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Eheglück

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21.01.2003
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Eheglück

Das, was ich befürchtet habe, ist eingetroffen. Irgendwann musste es ja passieren. Meine Tochter hat sich verliebt.
“Papa, er heisst Ron, und morgen Nachmittag möchte ich ihn dir gern vorstellen.”
“Wo hast du ihn denn kennengelernt?”
“Im Blind Horse Saloon. Er ist ein so fabelhafter Tänzer.”
Claudia blickte verträumt aus dem Fenster. “Alle Mädchen wollen mit ihm tanzen, doch er hat nur Augen für mich. Womit habe ich das verdient, das grosse Glück?”
“Dass er so gut tanzen kann?” Claudia hörte nicht den zynischen Unterton heraus.
“Was ist denn an ihm so aufregend?”
“Ich weiss es auch nicht.” Claudia schüttelte verwirrt den Kopf, als habe ich sie gewaltsam aus ihrer Träumerei herausgerissen. “Es ist nur so, wenn er mich ansieht, dann verschwindet die Umgebung um mich herum und ich sehe nur ihn, nur ihn allein.”

Am nächsten Nachmittag stand Ron im Flur und schüttelte mir die Hand. Er hatte einen angenehm festen Händedruck. Ich blickte ihn an, dann auf die Garderobe, den Garderobenspiegel, die Lampe und den Teppich, dann auf Claudia, die bebend neben mir stand. Die Umgebung war noch da.
Ron sah gut aus, hatte ein kantiges Gesicht mit einem Schmiss auf seiner linken Wange, dunkle Haare, blaue Augen und eine muskulöse, untersetzte Gestalt, und irgendwie hatte ich das Gefühl, ihn schon mal gesehen zu haben.
“Ron, Sie kommen mir bekannt vor. Sind wir uns schon mal begegnet?”
“Kaum möglich. Ich bin erst seit einem halben Jahr in dieser Stadt.”
“Wo waren Sie vorher?”
“In Spartanburg.”
“Ron, wo haben Sie denn den Schmiss her?”
Ron lachte. “Konstruktionsfehler.”

Ron hatte einen Elektroladen. Das fand ich in unserem Gespräch heraus. Er reparierte Fernseher, Radios, Kühlschränke und Telefone. Im Geiste sah ich Claudia schon hinter der Ladentheke stehen, während er in der Werkstatt dahinter schraubte und lötete. Wieso hatte ich das Gefühl, ihn zu kennen? Ich dachte nach und ging wie von selbst auf einen kleinen Schrank zu, in dem meine Mutter ein Bündel Briefe aufbewahrt hatte. Kannte ich diese? Hatte sie mir die Briefe einmal gezeigt, als ich ein kleiner Junge war?
Ich holte das Bündel aus dem Schrank, zog die Briefe aus den Umschlägen und fing an zu lesen. Ein Foto fiel auf den Teppich. Es zeigte ein Paar, die Frau war nicht meine Mutter. Es war meine Grossmutter mit ihrem Mann. Ich schaute genauer hin. Er sah gut aus, hatte ein kantiges Gesicht mit einem Schmiss auf seiner linken Wange, dunkle Haare, blaue Augen und eine muskulöse, untersetzte Gestalt, und ich wusste, dass ich ihn schon mal gesehen hatte.
Meine Grossmutter hatte ich nie kennengelernt. Sie war vor meiner Geburt nach Spartanburg gezogen. Sie schrieb von ihrem Ron, der ein so guter Tänzer war. Sie schrieb, wenn er sie ansah, verschwand die Umgebung um sie herum, und sie sah nur ihn, nur ihn allein. Ich las alle ihre Briefe, erfuhr, dass sie eine sehr glückliche Ehe führten, dass Ron ein Elektrogeschäft hatte, in dem er Radios reparierte. Während sie hinter der Ladentheke stand, schraubte und lötete er in der Werkstatt dahinter und lud sich während der Mittagspause an der Steckdose auf.

