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Ein Abend mit Chakren, Jungfrauen und dem Dalai Lama
Es gibt Sätze, die das Leben verändern können. »Ich liebe dich« ist so einer. »Ich mag dich immer noch sehr gern, aber ...« sogar nur ein halber, deswegen jedoch nicht weniger folgenreich.
»Ich muss dir etwas sagen« steht auf meiner Liste der Sätze mit weitreichenden Konsequenzen ebenfalls ganz weit oben. In diesem Fall leitete er zwar nicht gerade eine Wendung in meinem Leben ein, aber ich bin dennoch der Meinung, mir wäre eine Menge erspart geblieben, wenn meine Freundin Anna an jenem Nachmittag einfach nur über das Wetter geredet hätte.
»Ich muss dir etwas sagen«, begann sie also, als wir gerade durch die Stadt schlenderten.
»Tu dir keinen Zwang an«, erwiderte ich gutgelaunt mit Blick auf das nächstgelegene Schaufenster. Anna vertrat zwar, vor allem in Hinblick auf ihren Esoterikwahn, gelegentlich etwas seltsame Ansichten, aber bisher hatte noch jede Diskussion zwischen uns friedlich geendet. Zudem entdeckte ich in diesem Moment ein Paar reduzierte Schlangenlederstiefel im Laden vor uns und mein freudig klopfendes Herz übertönte Annas anschließende Worte.
»Was hast du gesagt?«, fragte ich, mich von den Stiefeln losreißend.
»Ich sagte, dass ich mir Sorgen um dich mache«, wiederholte Anna geduldig.
»Ach komm«, versuchte ich sie zu beschwichtigen, »die Dinger kosten gerade mal die Hälfte von ihrem ursprünglichen Preis, es ist doch wohl nicht verwerflich, wenn ich sie mal anpro...«
»Ich rede nicht von den Stiefeln«, unterbrach mich Anna. »Mir ist das schon länger aufgefallen und als wir letzte Woche in unserem Seminar über die Chakra-Therapie gesprochen haben, ist mir ein Licht aufgegangen.«
Ich verdrehte die Augen. Annas Seminar setzte sich aus einer Gruppe Esoterikfreaks zusammen, die hinter spirituellen Erfahrungen her waren wie der Teufel hinter der armen Seele. Einmal in der Woche trafen sie sich in irgendeiner Dachbodenwohnung. Teetrinkend und Räucherstäbchenqualm konsumierend philosophierten sie darüber, wie sie mit Hilfe ihrer vereinten positiven Energien den Geist der Menschheit reinigen würden, täten sie nicht immer nur Tee trinken und Räucherstäbchenqualm konsumieren. So zumindest war mein Eindruck nach Annas Erzählungen.
»Na und, was haben deine Alternativler mit mir zu tun?«, erkundigte ich mich. Anna sah mich von oben herab an, was sie irgendwie fertigbringt obwohl sie ein paar Zentimeter kleiner ist als ich. Wenn es um ihre Esoterikgruppe geht, beherrscht sie es sogar perfekt.
»Meine Alternativler, wie du sie nennst, haben mir die Augen darüber geöffnet, was Menschen wie dir fehlt. Und wie man ihnen helfen kann.«
»Was du nicht sagst«, murmelte ich. Aus den Augenwinkeln fixierte ich die Schlangenstiefel.
»Ich weiß, wovon ich rede«, kam es von Anna. »Chakra.«
Einen Moment lang dachte ich, sie hätte gehustet. »Bitte?«
»Chakra«, wiederholte sie. »Das ist Sanskrit.«
Das wiederum klang für mich wie ein Niesen.
»Bist du sicher, dass ich hier diejenige bin, die nicht ganz in Ordnung ist?«, witzelte ich. Vergeblich. Bei ihrer Esoterik und ihrer Teddybärensammlung versteht Anna keinen Spaß.
»Das ist so: Deine Chakren sind gestört."
Das musste ich erstmal verarbeiten. Oder zumindest verstehen.
»Was bitte ist ein Chakra? Und wieso ist meines gestört?«
»Nun, Chakra bedeutet 'Rad'«, entgegnete Anna und lächelte, als sei damit alles erklärt.
»Du meinst, ich hab ein Rad ab?!«
»Nein, nein«, beruhigte sie mich. »Chakren sind Energiezentren. Deine sind aus dem Gleichgewicht geraten. Ich spüre so etwas.«
»Müsste ich nicht eigentlich die Erste sein, die etwas davon mitkriegt, wenn ihre Räder aus dem Gleichgewicht geraten sind?«
Um Anna zu beweisen, wie funktionsfähig meine Chakren waren, drehte ich mich einmal um meine Achse. Perfekt. Ich war stolz auf meine Chakren. Auch, wenn ich gerade erst von ihrer Existenz erfahren hatte.
