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Ein Abend auf der Eisbahn
„Ein Abend auf der Eisbahn“
Ein schneidender Wind pfiff über die Eisfläche, auf der einzelne Schlittschuhläufer oder Paare Hand in Hand fuhren. Sie bewegten sich zu der Musik, die mal leise, mal lauter im Hintergrund spielte. Es war Abend und die Scheinwerfer tauchten die Eisfläche in helles Licht, während ringsherum tiefste Dunkelheit herrschte. Über ihnen funkelten die Sterne einer klaren Winternacht, hin und wieder ergänzt durch die Positionslichter eines Flugzeugs.
Er stand am Rand und beobachtete die unterschiedlichen Besucher der Eisbahn. Da waren Anfänger, die wie er am Rand standen und denen, die diese Kunst beherrschten zusahen. Da waren aber auch die Könner, die sich drehten und durch die Luft wirbelten, um sicheren Fusses wieder zu landen.
Er bewunderte jene, denen das glatte Eis nichts ausmachte, die es mit traumwandlerischer Sicherheit zu beherrschen wußten. Julia war so jemand. Er sah ihr gerne zu, wie sie sich das Eis zum Untertan machte, wie sie mit grazilen Bewegungen über das Eis fegte und die Umstehenden in Erstaunen versetzte. Sie war wie geschaffen für diesen Sport, gertenschlank, mit einer bewundernswerten natürlichen Eleganz und einer beinahe ungehörigen Menge an Balancegefühl gesegnet. Ohne Mühe, da war er sich sicher, hätte sie mit den Besten mithalten können. Aber sie hatten ihren eigenen Kopf, ihren eigenen Willen und war nicht bereit gewesen ihre Jugend für diese Art von Karriere zu opfern. Auch dafür bewunderte er sie.
Er selbst war kein guter Eisläufer, nie gewesen. Das fremde Element flößte ihm Angst ein. Er konnte seine Bewegungen auf ihm nicht kontrollieren und das mißfiel ihm. Mitgekommen war er dennoch. Julia und er hatten nicht mehr oft Zeit etwas gemeinsam zu unternehmen und dabei genoss er jeden Augenblick mit ihr. Sie hatte etwas an sich, was er einmal den „Wohlfühlzauber“ genannt hatte.
„He, willst Du nur an der Bande stehen“, fragte Julia, die auf ihn zugelaufen kam. „Wir sind doch zum Eislaufen hier“, fügte sie mit einem Grinsen hinzu.
„Eislaufen? Ach so, das machen die ganzen Leute hier“, antwortete er mit gespielten Ernst und stieß sich von der Bande ab. Im ersten Augenblick stand er unsicher auf den Kufen, doch was er einmal erlernt hatte, kam schnell wieder zurück. Rasch eilte er ihr hinterher.
Die Musik wechselte, die letzten Töne verklangen und für einen Moment war es still. Nur das Geräusch der Kufen auf dem Eis, das Gemurmel der Menschen und die Autos auf der nahegelegenen Strasse. Dann begann ein Klavier ein Lied aus längst vergangener Zeit zu spielen und als die Stimme des Sängers einsetzte: „When I look into your eyes, I can see a love restrained...“ erinnerte er sich an etwas, was mehr als zehn Jahre zurücklag.
Er war vielleicht zwölf Jahre alt gewesen, als seine Eltern mit ihm zur Eisbahn gefahren waren. Erst das zweite Mal überhaupt in seinem Leben war er dort gewesen. An das erste Mal konnte er sich noch gut erinnern, damals und heute. Ein Jahr zuvor hatte er mit seiner Schulklasse zum ersten Mal die Eishalle betreten und ebenfalls zum ersten Mal hatte er auf Schlittschuhen gestanden, es hatte ihm Freude bereitet. Zumindest bis jemand ihm in die Beine trat, er auf die Knie fiel und gegen die Bande schlitterte. Drei Tage konnte er kaum richtig gehen. Von da an hatte er Angst vor dem Eislaufen. Seine Eltern wollte sie ihm nehmen.
An diesem Tag waren auch die Nachbarn von schräg gegenüber in der Eishalle gewesen. Zusammen mit ihrer Tochter, mit Julia. Julia war ein Jahr jünger als er, aber bereits ein Profi im Eislaufen. Er kannte sie, war hin und wieder mit ihr zur Schule gegangen. Als sie gehört hatte, dass er Angst vor dem Laufen hatte, hatte sie gelacht, ihre Hand ausgestreckt und gesagt: „Komm.“
Dann war er losgefahren und wunderlicherweise nicht sofort gestürzt. Ganz im Gegenteil, Hand in Hand war er mit ihr Runde um Runde gefahren. So lange, bis seine Beine vor Erschöpfung wackelig waren. An diesem Tag hatte er das erste Mal festgestellt, dass in Julias Nähe alles leichter ging und Dinge gelangen, die sonst nie gelingen wollten.
Der Warnruf eines kleinen Jungen, der von rechts auf ihn zugeschossen kam, riss ihn aus seinen Gedanken. Aber es war zu spät. Er konnte nicht mehr bremsen, geriet ins Stolpern und fiel der Länge nach hin. Er hörte Julias Lachen als sie an seiner Seite stehenblieb.
„Na, mal wieder ein Schwächeanfall?“ sagte sie schadenfroh.
„Na warte“, antwortete er und richtete sich hastig wieder auf. „Wenn ich dich kriege!“
In gespielter Angst schrie Julia auf und lief weg, er fuhr ihr hinterher. An der Bande stellte er sie und ließ ihr keine Chance zu entkommen.
„Hab ich dich!“
Gesicht an Gesicht standen sie nun und seit langem nahm er wieder einmal wahr, wie schön sie doch war. Mit ihren grünen Augen, der kleinen Stupsnase und den langen, blonden Haaren, die sie unter einer etwas lächerlich wirkenden Mütze versteckt hatte, welche er ihr einmal als Geschenk aus Norwegen mitgebracht hatte. Für einen Moment schlug sein Herz schneller.
„Wir schließen gleich“, sagte eine Stimme aus dem Lautsprecher.
„Komm, eine Runde noch“, sagte Julia und streckte ihm ihre Hand entgegen. Er ergriff sie, auch ohne Handschuhe war sie angenehm warm, nur eines störte. Das kalte Metall an ihrem Finger. Das kalte Gold eines Verlobungsringes, der nicht seiner war.