt der Dusche bereits anfing, sich nach und nach aufzulösen.

Die Bahn war voll und doch hatten sie einen Sitzplatz gefunden. Eng aneinander gedrückt hatte sich Elena an ihn gelehnt und schien durch ihre Träume zu laufen. Moritz beobachtete sie beide in der gegenüberliegenden Scheibe und hatte seinen Arm um sie gelegt. Seitdem er angefangen hatte, sie sanft zu streicheln, veränderten sich ihre Gesichtszüge. Er entschuldigte sich fast, denn er wusste, dass er ihre Traumwelt somit zum Einsturz gebracht hatte, doch er schaute nur weiter in die Scheibe, auf der die Bilder verwackelten, weil alles vibrierte. Das ewige Rütteln machte Moritz müde, doch das konnte er sich nicht leisten. Er musste jetzt wach sein. Der Bach lag dort auf ihrem Schoß. Das Stück, das sie ihm nicht vorgespielt hatte. Musik, dachte er. Musik war vollkommener als er. Und vielleicht auch als Elena. War Bach selbst vollkommener als seine eigene Musik? Würde man eine Note verändern, fand Moritz, würde der Zauber verfliegen. Er verstand ja eigentlich gar nichts von Musik. Erst recht nicht von Bach. Er sah sie vor sich, wie sie lächelte und ihr Glas leerte. Sie redete nicht oft darüber. Über ihr Spiel, ihre Begabung. Manchmal fragte er sich, ob sie die Musik wirklich liebte, ob sie überhaupt lieben konnte. Zu oft schon hatte er nachts alleine im Bett gelegen und die Decke angestarrt, während Elena Noten studierte oder besessen in die Tasten hämmerte, doch für ihn spielte sie nie. Er wartete immer auf sie und blieb wach. Manchmal hatten sie in solchen Nächten Sex und Moritz schaute ihr danach zu, wie sie neben ihm im Bett angespannt eine Zigarette rauchte.

Sie teilten sich den Retsina, so wie sie es immer taten. Einen Liter in der Karaffe zum Feierabend. Dazu Nikos Moussaka. Der griechische Wirt wusste, was er bringen sollte, wenn Moritz und sein Kollege Thomas nach Dienstschluss in seine Taverne kamen. Sie nickten ihm nur zu und ließen sich an den Zweiertisch nahe der Tür fallen. Sie redeten nicht viel, bis Nikos mit den beiden Tellern, der Karaffe und zwei Gläsern kam. Moritz machte sein Glas voller, als man es normalerweise tat. Er musste an vorhin denken. An Tobias, der ihn wie außer sich angeschrien hatte, an die Kollegen, deren spöttische Blicke er gesehen hatte. Moritz wusste, dass Thomas auch daran dachte, doch beide schwiegen. Hin und wieder sah er, wie Thomas ihn über seinen Teller hinweg anstarrte. Dabei war er eigentlich erleichtert, dass er nicht mit ihm sprechen musste. Tobias hatte ihm vertraut und Moritz hatte sich eingebildet, dadurch stets die Situation unter Kontrolle zu haben. Und dennoch hatte er den Stecker ziehen müssen, der an seinem Kasack festgemacht war, für Notfälle wie diesen. Es war seine Pflicht, auch wenn sie schmerzte. Sie hatten Tobias fixiert. Moritz trank und versuchte sich zu beruhigen. Dabei merkte er, wie sein rechtes Bein anfing, nervös zu wippen. Das passierte immer, wenn er unter Stress stand. Die meisten Menschen wussten sowieso nicht, was sich hinter den geschlossenen Türen abspielte. Elena fragte nie nach. Was Elena machte, war wichtiger. Kunst, Kultur. Das interessierte die meisten. Er hingegen war nur eine Schraube im System und er würde nicht aufhalten können, dass es maroder und maroder würde. Sie mussten funktionieren, um das auszubaden, was die Gesellschaft verdrängt und versäumt hatte. Doch damit nicht genug. Sie feindeten sich gegenseitig an, jeder Einzelne wartete auf einen Fehler des anderen. Ein Kampf gegen sich selbst, der das Gerüst hielt, denn so war man abgelenkt. Daraus zog man die Energie, die eigentlich längst nicht mehr da war. Moritz wusste, dass er in diesem Konstrukt gefangen war, obwohl er Menschen wie Tobias helfen wollte. Und das wollte er. Moritz ertrug den Spott der Kollegen und manchmal kam es ihm so vor, dass er genauso wie die Patienten litt.