Anna seufzte. »Du verstehst das nicht. Damit ist nicht nur körperliches, sondern vor allem geistiges Ungleichgewicht gemeint.« Ihr Gesicht nahm eine Verschwörermiene an. »Du bist abgespannt, wenn du angespannt sein sollst, und angespannt, wenn du abspannen sollst. Du bist nicht du selbst«, schloss sie, offenbar befriedigt mit jener ausgelutschten Floskel meine Charakterisierung abschließen zu können.
Ich blieb skeptisch.
»Und das haben sie dir im Seminar eingeredet, obwohl sie mich überhaupt nicht kennen?«
»Nicht eingeredet. Bloß die Symptome zusammengestellt und mir war sonnenklar, dass du ein klassischer Fall bist.«
»Na, wenigstens kenne ich jetzt mein Leiden«, erwiderte ich. Es gefiel mir immer noch nicht, auf was für Gedanken diese Gruppe meine Freundin gebracht hatte. Ich hielt mich für einen ausgeglichenen Menschen - und plötzlich sollte ich das nicht mehr sein, bloß weil irgendwelche Chakren existierten und obendrein offenbar auch noch an den falschen Stellen saßen?
»Und was soll ich deiner Meinung nach tun, um meine Energiezentren wieder zurechtzurücken?«
Anna strahlte, als hätte ich ihr eine Großpackung Ylang-Ylang-Kerzen überreicht.
»Wir waren uns in der Gruppe alle einig, dass du beim nächsten Seminar dabei sein darfst, wenn wir in die Praxis der Chakra-Therapie übergehen.«
»Welche Ehre«, gab ich mit der Begeisterung einer zum Tode Verurteilten zurück. »Und du glaubst ernsthaft, dass ich mich da von irgendwelchen Hippies vor versammelter Mannschaft hypnotisieren lasse, ja? Hm?«
»Keine Hypnose. Was du auch für Vorstellungen hast ...«, tadelte Anna. »Wirst schon sehen, es ist 'ne einmalige Erfahrung!«
Ich war mir auch ziemlich sicher, dass man mich kein zweites Mal in dieses Seminar würde schleifen können.
Aber weil Anna, wie sich herausstellte, sich solche Mühe dabei gegeben hatte, eine Uneingeweihte in die heiligen Pforten ihrer Gruppe zu lassen, erklärte ich mich schließlich bereit, am nächsten Mittwochabend statt gelangweilt zuhause gelangweilt mit Anna auf dem Dachboden herumzusitzen. Anna war begeistert, die Schlangenstiefel inzwischen an eine schnellere Kundin vekauft und ich mehr als skeptisch gegenüber den Dingen, die mich erwarteten.
*
Ich kenne mein Sternzeichen samt Aszendenten, habe mir mal ein Yoga-Buch gekauft und finde Tarotkarten schön anzusehen, aber Esoterik und alles, was damit zusammenhängt, ist mir ansonsten so fern wie Camilla Parker-Bowles der gute Geschmack. Meine einzige Erfahrung mit einem solchen Laden beschränkt sich auf einen verregneten Abend in der Innenstadt, als ich ein Dach zum Unterstellen suchte und im Dunkel in der aufdringlich großen Schrift verschwommen das Wort "Erotik" zu erkennen glaubte. Die Qigong-Kugeln im Schaufenster erinnerten mich an die Utensilien japanischer Geishas und so machte ich dass ich weiterkam, ehe mich noch ein Bekannter vor so einem Etablissement entdecken würde. Erst aus der Entfernung, nach einem halb verschämten und - ich geb's zu - halb neugierigen Blick zurück, bemerkte ich meinen Irrtum.
Alles in allem kein gutes Omen.
*
Punkt 19 Uhr klingelten wir bei einem Haus am Stadtrand. Mehrere dichtbewachsene Eichen türmten sich um das Gebäude. Anna meinte, sie seien dazu da, um Jodys Aura zu beschützen. Jody war die Seminarleiterin. Ich vermutete eher, die Bäume sollten vor unliebsamen Nachbarblicken ins geheiligte Innere schützen.