Nach ein paar Wochen heirateten Ron und Claudia. Mir war etwas unbehaglich zumute, doch was hatte ich für einen Grund, dem Glück meiner Tochter im Wege zu stehen?

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Claudio!

Gute Idee, das gefällt mir an der Geschichte. Auch am Stil habe ich nichts großartig auszusetzen, er liest sich flüssig, so wie ich es mag. Die Story ist kurz, aber so kompakt, dass das passt. Trotzdem bin ich nicht ganz zufrieden.

Irgendwie komme ich mit dem Ende nicht so gut klar. Also, Ron war der Mann der Großmutter des Erzählers - also sein Großvater und damit ist er auf direkter Linie mit Claudia verwandt, richtig?
Oder war Ron zwar mit der Großmutter verheiratet, ist aber nicht der leibliche Vater ihrer Kinder? :confused:
Das würde mir ehrlich gesagt besser gefallen, viel besser. Das unwohle Gefühl des Erzählers wäre ja immer noch berechtigt, aber wenn er "Inzest" tolerieren würde kommt mir der letzte Satz zu lasch vor:

Mir war etwas unbehaglich zumute, doch was hatte ich für einen Grund, dem Glück meiner Tochter im Wege zu stehen?
Ich finde den nur passend, wenn Ron in keiner Weise mit Claudia verwandt ist, also wenn er z.B. der zweite Ehemann der Großmutter war.
Womit habe ich das verdient, das große Glück?”
Ron lachte. “Konstruktionsfehler.”
Bin mir nicht sicher ob das an der Stelle nötig ist. Ab da weiß man zumindest schon, dass Ron kein normaler Mensch ist. Somit bleibt zum Schluss nur noch die Pointe, dass er sogar aus der gleichen Familie stammt. Ich finde, es wird ein bisschen viel vorweggenommen damit.
Wieso hatte ich das Gefühl, ihn zu kennen? Ich dachte nach und ging wie von selbst auf einen kleinen Schrank zu, in dem meine Mutter ein Bündel Briefe aufbewahrt hatte. Kannte ich diese? Hatte sie mir die Briefe einmal gezeigt, als ich ein kleiner Junge war?
Hier wird mir der Zusammenhang nicht ganz klar, wie der Erzähler auf due Briefe kommt. Vielleicht schadet es nicht nolch kurz zu schildern wie ihm die Überlegung kommt dass er ihn schonmal auf einem Bild gesehen hat, wie er dann darüber sinniert welche Bilder das sein könnten und er dann auf den Schrank zugeht.

Interessant fände ich es auch die Geschichte noch auszubauen indem der Erzähler in einen Gewissenskonflikt gerät und die Hochzeit der beiden verhindern will. Ich finde, das Potential dafür ist auf alle Fälle da, denn die Idee hinter der Story finde ich spitze. :-)

LG
Ginny

 

Ginny,

Danke. Das ganze Geheimnis ist in einem Nebensatz versteckt.
'Während sie hinter der Ladentheke stand, schraubte und lötete er in der Werkstatt dahinter und **lud sich während der Mittagspause an der Steckdose auf.**'

Ron ist Roboter oder Cyborg, war schon mit der Urgrossmutter der Tochter verheiratet gewesen. Die Inzestproblematik hatte ich beim Abfassen der Geschichte nicht bedacht, war so in dem Fluss der Geschichte gefangen. Sie sollte kurz, einfach, schluessig und SF sein. Weiss auch nicht, wie weit Inzest in die Vergangenheit reicht. Immerhin sind inzwischen fremde Gene in die Erzeugerkette geflossen.