Er strich sein schwarzes Hemd glatt, das Elena ihm Second Hand verpasst hatte und reckte seinen Kopf empor, um den schwarzen Flügel besser erkennen zu können, der am anderen Ende des Saals auf der Bühne stand. Dort saß Elena aufrecht und konzentriert in einem ebenso schwarzen Kleid und schien ein letztes Mal Luft zu holen, bevor sie ihre Finger über die Tastatur bewegen würde. Darauf hatte sie hingearbeitet, auf diese Prüfung, dieses Konzert. Monate, wenn nicht Jahre, hatte Elena auf diese Chance gewartet, der internationalen Akademie vorzuspielen. Und Moritz hatte nichts gesagt, wenn sie laut geworden war, wenn sie ihn angeschrien hatte, dass er sie in Ruhe lassen solle. Er hatte es geschluckt und gelächelt. Und weil Elena es so wichtig war, hatte er verdammt nochmal einzustecken, das hatte er früh begriffen. Die letzten Momente, bevor ein Konzert begann, hatten eine eigentümliche Schwingung, fand Moritz. Durch die Reihen hindurch herrschte Stille und gespitzte Ohren warteten gespannt auf das Erklingen der ersten Takte. So war es auch diesmal. In solchen Momenten wuchs in Moritz die Nervosität von Sekunde zu Sekunde. Vielleicht sogar ein Stück weit mehr als bei Elena, die tagelang Atemübungen gemacht hatte. Es würde helfen, hatte sie gesagt. Moritz hatte genickt und geschwiegen. Elena hatte weiter gemacht und erst nachts, nachdem sie sichtlich erschöpft ins Bett gefallen war, hatte er sie wiedergesehen. Nie hatten sie sich so wenig zu sagen gehabt. Nie war sie ihm so fremd gewesen. Und als Moritz über die letzten Wochen und Nächte nachdachte, vernahm er die ersten Klänge. Klänge, die das Publikum in ihren Bann ziehen würden. Es war der Bach, den sie ihm nie vorgespielt hatte.

Elena weinte. Moritz wischte die Tränen aus ihrem Gesicht und versuchte zu lächeln. Dabei hielt er ihren Kopf in seiner Hand und widerstand der Versuchung, sie wieder an sich zu drücken. Sie wieder an sich zu drücken, wie die letzten Minuten, die ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen waren. Sie hatten dort gestanden, in der Eingangshalle des Flughafens und hatten sich gefühlt, wie lange nicht zuvor, während Menschen sich an ihnen vorbeigedrängt hatten. Sie hatten sich geliebt dort inmitten der Massen. Moritz biss sich auf die Lippen, um nicht die Kontrolle zu verlieren. Es reichte, wenn eine Person weinte, fand er. Moritz nahm Elena wieder in den Arm, um sein Schlucken zu verbergen, ein Schrei zerriss ihn innerlich, der als kaum hörbares Flüstern endete. „Du musst los. Der Flieger hebt noch ohne dich ab.“ Sie gab Moritz noch einen letzten Kuss, bevor sie sich aus seiner Umarmung löste, ihre Tasche nahm und sich umdrehte. Moritz blieb noch einen Moment mit geschlossenen Augen stehen und versuchte etwas festzuhalten, was vielleicht längst verklungen war.

Verfasst von Leonard Rosch

 

Hallo und willkommen hier @lrosch

Deine Geschichte hat noch keinen Kommentar abgekriegt, das will ich ändern und mal den Anfang machen. Leider hat mir sogleich der erste Absatz nicht wirklich gefallen bzw. er hat für mich nicht funktioniert und so ist es schwer, in die Story reinzukommen. Gerne erläutere ich Dir, wieso das für mich so ist. Ich beginne beim ersten Satz:

Die in regelmäßigem Abstand aufflackernden Lichter, die ihm aus den Tiefen des U-Bahntunnels entgegen schossen, leuchteten fast wie gefährliche Blitze auf und schmerzten ähnlich wie gleißende Sonnenstrahlen in den Augen.
entgegenschossen gehört mMn zusammen. Wieso leuchteten die Blitze nur FAST wie gleissende Sonnenstrahlen und schmerzten ÄHNLICH wie diese in den Augen? Wie muss ich mir das vorstellen? Also entweder leuchten die wirklich so oder irgendwie anders. Da solltest Du konkreter werden bzw. unnötige Wörter rauskippen. Du könntest auch das ein oder andere Adjektiv loswerden, z.B. gefährliche oder gleißende. Die braucht's mMn nicht und das würde den Text entschlacken.