Die Tür öffnete sich und wir stiegen die schwach beleuchtete Treppe hinauf. Ich fürchtete, dass das schummrige Licht bereits auf den Helligkeitsfaktor einstimmen sollte, der uns in der Wohnung ewarten würde und so war es auch. Ein Blick auf die restlichen Seminarteilnehmer ließ mich dann jedoch ein Dankesgebet für die Dunkelheit ausstoßen.
»Anna ... wundervoll, dass du kommen konntest«, hörte ich eine grollende Stimme und eine fledermausähnliche Gestalt drückte meine Freundin zu einem handlichen Paket zusammen.
»Und du musst Eva sein«, wandte sich die Fledermaus an mich. Ich stotterte ein »Ja«, während ich »Jody, einfach nur Jody, Liebes« die zum Glück krallenlose Hand schüttelte.
Bei näherem Hinsehen erwies sich Jody tatsächlich als menschliches Wesen, wenn auch irgendeine Mutation in der Vergangenheit beteiligt gewesen sein musste. Ich schätzte die Seminarleiterin auf Mitte Fünfzig. Ihre Fledermausgestalt rührte von ihrem voluminösen Gewand, mit dem ich ihr ohne Weiteres fünfhundert Meter freies Paragliding zutraute, her. Ihre Beine waren nur dünne Stecken, aber wer Flügel hat, braucht nicht laufen, deswegen wunderte mich das nicht.
Ihre meterhohe schwarze Lockenfrisur schien dem Turm von Babel Konkurrenz machen zu wollen und die fremden Zungen folgten auch sogleich, als Jody die weiteren Teilnehmer herbeiwinkte.
»Schätzchen, das ist Ron«, stellte mich die Seminarleiterin einem Alt-Hippie im Batikshirt vor, der oben zwar ziemlich schütteres, hinten dafür umso längeres Haar aufwies.
Irgendwie erinnerte mich sein Anblick an meinen ehemaligen bezopften Sportlehrer, über den einst »Züchtet hinten, was er vorn nicht hat« in der Abi-Zeitschift gestanden hatte. Ron allerdings erwies sich als eine solche Schlaftablette, dass ich bezweifelte, dass hier irgendeine bewusste sexuelle Kompensation im Spiel war.
»Hallo«, sagte er, ohne meine ausgestreckte Hand zu ergreifen.
»Hallo«, antwortete ich und zog meine Hand wieder zurück. Anna hatte von Ron bei der Begrüßung sogar eine angedeutete Umarmung bekommen - sah man mir meine gestörten Chakren etwa bereits auf den ersten Blick an, so dass Ron mich noch nichtmal berühren wollte?
Während ich noch grübelte, ob ich beleidigt oder erleichtert sein sollte, schob mich Jody auf den nächsten Teilnehmer zu.
»Das ist Sven.«
»Hallo, ich bin Sven«, wiederholte Sven, um jeden Zweifel an seiner absolut unspektakulären Identität auszuräumen. Sven gab mir die Hand, schenkte mir aber nicht einmal andeutungsweise ein Lächeln. Stattdessen starrte er mich mit finsterer Miene an, bis ich ihm schüchtern zunickte und zu Fledermaus-Jody flüchtete.
»Ich glaube, Sven mag mich nicht«, berichtete ich ihr meinen Eindruck. Jody lachte, erstaunlicherweise blieben die Wände, wahrscheinlich bereits an ihr dröhnendes Organ gewöhnt, unbeweglich.
»Der Sven mag dich bestimmt«, versicherte sie mir mütterlich, »der Sven ist nur ein bisschen sauer, weil er eigentlich seinen Freund in die heutige Sitzung mitbringen wollte. Der Sven war der Einzige, der nicht dafür war, dass Annas Freundin, also du, heute teilnehmen darf.«
Ach, so war das. Nun, damit konnte ich leben, war ich doch eigentlich mit Sven einer Meinung - wir beide hätten es lieber gesehen, wenn ich heute Abend zuhause geblieben wäre.
»Der Sven wird aber im Laufe des Abends noch auftauen«, fuhr Jody fort. »Der Sven muss sich erst noch an unser Flair hier gewöhnen, er ist noch nicht so lange dabei.«
Der Sven wäre überrascht, wenn er wüsste, wie sympathisch ihn mir das zunächst machte.
»Und das hier ist Kati«, vernahm ich Jody. Kati lag bekifft auf dem Sofa als ich ankam, Kati lag bekifft auf dem Sofa während der Sitzung, Kati lag bekifft auf dem Sofa als ich wieder ging und das ist auch schon alles, was ich über Kati sagen kann.