Gruss,
Claudio

 

Hi nochmal,

dass er ein Cyborg ist ist schon schlüssig und gefällt mir. Insofern kann er ja nicht altern und ist noch "der gleiche" wie Jahrzehnte zuvor.
Das mit dem Inzest, nunja ... ich stell mir vor, dass es für den Erzähler schon unheimlich genug sein muss wenn er feststellt dass seine Tochter einen Cyborg heiratet der sich über all die Jahre nicht verändert hat. Weiß nicht ob's zu heftig wird wenn der auch noch - wenn auch meinetwegen etwas weitläufiger - mit ihr verwandt ist. Mich hat's was gestört. Wenn wirklich die Möglichkeit der Blutsverwandtschaft besteht fände ich es nämlich realistischer, wenn der Ich-Erzähler es nicht akzeptiert, sondern die Geschichte weitergeht und er die Beziehung zu verhindern versucht. Da müsste alleine der Instinkt mit ihm durchgehen, finde ich.

 

Fuer den Vater der Tochter zaehlte, dass seine Grossmutter mit ihrem Ron eine glueckliche Ehe gefuehrt hatte und stellte sich daher das Gleiche fuer seine Tochter vor.

Ich lasse es mal so.

Gruss,
Claudio

 

Hi Claudio,

mir gefällt die Geschichte. Ich mag Storys die für mich mit einen überrschenden "Öhh!" enden. Versuche selbst solche Storys zustande zu bringen.

Mehr davon.

Gruss, S.B.Tenz

 

S.B.,
Danke. Manchmal klappts, manchmal nicht. Da gibts dann nur eines. Weiter schreiben.

Gruss,

Claudio

 

Geschrieben von Claudio
Ich blickte ihn an, dann auf die Garderobe, den Garderobenspiegel, die Lampe und den Teppich, dann auf Claudia, die bebend neben mir stand. Die Umgebung war noch da.
Hab ich zu meiner Schande erst beim zweiten mal lesen bemerkt --> hahaha, einfach nur köstlich!
Konstruktionsfehler
Naja, da war der Mechanoide (wieauchimer) klar.

Inzest: Nachwuchs aus einer Paarung eines Mechanoiden/künstlichen Menschen/Cyborg (na gut, da ja vielleicht ...) und eines Menschen? Ich vertrag ja sehr viel SF aber darauf wär ich nicht gekommen. Muss ja nicht unbedingt Nachwuchs her, kann auch so Spass machen! Und wenn schon Nachwuchs, dann auch mal von der Samenbank, über eine externe Schwangerschaft, ...

Hat Spass gemacht die Geschichte zu lesen! Gut gemacht!

 

Hi Claudio!
Nun, zuerst war ich ein bisschen verwirrt. Irgendwie ist Deine Story einfach so an mir vorbeigegangen. Und ich glaube, sie wird mir nicht so sehr in Erinnerung bleiben. Sie ist gut, flüssig zu lesen aber vom Inhalt her... na ja, ein bisschen mager. Bitte fass das jetzt nicht böse auf, ich meine ja nur, es ist nicht unbedingt eine Geschichte, die mir lange im Gedächtnis haften bleiben wird.
Es hat irgendwie... keine Problemstellung. Alles läuft so reibungslos ab, kein Widerstand vom Vater, nichts. Einfach ein wenig Skepsis und dann doch das Akzeptieren. Wie es bei normalen Menschen eigentlich auch ist.

Sonst finde ich es aber wirklich gut!
Liebe Grüsse,
Marana

 

Serge,

Danke,

Nun, Inzest hatte ich beim Schreiben gar nicht im Kopf.
Ich hatte mich darauf konzentriert, unter der Hand zu vermitteln, dass Brad ein Roboter oder Androide war.

Gruss,
Claudio

 

Marana,
Danke. Meine Geschichten haben es an sich, dass sie
manchmal dahin plaetschern. Gewaltige Konflikte tun sich nie auf. Sicher ne Schwaeche von mir, aber auch verstaendlich, wenn man so ein pflegeleichter Typ ist wie ich *g*. Vielleicht kann ich das Manko irgendwann beheben.

Gruss,
Claudio

 

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