Sie ließen ihn aus seinem Sekundenschlaf aufschrecken und sprangen ihn förmlich aus der Dunkelheit heraus an. Dabei wusste er, dass diese auch nach dem nächsten Eintauchen in die Dunkelheit wieder aufzucken würden, wenn sie sich dem nächsten U-Bahnhof näherten.
Du verwendest in den ersten Sätzen sehr viel Zeit darauf, diese Blitze zu beschreiben. Für mich ist das kein wirklich spannender Einstieg und es macht nicht unbedingt Lust auf mehr.

Moritz hatte gehofft, trotz der wiederkehrenden Einschläge durch die Lichtgeschosse nach seiner kräfteraubenden Spätschicht in der Klinik einfach auf der ganzen Strecke Kopf und Körper auszuschalten.
Das wirkt überzogen. Also das Bild, dass Du mir hier mitgibst. Einschlagende Lichtgeschosse? Das klingt wie im Krieg, dabei ist der Prot nur müde und fährt U-Bahn. Du verstehst, was ich meine?

Er schielte sehnsüchtig auf die digitale Anzeige, die wie eine Erlösung über allen unter der Decke des Waggons thronte und zuverlässig die nächste Station anzeigte.
über allen würde ich streichen, ohne liest sich der Satz flüssiger. Aber auch das hier ist mir wieder zu übertrieben. Wie eine Erlösung. Schreibe das weniger plakativ, deute vielleicht nur an. Ich persönlich würde die Stelle komplett streichen. Das eine Anzeige in der U-Bahn die Route anzeigt, brauchst Du nicht extra zu schreiben, sollte mMn klar sein für den Leser.

Nachdem Moritz vergeblich drei Mal bis fünf gezählt hatte, merkte er, wie sein rechtes Bein anfing nervös zu wippen, es machte sich selbstständig.
Die Stelle verstehe ich nicht ganz und sie wirkt auch etwas seltsam auf mich. Dreimal bis fünf zählen ist keine lange Zeitspanne. Oder was möchtest Du damit ausdrücken? Ausserdem zählt er ja vergeblich dreimal bis fünf. Was erhofft er sich denn bei der Zählerei? Das Schwuppdiwupp, seine Station kommt? Dann: Sein Bein macht sich selbstständig. Klar, er hat einen nervösen Tick und wippt mit seinem Bein, aber das klingt nicht wirklich rund so. Vielleicht könntest Du schreiben: Nachdem Moritz vergeblich versucht hatte, die Zeit totzuschlagen, indem er mehrmals auf fünf zählte, begann er nervös mit seinem Bein zu wippen.

Dein Anfang wirkt sehr generisch auf mich. Moritz ist hundemüde von der Schicht in der Klinik und fährt mit der U-Bahn nach Hause, wird geblendet von Lichtern. Er kann es kaum erwarten, endlich auszusteigen. Das ist alles. Für mich steckt da zu wenig drin, was mein Interesse wecken würde. Wieso sollte ich weiterlesen? Den Moritz kriege ich nicht zu fassen, weiss nur, er arbeitet in einer Klinik. Vielleicht könnte er sich den Tag durch den Kopf gehen lassen, eventuell regt er sich über etwas auf, oder er könnte an Elena denken ... Was auch immer. So macht das wenig Lust auf mehr.

Ich habe das Gefühl, Du versteifst dich zu sehr auf Details, die nicht wirklich relevant für die Geschichte sind und das macht sie träge. Ellenlange Worte über das Gefühl beim Duschen beispielsweise. Ich würde da rigoros kürzen oder besser noch: umschreiben. Gib deinen Figuren mehr Tiefe, Dinge, die sie greifbarer machen. Gerade bei einem Alltagstext ist das mMn sehr wichtig (neben der Handlung), weil es sonst sehr schnell ins Generische und vor allem Langweilige abdriftet. Ich möchte doch mit den beiden mitfiebern ... auch wenn es nur im Alltag ist und nicht zwingend etwas Aussergewöhnliches geschieht. Elena spielt Klavier, Moritz hört ihr gerne zu. Spielt manchmal wohl auch selbst. Elena raucht, hat sich einen Proberaum gesucht (Wieso, wenn doch das Klavier zu Hause steht?). Moritz fühlt sich vom System und den Menschen im Stich gelassen (Wieso? Wegen Corona und zu vielen Kranken auf der IPS?). Elena probt für einen grossen Auftritt. Offenbar zoffen sie sich manchmal. Vielmehr ist da nicht rauszuziehen. Ah ja, noch was mit der Uni. Mir ist das zu wenig. Ich bin kein typischer Leser solcher Alltagstexte und vielleicht deshalb nicht die richtige Zielgruppe. Eventuell sehen das andere deshalb auch ganz anders. Naja, schaust Du mal, es wird bestimmt noch jemand antworten.