»Und zum letzten Schäfchen in unserer gemütlichen Runde, Chantal«, gab Jody ein Kichern von sich, das sich wie die nächtliche Leerung der Müllcontainer ausnahm. Mit einladender Geste wies sie auf eine schmale, junge Frau mit Eichhörnchengesicht, die sogleich eifrig meine Hand ergriff und wohl nicht mehr losgelassen hätte, wenn ich sie ihr nicht mit sanfter Gewalt entzogen hätte. Ich machte ihren Komplex, sich in alles und jedes einzumischen und überall mithelfen zu wollen für ihr ekstatisches Händeschütteln verantwortlich - vermutlich hatte sie die Zurückweisung meiner Person gegenüber den anderen bei meiner Ankunft erlebt und sich zum Ziel des Abends gemacht, diesen Faux Pas um das Zehnfache wieder auszugleichen.
Angesichts dieses Ausbundes an Hyperaktivität drehte ich mich nach kurzem Smalltalk zu meinem Intimfeind des heutigen Abends, zum eisgefrorenen Sven. Lieber von Blicken erdolcht als von Worten erschlagen zu werden, war mein Motto.
»Was ist denn so dein Spezialgebiet in der Esoterik?«, hörte ich mich fragen. So schwer konnte das nicht werden, schließlich führte ich ähnliche Gespräche dauernd in der Uni. Man vertausche lediglich die Worte »Esoterik« mit »Germanistik« und Svens Antwort »Astrologie« mit »Mediävistik«.
»Klingt gut. Gib mir mal 'ne Kostprobe«, heuchelte ich Interesse. Sven musterte mich.
»Du bist Jungfrau«, behauptete er.
Normalweise nütze ich solche Fehleinschätzungen zu unvermeidlichen Kalauern, aber hier spürte ich, dass mein sonst üblicher Hinweis an dieser Stelle, ein Exfreund bezeichne mich noch heute als Nymphomanin, bei Sven auf keinen fruchtbaren Boden fallen würde. Gegen diesen Kerl nahm sich Buster Keaton wie Stan Laurel aus.
»Nah dran«, erwiderte ich deshalb nur, »aber tatsächlich bin ich Steinbock.«
Gewöhnlich folgt nach dieser Aussage unter Astrologie-Fetischisten eine Lobeshymne über meine vermeintliche Hartnäckigkeit, Intelligenz und Loyalität.
»Spröde und verklemmt«, kommentierte Sven stattdessen. Mir blieb fast die Spucke weg.
»Hast wohl Angst, dass meine Hörner bei dir Komplexe auslösen, was?«, fauchte ich zurück.
»Hey, der war nicht schlecht«, mischte sich Chantal ein und lächelte mich an. »Diese Schlagfertigkeit ... du bist Widder, stimmt's?«
Eigentlich wäre ich nur gerne Maus gewesen, um so schnell wie möglich ins nächste Loch zu verschwinden.
»Ach, hier bist du«, sagte eine hinzutretende Anna. Ich fragte mich, ob ich auf diesen schätzungsweise dreißig Quadratmetern irgendeinen Winkel übersehen hatte, in dem ich mich hätte verstecken können. Eine Geheimtür, die mich in die Freiheit führte, zum Beispiel.
»Ja, hier bin ich, ich und meine zerstörten Chakren. Wann werden die denn nun gerichtet?«
Ich dachte, es müsse unmöglich sein, den Sarkasmus in meinen Worten zu überhören, doch Anna überrascht mich immer wieder.
»Sofort«, entgegnete sie strahlend, "Jody ist dabei alles vorzubereiten.«
Wie auf's Stichwort patschte Fledermaus-Jody in die Flügel und alle Teilnehmer, bis auf Kiffer-Kati, versammelten sich in der Mitte der Wohnung. Stühle gab es keine, oder Sven hatte sie vor Wut über mein Erscheinen bereits zersägt, daher ließen wir uns auf Kissen nieder.
Jody lächelte in die Runde und fragte: »Wer von euch kennt noch die verschiedenen Arten der Chakra-Therapie?«
Svens Arm schnellte um eine Millimeter an meinem Kopf vorbei. Streber.
»Wir kennen die Farben-, die Metall-, die Klang-, und die Blütentherapie«, leierte er herunter.
»Richtig«, lobte Jody und entlockte Sven eine Grimasse, die ich auf den zweiten Blick als Lächeln identifizierte.
»In unserer heutigen Sitzung wollen wir uns der einfachsten Methode, und zwar der Metalltherapie widmen«, verkündete Jody. "Eva wird uns dabei als Modell dienen."
Alle Augen richteten sich auf mich.
Idiotischerweise wurde ich rot. Glücklicherweise konnte das im Dunkeln wohl kaum einer sehen.
»Wer von euch kennt noch die Vorgehensweise dafür?«
Diesmal war ich vorbereitet und wich Svens Streberhand geschickt aus.
»Die Chakren müssen zunächst lokalisiert werden. Wir kennen das Scheitelchakra, das Stirnchakra, das Halschakra, das Herzchakra, das Solarplexuschakra, das Wurzelchakra und das Sexualchakra.«
Beim Sexualchakra nahm Svens Stimme einen lüsternen Ton an.
Warte nur, Junge, du wirst nicht eines meiner Chakren lokalisieren.
»Sehr gut. Der Einfachheit halber werde ich am Stirnchakra die Therapie demonstrieren.«
Jody fummelte aus einem ihrer Ärmel ein flaches Metallstück hervor.
»Kupfer«, verkündete sie mit einem Stolz, als habe sie ihn aus der eigenen Mine geerntet. Anschließend bat sie mich an sie heranzurücken und mich auf den Rücken zu legen. Ausnahmsweise war ich Anna für ihren spießigen Rat, kein allzu großzügiges Dekolleté zu präsentieren, dankbar, als Sven Ausschau nach meinem Herzchakra hielt.
Jodys flatternde Fledermausärmel wirbelten mir ihr Opiumparfüm in die Nase, während ihre Hände konzentrische Kreise vor mein Gesicht, oder besser vor mein Stirnchakra, ruderten. Mit großer Geste berührte sie schließlich mit dem Kupferstück bestimmte Punkte auf meiner Stirn.
Nach etwa zehn Minuten hatte ich meine Schuldigkeit getan und durfte mich erheben. Jodys Jünger applaudierten höflich, was mich dummerweise wieder erröten ließ.
Jody strahlte mich an.
»Sag selber, Kleines, fühlst du dich nicht schon viel besser?«
Brav antwortete ich, dass mein Chakra sich noch sie so gut angefühlt habe wie nach dieser Behandlung.
Fledermaus-Jody nickte befriedigt, ihre Jünger glotzten beeindruckt.
»Nächste Woche kommt die Klang-Therapie an die Reihe«, kündigte sie an. Sven drängelte sich an Jody heran, vermutlich um die nächste Sitzung für seinen Freund zu reservieren. Mittlerweile konnte ich diesen verstehen; wäre ich mit Sven befreundet, hätten meine Chakren auch eine Generalüberholung nötig.
Anna brachte mir ein Glas Wasser mit zwar lauwarmen aber immerhin flüssigem Wasser, nachdem ich mittlerweile in Jodys Wohnung auf alle Eventualitäten vorbereitet war. Der schlafwandelnde Ron kam langsam zu sich, indem er von früheren Chakra-Sitzungen berichtete, an denen er teilgenommen hatte.
»Das war ganz interessant«, sagte ich und meinte langweilig.
»Das war doch noch langweilig«, winkte er ab, doch seinem Blick nach meinte er interessant.
Chantal war sowieso aus dem Häuschen und erzählte mir dreimal, dass sie während meiner Behandlung ständig das Gefühl gehabt habe, selber mit dem Kupfer therapiert zu werden.
Ich sagte ihr, dass ich ihr die Daumen drücke, dass sie vielleicht beim übernächsten Mal an die Reihe käme, und drängte Anna zum Aufbruch.
Ich seufzte bei dem Gedanken, ich hätte diesen Abend mit irgendeinem interessanten Typen in meiner Stammkneipe verquatschen können.
Bei Anna dagegen war Hopfen und Malz verloren. Ihre Vorstellungen von einem Date endeten vermutlich bei einer gemeinsamen Meditation mit dem Dalai Lama.
Zum Abschied erhielt ich einen kalten Händedruck plus gierigen Blick auf diverse Chakren von Sven, ein »Wiedersehen« vom wieder einschlafenden Ron, ein gekichertes »Bis bald, Kupfer-Schwester!« von Chantal, einen Schnarcher von Kiffer-Kati und eine im Sinne des Wortes atemberaubende Umarmung von Fledermaus-Jody, die mich spontan für weitere Sitzungen willkommen hieß.
»Na, was meinst du«, fragte mich Anna als wir durch die Nacht nach Hause liefen. »Könnte man doch vielleicht mal wiederholen, hm?«
Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.