Sie hatten sich geliebt dort inmitten der Massen.
Unfreiwillig komisch oder wolltest Du das wirklich so ausdrücken? Hätte ich den beiden ehrlich gesagt nicht zugetraut. ;)

Du siehst, ich habe bis zum Ende gelesen, trotz aller Kritik. Allerdings verstehe ich das Ende nicht: Wieso geht er fort? Oder trennen sie sich? Eigentlich nicht, haben sie sich kurz zuvor doch noch geliebt? Mir gibt die Geschichte in ihrer jetzigen Form leider nichts. Eine echte Handlung kann ich nicht erkennen. Die Protagonisten bleiben mir fremd. Fazit: Leider nix für mich.

Beste Grüsse und eine schöne Woche,
d-m

 

Für mich lesen sich manche Stellen wie ein Werbeclip. Da sind einige Beschreibungen, die zum Milieu und Abschiedsschmerz passen. Allerdings finde ich es insgesamt zu gefühlvoll und leidenschaftlich. Also, eigentlich alles "richtig" gemacht. Manchmal ist es aber so detailliert, dass es sich wie ein Drehbuch anfühlt. Zum Beispiel die Umarmung mit den vielen Beschreibungen und es mit der Frage weitergeht, wie der Tag war. Es könnte lockerer geschrieben werden.

Die in regelmäßigem Abstand aufflackernden Lichter, die ihm aus den Tiefen des U-Bahntunnels entgegen schossen, leuchteten fast wie gefährliche Blitze auf und schmerzten ähnlich wie gleißende Sonnenstrahlen in den Augen.
Für einen ersten Satz ist es ganz schön deftig. Vielleicht reicht auch ein einfacher Einstieg.

Moritz legte den Wohnungsschlüssel in die Keramikschale, die rechts neben der Tür auf einer dunkelbraunen Holzkommode stand und alle ihre Schlüssel aufbewahrte.
Hier sind zum Beispiel viele Details, die man streichen kann und du könntest die Geschichte trotzdem erzählen.

„Du musst gleich los.“ „Ich weiß. Spielst du nicht mehr?“ Elena schüttelte den Kopf und versuchte ein Lächeln. Moritz nickte. Elena strich mit ihrer Hand über seine Wange und dabei spürte er, wie das Wasser ihre Fingerspitzen aufgeweicht hatte. „Ich komme mit. Habe einen Proberaum gebucht. Brauche die Zeit an der Uni.“ Moritz nickte erneut. „Dann sollten wir los.“ Elena beugte sich langsam zu ihm vor und flüsterte, „Moment noch.“ Und dann küsste sie ihn. Gefühlvoll spürte er ihre Lippen, die sich ganz sachte auf seine drückten. Er spürte diesen sanften, zarten Druck, der nicht nur seine Lippen, sondern seinen ganzen Körper durchfuhr. Der etwas in ihm weckte, was er nicht beschreiben konnte. Elena führte langsam ihre Lippen zu seiner Stirn und gab Moritz noch einen letzten Kuss, bevor sie aufstand, ihre nassen Haare zurückstrich und die Tür der Duschabtrennung öffnete. Moritz blieb noch einen Moment sitzen und schloss die Augen. Er versuchte den Zauber des Wassers festzuhalten, nicht ziehen zu lassen, auch wenn die magische Welt der Dusche bereits anfing, sich nach und nach aufzulösen.
Der erste Teil in diesem Absatz ist meiner Meinung nach sehr natürlich, auch wenn ich nicht verstehe, warum sie ihm ins Ohr flüstern muss. Dann dreht es sich ab dem Kuss in eine Richtung, die ich etwas übertrieben finde. Sie haben wenig Zeit. Sie küssen sich regelmäßig. Was ist an diesem Kuss so besonders? Mir fehlte nur noch die Zeitlupe. Als dann das Wort "Duschabtrennung" kam, riss es mich aus dem "Werbefilm" heraus. Auch die Formulierung "die magische Welt der Dusche" passt in meinen Augen wirklich nicht, zeigt aber, dass es hier um eine ganz normale Situation geht und eigentlich nicht um Wolke 7.

Ich glaube, es ist schwer, über Beziehungen zu schreiben, ohne diese mit Sätzen zu füllen. Vielleicht kannst du trotzdem etwas kürzen.

 

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